Serie: Mittelstand im Pharmaland - Dr. Kade

Keine Angst vor Tabuthemen

Berlin - 05.08.2016, 11:15 Uhr

Das Führungsteam von Dr. Kade: Dr. Norbert Marquardt. Annett Schubert und Felix König. Die Geschäftsführer sprachen mit DAZ.online über die Historie, die Gegenwart und Zukunft des Berliner Familien-Unternehmens. (Foto: Philipp Külker)

Das Führungsteam von Dr. Kade: Dr. Norbert Marquardt. Annett Schubert und Felix König. Die Geschäftsführer sprachen mit DAZ.online über die Historie, die Gegenwart und Zukunft des Berliner Familien-Unternehmens. (Foto: Philipp Külker)


DR. KADE – Es gibt Leiden, über die spricht man nicht gern. Hämorrhoidalbeschwerden oder Vaginalinfektionen gehören für die meisten Menschen sicher dazu. Wer bei der Firma Dr. Kade arbeitet, hat mit diesen Indikationen allerdings kein Problem. Produkte der Proktologie und der Gynäkologie sind die Spezialität des Berliner Mittelständlers, der auf 130 Jahre Firmengeschichte zurückblicken kann.

Wer den Firmen-Namen Dr. Kade hört, bringt ihn schnell mit speziellen Marken in Verbindung: Das Top-Produkt des Berliner Unternehmens ist Posterisan gegen Hämorrhoidalbeschwerden. Es ist bereits seit 1922 auf dem Markt. Mittlerweile gibt es eine ganze Posterisan-Produktreihe, mit der Dr. Kade in diesem Anwendungsgebiet Marktführer ist. Zweites Spitzenprodukt ist KadeFungin zur Behandlung von Scheidenpilz. Mit dem schon bekannten Wirkstoff Clotrimazol trat das Unternehmen 1991 in den Markt ein. Langsam aber stetig habe sich Dr. Kade auch im Bereich der vaginalen Antimykotika zum Marktführer entwickelt, sagt Annett Schubert, Geschäftsführerin für den medizinischen Bereich bei Dr. Kade. „Darauf sind wir besonders stolz“. 

Dr. Kade bietet zudem Gastroenterologika, Andrologika, Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel, Schmerzmittel sowie Hormonpräparate. Rund 60 Prozent des Produktportfolios machen verschreibungspflichtige Arzneimittel aus, der Rest sind OTC, sagt der Vorsitzende  der Geschäftsführung, Felix König. Insbesondere durch das 1992 mit der belgischen Firma Besins Healthcare eingegangene Joint Venture, Dr. Kade/Besins, gewann Dr. Kade Rx-Präparate aus den Bereichen Gynäkologie und Andrologie. Gemeinsam vermarktet man etwa die Hormonpräparate Gynokadin Dosiergel oder Utrogest. Doch das Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln wächst – und steht auch im strategischen Fokus des Unternehmens, erklärt König. So übernahm Dr. Kade 2013 das deutsche Selbstmedikationsgeschäft von Takeda. Dieses umfasst traditionsreiche Marken wie Faktu, Sanostol oder Riopan. Auch wenn Dr. Kade in den vergangenen Jahren keine Riesensprünge beim Umsatz machte, ist das Unternehmen kontinuierlich gewachsen. In den vergangenen vier Jahren etwas stärker, nicht zuletzt wegen der Zukäufe im OTC-Geschäft. Im Geschäftsjahr 2014/15 lag der Umsatz bei rund 113,5 Millionen Euro.

Auslandserfolge mit Produkten „made in Germany“ 

Bei Dr. Kade ist man stolz auf seine Position als deutscher Pharmamittelständler – und als Familienunternehmen. Eigentümer und Management setzen auf eine Arzneimittelproduktion in Deutschland. An den Standorten Berlin und Konstanz sind jeweils rund 200 Mitarbeiter beschäftigt. Hier werden ungefähr zwei Drittel der Arzneimittel produziert, sagt der für diesen Bereich zuständige Geschäftsführer, Dr. Norbert Marquardt. Die übrigen werden über Auftragshersteller bezogen, die ebenfalls im Wesentlichen in Deutschland tätig sind. Auch 85 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet Dr. Kade in Deutschland.

Mit der Strategie „made in Germany“ punktet Dr. Kade aber auch international. Rund 15 Prozent des Umsatzes werden über Vertriebskooperationen und Joint Ventures im europäischen und außereuropäischen Ausland erwirtschaftet. Wichtigster Partner ist die japanische Firma Maruho, zu der bereits seit 1923 eine Geschäftsbeziehung besteht. Seitdem ist Posterisan auch in Japan auf dem Markt und hat sich dort ebenfalls als Marktführer behauptet. Zudem ist Dr. Kade unter anderem in Polen, Russland und Skandinavien aktiv.


Alles begann 1886 in Berlin-Kreuzberg

Doch wie fing die Erfolgsgeschichte an? Dr. Kade kann in diesem Jahr auf eine 130-jährige Unternehmenshistorie zurückblicken. Begonnen hat es am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Und zwar an einem Ort, an dem heute ein beliebtes Café zu finden ist: das Ora, das dank seiner alten Apothekeneinrichtung einen ganz besonderen Charme ausstrahlt. Dort befand sich damals die Oranien-Apotheke des Berliner Apothekers Dr. Rudolph Kade, die Firmengründer Dr. Franz Lutze 1886 erwarb. Der bis heute beibehaltene Name des Unternehmens geht also nicht auf die Gründerfamilie, sondern den Apothekenvorbesitzer zurück.

Die Apotheke von Franz Lutze entwickelte sich in der Folgezeit zu einer pharmazeutischen Fabrik. Es begann mit Verbandstoffen, Watte und in Würfeln komprimierten medizinischen Tees – etwa „Dr. Kades Gallensteinwürfel“. Doch das Sortiment breitete sich rasch aus: Lutze produzierte Pastillen, Dragees und Pillen. Ende 1880 gab es erste Arzneifertigwaren wie Phenacetin und Sulfonal. Es folgten Eisenpräparate, Gelatinekapseln, Arzneiweine – und zahlreiche Tabletten. Ein weiteres besonderes Angebot Lutzes zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Haus- und Reiseapotheken, insbesondere für die Tropen – es war die Zeit der Kolonialisierung. Dr. Kade belieferte deutsche Schutztruppen in den Kolonien. Nicht nur mit Arznei- und Verbandmitteln, sondern auch mit Untersuchungskästen, Trinkwassersterilisatoren und Kühlapparaten. In einem Werbezettel bezeichnete sich die Firma selbst als „Lieferant des Reichskolonialamtes für den medizinisch-pharmazeutischen Bedarf in den Kolonien“. 

Apotheke im Kasten, 1892: „Geliefert von Dr. Kade´s Oranien-Apotheke“ an den König Behanzin von Dahomé. Dahomé war ein afrikanisches Königreich, das ab dem 17. Jahrhundert bis zur Kolonialisierung durch Frankreich existierte. Seit 1975 heißt der 1960 unabhängig gewordene Staat Benin. Behanzin war von 1889–1894 dessen König.

Zwei Weltkriege überstanden

Nach dem ersten Weltkrieg und dem Verlust der Kolonien verlor Dr. Kade zwar wichtige Lieferaufträge – das Geschäft entwickelte sich dennoch gut weiter. Schon 1908 hatte Lutze seine Produktion aus dem Hinterhaus seiner Apotheke am Oranienplatz heraus in ein Fabrikgebäude am nah gelegenen Erkelenzdamm verlagert. Nach Kriegsende wurden Apotheke und Herstellung endgültig getrennt. Als Franz Lutze 1923 starb, übernahm seine Witwe Frieda Lutze die Firma. Die Apotheke stand dann zunächst unter Verwaltung verschiedener Pächter. Die Firma Dr. Kade leitete Frau Lutze mit Unterstützung ihrer Söhne Felix und Werner, die beide Apotheker waren. Vor allem Felix Lutze engagierte sich, nicht zuletzt im Exportgeschäft, und brachte die Firma durch die schwierigen Nachkriegsjahre.

Im Eingangsbereich bei Dr. Kade in Marienfelde kann man in die lange Firmengeschichte hineinschnuppern.

Der Zweite Weltkrieg bedeutete einen herben Rückschlag für das Unternehmen. Felix Lutze wurde in den letzten Kriegstagen von einem Heckenschützen erschossen. Nur der Name Dr. Kade und einige wenige Präparate blieben Frieda Lutze. Und das Glück, dass die Apotheke und die Fabrik in Kreuzberg den Krieg überstanden hatten – und knapp im West-Sektor Berlins lagen. Nachdem Frieda Lutze 1949 starb, folgte in der dritten Generation Dr. Marietta Lutze-Sackler als Allein-Gesellschafterin von Dr. Kade. Sie ist die Tochter von Felix Lutze, kam 1919 in San Francisco zur Welt und studierte später Medizin. Mit ihr ging es dann wieder bergauf bei Dr. Kade. 1960 wurde die Personengesellschaft in eine GmbH umgewandelt. Anteilhalter waren nun neben Frau Lutze-Sackler ihre Kinder Arthur Sackler und Denise Marika. 1962 begann der Aufbau eines zweiten Werks in Konstanz – man wollte einen zweiten, risikoärmeren Standort, sagt König. Die Situation in Berlin war eine besondere, und die Fabrik in Berlin-Kreuzberg befand sich unmittelbar an der Mauer. Dennoch wurde hier ebenfalls weiter produziert – bis 1982 im Berliner Stadtteil Marienfelde eine neue Produktionsstätte eröffnet wurde. 

Eine besondere Familiengeschichte

P. Külker
Felix König, Geschäftsführer in zweiter Generation bei Dr. Kade, fühlt sich im mittelständischen Unternehmen deutlich wohler als bei Big Pharma.

Die Eigentümerfamilie – auch wenn sie in den USA lebt – hält regelmäßigen Kontakt nach Deutschland und ist bei strategischen Entscheidungen des Unternehmens mit an Bord. Arthur Sackler ist seit 1975 wie seine Mutter Mitglied der Geschäftsführung. Doch die Familie hat großes Vertrauen in ihre Geschäftsführung in Berlin, die ihrerseits eine eigene Familiengeschichte zu bieten hat: Felix König trat bei Dr. Kade nämlich die Nachfolge seines Vaters Detlef König an. Dieser war seit 1972 Geschäftsführer des Unternehmens. Bevor der studierte Betriebswirt Felix König 2009 als Leiter des kaufmännischen Bereichs nach Berlin kam, hatte er Branchenerfahrung beim Pharmariesen Bayer gesammelt.

Zusammen mit Annett Schubert und Norbert Marquardt bildet er nun die dreiköpfige operative Führungsriege. Während die Apothekerin Schubert bereits 1992 in das Unternehmen eingestiegen ist und seit 2013 zur Geschäftsführung gehört, kam Marquardt – ebenfalls Pharmazeut – im November 2015 dazu. Auch er hat zuvor bei den Großen der Branche gearbeitet. Gleich drei dieser Konzerne lernte er kennen. Und ebenso wie König macht er keinen Hehl daraus, dass er die mittelständischen Strukturen klar bevorzugt. „Hier kann man wirklich gestalten und trägt nicht nur pro forma Verantwortung“, sagt Marquardt. Es gebe kurze Entscheidungswege, ganz anders als in großen Konzernen, wo erst langwierige Anträge zu stellen sind. König kann das nur bestätigen. Ihm gefällt auch,  dass Entscheidungen langfristig mit Blick auf die Nachhaltigkeit ausgerichtet sind – und man nicht vor allem den neuesten Quartalszahlen „hinterherhechelt“. 

Apotheken als wichtiger Partner

Nun heißt es also in die Zukunft denken. Dazu gehört für die Geschäftsführung zum einen die Weiterentwicklung ihrer Produkte, aber auch das Erschließen neuer Märkte im Ausland. In Deutschland setzt das Unternehmen vor allem darauf, im OTC-Bereich weiter zu wachsen. Und damit auch auf die Zusammenarbeit mit den Apotheken, die man ausdrücklich als Partner sieht.

2012 gründete das Unternehmen einen eigenen Apotheken-Außendienst, nachdem man sich vorher externer Dienstleister bedient hatte. Schulungskonzepte für Apotheker und PTA werden angeboten – abends oder für das Team in der Mittagspause. Zusätzlich setzt Dr. Kade auf Online-Tools. Gerade weil viele der rezeptfreien Präparate aus tabubesetzten Indikationsgebieten kommen, wird ein besonderer Service geboten. „Wir haben die Vision, diese Themen in der Apotheke alltagstauglicher zu machen“, sagt König. Zudem kümmert sich der Außendienst um Bestellungen der Apotheken. Laut König macht Dr. Kade fast die Hälfte seines OTC-Umsatzes von etwa 45 Millionen Euro jährlich im Direktgeschäft.

P. Külker
Dr. Norbert Marquardt wünscht sich von der Politik mehr Kreativität, um den Mittelstand zu stärken.

So erfreulich die Entwicklung insgesamt ist: Vor Kurzem musste Dr. Kade einen wirtschaftlichen Einschnitt erleben. Anfang 2015 verlor das Unternehmen infolge von wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen die Zulassung für sein wichtiges Schmerzpräparat DoloVisano. Mittlerweile ist der Streit gut ausgegangen, Dr. Kade hat die Zulassung wieder. Doch ein Jahr lang schmerzte der Umsatzeinbruch, sagt König. Und auch Patienten fehlte das altbewährte Markenprodukt. Nun muss sich DoloVisano seinen Platz auf den Rezeptblöcken der Ärzte wieder zurückerobern.

Zudem muss Dr. Kade ebenso wie alle anderen Pharmaunternehmen mit der Arzneimittelpolitik des Gesetzgebers leben. Zum Beispiel mit Rabattverträgen. Das Geschäft ist schwer planbar, betont Marquardt. Entweder man bekommt einen Vertrag – oder man ist eine Weile ausgeschlossen. Marquardt findet zudem bedauerlich, dass kein Unterschied gemacht wird zwischen Herstellern, die in Deutschland produzieren und hier auch Arbeitsplätze sichern, und anderen Unternehmen, die lediglich eine Zulassung besitzen. „Es gibt sicher kreative Möglichkeiten, die heimische Industrie zu unterstützen“, meint der Geschäftsführer. Leider sei die Politik sehr verhalten. Eine Anregung hätte er: Wie wäre es, wenn nur noch mit Unternehmen Rabattverträge geschlossen werden, die ihre Ware unter Beachtung der deutschen Mindestlöhne herstellen – egal in welchem Land?



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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