Chorea Huntington

EMA: Fokus auf neuem Huntington-Wirkstoff

Stuttgart - 09.08.2018, 11:30 Uhr

RG6042: Antisense-Therapie von Roche als Hoffnugnsträger bei Chorea Huntington. Die EMA verleiht dem Wirkstoff PRIME-Status. ( r / Foto: Gary / stock.adobe.com)

RG6042: Antisense-Therapie von Roche als Hoffnugnsträger bei Chorea Huntington. Die EMA verleiht dem Wirkstoff PRIME-Status. ( r / Foto: Gary / stock.adobe.com)


Chorea Huntington ist nicht heilbar, Patienten sterben meist innerhalb von 15 Jahren nach Diagnose-Stellung. Die Therapie zielt auf Symptomlinderung der Hyperkinesien und des Rigors. Roche forscht an einem Antisense-Arzneistoff gegen die Erkrankung – Ionis-HTTRx beziehungsweise jetzt RG6042. Die EMA sieht Bedarf bei Huntington-Arzneimitteln und erteilt dem Hoffnungsträger PRIME-Status.

Noch immer ist Chorea Huntington eine unheilvolle, tödliche Diagnose. Die Therapie der neurodegenerativen Erkrankung, früher auch als Veitstanz bezeichnet, zielt lediglich auf die Linderung der Symptome, der Hyperkinesien und in späteren Stadien des Rigors. Die Ursache der Erkrankung findet sich in Huntingtin, einem Protein, das bei an Chorea-Huntington-Erkrankten mutiert ist, und zwar weist dieses zu viele Glutaminreste auf. Je stärker die Polyglutamylierung ist, desto eher bricht die Erkrankung aus. Gelingt es hingegen, die Konzentration an mutiertem Huntingtin zu reduzieren, bessern sich die Huntington-Symptome – so zumindest bislang im Tierversuch.

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RG6042 reduziert krankhaft mutiertes Huntingtin

Roche forscht an einem innovativen Wirkstoff, RG6042 beziehungsweise ehemals unter der Bezeichnung Ionis-HTTRx bekannt, der eben dies leisten soll: Mutiertes Huntingtin verringern. Bislang gibt es lediglich Daten aus Phase 1/2a-Studie mit 46 Patienten – diese scheinen der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA) jedoch vorerst vielversprechend zu sein. Die EMA hat nun RG6042 den PRIME-Status verliehen. Dieser ist Wirkstoffen vorbehalten, die Patienten einen bedeutenden Therapievorteil bringen oder überhaupt erst eine Therapieoption schaffen. PRIME steht für PRIority MEdicine. Mit PRIME fördert die EMA Entwicklungspläne und die Generierung von Daten zu einem potenziellen neuen  Arzneimittel. Der Status gilt als Wegbereiter – so die Studiendaten weiter positiv ausfallen – für einen anschließenden beschleunigten Zulassungsprozess.

Bislang fehlen PHASE-III-Studien am Menschen, die belegen, dass RG6042 die Krankheitsprogression bei Chorea Huntington verlangsamt. Aktuelle Daten zeigten bislang nur, dass der Wirkstoff mutiertes Huntingtin reduziert. Roche gibt jedoch bekannt: „Es wird eine zulassungsrelevante Phase-III-Studie zur Untersuchung von RG6042 bei einem größeren Patientenkollektiv initiiert, um das Sicherheitsprofil weiter zu charakterisieren und zu ermitteln, ob die Substanz das Fortschreiten der Huntington-Krankheit bei Erwachsenen verlangsamen kann".

Wie funktioniert RG6042 bei Chorea Huntington?

Eine hohe Anzahl repetitiver CAG-Sequenzen eines bestimmten Basentripletts der DNA bedingt einen frühen Krankheitsbeginn und eine schlechte Prognose für die Patienten. Eine Möglichkeit, den schädlichen Einfluss des mutierten Huntingtins zu neutralisieren, wären vielleicht Antikörper gegen das Protein.

RG6042 greift bereits auf einer noch früheren Ebene in das Huntingtin-Geschehen ein, und zwar auf Ebene der mRNA. Der Wirkstoff fungiert als Antisense-Therapie. Transportiert die mRNA eigentlich die genetische Information für die Proteinbiosynthese von Huntingtin zum Ribosom, verhindert RG6042 als Antisense-Nukleotid diesen Prozess. RG6042 ist komplementär zur Huntingtin-mRNA „gebaut“ und neutralisiert auf diese Weise die für Huntingtin codierende mRNA im Zytoplasma. Dies macht jedoch die Applikation nicht ganz trivial: Die Ärzte müssen die Substanzen intrathekal verabreichen, da orale oder intravenöse Applikationen bei Antisense-Therapien, bei denen die Nukleotide zerebrale Strukturen erreichen müssen, nicht gangbar sind.

Was ist Chorea Huntington?

Chorea Huntington

Chorea Huntington wird durch ein bestimmtes Protein, Huntingtin, ausgelöst. Der für Huntingtin codierende Genabschnitt findet sich auf dem kurzen Arm des Chromosoms 4. Von Bedeutung bei der Pathophysiologie der Huntington Disease ist eine repetitive Sequenz des Basentripletts CAG in diesem Genabschnitt. Gesunde Menschen weisen 16 bis 20 Wiederholungen an CAG auf, während Huntington-Patienten 40 CAG-Sequenzen haben. Was passiert mit Menschen, die 21 bis 39 CAG-Wiederholungen zeigen? Klinisch unauffällig bleiben diese bis zu 35 CAG-Sequenzen. Menschen mit einer Anzahl von 36 bis 39 CAG-Wiederholungen nehmen eine Zwischenstellung ein. Denn eine definitive Vorhersage, ob die Erkrankung Huntington ausbricht oder nicht, lässt sich nicht treffen. Gesichert ist, dass eine höhere Anzahl repetitiver CAG-Sequenzen den Ausbruch von Chorea Huntington beschleunigt. Bei Patienten mit 60 CAG-Wiederholungen manifestiert sich Huntington bereits im Jugendalter.

Mutiertes Huntingtin enthält zu viele Glutaminreste

CAG codiert für die Aminosäure Glutamin. Somit besitzt das mutierte Huntingtin mehr Glutamin-Reste als das „gesunde“ Protein. Eine hohe Huntingtin-Expression der mutierten Variante führt zu amyloidähnlichen Ablagerungen. Diese dadurch ausgelösten neurodegenerativen Effekte betreffen vorwiegend die GABA-ergen Bahnen vom Striatum zum Globus pallidus, der wiederum zum Thalamus projiziert. In der Folge kommt es zunächst zu einer Überaktivierung des Thalamus mit überschießenden Bewegungen (Hyperkinesien), in langer Konsequenz jedoch zur Bewegungsarmut und Starre (Rigor).

Huntington: dominant vererbt und nicht heilbar

Chorea Huntington wird autosomal-dominant vererbt. Bei einem homozygotenen Elternteil erkrankt das Kind zu 100 Prozent. Ist ein Elternteil lediglich heterozygot, hat das Kind eine Chance von 50 Prozent, gesund zu bleiben. Tragen beide Elternteile eine heterozygote Mutation, wird auch das Kind zu 75 Prozent an Chorea Huntington leiden.

Bei den meisten Patienten manifestiert sich die Erkrankung im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, sie verläuft häufig innerhalb von 15 Jahren tödlich. Die Patienten leiden neben Bewegungsstörungen an psychischen Störungen und in späteren Stadien an Demenz.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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