Opioidabhängigkeit

Wurde Tramadol unterschätzt?

Rochester / Stuttgart - 24.05.2019, 09:00 Uhr

Laut einer Studie, veröffentlicht im BMJ, fordern vor allem Patienten mit einer initialen Tramadolverordnung postoperativ weitere Folgerezepte. Macht Tramadol abhängiger als gedacht? (b/Foto: Andy Dean / stock.adobe.com)

Laut einer Studie, veröffentlicht im BMJ, fordern vor allem Patienten mit einer initialen Tramadolverordnung postoperativ weitere Folgerezepte. Macht Tramadol abhängiger als gedacht? (b/Foto: Andy Dean / stock.adobe.com)


Tramadol gilt als sicheres Opioid mit günstigem Nebenwirkungsprofil und geringem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Aus diesen Gründen sind auch US-amerikanische Ärzte im Zuge der dortigen Opioidkrise unter anderem von Purdues Oxycontin (Oxycodon) auf Tramadol als Schmerzmittel ausgewichen – ein Fehler? Eine Studie aus dem British Medical Journal (BMJ) offenbart nun das unterschätzte Risiko bei Tramadol.

Die USA kämpfen mit einer Opioid-Epidemie. Die Ursache wird unter anderem in einer zu leichtfertigen Verordnungspraxis starker Opioidanalgetika gesehen, verharmlosendes Marketing seitens der Pharmaindustrie – wie Rabattcoupons für Oxycontin (Oxycodon) von Purdue Pharma – haben die aktuelle Opioidkrise sicherlich verschärft. Auch in Europa spitzt sich einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge der Missbrauch bei Opioiden zu.

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Um der Opioid-Epidemie entgegenzuwirken, verschreiben US-Ärzte bei akuten Schmerzen mittlerweile stark wirksame Opioide restriktiver und nur noch eine begrenzte Anzahl an Tabletten, oder sie weichen auf Nichtopioide aus. Und Tramadol? Tramadol erlebte im Zuge der Betäubungsmittelkrise einen Aufschwung: Das Opioid soll sich durch ein günstiges Nebenwirkungsprofil auszeichnen, sicherer und weniger suchterzeugend sein als andere kurz wirksame Opioide. Allerdings bröckelt das gute Image von Tramadol – macht es doch „abhängiger“ als angenommen?

Opioidstudien berücksichtigten Tramadol oft nicht

Tramadol ist ein zentral wirkender synthetischer, schwacher μ-Opioidrezeptor-Agonist, die geringere Affinität von Tramadol für den μ-Opioidrezeptor hat ihm den Ruf eingebracht, ein günstigeres Nebenwirkungsprofil zu haben, einschließlich geringerer Raten an Obstipationen, Atemdepressionen, Überdosierungen und Suchterkrankungen. Die FDA klassifiziert Tramadol aus diesen Gründen auf einem niedrigeren Niveau (Schedule II) als andere Opioide wie Morphin und Oxycodon (Schedule IV). Infolgedessen haben viele Studien, die die Risiken des Opioidkonsums untersuchen, Tramadol ausgeschlossen. Ein Fehler?

Tramadolpatienten fordern öfter Folgerezepte

Eine Kohortenstudie, jüngst veröffentlicht im British Medical Journal (BMJ) – Chronic use of tramadol after acute pain episode: cohort study –, legt genau dies nahe, denn Tramadolpatienten forderten nach einer initialen Verordnung des Opioids häufiger ein Folgerezept als Schmerzpatienten, die mit anderen Opioiden behandelt wurden. Das Team um Molly Jeffery von der Mayo Clinic in Rochester hatte für die Studie Daten von 357.884 Krankenversicherten ausgewertet, 13.519 Patienten erhielten Tramadol als einziges Schmerzmittel (nicht in Kombination mit anderen kurzwirksamen Opioiden). 74,9 Prozent (333.289 Patienten) wurden mit einem oder mehreren kurzwirksamen Opioiden therapiert (außer Tramadol). Diese Patienten hatten sich verschiedenen elektiven Operationen unterzogen und wurden im Anschluss mit Opioiden analgetisch behandelt.

Schedules für Opioide

In den USA werden Arzneimittel, Substanzen und bestimmte Chemikalien, die zur Herstellung von Drogen verwendet werden können, in fünf verschiedene Kategorien (schedules) eingeteilt. Die Kategorie ist abhängig vom akzeptablen medizinischen Gebrauch der Droge und dem Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial eines Stoffes.

Medikamente oder Substanzen der Liste 1 haben ein hohes Missbrauchspotenzial und das Potenzial, schwere psychische und/oder körperliche Abhängigkeit zu erzeugen. Hierzu gehören beispielsweise Heroin, Lysergsäurediethylamid (LSD), Marihuana (Cannabis), 3,4-Methylendioxymethamphetamin (Ecstasy). Diese Liste-1-Stoffe haben derzeit keine akzeptierte medizinische Verwendung.

Stoffe der Liste 5 haben das geringste Potenzial für Missbrauch, dazu gehören beispielsweise Hustenmittel mit weniger als 200 mg Codein.

Oxycodon und Morphin sind in Liste 2 eingeordnet. Auch sie gelten als Stoffe mit hohem Missbrauchspotenzial und der Gefahr einer psychischen Abhängigkeit.

Tramadol findet sich wie auch Diazepam in Liste 4. Die Stoffe in Liste 4 sind definiert als Drogen mit geringem Missbrauchspotenzial und geringem Abhängigkeitsrisiko.

Ketamin ist Vertreter in Liste 3 mit einem mittleren bis geringen Potenzial für physische und psychische Abhängigkeit.

Das am häufigsten verschriebene postoperative Opioid war Hydrocodon (53 Prozent), gefolgt vom kurz wirkenden Oxycodon (37,5 Prozent) und Tramadol (4 Prozent). Codein erhielten 3,1 Prozent, Hydromorphon 1,2 Prozent und Propoxyphen 1,2 Prozent. 

  • 31.431 Patienten (7,1 Prozent), die sich 90 bis 180 Tage nach einer Operation zusätzlich mindestens einmal Opioide verordnen ließen (verlängerter Opioidgebrauch). Davon erhielten 1.066 Patienten Tramadol allein (7,89 Prozent).
  • 4.457 Patienten (1 Prozent) wurden innerhalb der 180 Tage postoperativ noch Opioidrezepte ausgestellt und das über mindestens 90 Tage (anhaltender Opioidgebrauch), darunter waren 194 Tramadol-Patienten (1,44 Prozent).
  • Und zuletzt 2.027 Patienten (0,5 Prozent) der Gruppe zwei, die zusätzlich einen Vorrat von mindestens 120 Tagen an Opioiden oder mindestens zehn Rezepte verordnet bekommen hatten (chronischer Opioidgebrauch), davon erhielten 78 Patienten (0,58 Prozent) initial Tramadol als einziges Schmerzmittel. Beim letzten Kollektiv kann laut den Wissenschaftlern von einem chronischen Opioidgebrauch, einer Sucht, ausgegangen werden.

Erhöht die initiale Tramadolverordnung das Suchtrisiko?

Laut den Ergebnissen der Studie erhöhte die initiale Verordnung von Tramadol, verglichen mit anderen kurzwirksamen Opioiden, das Risiko eines zusätzlichen Opioidkonsums (verlängerter Opioidgebrauch) um 6 Prozent (relatives Risiko, Risk Ratio 1,06). Tramadol erhöhte auch die Gefahr eines anhaltenden Opioidgebrauchs, und zwar um 47 Prozent (Relatives Risiko, Risk Ratio 1,47), ebenfalls im Vergleich zu den anderen untersuchten kurzwirksamen Opioiden. Für die Entwicklung einer Sucht oder chronischen Opioideinnahme lag die Risikoerhöhung für Tramadol bei 41 Prozent (relatives Risiko, Risk Ratio 1,41).

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Ärzte, die Tramadol für akute Schmerzen verschreiben, unter dem Gesichtspunkt des Abhängigkeitsrisikos ein ähnliches Maß an Vorsicht walten lassen sollten wie bei der Verschreibung anderer kurz wirkender Opioide“, ist das Fazit der Wissenschaftler.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Tramadol

von Anonym am 06.01.2020 um 19:35 Uhr

Tramadol kann man nicht verteufeln! Es ist viel weniger organtoxisch als NSAR (Aspirin, Ibuprofen...) Leidet man chronisch bzw. länger unter Schmerzen, ist es vorzuziehen.
Leider ist es immern noch weit toxischer als andere Opioide. Hausärzte verschreiben es leider vor allem, weil es billig ist.

Ja, man sollte Tramadol schleichend absetzen. Soweit nicht von ärztl. Seite unterstützt: Tabletten teilen. Geschwindigkeit: Je nach Befinden.
Entzugserscheinungen sind vielfältig: U.a. Depressionen - aber auch: verstärktes Schmerzempfinden.

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Abhängigkeit

von B.Gold am 28.11.2019 um 1:50 Uhr

Mit Novalmin hatte ich kaum eine Wirkung.
Erst Schmerzfrei wurde ich mit Tramadol.
Da ich Arbeiten ging Tageweise ,war ich voll Leistungsfähig mit dem Medikament.
Das war vor 2 Jahren!
Damit ich in keine Abhängigkeit komme ,nehme ich das Medikament nur bei Bedarf.
Aber ich denke Labile Menschen kommen in die Abhängigkeit schon nach kurzer Zeit ,wenn man das Medikament schon 2 x täglich über 8 bis 10 Tage konsumiert.

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Tramadol abgesetzt

von Brigitte am 08.11.2019 um 16:39 Uhr

Ich nahm Tramadol über 5 Monate. Zuerst wegen der Arthroseschmerzen und nun nach 2 Knieoperationen. Die 2. vor 10 Tagen. Ich nahm nie mehr als 200 mg Tramadol pro Tag. Dazu aber noch Novalgin und Parazeptamol.
Nun will ich von diesem Schmerzmedikament loskommen und es durch Novalgin, Paracetamol und Mefenaminsäure ersetzen. Die Nebenwirkungen waren alarmierend: Verstärkter Tinnius, Übelkeit, das Lechzen nach der nächsten Dosis und den Wunsch, diese zu erhöhen, da die Schmerzen wieder Überhand nahmen.
Die Entzugserscheinungen sind bereis jetzt sehr happig. Schüttelfrost ginge noch, aber die Krämpfe nachts in den operierten Beinen sind grausam. Ich bin zwar hundemüde, aber schlafen kann ich nur ca. 1-2 Stunden am Stück und komme so auf etw 5 Stunden proNacht.. Ich bin froh, dass ich selbst auf die Idee gekommen bin, Tramadol abzusetzen. Ich fühle mich wie ein Junkie auf Entzug. Da muss ich jetzt durch! Die Hoffnung besteht, dass die Operations-Schmerzen mit der Zeit nachlassen.

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AW: Tramadol abgesetzt

von Anonym am 06.01.2020 um 19:32 Uhr

Man sollte Tramadol unbedingt schleichend absetzen. Mut, die Tabletten zu zerteilen. auch wenn die Retard-Wirkung leidet...

Kalte Entzüge sind gesundheits- und manchmal sogar lebensgefährlich. Es drohen Folgeschäden.

Abhängigkeit Tramadol

von Angelika Harenberg am 03.11.2019 um 10:24 Uhr

Ich habe vor 7 Jahren mit Tramadol angefangen, weil ich sehr starke Rückenschmerzen hatte. Mein Orthopäde hat zwar nur eine Bandscheibenwölbung feststellen können und gemeint, daher könnten keine so starken Schmerzen kommen, verschrieb mir aber trotzdem Tramadol. Erst habe ich 2 Tabletten genommen, eine morgens, eine abends, als ich dann nicht mehr berufstätig war habe ich festgestellt, dass die Schmerzen nur noch abends auftauchten und habe auf eine Tablette reduziert. Das ging eine Weile gut, dann kam ich nicht mehr mit einer Tablette aus und erhöhte auf 2 Tabletten am abend. Nach wechseln meines Hausarztes bin ich auch zu einem anderen Orthopäden gegangen und der hat festgestellt, die Schmerzen kommen nicht von der Bandscheibe. Er überwies mich an das Schmerzzentrum St. Georg. Die meinten, ich hätte Phantomschmerzen. Mein Hausarzt hat mir daraufhin Antidepressiva in geringer Dosis verschrieben und mir geraten, Tramadol abzusetzten. Das habe ich dann auch getan. Die darauf folgenden Entzugserscheinungen waren die Hölle. Schmerzen am ganzen Körper, kribbeln wie Ameisen, Schweißausbrüche und gleich darauf frösteln,Schlaflosigkeit und daraus folgend totale Erschöpfungszustände und starke Kopfschmerzen. Ich werde nun in Absprache mit meinem Arzt nicht abrupt sondern schleichend Tramadol absetzen. Ich kann nur jedem raten, Tramadol nicht über einen längeren Zeitraum zu nehmen. Es macht abhängig und die Entzugserscheinungen sind grausam.

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