Urteil zu Tierarztpraxen

EuGH sägt weiter an Regeln für freie Berufe

Berlin - 13.08.2019, 10:05 Uhr

Der EuGH hat sich mit den österreichischen Regelungen für Tierarztpraxen und -kliniken befasst. ( r / Foto: 2002lubava1981/ stock.adobe.com)

Der EuGH hat sich mit den österreichischen Regelungen für Tierarztpraxen und -kliniken befasst. ( r / Foto: 2002lubava1981/ stock.adobe.com)


Der Europäische Gerichtshof hat sich erneut mit reglementierten Berufen befasst. Die EU-Kommission hatte gegen Österreich eine Vertragsverletzungsklage erhoben, weil sie meint, verschiedene Regulierungen für Tierärzte, Patentanwälte und sogenannte Ziviltechniker verstoßen gegen die Dienstleistungsrichtlinie. Etwa jene, dass Tierarztpraxen und Tierkliniken nur von Tierärzten betrieben werden dürfen. Tatsächlich befand der EuGH alle angegriffenen Regelungen für nicht europarechtskonform – auch das generelle Fremdbesitzverbot für Tierärzte. Hieraus sind jedoch keine voreiligen Rückschlüsse für Apotheken zu ziehen.

Bekanntermaßen ist die Kommission stets alert, wenn es darum geht, Mitgliedstaaten an die europäischen Grundfreiheiten zu erinnern, etwa den freien Warenverkehr, die Personenfreizügigkeit (zu der auch die Niederlassungsfreiheit zählt) und die Dienstleistungsfreiheit. Nicht zuletzt freie oder sonst reglementierte Berufe hat sie im Blick: Gibt es Mitgliedstaaten, die ihre Märkte hier zu sehr abschotten und den Zugang für andere EU-Bürger erschweren?

So nahm sich die Kommission auch verschiedene Vorschriften aus Österreich vor, die für Tierärzte, Patentanwälte und Ziviltechniker – hierzulande würde man sagen Architekten und Ingenieure – gelten. Unter anderem missfiel ihr, dass Berufsgesellschaften von Ziviltechnikern und Patentanwälten ihren Sitz in Österreich haben müssen. Zudem hielt sie die Anforderungen an die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen für Architekten, Ingenieure, Patentanwälte und Tierärzte für übermäßig. Um bei den Tierärzten zu bleiben: Zum Betreiben einer tierärztlichen Praxis oder einer privaten Tierklinik sind nach österreichischem Recht nur berufsberechtigte Tierärzte oder Gesellschaften, deren Gesellschafter berufsberechtigte Tierärzte sind, berechtigt. Eine Beteiligung Berufsfremder an einer Tierärztegesellschaft ist nur für stille Teilhaber möglich.

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Gefahr für andere Freiberufler?

Die Kommission versandte im Juni 2015 ein erstes Aufforderungsschreiben, um für Abhilfe zu sorgen. Es folgte eine mit Gründen versehene Stellungnahme und später noch eine Ergänzung. Da die österreichischen Behörden nicht nachgeben wollten, erhob die Kommission Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). In dem Verfahren unterstützte übrigens die Bundesrepublik Deutschland die Österreicher als Streithelfer – schließlich stehen auch die Regulierungen für Freie Berufe hierzulande auf dem Spiel. Kürzlich waren es etwa die hiesigen Architekten und Ingenieure.

Verstöße gegen Dienstleistungsrichtlinie

Am 29. Juli entschieden nun die Luxemburger Richter. Sie befanden, dass Österreich gegen seine Verpflichtungen aus der EU-Dienstleistungsrichtlinie verstößt, indem es seine von der Kommission bemängelten Regelungen aufrechterhält. Drei Voraussetzungen müssen nämlich erfüllt sein, will ein Mitgliedstaat die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in seinem Land von Anforderungen abhängig machen: Diese Anforderungen dürfen nicht diskriminierend sein, sie müssen zudem erforderlich, das heißt durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, und verhältnismäßig sein, also nicht durch weniger einschneidende Mittel ersetzt werden können. Zwar hielt der EuGH die Regelungen zu den möglichen Gesellschaftsbeteiligungen für nicht diskriminierend – doch mit den weiteren Voraussetzungen hatte er seine Probleme.

Was bedeutet das Urteil für Apotheken?

Was heißt das Urteil nun genau – für reglementierte Berufe generell, für Tierärzte speziell und auch für das deutsche Fremdbesitzverbot von Apotheken? Grundsätzlich ist mit ihm sicherlich einmal mehr eine Lanze für die von der EU so gewünschte Deregulierung bei den Freien Berufen gebrochen. Allerdings ist als Erstes und aus Apothekersicht Wichtigstes festzustellen: Die hier entscheidende EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123 gilt ausdrücklich nicht für Gesundheitsdienstleistungen (Art. 2 Abs. 2 Buchst. f). Die Tätigkeiten von Tierärzten sind hingegen erfasst. Österreich sah das zwar anders, doch der EuGH verwies auf die Erwägungsgründe zur Richtlinie und kommt zum eindeutigen Schluss: Die hier normierte Ausnahmeregelung ist eng auszulegen und betrifft daher nur Gesundheitsdienstleistungen, die sich auf die menschliche Gesundheit beziehen.


Der Ausschluss des Gesundheitswesens vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte Gesundheits- und pharmazeutische Dienstleistungen umfassen, die von Angehörigen eines Berufs im Gesundheitswesen gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, wenn diese Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, einem reglementierten Gesundheitsberuf vorbehalten sind.“

22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123


Auch bei Tierärzten dürfen „Fremdbesitzer“ nicht das Ruder übernehmen

Was die Tierärzte betrifft, so verweist der EuGH insbesondere auf seine Entscheidung, die er im März 2018 zu rumänischen Regelungen für Veterinäre getroffen hat. Auch hier ging es um ein Fremdbesitzverbot. Dort, wie auch im österreichischen Fall, befanden die Richter das konkrete Verbot zwar nicht für europarechtskonform. Aber das bedeutet nicht, dass Kapitalgeber von außen jetzt generell das Ruder übernehmen dürften. So hält der EuGH nationalstaatliche Anforderungen, wonach am Vermögen von Tierärztegesellschaften ausschließlich Berufsangehörige beteiligt sind, durchaus für geeignet, „die Gefahr zu verringern, dass solche Gesellschaften Geschäftsstrategien verfolgen, die das Ziel des Gesundheitsschutzes sowie die Unabhängigkeit der Tierärzte beeinträchtigen können“.

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Allerdings: Die legitime Verfolgung der Ziele des Gesundheitsschutzes und der Unabhängigkeit der Tierärzte könne nicht rechtfertigen, dass Wirtschaftsteilnehmern die Beteiligung an Tierärztegesellschaften „völlig unmöglich“ gemacht werde, wenn sie nicht selbst Tierärzte sind. Die Tierärzte könnten über die Gesellschaften auch dann eine wirksame Kontrolle ausüben, wenn sie nicht das gesamte Gesellschaftsvermögen halten würden. Immerhin erkennt der EuGH also: Es ist wichtig, dass die Fachleute hier letztlich das Sagen haben. 

Die Sache mit der Beweislast

Aus Apothekersicht interessant ist das Urteil nicht zuletzt aus einem anderen Grund – nämlich in seinen generellen Ausführungen zur Beweislast. Die Richter legen dar, wie weit diese geht: Zwar obliege einem Mitgliedstaat, der sich zur Rechtfertigung einer von ihm ergriffenen Regelung auf einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses beruft, der Nachweis, dass diese Regelung geeignet und erforderlich ist, um das angestrebte legitime Ziel zu erreichen. Doch weiter heißt es: „Diese Beweislast darf aber nicht so weit gehen, dass dieser Mitgliedstaat positiv belegen müsste, dass sich dieses Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen ließe. Ein solches Erfordernis liefe nämlich in der Praxis darauf hinaus, den betreffenden Mitgliedstaat seiner Regelungsbefugnis in dem fraglichen Bereich zu entheben.“ Das klingt ganz anders als beim EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung vom Oktober 2016.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Juli 2019, Rs.: C‑209/18



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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