Interview Ulf Maywald (AOK Plus)

„Ich glaube nicht, dass der E-Medikationsplan zum Renner wird“

Berlin - 07.06.2018, 07:00 Uhr

Hoffnung E-Medikationsplan? Ulf Maywald, einer Mitgründer des Arzneimittel-Projektes ARMIN, meint: Der E-Medikationsplan hat mehrere Schwächen. (Foto: Syda Productions / stock.adobe.com)

Hoffnung E-Medikationsplan? Ulf Maywald, einer Mitgründer des Arzneimittel-Projektes ARMIN, meint: Der E-Medikationsplan hat mehrere Schwächen. (Foto: Syda Productions / stock.adobe.com)


Apotheker, Ärzte und die AOK Plus haben in Sachsen und Thüringen innerhalb kurzer Zeit das etabliert, woran die gematik seit etwa 14 Jahren arbeitet: ein digitales, sicheres Kommunikationsnetz, in dem Apotheker und Ärzte sich über die Medikation ihrer Patienten austauschen. Gegenüber DAZ.online erklärt Dr. Ulf Maywald von der AOK Plus, der das ARMIN-Projekt entscheidend mitentwickelt hat, warum ARMIN aus seiner Sicht versorgungstechnische Vorteile gegenüber der Telematikinfrastruktur hat und welche Schwachstellen der geplante E-Medikationsplan hat.

Dr. Ulf Maywald

DAZ.online: Sehr geehrter Herr Dr. Maywald, Sie haben mit ARMIN in Sachsen und Thüringen das bereits in der Versorgung umgesetzt, woran man auf Bundesebene seit Jahren arbeitet: Ein digitaler Austausch zwischen Arzt und Apotheker über die Medikation des Patienten. Was ging bei Ihnen schneller als in der gematik?

Maywald: Wir haben ganz einfach Strukturen benutzt, die schon etabliert waren. Die gematik baut mit der Telematikinfrastruktur ein ganz neues Netz auf. Wir haben das sogenannte sichere Netz der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), kurz SNK, genutzt, um ARMIN dort als eine Anwendung für Apotheker und Ärzte anzubieten. An dieses Netz waren die Ärzte mit vielen anderen Applikationen schon angebunden. Und im Gegensatz zur Telematikinfrastruktur in derzeitiger Ausprägung erlaubt das SNK-Netz auch einen Markt.

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DAZ.online: Wie meinen Sie das? 

Maywald: Theoretisch kann jeder Anbieter eine Applikation in dieses Netz stellen. Er muss dafür allerdings die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung festgelegten Sicherheitsstandards einhalten. Bei der KBV gibt es einen Leitfaden (die KV-Apps-Richtlinie), in dem steht, welche Bedingungen ein Dritter erfüllen muss, um in diesem Ärztenetz seine Anwendung anbieten zu können. Die KBV kontrolliert also nicht den Inhalt, sondern nur die Sicherheit der Anwendungen. Bei der Telematikinfrastruktur ist das noch anders: Hier dürfen derzeit keine dritten Anbieter ihre Lösungen einstellen.

DAZ.online: Was musste denn passieren, damit auch die Apotheker Zugriff auf dieses Netz haben können?

Maywald: Zunächst einmal mussten die beiden Landesapothekerverbände aus Sachsen und Thüringen einen Vertrag mit den beiden Landes-KVen der Ärzte unterschreiben. Darin haben die Apotheker praktisch zugesichert, dass die bei ARMIN teilnehmenden Mitglieder die in dem KBV-Leitfaden vorgeschrieben Sicherheitsbedingungen erfüllen. Aus technischer Sicht mussten die Apotheker dann natürlich noch einen neuen Router bekommen, mit dem sie sich über eine sichere VPN-Verbindung in das SNK-Netz einwählen können, wo die Medikationspläne der teilnehmenden Patienten auf einem Server abgelegt sind. 

DAZ.online: Wie sicher ist denn diese Verbindung?

Maywald: Absolut sicher, sie ist auch datenschutzrechtlich geprüft und besiegelt. Jeder Arzt und Apotheker hat in seiner Software gewissermaßen ein digitales Zertifikat, das es seiner Institution beziehungsweise seiner Praxis erlaubt, sich via SNK auf den Server einzuwählen. Man kann nicht aus dem Internet auf diesen Server zugreifen.

DAZ.online: Bei ARMIN nehmen in beiden Bundesländern derzeit ja etwa 970 Apotheker und 550 Ärzte teil. Den Apothekern sind ja bei der Anschaffung des Routers sicherlich Kosten entstanden. Hat die AOK Plus diese Kosten gedeckt?

Maywald: Die Pharmazeuten haben eine sogenannte Infrastrukturpauschale erhalten. Es war nicht das Ziel, die Kosten aller im Markt befindlichen Produkte zu refinanzieren. Es gibt im Markt verschiedene Router von verschiedenen Herstellern, die unterschiedlich viel kosten. Die Apotheker erhalten unsere Pauschale und können sich dann selbst für ein Produkt entscheiden.

Das Problem der Nutzbarkeit

DAZ.online: Nun sollen die Apotheker in ganz Deutschland ja auch irgendwann einen Konnektor bekommen, um sich in das Netz der gematik einwählen zu können. Haben die ARMIN-Apotheker dann mehrere Geräte in der Apotheke?

Maywald: Sobald der gematik-Konnektor da ist, können die Apotheker den Router zum Zugang ins SNK-Netz abschaffen. Denn das SNK-Netz der Ärzte wird gewissermaßen zum Bestandteil der Telematikinfrastruktur – mit dem gematik-Konnektor werden die Heilberufler also alle Dienste erreichen können, die in der Telematikinfrastruktur und die im SNK

DAZ.online: Nun haben Sie ja auch aus versorgungstechnischer Sicht schon einiges geschaffen, das auf Bundesebene noch nicht funktioniert. Ärzte und Apotheker führen gemeinsam einen Medikationsplan, in den sie beide gleichberechtigt Kommentare schreiben können. Auf Bundesebene gibt es den papiernen Plan, bald soll es einen E-Medikationsplan geben. Unterscheiden sich die drei Pläne? Wird ihr Plan redundant, wenn der E-Medikationsplan kommt?

Maywald: In der Tat unterscheiden sich alle drei Pläne nicht nur technisch, sondern auch von den Möglichkeiten her. In dem geplanten E-Medikationsplan gibt es beispielsweise weniger Kommentarmöglichkeiten zwischen den Heilberuflern als bei uns, beim Papier naturgemäß gar keine. In unserem Plan gibt es außerdem die Möglichkeit, abgesetzte Arzneimittel zu vermerken und außerdem gibt es die sogenannte Viagra-Zeile für Präparate, die nicht unbedingt publik werden sollen. Also Zeilen, die zwar elektronisch zum Beispiel für AMTS-Checks zur Verfügung stehen, aber nicht mit ausgedruckt werden. Ich habe bei der gematik mehrfach dafür geworben, dass wir alle drei Formate technisch vereinheitlichen, um die unübersichtliche Situation für die Hersteller der Arzt- und Apothekensoftware zu verbessern. Grundsätzlich stellt sich mir auch die Frage, ob die eGK als Speicherort für den Plan sinnvoll ist. Denn der Speicherplatz auf der Karte ist sehr begrenzt, sodass ein Server die bessere und flexiblere Variante ist.

DAZ.online: Trotzdem könnte es ja passieren, dass die Einführung der Telematikinfrastruktur ARMIN schlichtweg plattwälzt, weil dann nur noch die dort vorgesehenen Pläne verwendet werden. Sorgt Sie das?

Maywald: Nein, gar nicht. Denn die reine Existenz eines sicheren Netzes bietet ja den teilnehmenden Heilberuflern keine Anreize. Bei uns erhalten die Apotheker und Ärzte eine Honorierung für das Medikationsmanagement auf Basis des Medikationsplans. Außerdem glaube ich schlichtweg nicht an eine zeitnahe Umsetzung. Und dass ein auf der eGK gespeicherter Medikationsplan mit der Telematikinfrastruktur zum Renner wird, glaube ich auch nicht.

DAZ.online: Warum nicht?

Maywald: Abgesehen von der Honorarsituation fehlt die einfache Nutzbarkeit für alle Beteiligten und ein niederschwelliger Zugriff auf die eGK-Daten durch den Versicherten selbst. Ein Beispiel: Die Versicherten müssen künftig jedes Mal den sechsstelligen PIN in der Apotheke oder der Praxis eingeben, wenn sie einem Apotheker oder einem Arzt Zugriff auf den eGK-Medikationsplan gewähren wollen. Aus meiner Sicht ist das bei einem multimorbiden, älteren Patienten nicht immer möglich. Damit werden die Pläne unvollständig sein, oder es wird gar nicht erst mit deren Befüllung angefangen. 



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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