Dieser Text ist ursprünglich erschienen in den DAZ-Ausgaben 48-51/2016 im Rahmen der vierteiligen Serie „In der Weihnachtsbäckerei: 24 Gewürze und Backzutaten pharmazeutisch betrachtet“.
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Weihnachtsbäckerei aus pharmazeutischer Sicht (Teil 1)
Von Mikroorganismen, Hirschhornsalz und Backpulver
Adventszeit ist für viele auch die Zeit der Weihnachtsbäckerei. Kekse, Lebkuchen, Stollen und mehr werden je nach Vorliebe auf Hochtouren in den Küchen produziert. Und nicht wenige Zutaten stammen dabei ursprünglich aus der Apotheke. Auch wenn sie heutzutage standardmäßig im Supermarkt zu haben sind, stellen wir in den kommenden Tagen einige davon vor. Den Anfang machen Backtriebmittel.
Nicht nur für guten Kuchen, sondern für das erfolgreiche Gelingen eines jeden Backerzeugnisses braucht es das passende Triebmittel. Man unterscheidet zwischen physikalischer, biologischer und chemischer Lockerung. Allen gemeinsam ist, dass sie den Teig durch Bildung und Einlagerung von Gasen aufgehen lassen und damit essbar machen sollen. Andernfalls würden sich im Inneren des Gebäcks keine Poren bilden, und es wäre nur schwer kau- und verdaubar.
Bei der physikalischen Lockerung, die im Prinzip bei allen Backmethoden auftritt, verdampft das im Teig enthaltene Wasser und lockert ihn auf. Dieser Prozess lässt sich durch das Einarbeiten von Luft, kohlensäurehaltigem Wasser oder Fettschichten wie beim Blätterteig verstärken.
Nützliche Mikroorganismen
Die Zuhilfenahme von Mikroorganismen wie Hefepilzen und Milchsäurebakterien bei der Lebensmittelherstellung wurde bereits im Altertum praktiziert. Wahrscheinlich beherrschten die Sumerer in Mesopotamien als erste die Kunst des Brotbackens und Bierbrauens, gefolgt von den Ägyptern, Phöniziern, Israeliten, Griechen und schließlich den Römern. In einem Sauerteig arbeiten Saccharomyces cerevisiae, der „Zuckerpilz des Bieres“, mit den Milchsäurebakterien Hand in Hand: Langkettige Stärkemoleküle werden durch Amylasen aus der Aleuronschicht des Getreidekorns zum Disaccharid Maltose abgebaut, welches von den Hefezellen zu Ethanol und treibendem Kohlendioxid vergoren wird. Im Backvorgang entstehen dann aus dem Alkohol und den im Teig vorhandenen Säuren verschiedene Ester, die für den Geschmack des Gebäcks verantwortlich sind.
Milchsäurebakterien (Laktobazillen), die auch zur Haltbarmachung von Gemüse eingesetzt wurden („Einsäuerung“), haben im Teig die Aufgabe, durch den Abbau von Kohlenhydraten Kohlendioxid zu bilden. Außerdem spielt dabei die Bildung von Milch- und Essigsäure eine Rolle: Die Erniedrigung des pH-Wertes ist vor allem beim Roggenmehl notwendig, damit nicht zu viel Stärke durch Amylasen abgebaut wird, sondern verkleistert und das Gebäck aufgehen lässt.
Therapeutische Nutzung
Saccharomyces- und Lactobacillus-Arten verwendet man also schon seit Jahrtausenden zur biotechnologischen Herstellung von Genussmitteln, und seitdem wir den Einfluss des Mikrobioms auf unsere Gesundheit zu verstehen beginnen, nutzen wir sie auch therapeutisch. Gegen Durchfall oder bei Hautbeschwerden wie Akne soll Saccharomyces cerevisiae (oder S. boulardii) als Probiotikum helfen. Innerlich angewendet besiedelt der Hefepilz die Magen-Darm-Schleimhaut und dichtet sie ab, bindet humanpathogene Keime, spaltet Bakterientoxine und induziert die Sekretion von Immunglobulinen .
Bei einer bakteriellen Infektion der Vaginalschleimhaut erhöht sich meistens ihr pH-Wert, und so gibt es seit Kurzem Teststäbchen zur Selbstdiagnose. Die lokale Anwendung von Milchsäure oder Milchsäure-bildenden Bakterien (Döderlein-Bakterien) kann das saure Milieu wiederherstellen und die Scheidenflora unempfindlicher machen. Doch vor der Besiedlung mit einem Pilz kann ein niedriger pH-Wert allein nicht schützen – wie das Beispiel des Sauerteigs zeigt.
Der Durchbruch vom Apotheker Dr. Oetker
In Rezepten für weihnachtliches Gebäck finden sich mit Pottasche und Hirschhornsalz auch Alternativen zur biologischen Lockerung – für schlechte Zeiten ohne Hefe oder ganz besondere Backvorhaben. Das Wort „Pottasche“ wurde bis vor etwa 50 Jahren für alle Kaliumverbindungen verwendet, die man aus Pflanzen- und Holzasche in großen „Pötten“ auslaugte (engl. potassium). Seither bedeutet es Kaliumcarbonat, das geschmacksneutral und ohne gesundheitliche Vor- oder Nachteile, also inert ist. In der qualitativen anorganischen Analyse dient es im eutektischen Gemisch zusammen mit Soda (Natriumcarbonat) zum alkalischen Aufschluss ansonsten unlöslicher Salze und Oxide. Als Backtriebmittel lässt es auch schweren Teig aufgehen, jedoch eher in die Breite als in die Höhe. Eine Eigenschaft, die vor allem für Lebkuchen und flache Plätzchen ausgenutzt wird. Die im Teig vorhandenen Säuren, wie Milchsäure, Essigsäure oder Ameisensäure aus dem Honig, setzen dann das Kohlendioxid zum Auflockern frei.
Beim Hirschhornsalz handelt es sich um ein Gemisch von drei Ammoniumsalzen, nämlich dem Carbonat, dem Hydrogencarbonat sowie dem Carbamat. Ammoniumhydrogencarbonat allein wird auch als ABC-Trieb bezeichnet (von „Ammonium-bi-carbonat“). Ursprünglich gewann man diese Verbindungen bei der Pyrolyse von tierischen Hörnern, Hufen und Klauen. Unter Hitzeeinwirkung zersetzen sich alle drei Salze zu Ammoniak, Kohlendioxid und Wasserdampf und lockern dadurch das Flachgebäck auf. Falls der Salmiak-Geschmack nicht erwünscht ist, muss das Ammoniak komplett ausgetrieben werden. Doch Spekulatius, Lebkuchen und anderes Weihnachtsgebäck erhalten hierdurch erst ihre typische Würze. Leider kann beim Backen das als krebserregend eingestufte Acrylamid entstehen [6]. Hirschhornsalz sollte also nur selten und dann in Maßen eingesetzt werden. Gewarnt sei vor dem Verzehr von unverarbeitetem Hirschhornsalz, da sich dann im Körper Ammoniak bildet.
Erfindung und Verbesserung des Backpulvers
Justus von Liebig (1803 – 1873), der seine Apothekerlehre abbrechen musste, nachdem er bei der Herstellung von Silberfulminat („Knallsilber“) den Dachstuhl seines Ausbildungsbetriebs in Brand gesetzt hatte, beschäftigte sich am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere intensiv mit der Chemie des Backens. Für ihn stand fest, dass bei der Vergärung von Hefe viel zu große Mengen an Mehl verbraucht wurden. Ein unhaltbarer Zustand – galt die Knappheit von Brot in jenen Jahren doch als Auslöser von Hungersnöten und Revolutionen. Liebig rechnete vor, dass die für die Hefegärung benötigte Menge an zusätzlichem Mehl ausreichen würde, um jeden Tag weitere 400.000 Menschen in Deutschland mit Brot zu versorgen.
Liebig fand in Natron (Natriumhydrogencarbonat) eine chemische Alternative zur Hefe, mit der er unter Zugabe von Salzsäure Kohlendioxid freisetzen konnte. Statt Salzsäure wurde im ersten, 1853 zur Marktreife entwickelten „Backpulver“ der sauer reagierende Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) eingesetzt; weiterhin wurde Stärke zugesetzt, um die Mischungen zu standardisieren und die Reaktionspartner bei der Lagerung voneinander zu trennen.
Backpulver weiterentwickelt vom Apothekersohn Oetker
Der Bielefelder Bäckersohn und Apotheker August Oetker (1862 – 1918) verbesserte das Triebmittel nochmals: Neben Natron als Kohlensäureträger und Stärke als Trennmittel fügte er seiner Mischung das saure Natriumpyrophosphat (Dinatriumdihydrogendiphosphat) hinzu, das den größten Teil des Kohlendioxids erst beim Erhitzen der Teigmasse freisetzt. Da das Triebmittel im kühlen Teig nicht aktiv ist. bestand erstmals die Möglichkeit, zwischen der Vorbereitung und der Herstellung der Backwaren eine zeitliche und räumliche Trennung zu schaffen.
Der eigentliche Durchbruch gelang Oetker um die Jahrhundertwende, als er sein Backin in vorportionierten Beutelchen à 16 g, abgestimmt auf die haushaltsübliche Menge von 500 g Mehl, auf den Markt brachte.
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