Arzneimittel-Lieferengpässe

Apotheker fordern mehr Transparenz in der Lieferkette

Berlin - 30.06.2017, 14:20 Uhr

Lieferengpässe haben viel Ursachen. Apotheken leisten viel, damit Patienten dennoch versorgt werden. (Foto: weerapat1003 / Fotolia)

Lieferengpässe haben viel Ursachen. Apotheken leisten viel, damit Patienten dennoch versorgt werden. (Foto: weerapat1003 / Fotolia)


Medikationsfehler, geringere Therapietreue oder gar der Abbruch oder die Verzögerung einer lebenswichtigen Therapie – das alles kann passieren, wenn benötigte Arzneimittel nicht lieferbar sind. Und solche Engpässe kommen immer wieder vor. Wie häufig und wie Apotheken damit umgehen, hat jetzt die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker untersucht.

Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind schon lange ein leidiges Thema für Apotheken. Mag der Offenbacher Apotheker Hans-Rudolf Diefenbach in den vergangenen Jahren auch immer wieder Aufstellungen über aktuelle Engpässe erstellt haben – handfeste Studien-Daten über das Ausmaß gab es bislang nicht. Nun hat die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) die Ergebnisse einer Umfrage unter ihren Referenzapotheken vorgelegt – 482 öffentliche und 26 Krankenhausapotheken haben sich an dieser beteiligt. Veröffentlicht ist die gesamte Untersuchung in der aktuellen Ausgabe der Pharmazeutischen Zeitung.

Fast alle Apotheken erleben Engpässe mit (potenziellen) Folgen

Zu den Kernergebnissen zählt: Knapp 90 Prozent der befragten öffentlichen Apotheken und über 80 Prozent der Klinikapotheken haben in den vergangenen drei Monaten mindestens einen Engpass erlebt, der gesundheitliche Folgen für Patienten hatte oder hätte haben können. Mehr als 20 Prozent gaben an, dies sei in dieser Zeitspanne sogar öfter als 15 Mal vorgekommen.

Und was waren die Folgen für die Patienten? Mehr als 50 Prozent der öffentlichen und mehr als 60 Prozent der Krankenhausapotheken ging zur zweiten Wahl über, wobei zum Beispiel die Darreichungsform eine andere war. Das Alternativpräparat führte nach Angaben jeder fünften Apotheke (öffentliche ebenso wie Klinikapotheke) zu einer fehlerhaften Anwendung. 39 Prozent der Krankenhausapotheken erklärten sogar, das der Engpass eine lebenswichtige Therapie unmöglich mache oder zumindest verzögere. Dies sagten dagegen nur 15 Prozent der öffentlichen Apotheken. Letztere meldeten hingegen öfter einen Therapieabbruch infolge der Umstellung als ihre Klinik-Kollegen(26 Prozent vs. 6 Prozent).

Problemfall Antibiotika

In den öffentlichen Apotheken waren von Lieferengpässen vor allem Arzneimittel für das kardiovaskuläre System (38 Prozent), für das Nervensystem (19,7 Prozent) und Antiinfektiva für die systemische Gabe (19,1 Prozent) betroffen. In den Krankenhausapotheken nahmen Antibiotika den Spitzenplatz unter den Anwendungsgebieten ein (23,1 Prozent) – allerdings ist hier mit 38 Prozent der größte Teil der Engpässe quer durch die Indikationsgebiete gemischt.

Was bedeuten Engpässe für die Apotheker

Doch was bedeutet dies nun konkret für die Apotheken? In erster Linie eine Herausforderung und zusätzliche Arbeit: Sie müssen nach Alternativen suchen, in anderen Apotheken nachfragen oder direkt beim Hersteller sowie mit den Verordnern Rücksprache halten. Einige Apotheken begegneten den Engpässen auch mit der Herstellung von Rezepturarzneimitteln. Laut AMK-Umfrage gaben 48 Prozent der Krankenhausapotheken und 17 Prozent der öffentlichen Apotheken an, im genannten Zeitraum bis zu vier Rezepturen angefertigt zu haben.

Etwa 90 Prozent der Krankenhausapotheken und 48 Prozent der öffentlichen Apotheken gingen zudem mindestens einmal innerhalb der letzten drei Monate den Weg über einen Arzneimittel-Einzelimport nach § 73 Arzneimittelgesetz. 100 Prozent der Krankenhausapotheken und 95 Prozent der öffentlichen Apotheken erhöhten zudem die Bevorratung mit relevanten Arzneimitteln. 

Wie können Apotheken entlastet werden?

Die AMK kommt zu dem Schluss: Apotheken ist es zu verdanken, dass die häufig auftretenden Lieferengpässe relativ selten relevante Auswirkungen auf die Patientensicherheit haben. Doch wie können die Apotheken entlastet werden? Dazu müssten bestehende Maßnahmen wie Meldepflichten ausgebaut und neue Kontrollen eingeführt werden, meint die AMK. Sie begrüßt, dass infolge des nach dem Pharmadialogs eingeführten Jour Fixe zum Thema Arzneimittelengpässe schon einiges geschehen ist. So gibt es nun eine Liste versorgungsrelevanter Engpässe auf der BfArM-Webseite. Und zusätzlich zu den neuen Meldeverpflichtungen durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz an Krankenhäuser hat das BfArM nunmehr Zulassungsinhaber weiter in die Pflicht genommen: Sie müssen Lieferengpässe nun etwa melden, wenn es schon in der Vergangenheit einen Versorgungsengpass gab. Das gleiche gilt für versorgungsrelevante Wirkstoffe, für die es nur drei oder weniger Hersteller gibt.

Die AMK will aber noch mehr: Insbesondere öffentliche Apotheken müssten frühzeitig, umfassend und transparent über absehbare kurz- und längerfristige Engpässe informiert werden.

Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), sieht durch die Studie belegt, dass Apotheken großen Mehraufwand treiben, um Versorgungsengpässe möglichst zu verhindern und die Therapietreue der Patienten sicherzustellen. „Aber die Situation wird zusehends problematisch“, mahnt er. „Mehr Transparenz in der Lieferkette sowie Rabattverträge der Krankenkassen mit mindestens zwei pharmazeutischen Herstellern pro Wirkstoff könnten helfen.“



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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