- DAZ.online
- News
- Spektrum
- Bürgermeister von Hü...
Walter Neff im Interview
Bürgermeister von Hüffenhardt ist „verwirrt“ wegen DocMorris
„Gemeinde schließt Versorgungslücke dank Telepharmazie“, erklärte DocMorris vor einem Jahr. Doch Bürgermeister Walter Neff widerspricht dieser Darstellung, Präsenzapotheken würden die Versorgung gewährleisten. Der Abgabeautomat könne zwar eine „deutliche Verbesserung“ darstellen – doch das aktuelle „hin und her“ sei nicht glücklich, sagt Neff im DAZ.online-Interview. „Erst die Öffnung, dann die Schließung – es verwirrt“, erklärt er.
Die nach eigener Darstellung „Wohlfühlgemeinde im Kraichgau-Odenwald“ Hüffenhardt erregt derzeit deutschlandweit Aufsehen: Nachdem vor einigen Jahren die Apotheke im Ort schließen musste, eröffnete die niederländische Versandapotheke DocMorris in den ehemaligen Apothekenräumlichkeiten vergangene Woche einen Abgabeautomaten samt Videofunktion, um 8000 Arzneimittel sowie 500 gekühlte Präparate direkt vor Ort abgeben zu können. „Jetzt gibt es eine eHealth-Lösung für die rund 2.000 Einwohner“, hatte DocMorris schon im Februar 2016 erklärt – in einer Presseerklärung unter dem Titel „Gemeinde schließt Versorgungslücke dank Telepharmazie“. Nach einer kurzfristigen Schließung durch das zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe konnte DocMorris durch Einreichung einer Klage erreichen, dass der niederländische Versender zumindest vorübergehend OTC-Präparate weiter abgeben darf.
Was sagt der örtliche Bürgermeister Walter Neff zu dem Geschehen in Hüffenhardt? Im vergangenen Jahr äußerte sich Neff so: „Die Schließung der Apotheke hat insbesondere
unsere älteren und weniger mobilen Mitbürger getroffen, die seitdem mehrere
Kilometer Wegstrecke bis in den nächsten Ort in Kauf nehmen müssen, um sich mit
Arzneimitteln zu versorgen.“ DAZ.online hat am gestrigen Mittwoch erneut bei ihm nachgefragt.
DAZ.online:
„Was hier bei DocMorris passiert, ist alles andere als normal“, erklärt
DocMorris-Chef Olaf Heinrich auf der Firmen-Webseite. Gilt Ähnliches auch für
Hüffenhardt, Herr Neff?
Neff: Im Zusammenhang mit dieser Geschichte ja – ansonsten aber nicht.
DAZ.online: Sind Sie überrascht, dass der Automat wieder geschlossen wurde?
Neff: Nein, nicht wirklich. Aufgrund der Informationen von Seiten des Regierungspräsidiums, die uns durch Medienberichte erreicht haben, war es im Bereich des Denkbaren. Doch wir waren überrascht, dass der Automat nach der Eröffnung so schnell wieder geschlossen wurde.
DAZ.online: Ist das Regierungspräsidium also nicht auf Sie zugegangen?
Neff: Nein. Wir sind eigentlich auch nur Vermieter der Räumlichkeiten, ansonsten sind wir außen vor. Das Regierungspräsidium interessiert insbesondere, dass die Versorgung gewährleistet ist.
Bei der Arzneimittel-Versorgung gibt es laut Neff keine Probleme
DAZ.online: Laut Regierungspräsidium und Apothekerkammer ist die Versorgung durch Rezeptsammelstellen sichergestellt. Gibt es aus Ihrer Sicht Probleme?
Neff: Von der Versorgung her nicht – die ist gewährleistet durch die Präsenzapotheken in der Umgebung. Es ist für uns nur ein weiteres Dienstleistungsangebot vor Ort – und eine deutliche Verbesserung und Erleichterung.
DAZ.online: Was sagen die Bewohner von Hüffenhardt zur Eröffnung, Schließung und Teil-Wiedereröffnung des Automaten?
Neff: Es ist natürlich ein bisschen ein hin und her. Insgesamt haben die Bürger gelassen reagiert – aber es ist nicht toll, wenn so unklar ist, wie es weitergeht.
DAZ.online: Gab es denn Ihres Wissens nach schon ein paar Automaten-Kunden – und wurde der Automat gestern gleich wieder in Betrieb genommen?
Neff: Meines Wissens nach ja, aber allzu viele waren es nicht, da die Zeitspanne einfach zu kurz war. Ich war jetzt noch nicht vor Ort, da hat zumindest Licht gebrannt. Aber ob er tatsächlich schon offen ist, kann ich Ihnen nicht sagen.
DAZ.online: Laut Apothekerkammer ist bei einem derartigen Abgabeautomaten die Arzneimitteltherapiesicherheit nicht sichergestellt. Sehen Sie da Probleme?
Neff: Nein, keineswegs – die Gefahr sehe ich nicht. Ob ein Apotheker vor Ihnen steht oder ob er über Video zugeschaltet ist und er die Abgabe des Arzneimittels freischaltet, ist im Prinzip dasselbe. Die große Befürchtung, dass die falschen Medikamente herausgegeben werden, halte ich für genauso gering oder hoch wie bei einer Apotheke vor Ort. Technisch ist das sicherzustellen – insofern sehe ich keine Gefahrenquelle.
DAZ.online: Für Sie ist es also kein Problem, dass in Ihrem Ort ein Automat steht, der vom Regierungspräsidium als unrechtmäßig angesehen wird?
Neff: Nein, wenn es für uns ein Problem gewesen wäre, hätten wir die Finger davon gelassen. Die umliegenden Apotheken sind ja auch nicht ganz außen vor – sie werden nach wie vor kontaktiert. Es ist ein Zusatzangebot, das die Einwohnerinnen und Einwohner die Arzneimittel, die er vorrätig hat, dort abholen können. Die umliegenden Apotheken sind dadurch nicht entbehrlich.
DocMorris-Lösung „wird sich über kurz oder lang durchsetzen“
DAZ.online: Könnten Ärzte dadurch nicht zunehmend die Arzneimittel verschreiben, die vorrätig sind – und nicht die, die für die Patienten am besten wären?
Neff: Auch die Befürchtung kann ich nicht teilen. Es macht ja keinen Sinn, den Automat mit irgendwas zu bestücken, was selten nachgefragt wird – daher ist es sinnvoll, dass die Ärzte vorher gefragt wurden, was sie oft verschreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie immer dran denken, was der Automat enthält – oder was nicht. Auch in örtlichen Apotheken ist nicht jedes Medikament gleich greifbar – und muss teils nachbestellt werden.
DAZ.online: Wissen Sie, wie was bei Verschreibungen passiert, die der Automat nicht bedienen kann?
Neff: Nach meinen Informationen war es so gedacht, dass man das Rezept wieder mitnehmen kann und in einer Apotheke einlösen kann – oder dass das Arzneimittel nachgeliefert wird. Sie haben alle Möglichkeiten, die Sie bei einer normalen Apotheke auch haben.
DAZ.online: Gab es Interesse von anderen Orten?
Neff: Es gab verschiedentliche Anfragen, aber das ist schon eine ganze Weile her. Wir mussten hier aber vertrösten, da wir erstmal abwarten müssen, wie es im Betrieb ist.
DAZ.online: Es gibt einen Bericht mit dem Titel „Gemeinde hatte mit Aus gerechnet“. Stimmt das so?
Neff: Ja, genau – die Firma DocMorris hatte uns darüber informiert, dass das im Bereich des Möglichen liegt, insofern war es nicht die große Überraschung – sondern die Geschwindigkeit, das war die Überraschung. Daher waren wir darüber unterrichtet. Es war schon etwas ungünstig, das war nicht glücklich, klar. Erst die Öffnung, dann die Schließung – es verwirrt.
DAZ.online: Die Hüffenhardter sind daher wohl nun erstmal verunsichert?
Neff: Es ist eine Neueinrichtung, ein Muster oder ein Pilotprojekt. Alles, was neu ist, braucht etwas Zeit. Über kurz oder lang wird sich das meiner Meinung nach durchsetzen. Insofern denke ich, dass die Leute auch wieder vorbeischauen.
„Wir fühlen uns nicht als Spielball von DocMorris“
DAZ.online: Eine Zeitung schrieb, dass Sie guten Mutes sind, da DocMorris wohl eine sechsstellige Summe in den Automaten investiert hat.
Neff: Die Summe kann ich Ihnen nicht bestätigen – den Mut aber schon.
DAZ.online: DocMorris macht sehr viel Öffentlichkeitsarbeit zu Hüffenhardt. Sehen Sie sich als Spielball von DocMorris?
Neff: Nein, als Spielball fühlen wir uns nicht. Dass die Genehmigung für den Automaten Voraussetzung ist für den Betrieb, stand ja nie in Frage. Beide Seiten waren bekannt, daher fühlen wir uns weder als Spielball noch als ausgenutzt. Wir würden uns nur freuen, wenn das Konzept insgesamt funktionieren würde.
DAZ.online: Woran hapert es derzeit aus Ihrer Sicht noch?
Neff: Es ist auch eine Frage des politischen Willens, das umsetzen zu wollen. Wir sind bei der Digitalisierung auf einem Fortschrittsweg – im Rahmen des ganzen Digitalisierungspaktes müsste es doch möglich sein. Wenn man Telemedizin propagiert oder ärztliche Sprechstunden per Live-Video durchführt, muss meines Erachtens auch dieses Vorhaben, das DocMorris in Hüffenhardt geplant hat, möglich sein.
DAZ.online: Sie selber sind SPD-Mitglied, haben in Baden-Württemberg also derzeit begrenzten Einfluss. Wollen Sie dennoch auf politischer Ebene durchsetzen, dass Modelle wie das von DocMorris in Hüffenhardt rechtlich einwandfrei möglich wird?
Neff: Wenn das notwendig wird: Ja, natürlich.
12 Kommentare
Präsenzapotheke oder Versand?
von Andreas Grünebaum am 28.04.2017 um 13:38 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Verwirrte Rechtsauffassung eines SPD-Amtsträgers ?
von Christian Timme am 28.04.2017 um 10:24 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Verwirrte Rechtsauffassung oder aus Feind wird Freund ...
von Christian Timme am 28.04.2017 um 11:03 Uhr
So geht in Deutschland die Rechtsstaatlichkeit verloren
von Ratatosk am 28.04.2017 um 9:08 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Neff
von Frank ebert am 27.04.2017 um 21:53 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Instrumentalisiert
von Rolf Jägers am 27.04.2017 um 15:52 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Enthauptung und Kreuzigung in Hüffenhardt
von Peter Koschmieder am 27.04.2017 um 15:22 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Shake, Baby, shake!
von Wolfgang Müller am 27.04.2017 um 15:15 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
"Nicht unentbehrlich!" Freudscher Versprecher?
von T. La Roche am 27.04.2017 um 14:30 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: "Nicht unentbehrlich!"
von Hinnerk Feldwisch-Drentrup am 27.04.2017 um 14:40 Uhr
Mut und sechsstellige Investition
von H.D.Backes am 27.04.2017 um 14:19 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Nicht rechtens! Egal!
von Gast23 am 27.04.2017 um 14:12 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.