Weihnachtsbäckerei aus pharmazeutischer Sicht (Teil 1)

Von Mikroorganismen, Hirschhornsalz und Backpulver

Stuttgart - 04.12.2018, 10:15 Uhr

Hirschhornsalz wurde früher durch trockenes Erhitzen („trockene Destillation“) von geraspelten Hirschgeweihen gewonnen. (Foto: Nejron Photo/Stock.adobe)

Hirschhornsalz wurde früher durch trockenes Erhitzen („trockene Destillation“) von geraspelten Hirschgeweihen gewonnen. (Foto: Nejron Photo/Stock.adobe)


Der Durchbruch vom Apotheker Dr. Oetker

In Rezepten für weihnachtliches Gebäck finden sich mit Pottasche und Hirschhornsalz auch Alternativen zur biologischen Lockerung – für schlechte Zeiten ohne Hefe oder ganz besondere Backvorhaben. Das Wort „Pottasche“ wurde bis vor etwa 50 Jahren für alle Kaliumverbindungen verwendet, die man aus Pflanzen- und Holzasche in großen „Pötten“ auslaugte (engl. potassium). Seither bedeutet es Kaliumcarbonat, das geschmacksneutral und ohne gesundheitliche Vor- oder Nachteile, also inert ist. In der qualitativen anorganischen Analyse dient es im eutektischen Gemisch zusammen mit Soda (Natriumcarbonat) zum alkalischen Aufschluss ansonsten unlöslicher Salze und Oxide. Als Backtriebmittel lässt es auch schweren Teig auf­gehen, jedoch eher in die Breite als in die Höhe. Eine Eigenschaft, die vor allem für Lebkuchen und flache Plätzchen ausgenutzt wird. Die im Teig vorhandenen Säuren, wie Milchsäure, Essigsäure oder Ameisensäure aus dem Honig, setzen dann das Kohlendioxid zum Auflockern frei.

Beim Hirschhornsalz handelt es sich um ein Gemisch von drei Ammoniumsalzen, nämlich dem Carbonat, dem Hydrogencarbonat sowie dem Carbamat. Ammoniumhydrogen­carbonat allein wird auch als ABC-Trieb bezeichnet (von „Ammonium-bi-carbonat“). Ursprünglich gewann man diese Verbindungen bei der Pyrolyse von tierischen Hörnern, Hufen und Klauen. Unter Hitzeeinwirkung zersetzen sich alle drei Salze zu Ammoniak, Kohlendioxid und Wasserdampf und lockern dadurch das Flachgebäck auf. Falls der Salmiak-Geschmack nicht erwünscht ist, muss das Ammoniak komplett ausgetrieben werden. Doch Spekulatius, Lebkuchen und anderes Weihnachtsgebäck erhalten hierdurch erst ihre typische Würze. Leider kann beim Backen das als krebserregend eingestufte Acrylamid entstehen [6]. Hirschhornsalz sollte also nur selten und dann in Maßen eingesetzt werden. Gewarnt sei vor dem Verzehr von unverarbeitetem Hirschhornsalz, da sich dann im Körper Ammoniak bildet.

Erfindung und Verbesserung des Backpulvers

Justus von Liebig (1803 – 1873), der seine Apothekerlehre abbrechen musste, nachdem er bei der Herstellung von Silberfulminat („Knallsilber“) den Dachstuhl seines Ausbildungsbetriebs in Brand gesetzt hatte, beschäftigte sich am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere intensiv mit der Chemie des Backens. Für ihn stand fest, dass bei der Vergärung von Hefe viel zu große Mengen an Mehl verbraucht wurden. Ein unhaltbarer Zustand – galt die Knappheit von Brot in jenen Jahren doch als Auslöser von Hungersnöten und Revolutionen. Liebig rechnete vor, dass die für die Hefegärung benötigte Menge an zusätzlichem Mehl ausreichen würde, um jeden Tag weitere 400.000 Menschen in Deutschland mit Brot zu versorgen.

Liebig fand in Natron (Natriumhydrogencarbonat) eine chemische Alternative zur Hefe, mit der er unter Zugabe von Salzsäure Kohlendioxid freisetzen konnte. Statt Salzsäure wurde im ersten, 1853 zur Marktreife entwickelten „Backpulver“ der sauer reagierende Weinstein (Kaliumhydrogen­tartrat) eingesetzt; weiterhin wurde Stärke zugesetzt, um die Mischungen zu standardisieren und die Reaktionspartner bei der Lagerung voneinander zu trennen.

Backpulver weiterentwickelt vom Apothekersohn Oetker

Der Bielefelder Bäckersohn und Apotheker August Oetker (1862 – 1918) verbesserte das Triebmittel nochmals: Neben Natron als Kohlensäureträger und Stärke als Trennmittel fügte er seiner Mischung das saure Natriumpyrophosphat (Dinatriumdihydrogendiphosphat) hinzu, das den größten Teil des Kohlendioxids erst beim Erhitzen der Teigmasse freisetzt. Da das Triebmittel im kühlen Teig nicht aktiv ist. bestand erstmals die Möglichkeit, zwischen der Vorbereitung und der Herstellung der Backwaren eine zeitliche und räumliche Trennung zu schaffen.

Der eigentliche Durchbruch gelang Oetker um die Jahrhundertwende, als er sein Backin in vorportionierten Beutelchen à 16 g, abgestimmt auf die haushaltsübliche Menge von 500 g Mehl, auf den Markt brachte.

Dieser Text ist ursprünglich erschienen in den DAZ-Ausgaben 48-51/2016 im Rahmen der vierteiligen Serie „In der Weihnachtsbäckerei: 24 Gewürze und Backzutaten pharmazeutisch betrachtet“.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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