Lagebericht

Schmidt: „Der Leitsatz ‚Struktur vor Geld‘ ist so einfach wie falsch“

Düsseldorf - 25.09.2019, 16:15 Uhr

Friedemann Schmidts Lagebericht beim DAT 2019: Man müsse sich vom Rx-Versandverbot abwenden und den Vorteilen der Apothekenreform zuwenden. (c / Foto: Schelbert)

Friedemann Schmidts Lagebericht beim DAT 2019: Man müsse sich vom Rx-Versandverbot abwenden und den Vorteilen der Apothekenreform zuwenden. (c / Foto: Schelbert)


Die Lageberichte von Friedemann Schmidt sind immer besonders. Schmidt ist ein guter Redner, der gut gefüllte Saal schweigt und hängt an seinen Lippen. Auch in diesem Jahr hält der ABDA-Präsident einen Lagebericht mit großen Worten, streift Bereiche der Philosophie und der Psychologie. Als er dann aber zum (politischen) Punkt kommt, verabschiedet sich Schmidt am heutigen Mittwoch in Düsseldorf so ganz nebenbei von einem zentralen Leitsatz der Apotheke: Der Satz „Struktur vor Geld“ ist seiner Meinung nach zu einfach und falsch. Man müsse auch die wirtschaftlichen Punkte mehr in den Blick nehmen.

Es gab einen Punkt während des Gesetzgebungsverfahren zur Apothekenreform, als die ABDA ihren politischen Kurs wechselte: das Rx-Versandverbot war dann nur noch eine Handlungsoption auf Rang zwei, seitdem geht es darum, die Vorteile – auch finanzieller Art – im Apotheken-Stärkungsgesetz mitzunehmen. Bei den Apothekern an der Basis ist dieser Richtungswechsel zumindest gefühlt nie so richtig angekommen: Sie starteten Protestaktionen, wie etwa die Unterschriften-Aktion des Pharmaziestudenten Benedikt Bühler, die mehr als 400.000 Menschen in den Apotheken unterschrieben.

Schmidt hatte es also nicht leicht im Vorfeld seines Lageberichtes am heutigen Mittwoch in Düsseldorf. Im Rücken hatte er zudem den Bundesratsbeschluss zum Rx-Versandverbot – in den Reihen der Delegierten wird schon heiß spekuliert, wer den Adhoc-Antrag zum Rx-Versandverbot als erstes stellt. Aber Schmidt rückte von seiner und der Position, die die ABDA-Mitgliederversammlung beschlossen hatte, nicht ab. Wörtlich sagte er:


Ja, ein Rx-Versandverbot wäre die wirksamste Maßnahme, den problematischen Auswirkungen des EuGH-Urteils von 2016 auf das deutsche System der Arzneimittelversorgung zu begegnen. Daran haben wir nie gezweifelt. Und nein, diese Maßnahme ist unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen in unserem Land und in der europäischen Union nicht durchsetzbar – trotz Koalitionsvertrag, trotz Mitgestaltungsanspruch der Länder, trotz unserer Kampagnen und trotz Protestaktionen der apothekerlichen Basis. (…) Natürlich wäre es besser, ein Rx-Versandverbot zu haben. Aber natürlich wäre es auch besser, schon früher aus der Kohlekraft auszusteigen, und es wäre auch besser, auf Coca-Cola-Flaschen Warnaufkleber zu haben. Aber Politik ist nunmal kein rationaler wissenschaftlicher Prozess.“

Friedemann Schmidt


Wirklich gut kam der zweite Teil dieser Argumentation nicht an. Schmidt erntete großen Applaus zu seiner Äußerung, dass das Verbot die beste und wirksamste Maßnahme wäre. Kurze Zeit später ging aber einen Raunen durch den Saal, als er es als politisch unmachbar einstufte. Doch Schmidt ging noch weiter. Anscheinend ist die Entscheidung, sich vom Rx-Versandverbot abzuwenden und den (finanziellen) Vorteilen der Apothekenreform zuzuwenden, keine Einzelfallentscheidung. Man habe sich viele strukturpolitische Entscheidungen „erkauft“. Schmidt wörtlich:


‚Struktur vor Geld‘, in diese drei einfachen Worte kann man den zentralen Leitsatz unserer Berufspolitik in den letzten Jahrzehnten zusammenfassen, und auch in den Diskussionen seit Abschluss des Koalitionsvertrages der Bundesregierung habe ich diesen Leitsatz wieder und wieder gehört und gelesen. Ich bin mittlerweile der Auffassung, dass dieser Satz so einfach wie falsch ist. Denn er spiegelt ein verkürztes Denken mit vorgefertigten Prioritäten wieder und schließt andere strategische Parameter aus. Natürlich ist die ordnungspolitische Struktur essentiell, aber gerade weil und wenn wir diese nicht nach Belieben bestimmen können, müssen wir auch den Blick frei haben für Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Verbesserung in Teilbereichen unserer Arbeit und neue fachliche Perspektiven für den Heilberuf Apotheker.“

Friedemann Schmidt


Schmidt lobt Bühler

Schmidt sprach auch die Kolleginnen und Kollegen an, die sich weiterhin für das Rx-Versandverbot engagieren. Der ABDA-Präsident grüßte den Pharmaziestudenten Benedikt Bühler persönlich und zollte ihm Respekt: „Ich bin, sehr geehrter Herr Bühler, inhaltlich anderer Meinung als Sie; und ich habe auch Kritik an der Vorgehensweise bei Ihrer Aktion. Die richtet sich allerdings weniger an Sie persönlich als an die Berater, die Sie umgeben. Aber ganz unabhängig davon haben Sie meinen persönlichen Respekt für Ihre Entschlossenheit und Ihren Willen, unter schwierigen Umständen nicht aufzugeben und nicht nur im geschlossenen Zirkel, sondern auch in der Öffentlichkeit; für Ihre Überzeugungen einzustehen.“ Zur Erklärung: Unter anderem hatte die Apothekergenossenschaft Noweda den Studenten finanziell und juristisch unterstützt.

Schließlich appellierte er an seine Kollegen, Veränderungen zu akzeptieren. Der ABDA-Präsident erinnerte an den DAT 2018, als er sagte, dass den Apothekern „große Veränderungen“ bevorstünden. Auch bei dieser Meinung bleibt Schmidt. „Es ist schmerzhaft, liebe Kolleginnen und Kollegen. So wie es ist, kann es nicht bleiben, wenn wir wollen, dass unser Beruf auch in 20 Jahren noch tonangebend in der Arzneimittelversorgung sein soll.“ Schmidt stellte aber klar, dass das politische Agieren der ABDA auf einstimmigen demokratischen Entscheidungen fußt: „Von Mitgliederversammlung zu Mitgliederversammlung hat sich die Positionierung weiterentwickelt. Trotz eines starken Beharrungsvermögens sind Beschlüsse nachgesteuert worden, weil sich die politische Situation und das Umfeld verändert haben.“ Schmidt meinte damit die Entscheidungen der ABDA-Mitgliederversammlung aus den vergangenen Monaten rund um den Versandhandelskonflikt. Ursprünglich hieß die klare Beschlusslage, das Rx-Versandverbot einzufordern. Inzwischen ist es nur noch eine „Handlungsoption“.

Änderungen auch am Apothekenhonorar nötig

Und wenn man schon bei größeren, strukturellen Änderungen ist – dachte sich Schmidt womöglich – kann man auch gleich über größere Änderungen am System des Apothekenhonorars sprechen. Der ABDA-Präsident meint, man solle sich mehr von den „anonymen, skalierbaren und automatisierten Vertriebsformen“ distanzieren – und das könne auch über das Apothekenhonorar geschehen. Denn: „Es hat wenig Sinn, an einem pauschalisierten Vergütungssystem über alle Leistungen hinweg bedingungslos festzuhalten, das zwar simpel und berechenbar ist, aber genau diese entscheidende Differenz wirtschaftlich einebnet, weil es keinen Unterschied macht zwischen einem Päckchenversand aus dem Automaten und der persönlichen Abgabe einschließlich eines (…) deutlich aufwändigeren Kontaktes.“

Schmidt wollte gleichzeitig aber eines klarstellen: Dass die ABDA die Apothekenreform zu positiv bewertet, sei ausgeschlossen. Dafür sorge die „hartnäckige Problemfokussierung“ der Standesvertretung. Deswegen werde man weiterhin gegen die „negativen Reste“ in der Reform ankämpfen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

prekär

von atopom am 25.09.2019 um 18:36 Uhr

Wenn schon ohne Struktur, dann nicht im Prekariat.

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Struktur war nie das Ziel

von Reinhard Rodiger am 25.09.2019 um 17:11 Uhr

Die Struktur war nie im Focus. Wäre es so, befänden wir uns als integraler Teil des Gesundheitssystems im Funktionsschema des BMG. Also wurde unter Struktur(-gestaltung) die stetige Erhöhung der Belastung der Apotheken verstanden. Eigenbelastung vor Honorierung.Geht das als Signal an die Politik, ist klar, dass sie uns so als Spielball anerkennt. Vor allem, wenn Positionen bereits im Vorfeld geräumt werden. Das ist gleichbedeutend mit Verhandlungsverzicht. Gekämpft wurde nie.Selbst die Politik forderte ungehört Lautstärke..Sicher, manchmal mag die Lage aussichtslos erscheinen, man kann das aber auch herbeireden.Genau das ist geschehen- auf allen standespolitischen Ebenen mit allen Mitteln.
Der Preis sind Zusatzleistungen, deren Verknüpfung mit elementarer Basisfinanzierung so deletäre Folgen hat.
RxVV und Zusatzleistungen haben NICHTS miteinander zu tun.Es sei denn, die Halbierung ist das eigentliche Ziel. Das ist die einzige genutzte Zahl von 2hm: Die Hälfte ist in einer kritischen Situation.Der Erkenntnis folgte nichts ausser Optimierung der anderen Hälfte.
Alles wurde vermieden, was die Zusatzleistungen gefährden könnte.Sogar Anstand und Glaubwürdigkeit.Dem Stand wurde der Boden entzogen.Auf die Anerkennung heutiger Leistung wurde verzichtet.

Was not tut ist Achtung und Respekt. Beides ist neu zu gewinnen.Das ist DAT-Auftrag. An die Delegierten.Lasst euch nicht nochmal versemmeln.







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Eingelullt

von Kathrin Storch am 25.09.2019 um 17:06 Uhr

Die deutsche Apothekerschaft hätte einen leidenschaftlichen Kämpfer verdient, der kraftvoll und überzeugend seine überwiegend existentiell gefährdeten Kolleginnen & Kollegen hinter sich zu scharren weiß. In dieser Situation waren die Worte von FS ein Schlag ins Gesicht. Erst nach 1 h Philosophie kam zum ersten Mal das Stichwort „RX-Versand“ ... wie kann er es wagen, den öffentlichen Apotheken so in den Rücken zu fallen ...

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