Studie der EU-Kommission

Woher kommen Antibiotika ohne Rezept?

Düsseldorf - 27.07.2017, 09:00 Uhr

Gefahr für die Gesundheit: Laut einer Studie der EU-Kommission sollen insgesamt 7 Prozent aller eingenommenen Antibiotika ohne Verordnung beim Patienten landen, in einigen Ländern sollen diese Medikamente auch einfach vom Apotheker abgegeben werden. (Foto: rido / fotolia)

Gefahr für die Gesundheit: Laut einer Studie der EU-Kommission sollen insgesamt 7 Prozent aller eingenommenen Antibiotika ohne Verordnung beim Patienten landen, in einigen Ländern sollen diese Medikamente auch einfach vom Apotheker abgegeben werden. (Foto: rido / fotolia)


Laut einer von der Europäischen Kommission beauftragten Studie beziehen EU-Bürger in einigen Staaten immer noch häufig Antibiotika ohne ein Rezept. Die Wirkstoffe werden dabei häufig nicht nur unsinnig eingesetzt, sondern vergrößern das ohnehin große Problem antibiotikaresistenter Mikroorganismen zusätzlich. In einigen Ländern sollen auch Apotheker eine Mitschuld tragen.

Sepsis, Tetanus, die Pest oder Typhus – vor der Entdeckung des Penicillins 1928 durch Alexander Fleming wirkten viele Mittel und Versuche von Ärzten, Erkrankte zu heilen, manchmal recht hilflos. Erst Antibiotika gaben dem Menschen ein wirklich effektives Mittel in die Hand, bakterielle Infektionskrankheiten zu bekämpfen – viele einst furchterregende Krankheiten verloren damit ihren Schrecken. Doch keine hundert Jahre nach dem Wendepunkt in der Medizingeschichte drohen viele Erreger wieder furchtbar zu werden. Resistenzen gegen alle bekannten Antibiotikagruppen nehmen zu und erste Supererreger, die nicht mehr mit Antibiotika behandelbar sind, wurden bereits beschrieben und forderten Opfer.

25.000 Tote in jedem Jahr, schätzt das European Center for Disease Prevention and Control (ECDC), gehen in der Europäischen Union zu Lasten antibiotikaresistenter Erreger. Weltweit sind es rund 700.000.1,5 Milliarden Euro zusätzliche Gesundheitskosten und Produktivitätsausfall innerhalb der EU verursachen die Bakterien. Die Natur schlägt ganz im Sinne von Selektion und Evolution zurück – vor allem auch deshalb, weil die einstigen Wundermittel viel zu häufig und viel zu sorglos verwendet wurden und immer noch werden.

In allen EU-Staaten ist Antibiotika-Abgabe ohne Rezept verboten

Zu diesem Schluss kommt auch eine jetzt veröffentlichte Studie im Auftrag der Europäischen Kommission der Universität Antwerpen und des Netherlands institute for health services research (NIVEL). In der Veröffentlichung mit dem Titel „Antimicrobial resistance and causes of non-prudent use of antibiotics in human medicine in the EU“ kommen die Forscher auch zu dem Ergebnis, dass in einigen Mitgliedsländern in einem nicht unerheblichen Maße Antibiotika nicht nur vollkommen unnütz, sondern auch ohne ärztliche Überwachung und ohne Rezept eingenommen werden. Dabei ist eine Abgabe von Antibiotika ohne Rezept, von wenigen Ausnahmen wie etwas bestimmten Augentropfen nach den geltenden Gesetzen in allen EU-Staaten verboten.

Im 19,8 Millionen Einwohner umfassenden Rumänien etwa ist jedes fünfte (20 Prozent) eingenommene Antibiotikum nicht verschrieben worden, besagen die Zahlen des Eurobarometers aus dem Jahr 2013. Auf diese Erhebung stützt sich die Studie, die die Untersuchungen des EU-geförderten Projektes ARNA (Antimicrobial resistance and the causes of non-prudent use of antibiotics) zusammenfasst. Das Projekt knüpft dabei an bestehende Projekte in vielen EU-Ländern zum sinnvollen Umgang mit verschriebenen Antibiotika an, etwa solche des europäischen Apothekerverbandes PGEU (Pharmaceutical Group of the European Union), an denen auch Apotheker in entscheidender Funktion beteiligt sind. Um Resistenzbildungen zu vermeiden, geht es bei den bisherigen Maßnahmen in Europa unter anderem um Therapietreue oder die Entsorgung von Resten, damit die Wirkstoffe nicht in die Umwelt gelangen. ARNA richtet dagegen den Fokus auf die nicht-umsichtig verwendeten, weil nicht ärztlich verschriebenen Antibiotika.

In Rumänen, Griechenland und Zypern Antibiotika oft ohne Rezept

Auf Basis des Eurobarometers untersuchten die niederländischen Forscher für die Studie in den sieben Ländern, in denen die meisten Antibiotika ohne Rezept verabreicht wurden, woher die Arzneimittel eigentlich stammen, warum sie eingenommen werden und was die Folgen sind. Teil der Studie waren dabei Befragungen von Patienten, Allgemeinmedizinern und Apothekern in diesen EU-Ländern. Außer Rumänien mit 20 Prozent waren das Griechenland (16 Prozent), Zypern (10 Prozent), Ungarn und Spanien mit jeweils 8 Prozent, Estland (6 Prozent) und Italien mit 4 Prozent.

Insgesamt, so erhoben die Forscher auch, liegt in der EU die Rate nicht verschriebener Antibiotika bei 7 Prozent, Tendenz allerdings steigend. Und die meisten dieser Arzneimittel stammen dabei nicht etwa aus dubiosen Internet-Quellen, sondern aus Apotheken. Rechtlich gesehen illegale OTC-Verkäufe machen in den untersuchten Ländern Rumänien, Griechenland und Zypern 80 bis 100 Prozent der Quellen der nicht verschriebenen Antibiotika aus. In Italien, Ungarn und Spanien erkannten die Forscher die Selbstmedikation mit übriggebliebenen Medikamenten als eine weitere bedeutende Quelle. Das Internet dagegen sei in dem Zusammenhang als Quelle eher unbedeutend, sagen die Wissenschaftler.

Es fehlt vor allem am Wissen um die richtige Anwendung

Was die Gründe anbelangt, warum Antibiotika in einer nicht umsichtigen Weise eingenommen werden, kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass der Faktor Wissen sowohl bei Patienten als auch bei Apothekern und anderen Gesundheitsprofis der wunde Punkt sei. Auf Seiten der Patienten herrsche oft Unkenntnis darüber, was Antibiotika eigentlich bekämpfen. Da würden einfache, von Viren ausgelöste Erkältungen oder Fieber in Selbstmedikation unsinnigerweise mit Antibiotika behandelt, die dabei nichts nützen. Und je größer das Wissen über die Wirkstoffe und die entsprechende Zurückhaltung der Apotheker, umso weniger wahrscheinlich sei es, dass die Pharmazeuten ohne Rezept Antibotika herausgeben würden. Faktoren wie die Lage der Apotheke sowie Alter oder Geschlecht der Apotheker seien dagegen unerheblich, obwohl Inhaber kleinerer Offizinen wohl eher ohne Rezept die Medikamente verkauften als die von größeren, so die Forscher.

Als Konsequenz ihrer Untersuchungen geben die Experten Handlungsempfehlungen an die Politik, mehr Aufklärung sowohl bei Patienten wie auch bei den Angehörigen des Gesundheitswesens zu betreiben, um vor allem den Faktor Wissen auszubauen. Darüber hinaus müssten die geltenden Gesetze stärker durchgesetzt werden.

Erst Anfang Juni hatte die Europäische Kommission einen neuen Aktionsplan zur Bekämpfung von Resistenzen gegen antimikrobielle Wirkstoffe angenommen. Er setzt den seit 2011 geltenden ersten Aktionsplan fort und ergänzt ihn um Maßnahmen, „die einen deutlichen EU-Mehrwert bieten und nach Möglichkeit auch konkrete, messbare Ergebnisse liefern“, so die EU-Kommission.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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