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Bilanz seit dem cannabisgesetz
Cannabis: Zwischen Goldgräberstimmung und Zurückhaltung
Schwerkranke können seit Mitte März Cannabis in der Apotheke bekommen – auf Kosten der Kasse. Doch die Bilanz gut ein halbes Jahr später fällt gemischt aus. Bei etlichen Cannabis-Firmen herrscht zwar Goldgräberstimmung. Aber so mancher Arzt fühlt sich allein gelassen mit den neuen Ansätzen und auch bei den Genehmigungen läuft es nicht rund.
In Kanada und in den USA ist die Behandlung mit Hanf längst ein Milliardenmarkt, ähnlich in Israel. So kann Cannabis etwa bei Multipler Sklerose und gegen chronische Schmerzen helfen. Auch Appetitlosigkeit bei Chemotherapien können gelindert werden. In Deutschland indes ist die Zielgruppe für Cannabis-Therapien noch klein. Nur rund 1000 Patienten hatten bisher eine Ausnahmegenehmigung zum Erwerb für medizinische Zwecke. Seit Inkrafttreten des sogenannten Cannabisgesetzes wächst jedoch die Nachfrage: Im ersten Halbjahr seien über 10.000 Einheiten an Blüten ausgegeben worden, berichtet die ABDA. Die Zahl der Verordnungen sei seit März von Monat zu Monat kräftig gestiegen. Hinzu kämen etwa 12.500 Cannabinoid-haltige Fertigarzneimittel wie Sativex.
Bionorica sieht gestiegenes Interesse
Eines der Unternehmen, die hierzulande Cannabis-Wirkstoffe – allerdings nur Reinstoffe und keine ganzen Blüten – erforschen und verkaufen, ist Bionorica. Die Bayern verzeichnen ein anziehendes Geschäft. Es gebe ein „immens gestiegenes Interesse“ von Ärzten an Informationen über Cannabis-Therapien, sagt der Chef des Familienunternehmens Michael Popp.
Aber auch ausländische Anbieter drängen auf den Markt. Derzeit wird medizinisches Cannabis vor allem aus den Niederlanden und Kanada importiert. Auch die aus Kanada stammende Tilray mit etwa 11.000 versorgten Patienten weltweit will Cannabis nach Deutschland importieren. „Wir beobachten ein großes Interesse bei Ärzten und Apothekern und wenig kulturelle Ablehnung“, sagt Deutschland-Chefin Marla Luther. Tilray forsche zudem an neuen Wirkstoffen und wolle in fünf bis zehn Jahren die Zulassungen haben.
Bei den Kassen hält sich die Begeisterung in Grenzen
Bei den Krankenkassen hingegen hält sich die Begeisterung angesichts hoher Kosten in Grenzen. Eine Cannabis-Therapie kostet im Monat im Schnitt 540 Euro – so wird es im neuen Gesetz veranschlagt. Bei der Bewilligung der Anträge hakt es, kritisiert Bionorica-Chef Popp. In den ersten zwei Monaten nach der Liberalisierung sei eine „mittlere vierstellige Zahl“ von Anträgen für Cannabinoide eingegangen, erklärt der GKV-Spitzenverband. „Deutlich über die Hälfte konnten positiv beschieden werden, da die gesetzlichen Anforderungen als erfüllt anzusehen waren.“ Einige Kassen bemängeln, dass Anträge nicht vollständig oder fehlerhaft seien. Oft gebe es keinen Nachweis, dass andere Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien – das ist aber die Vorsetzung für die Erstattung durch die Kasse. Der Kritikpunkt: Anders als bei anderen Arzneien, die die GKV erstattet, habe Cannabis aber nicht vorab über Studien nachweisen müssen, dass es sicher wirke. Auch verlässliche Daten zu möglichen Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Substanzen fehlten.
Ärzte verweisen auf fehlende Daten
Auch Ärztevertreter weisen auf lückenhafte Therapieerfahrungen hin. Es sei schwer, Verschreibungen genau zu begründen, wenn es auf Basis weniger Studien „keine gesicherte medizinische Indikation“ gebe, meint Josef Mischo aus dem Vorstand der Bundesärztekammer. Überdacht werden müsse zudem die Vorgabe, dass Cannabis nur abzurechnen ist, wenn gängige Schmerztherapien ausgeschöpft sind: „Auch schon in früheren Stadien versprechen sich Patienten etwas von Cannabis als Schmerzmittel.“
Es kursieren halbseidene Studien
Cannabis-Firmen wie THC Pharm aus Frankfurt sehen die Entwicklung differenziert. Das Cannabisgesetz bedeute einen großen Schritt nach vorn, sagt Holger Rönitz, Direktor für Geschäftsentwicklung. Aber es gebe auch viele neue Firmen, die das große Geschäft wittern und mit unhaltbaren Heilsversprechungen werben. Teils kursierten zudem halbseidene Studien. Man könne auch nicht jeden Krebs mit medizinischem Cannabis lindern, wie manche behaupten.
Und gerade bei Cannabis-Blüten komme es „zu einer Vermischung von Freizeitkonsum und medizinischem Bedarf“, sagt Rönitz. Wichtig sei, dass Schwerkranke Zugang zu schmerzlinderndem Cannabis oder den pharmazeutisch geprüften Inhaltsstoffen der Pflanze bekämen.
Cannabis: Ein Thema für Jamaika
Bis Cannabis in einigen Jahren in Deutschland angebaut wird, könnte bereits das nächste Thema auf die Agenda rücken: Legalisierung auch für den privaten Verbrauch? FDP, Linke und Grüne machen sich für die Freigabe von Anbau und Besitz kleiner Mengen und einen kontrollierten Verkauf stark. In einer möglichen Jamaika-Koalition aus Union, Liberalen und Grünen könnte das „Gras“ daher für Unruhe sorgen – als wäre das Durcheinander beim medizinischen Cannabis nicht schon genug.
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