Neue Arzneimittel

Neue Arzneimittel 2023

Von Monika Neubeck | Von den im vergangenen Jahr neu eingeführten 42 Wirkstoffen sind neun Krebs­therapeutika. Die meisten Substanzen mit Antitumorwirkung sind bidirektionale Antikörper, die die zytotoxische Wirkung von körpereigenen T-Zellen über die Ausbildung einer immunologischen Synapse auf maligne entartete Zellen umlenken. An dieser Stelle besonders hervorgehoben werden sollten Tezepelumab als Add-on-Erhaltungstherapeutikum bei schwerem Asthma, Etranacogen Dezaparvovec, das erste Gen­therapeutikum zur Hämophilie-B-Therapie, das dual wirkende Anti­diabetikum Tirzepatid für einen unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 und der neue Dengue-Impfstoff, der einen großen Gewinn für Reisende, aber auch für Bewohner der endemischen Gebiete darstellt.

Antiasthmatika

Tezepelumab
Die Zielstruktur thymisches stromales Lymphopoietin (TSLP) ist am Ausgangspunkt verschiedener Entzündungskaskaden lokalisiert und wird durch Reize freigesetzt, die mit Asthma-Exazerba­tionen in Verbindung gebracht werden. Der gegen TSLP gerichtete monoklonale Antikörper Tezepelumab (Tezspire®) ist als Add-on-Erhaltungstherapeutikum für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren mit schwerem Asthma indiziert. Die Substanz wird angewendet, wenn die Erkrankung unzureichend auf hochdosierte inhalative Corticosteroide und weitere Arzneimittel zur Erhaltungstherapie anspricht. Tezepelumab mit völlig innovativem Wirk­mechanismus ist für die stark beeinträchtigten Patienten nach derzeitigem Kenntnisstand als relevanter thera­peutischer Fortschritt anzusehen. Als „First-in-Class“-Therapeutikum verhindert der TSLP-Antikörper Tezepelumab die Freisetzung einer ganzen Reihe von proinflammatorischen Zytokinen. In klinischen Studien wurde eine signifikante Reduktion der Exazerbationsrate um etwa 70% und damit eine deutlich verbesserte Erkrankungskontrolle erreicht. Aufgrund des übergeordneten Targets TSLP ist es dabei offenbar weitgehend unerheblich, welcher Auslöser für das schwere Asthma-Geschehen verantwortlich ist.

Tezepelumab Das epitheliale Zytokin thymisches stromales Lymphopoietin (TSLP) wird aufgrund verschiedener Reize durch Allergene, Zigarettenrauch, Bakterien- oder Virenbefall aus Geweben wie den Lungenepithelzellen freigesetzt. Über die Bindung an den zugehörigen heterodimeren TSLP-/Interleukin-7α-Rezeptor kommt es zur Phosphorylierung von Januskinasen (JAK) und STAT-Proteinen und als Folge zur Ausschüttung einer ganzen Reihe von proinflammatorischen Zytokinen, die bei Asthmapatienten zu verstärkten Exazerbationen führen können (links). Der monoklonale Antikörper Tezepelumab verhindert über die Bindung an TSLP dessen Interaktion mit dem heterodimeren Rezeptor. Bei Asthmapatienten, deren TSLP-Spiegel meist hochreguliert sind, ist eine verbesserte Kontrolle des Erkrankungsgeschehens möglich (rechts).

Analgetika

Lasmiditan

Lasmiditan

Aufgrund ihrer über 5-HT1B vermittelten vasokonstriktorischen Wirkungen sind Triptane bei der großen Gruppe von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen wie Angina pectoris, fortgeschrittener peripherer arterieller Verschlusskrankheit sowie nach Schlaganfall oder Herzinfarkt kontraindiziert. Für den neuen Wirkstoff Lasmiditan (Rayvow®) besteht diese Einschränkung nicht. Die Substanz ist für die Akutbehandlung der Kopfschmerzphase von Migräne-Attacken mit oder ohne Aura bei Erwachsenen vorgesehen. Genau wie Triptane aktiviert Lasmiditan Serotonin-Rezeptoren. Allerdings wirkt es selektiv am 5-Hydroxytriptamin-1F(5-HT1F)-Rezeptor-Subtyp, während Triptane Agonisten an 5-HT1B/1D-Rezeptoren sind. In klinischen Studien lagen die Ansprechraten zwei Stunden nach Applikation von Lasmiditan bei 50 bis 60%. Ein gewisses Problem stellen Nebenwirkungen wie Benommenheit, Koordinationsstörungen, Halluzinationen und kognitive Störungen dar. Die Beeinträchtigungen gehen so weit, dass nach jeder Applikation von Lasmiditan für mindestens acht Stunden kein Fahrzeug geführt werden darf.

Antipruriginosa

Difelikefalin
Etwa zwei Drittel aller Hämodialyse-Patienten leiden unter urämischem Pruritus. Als Auslöser für den oft sehr quälenden Juckreiz werden neben einer metabolischen Dysbalance überschießende Immun- und Entzündungsreaktionen sowie ein Ungleichgewicht des endogenen Opioid-Systems vermutet. Für die betroffenen Patienten ist der κ-Opioid-Rezeptor-Agonist Difelikefalin (Kapruvia®) vorgesehen, der in klinischen Studien sehr gut antipruriginös wirkte. Bis zum Einsetzen der Wirkung dauert es zwei bis drei Wochen. Aufgrund der Difelikefalin-assoziierten Somnolenz ist insbesondere bei sturzgefährdeten Patienten Vorsicht geboten. Zudem wäre in Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven zu prüfen, wie lange die Wirkung des κ-Opioid-Rezeptor-Agonisten anhält und welches Abhängigkeitspotenzial bestehen könnte. Insbesondere Patienten mit nicht intakter Blut-Hirn-Schranke sind gefährdet.

Maralixibat

Maralixibat
Bei Patienten mit angeborenem Alagille-Syndrom (ALGS) und Leberbeteiligung liegen verengte oder fehlgebildete Gallengänge vor. Es kommt bereits bei Neugeborenen zu einem quälenden Juckreiz. Anfang 2023 wurde der Inhibitor des Gallensäure-Transporters Maralixibat (Livmarli®) eingeführt. Der peroral verfügbare Wirkstoff ist ab einem Alter von zwei Monaten erprobt und mildert den ALGS-assoziierten cholestatischen Pruritus. Der Wirk­mechanismus mit einer Hemmung des Gallensäure-Transporters im Dünndarm ist zwar nicht innovativ, da es mit Odevixibat einen ebenfalls lokal im distalen Ileum aktiven Wirkstoff mit praktisch identischer Wirkweise gibt. In klinischen Studien mit ALGS-Patienten führte Maralixibat zu einer anhaltenden Normalisierung der Gallensäure-Konzentrationen im Blut. Inwiefern der Wirkstoff bei schweren Erkrankungsverläufen mit Leberbeteiligung eine Lebertransplantation hinaus­zögern kann, muss in längerfristigen Untersuchungen geklärt werden.

Antiviralia

Maribavir
Bei Cytomegalievirus(CMV)-seropositiven Patienten, die sich einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation oder einer Transplantation solider Organe unterziehen müssen, stellt eine CMV-Reaktivierung bzw. -Erkrankung eine lebensbedrohliche Komplikation dar. Als Therapieoption für Erwachsene, die refraktär gegenüber einer oder mehreren vorhergehenden Regimen sind, kommt der UL97-Proteinkinase-Inhibitor Maribavir (Livtencity®) infrage. Die Substanz hat einen völlig innovativen Wirkmechanismus. In der zulassungsrelevanten Studie war bei 56% der Patienten, die zuvor nicht mehr auf Standardtherapeutika angesprochen hatten, nach acht Wochen kein Virusmaterial mehr nachweisbar. In der Vergleichsgruppe waren es 24%. Allerdings wurde bei 57% der Teilnehmer aus der Maribavir-Gruppe und 34% aus der Vergleichs-Gruppe ein CMV-Virämie-Rezidiv berichtet. Beim direkten Vergleich von Maribavir mit Valganciclovir scheiterte der Nichtunterlegenheitsnachweis für den pUL97-Inhibitor. Obwohl der Stellenwert des neuen Therapeutikums derzeit nicht sicher beurteilt werden kann, ist die Erweiterung des therapeutischen Spektrums bei Versagen herkömmlicher CMV-Behandlungs­optionen zu begrüßen.

Maribavir ist ein kompetitiver Inhibitor der Proteinkinase UL97 (pUL97). Als Folge werden die Replikation, Kernausschleusung und Enkapsidierung der DNA des Cytomegalievirus im Rahmen der Virusvermehrung unterbunden und damit die Freisetzung neuer Viren reduziert.
 

Sotrovimab
Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren und einem erhöhten Risiko, einen schweren COVID-19-Verlauf zu entwickeln, können mit dem Antikörper Sotrovimab (Xevudy®) behandelt werden. Der Wirkstoff ist gegen das virale Spikeprotein gerichtet und zur einmaligen Applikation bei Personen mit Vorliegen eines positiven Antigen-Schnell- oder PCR-Tests indiziert, die zu diesem Zeitpunkt keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen. Durch die Bindung an das virale Spikeprotein verhindert Sotrovimab den viralen Befall von Körperzellen. Nach derzei­tigem Kenntnisstand ist der therapeutische Nutzen des Antikörpers sehr begrenzt. In der placebokontrollierten Zulassungsstudie an besonders gefährdeten Patienten wurde zwar eine fast 80%ige Reduktion des Risikos für Hospitalisierung oder Tod erreicht. Allerdings ist von großem Nachteil, dass die Neutralisationskapazität von Sotrovimab bei den aktuell kursierenden Virusvarianten nur gering ausfällt. Die WHO und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft raten daher von der Applikation ab.

Tabelecleucel
Die potenziell lebensbedrohliche lymphoproliferative Posttransplanta­tionserkrankung ist eine Krebs­erkrankung, die infolge einer immunsuppressiven Therapie auftreten kann. Häufiger Auslöser ist eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Das Immuntherapeutikum Tabelecleucel (Ebvallo®) wurde für Patienten im Alter ab zwei Jahren entwickelt, die unter einer rezidivierten oder refraktären Epstein-Barr-Virus-Infektion leiden. Das Präparat enthält expandierte T-Zellen eines Spenders, die spezifisch gegen mit dem EBV-infizierte Zellen gerichtet sind. Tabelecleucel bedeutet für die Betroffenen mit sehr schlechter Prognose einen erheblichen therapeutischen Fortschritt. Obwohl der Wirkmechanismus mit einem Angriff von T-Zellen auf virusbefallene Körper­zellen einem physiologischen Vorgang entspricht, ist die Herstellung der gegen EBV-infizierte Zellen gerichteten allogenen T-Zellen völlig innovativ. In der zulassungsrelevanten Studie sprach mehr als die Hälfte der Teilnehmer auf das neue Zweitlinien-Therapeutikum an. Diese Patienten gewannen teilweise mehrere Jahre an Lebenszeit.

Diagnostika

Ferucarbotran
Ferucarbotran (Resotran®) wird bei Erwachsenen als Kontrastmittel im Rahmen von Magnetresonanztomografien (MRT) eingesetzt. Das Eisen-hal­tige Diagnostikum ist zur Darstellung fokaler Leberläsionen indiziert, wenn eine kontrastmittelfreie Untersuchung keine eindeutige Diagnose ermöglicht. Ferucarbotran wird als intravenöser Bolus appliziert und zeichnet sich durch eine geringe Nebenwirkungs­rate aus, vor allem im kardiovasku­lären Bereich. Die Untersuchungs­methode ist in erster Linie für Patienten mit bevorstehenden Leberresek­tionen oder -transplantationen sowie bei Verdacht auf Leberzirrhose oder Leberzellkarzinome geeignet. Sie liefert Informationen über Lage und Vaskularisation solider Tumore in der Leber und ermöglicht eine Differenzierung zwischen benignen und malignen fokalen Leberläsionen.

Enzymersatztherapeutika

Cipaglucosidase alfa
Patienten mit Morbus Pompe leiden unter einem genetisch bedingten Mangel an saurer α-Glucosidase. Zum langfristigen Enzymersatz steht seit August 2023 die modifizierte rekombinanten Form Cipaglucosidase alfa (Pombiliti®) zur Verfügung. Die Zubereitung wird bei der späten Form (late-onset Pompe disease, LOPD) in Kombination mit dem Enzymstabilisator Miglustat angewendet. Derzeit ist es fraglich, ob Cipaglucosidase alfa bei der adulten Erkrankungsform einen therapeutischen Fortschritt bedeutet. Das Substitutions­therapeutikum soll besser an den Mannose-6-Phosphat-Rezeptor auf den Zelloberflächen binden und damit rascher in die Zielzellen aufgenommen werden als das genuine Alglucosidase-alfa-Präparat. Zudem wird Cipaglucosidase alfa zusammen mit dem Stabilisator Miglustat verabreicht, was zu einem verminderten Abbau in den Blutgefäßen führt. In der zulassungsrelevanten Studie konnte bezüglich des primären Endpunkts „Verbesserung der sechs­minütigen Gehstrecke“ keine signifikante Überlegenheit gegenüber dem herkömmlichen rekombinanten Wirkstoff Alglucosidase alfa gezeigt werden.

Das rekombinante Enzym Cipaglucosidase alfa bindet aufgrund seines höheren Anteils an Mannose-6-Phosphat-Resten besser an den Mannose-6-Phosphat-Rezeptor (M6PR) auf Skelettmuskelzellen als das körpereigene Enzym α-Glucosidase. Als Folge wird es verstärkt in die Muskelzellen geschleust und in den Lysosomen aktiviert. Bei Morbus-Pompe-Patienten mit α-Glucosidase-Mangel dient Cipaglucosidase alfa als Enzymersatztherapeutikum, sodass ein effektiver Abbau von gespeichertem Glykogen erfolgt und als Folge die Erkrankungs-assoziierte Zerstörung von Muskelzellen unterbleibt.
 

Pegunigalsidase
Morbus Fabry ist eine auf einem Mangel an α-Galaktosidase A beruhende lysosomale Speicherkrankheit und führt unbehandelt zu renalen, kardialen und zerebrovaskulären Manifestationen mit Nieren- und Herzversagen sowie Schlaganfällen. Pegunigalsidase alfa (Elfabrio®) ist für eine langfristige Enzymersatztherapie bei erwachsenen Fabry-Patienten vorgesehen. Mit der Einführung der rekombinant hergestellten Enzymersatztherapeutika Agalsidase alfa oder beta ist bereits seit mehr als 20 Jahren eine kausale Behandlung möglich. Inwiefern Pegunigalsidase alfa einen weiteren therapeutischen Fortschritt bedeutet, ist offen. In der zulassungsrelevanten Studie war kein klarer Nichtunter­legenheitsnachweis gegenüber dem Standard Agalsidase beta möglich.

Olipudase alfa
Die autosomal-rezessiv vererbte Niemann-Pick-Krankheit ist mit einem Mangel des Enzyms saure Sphingomyelinase (ASMD) assoziiert. Als Folge kommt es zu einer Anreicherung von Sphingomyelin in den Lysosomen von Leber, Milz, Knochenmark und Gehirn, die zu zentralen und peripheren Ausfallserscheinungen führen. Für Manifestationen außerhalb des zentralen Nervensystems steht mit Olipudase alfa (Xenpozyme®) erstmals ein kausal wirkendes Therapeutikum zur Verfügung. Der in zweiwöchentlichen Abständen intravenös applizierte Wirkstoff ersetzt das im Organismus nicht oder fehlerhaft exprimierte Enzym, ist gut verträglich und kann zumindest bei den milderen Verlaufsformen A/B oder B die Symptomatik verbessern. In den zulassungsrelevanten Studien wurde die Lungendiffu­sionskapazität um durchschnittlich 20 bis 30% gesteigert, während Leber- und Milzvolumina um 30 bis 40% abnahmen. Olipudase alfa kann bereits unmittelbar nach der Geburt eingesetzt werden. Problematisch sind die teilweise schweren allergischen Reaktionen im Rahmen der vierzehntägig durchzuführenden Infusionen.

Herztherapeutika

Mavacamten
Erwachsene mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie können seit August 2023 mit dem selektiven Myosin-7-Inhibitor Mavacamten (Camzyos®) behandelt werden. Mit seiner völlig innovativen, unmittelbar in die Pathogenese der Erkrankung eingreifenden Wirkweise verbesserte das peroral verfügbare und gut verträgliche First-in-Class-Therapeutikum Mavacamten in den zulassungsrelevanten Phase-III-Studien die Belastungskapazität und senkte den Bedarf für eine Septum-Reduktionstherapie. Problematisch ist, dass Mavacamten maßgeblich durch CYP2C19 biotransformiert wird. Das zugehörige Gen weist Polymorphismen auf, die Einfluss auf die CYP2C19-Enzymaktivität besitzen. Um Wirk­verluste, schwere Toxizität oder gefähr­liche Interaktionen zu vermeiden, müssen das Behandlungsregime und Begleittherapien daher stets auf den individuellen CYP2C19-Phänotypus abgestimmt werden. In längerfristigen Untersuchungen wäre zu klären, wie lange die Effekte anhalten und mit welchen Auswirkungen auf Lebensqualität und Lebenserwartung zu rechnen ist.

Mavacamten Die kleinste kontraktile Einheit in einer Skelettmuskelfaser ist das Sarkomer, das aus dünnen Aktin- und dicken Myosin-Filamenten besteht. Im Rahmen der (Herz-)Muskelkontraktion interagieren Myosin- mit den Aktin-Filamenten und bilden Querbrücken aus (links). Bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie (HOCM) findet dieser Vorgang am Herzmuskel verstärkt statt, was zu einer Hyperkontraktilität während der Systole mit beeinträchtigter Relaxation in der Diastole führt (Mitte). Als selektiver Inhibitor von kardialem Myosin vermindert Mavacamten am Herzen die Bildung der Aktin-Myosin-Querbrücken. Es wird die Hyperkontraktilität in der linken Herzkammer reduziert und der Füllungsdruck des Herzens aufgrund einer verbesserten Relaxation während der Diastole gesteigert (rechts).

Hämophilie-Therapeutika

Eptacog beta
Bei Patienten mit Hämophilie A oder B besteht das Risiko der Bildung neutralisierender Antikörper gegen die im Rahmen von Substitutionstherapien von außen zugeführten Gerinnungsfaktoren VIII oder IX. Eptacog beta (Cevenfacta®) enthält den rekombinanten Gerinnungsfaktor VIIa und ist zur Behandlung von Blutungsepisoden und zur Prävention von Blutungen bei Operationen oder invasiven Eingriffen indiziert. Bislang wurden Bypass-Präparate auf Basis der Gerinnungsfaktoren VII bzw. VIIa (Eptacog alfa) verwendet. So ist es möglich, das Fehlen der Faktoren VIII oder IX der intrinsischen Gerinnungskaskade zu umgehen und über die extrinsische Kaskade eine Blutstillung zu erreichen. Das neue VIIa-Präparat Eptacog beta unterscheidet sich vom älteren Eptacog alfa nur durch ein abweichendes Glykosylierungsprofil, was in Teilen dem des humanen Faktor VIIa ähnlich ist.

Etranacogen Dezaparvovec
Bei Unfällen oder bei Operationen besteht für Hämophilie-B-Patienten trotz regelmäßiger Faktor-IX-Substitutionstherapie die Gefahr lebensbedrohlicher Durchbruchblutungen. Außerdem ist die lebenslänglich in kurzen Abständen erforderliche intravenöse Applikation für Betroffene mitunter sehr belastend. Etranacogen Dezaparvovec (Hemgenix®) gilt als erstes Gentherapeutikum zur Hämophilie-B-Therapie nach derzeitigem Wissen als erheblicher therapeutischer Fortschritt. Als ge­netischer Vektor dient ein Adeno-assoziiertes Virus Serotyp 5 (AAV5), das eine geringfügig abgewandelte DNA-Sequenz des menschlichen Gerinnungsfaktors IX enthält. Das Präparat muss nur einmalig verabreicht werden. In der zulassungsrelevanten klinischen Studie konnte die jährliche mediane Blutungsrate von 4,2 auf 1,5 Episoden reduziert werden. Im Beobachtungszeitraum von bis zu zwei Jahren benötigten 96% der Studienteilnehmer keine Faktor-IX-Substitution mehr. Für eine endgültige Einordnung, insbesondere zur Wirkdauer, sind längerfristige Untersuchungen abzuwarten.

Immunsuppressiva

Anti-T-Lymphozytenglobulin
Eine aplastische Anämie ist eine hypozelluläre Störung der Knochenmarkfunktion, die mit einem absoluten Mangel an Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten einhergeht. Das Präparat Atgam® mit equinem Anti-Human-T-Lymphozyten-Immunglobulin ist für Erwachsene und Kinder ab zwei Jahren mit erworbener moderater bis schwerer aplastischer Anämie vorgesehen. Atgam® besteht aus Antikörpern, die eine Vielzahl unterschied­licher Proteine auf der Oberfläche von Lymphozyten binden. Als primärer Wirkmechanismus wird eine Depletion von zirkulierenden Lymphozyten, insbesondere von T-Lymphozyten, vermutet, die durch eine komplementabhängige Lyse und/oder eine aktivierungsinduzierte Apoptose ausgelöst werden soll. Equines Anti-Human-T-Lymphozyten-Immunglobulin in Kombination mit Ciclosporin gilt ohnehin seit Jahren für Aplastische-Anämie-Patienten ohne Möglichkeit einer Stammzelltransplantation als Therapie der Wahl. Daher ist es umso erfreulicher, dass die auch „Anti-Thymozyten-Globulin vom Pferd“ genannte Zubereitung nun in Deutschland als Fertigpräparat zugelassen wurde.

Deucravacitinib
Deucravacitinib (Sotyktu®), ein peroral verfügbarer Inhibitor der Januskinase TYK2 (Non-Receptor Tyrosine-Protein Kinase 2), wird bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis angewendet. Er wird nach derzeitigem Kenntnisstand nur bedingt als therapeutischer Fortschritt eingestuft. Über die Blockade des Enzyms TYK2 aus der Familie der Januskinasen werden Signalkaskaden ausgeschaltet, die durch die Interleukine 23 und 12 (IL-23 und IL-12) sowie Typ-1-Interferone ausgelöst werden und maßgeblich an der Psoriasis-Pathogenese beteiligt sind. In den zulassungsrelevanten Studien war Deucravacitinib dem Standardtherapeutikum Apremilast signifikant überlegen. Bei 55% der Teilnehmer konnte eine mindestens 75%ige Reduktion des Psoriasis-Area-Severity-Index-(PASI-)Scores erreicht werden, bei etwa 12% der Patienten ein völliges Verschwinden der Psoriasis-Symptomatik. Ein gewisser Vorteil von Deucravacitinib ist, dass es peroral verfügbar ist.

Deucravacitinib Die Zytokine Interleukin 23 und 12 sowie Typ-1-Interferone (IFN) bewirken durch Andocken an den entsprechenden Rezeptor die Phosphorylierung von STAT-Proteinen (Signaltransduktoren und Aktivatoren der Transkription) durch Januskinasen (JAK). Die phosphorylierten dimeren STAT-Proteine stimulieren nun ihrerseits die Replikation spezifischer Zielgene im Zellkern. Der Inhibitor der Januskinase TYK2 (Non-receptor Tyrosine-Protein Kinase 2) Deucravacitinib führt zu einer reduzierten Phosphorylierung von STAT-Proteinen und unterbindet die Aktivierung des nachgeschalteten Signalwegs mit Beteiligung von TYK2. Als Folge wird bei Patienten mit Plaque-Psoriasis eine Verbesserung der Erkrankungssymptomatik erreicht. JAK* steht für die Januskinasen JAK1 oder JAK2.
 

Mirikizumab
Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa, die auf eine konventionelle Therapie oder eine Biologika-Behandlung unzureichend angesprochen haben, können mit dem Interleukin-23-Inhibitor Mirikizumab (Omvoh®) behandelt werden. Das Immunsuppressivum wird initial intravenös verabreicht, die Erhaltungstherapie kann subkutan mit Fertigpens bzw. -spritze erfolgen. Der Wirkmechanismus ist nicht neu. Auch Guselkumab, Risankizumab und Tildrakizumab wirken über die Inaktivierung des IL-23-Signalwegs, allerdings sind diese Wirkstoffe derzeit ausschließlich bei Plaque-Psoriasis und/oder Psoriasis-Arthritis vor­gesehen. In den zulassungsrelevanten Studien sprach etwa ein Viertel der Behandelten auf die Mirikizumab-Induktionstherapie an. Von diesen Respondern konnte in der Erhaltungsphase bei etwa der Hälfte eine über mindestens ein Jahr anhaltende klinische Remission erreicht werden, im Vergleich zu 25% unter Placebo-Gabe. Es sind jedoch weitere Untersuchungen zur Langzeitsicherheit und -wirksamkeit erforderlich. Insbesondere sollte die potenzielle Assoziation des IL-23-Antikörpers mit der verstärkten Entwicklung von Tumorerkrankungen betrachtet werden.

Ritlecitinib

Ritlecitinib
Als Ursache einer Alopecia areata wird eine genetisch bedingte Störung des Immunsystems vermutet, die zu einer Anreicherung von Entzündungszellen im Bereich der Haarzwiebeln führt. Die Wirkung des peroral verfügbaren Immunsuppressivums Ritlecitinib (Litfulo®) beruht auf einer irreversiblen Hemmung der Januskinase JAK3 und der Tyrosin-Proteinkinasen-Familie TEC. Es ist für Erwachsene und Jugendliche ab einem Alter von zwölf Jahren vorgesehen, die unter einer schweren Form des „kreisrunden Haarausfalls“ leiden. In der zulassungsrelevanten Studie erreichte etwa ein Viertel der Teilnehmer nach 24 Wochen eine mindestens 80%ige Bedeckung der Kopfhaut, die Hälfte berichtete eine mittlere bis starke Verbes­serung ihres Zustands und ihrer Lebensqualität. Direkt vergleichende Untersuchungen mit dem ausschließlich für Erwachsene mit schwerer Alopecia areata indizierten JAK1/2-Inhibitor Baricitinib wären wünschenswert. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf mit der JAK-Inhibition assoziierte Risiken wie schwere Infektionen, kardiovaskuläre Ereignisse, maligne Erkrankungen, thrombotische Ereignisse sowie eine erhöhte Gesamtsterblichkeit zu richten.

Spesolimab
Erwachsene mit Schüben einer generalisierten pustulösen Psoriasis können seit Februar 2023 mit Spesolimab (Spevigo®) behandelt werden. Der Antikörper wird im Bedarfsfall als Monotherapeutikum einmalig intravenös appliziert und ist gegen den Interleukin-36-Rezeptor gerichtet, der an der Pathogenese der autoinflammatorischen generalisierten pustulösen Psoriasis beteiligt ist. Es ist die erste kausale Behandlungsoption. In der zulassungsrelevanten Studie kam es bei mehr als der Hälfte der Behandelten innerhalb von einer Woche zu einem vollständigen Abheilen der schmerzhaften Pusteln. Spesolimab könnte auch für die Behandlung weiterer autoinflammatorischer Erkrankungen infrage kommen. Derzeit laufen Studien zum Einsatz bei Morbus Crohn, atopischer Dermatitis und Hidradenitis suppurativa. Für die Therapie von Colitis ulcerosa oder Pustulosis palmoplantaris liegen bereits vielversprechende erste Ergebnisse vor.

Sutimlimab
Das Antikörper-Präparat Sutimlimab (Enjaymo®) ist für Erwachsene mit hämolytischer Anämie aufgrund einer Kälteagglutinin-Krankheit vorgesehen. Im Rahmen der Pathogenese binden Autoantikörper bei Erniedrigung der Körpertemperatur oder auch im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten an das I-Antigen von Erythrozyten, vernetzen diese und lösen über eine Aktivierung der klassischen Komplementkaskade eine überwiegend extravasale Hämolyse aus. Als Folge kommt es zu Anämien und einem erhöhten Risiko für potenziell tödlich verlaufende thromboembolische Ereignisse. Sutimlimab stellt einen relevanten therapeutischen Fortschritt für betroffene Patienten dar und gilt als „First-in-Class“-Therapeutikum. Der Antikörper ist gegen die Serinprotease-Untereinheit des Komplementfaktors C1 gerichtet und bewirkt eine Hemmung des klassischen Komplementwegs. Das somit kausal wirkende Sutimlimab führt zu einer sehr raschen und nahezu vollständigen Blockade dieses pathologisch aktivierten Teils der Komplementkaskade. Als Folge werden die Hämolyse und das Voranschreiten der Kälteagglutinin-Krankheit gestoppt, während die alternative und die Lektin-induzierte Komplementaktivierung, und damit wichtige Elemente der Immunabwehr, nahezu erhalten bleiben.

Der IgG4-Antikörper Sutimlimab ist selektiv gegen die Untereinheit C1s des Komplementfaktors C1 gerichtet. Als Folge wird die Aktivität dieser C4-spaltenden Serinprotease gehemmt und der bei Kälteagglutinin-Krankheit überaktive klassische Komplementweg blockiert. Somit unterbleibt bei den Patienten die Zerstörung von Erythrozyten und damit die verstärkte extravaskuläre Hämolyse. Die Aktivität des Lektin- und des alternativen Aktivierungswegs des Komplementsystems wird von Sutimlimab nicht gehemmt. Der als Notfallmedikament bei hämolytischen Krisen einsetzbare C5-Antikörper Eculizumab inhibiert lediglich die intravaskuläre Hämolyse.


Voclosporin
Bei Erwachsenen mit aktiver Lupus-Nephritis der Klassen III, IV oder V ist der Calcineurin-Inhibitor Voclosporin (Lupkynis®) einsetzbar. Das Immunsuppressivum ist peroral verfügbar und wird derzeit stets in Kombination mit dem Immunsuppressivum Mycophenolat-Mofetil angewendet. Voclosporin ist die erste zugelassene Behandlung für das Krankheitsbild. In der zulassungsrelevanten klinischen Studie wurde durch Voclosporin in Kombina­tion mit Mycophenolat-Mofetil im Vergleich zur alleinigen Behandlung mit diesem Purin-Synthese-Hemmer eine hochsignifikante Stabilisierung der Nierenfunktion und eine Verbesserung der Proteinurie erreicht, die auch über bis zu drei Jahre nahezu erhalten blieb. Zudem war eine Einsparung von Corticosteroiden möglich. In längeren Untersuchungen sollte geprüft werden, bei wie vielen Patienten letztlich eine Dialysepflicht oder Nierentransplantation vermieden werden kann. Weiterhin wäre zu testen, ob mit Voclosporin auch als Monotherapie gute Resultate erzielt werden können, vor allem weil der Kombinationspartner Mycophenolat-Mofetil nicht während der Schwangerschaft eingesetzt werden darf.

Hormonersatztherapeutika

Lonapegsomatropin
Bei etwa einem von 4000 bis 10.000 Kindern bestehen Wachstumsstörungen aufgrund einer unzureichenden Ausschüttung des körpereigenen Wachstumshormons Somatropin. Die Betroffenen sind proportioniert kleinwüchsig mit einem verzögerten Knochenalter. Seit vielen Jahren stehen Injektionszubereitungen mit rekombinant erzeugtem Somatropin zur kausalen Therapie zur Verfügung. Damit wird die Bildung des insulinähnlichen Wachstumsfaktors 1 (Insulin-like Growth Factors 1, IGF-1) in der Leber stimuliert, der die Zellteilung in den Knorpelschichten der Wachstumsfugen fördert. Ein Nachteil der Somatropin-Behandlung ist, dass die Kinder bis zum Verschluss der Epiphysenfugen eine einmal tägliche Injektion benötigen. Dieses Problem wird bei dem seit September 2023 verfügbaren, nur einmal wöchentlich anzuwendenden Lonapegsomatropin (Skytrofa®) deutlich verringert.

Somapacitan
Anders als Lonapegsomatropin ist das weitere Wachstumsfaktor-Präparat Somapacitan (Sogroya®) nicht nur zur Substitutionstherapie bei Kindern und Jugendlichen ab drei Jahren sondern auch für Erwachsene mit einem Wachstumshormonmangel indiziert. Neben dem Fortbestehen eines kind­lichen Wachstumshormon-Mangels kommen bei den Erwachsenen Tumore der Hypophysen sowie schwere Schädel-Hirn-Verletzungen als häufigste Ursachen infrage. Somapacitan muss ebenfalls nur einmal wöchentlich injiziert werden und hat sich in klinischen Untersuchungen gegenüber dem genuinen Hormon Somatropin als nahezu ebenbürtig erwiesen. Direkt vergleichende Studien mit Somapacitan und den beiden weiteren langwirksamen Somatropin-Analoga Lonapeg­somatropin und auch Somatrogon sind derzeit nicht verfügbar.

Impfstoffe

Dengue-Impfstoff
2019 erklärte die WHO die Dengue-Virus-Infektion zu einer der zehn größten Bedrohungen der Weltgesundheit. Aufgrund der vier Dengue-Virus-Serotypen ist eine mehrfache Infektion möglich. Insbesondere bei wiederholter Erkrankung ist der Verlauf schwerer, es muss mit potenziell tödlichen Blutungen und Organschäden gerechnet werden. Erwachsene und Kinder ab vier Jahren können nun mit dem tetravalenten Präparat Qdenga® eine vorbeugende Impfung gegen Dengue-Virus-Infektionen erhalten. Nach zweimaliger Applikation des attenuierten Lebendimpfstoffs im Abstand von drei Monaten wird innerhalb von etwa 30 Tagen ein nach derzeitigem Kenntnisstand über mindestens viereinhalb Jahre anhaltender Schutz erreicht. In der zulassungsrelevanten Studie hat sich der Dengue-Virus-Impfstoff mit einer Reduktion des Erkrankungs- und Hospitalisierungs-Risikos von mehr als 80% bzw. 90% gegenüber der Placebo-Gabe als hochsignifikant überlegen und gut verträglich erwiesen. Von großem Vorteil ist, dass die Impfung ohne Test auf eine Dengue-Virus-Vorerkrankung durchgeführt werden darf und bereits für Kinder ab vier Jahren sowie für Erwachsene ohne Altersbegrenzung geeignet ist. Das ist ein großer Gewinn für Bewohner der endemischen Gebiete, aber auch für Reisende.

RSV-Impfstoffe
Infektionen durch das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) betreffen in erster Linie die Atemwege. Insbesondere bei Kindern unter zwei Jahren und älteren Menschen muss mit schweren Verläufen und teilweise lebensbedrohlichen Lungenentzündungen gerechnet werden. 2023 sind mit Arexvy® und Abrysvo® zwei Aktiv-Impfstoffe auf dem deutschen Markt eingeführt worden. Die Wirkung wird bei beiden über das virale Fusionsprotein vermittelt, mit dessen Hilfe das Virus in die Körperzellen eindringt. Das adjuvantierte Arexvy® ist für Patienten ab 60 Jahren vorge­sehen und enthält als Antigen eine gentechnisch hergestellte, veränderte Version des Fusionsproteins in einer stabilisierten Präfusionskonfirmation. In der zulassungsrelevanten Studie konnte bei den Geimpften das Risiko für RSV-assoziierte untere Atemwegsinfekte um 83% reduziert werden. Die Risikoreduktion für schwere Verläufe lag sogar bei 94%. Ähnlich wie Arexvy® enthält der Impfstoff Abrysvo® Anti­gene, allerdings in Form von zwei rekombinanten stabilisierten RSV-Präfusions-F-Antigenen der RSV-Untergruppen A und B. Die Zubereitung ist für eine aktive Immunisierung von Erwachsenen ab einem Alter von 60 Jahren vorgesehen. In der Zulassungsstudie mit über 34.000 Teilnehmern war das Risiko einer RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege um 67% geringer als bei Patienten, die eine Placebo-Injektion erhielten. Eine weitere Indikation von Abrysvo® ist der passive Infektionsschutz von Säuglingen ab der Geburt bis zum Alter von sechs Monaten. Die Zubereitung wird allerdings nicht den Kindern selbst, sondern einmalig in den Schwangerschaftswochen 24 bis 36 bei den zugehörigen Müttern appliziert. Im Rahmen des Nestschutzes kommt es zu einer Übertragung von RSV-neutralisierenden Antikörpern, sodass Neugeborene bereits unmittelbar nach der Geburt geschützt sind.

Nirsevimab

Der Passiv-Impfstoff Nirsevimab (Bey­fortus®) ist zur Prävention von RSV-assoziierten Erkrankungen der unteren Atemwege bei Neugeborenen, Säug­lingen und Kleinkindern vorgesehen. Das gut verträgliche Immunglobulin-Präparat mit gegen das RSV-Fusionsprotein gerichteten Antikörpern dient zur Immunisierung der Kinder während der ersten RSV-Saison ihres Lebens. In zwei Zulassungsstudien erwies sich Nirsevimab bei einer Wirksamkeit von 70 bis 80% gegenüber Placebo als signifikant überlegen. Aber auch im Vergleich zum Standardtherapeutikum Palivizumab zeigte sich ein Vorteil für den neuen Antikörper. Palivizumab ist ebenfalls gegen das Fusionsprotein gerichtet, aber im Gegensatz zu Nirsevimab nur für vorerkrankte Kinder zugelassen. Ein weiterer Pluspunkt für das besonders langwirksame Nirsevimab ist, dass es anders als Palivizumab nur einmalig verabreicht wird, während Palivizumab während der RSV-Saison einmal im Monat injiziert werden muss, was eine erhöhte Belastung für die Kinder bedeutet. Zukünftig sollte geprüft werden, ob eine wiederholte Anwendung von Nirsevimab, beispielsweise bei gefährdeten Kindern im zweiten Lebensjahr, von Nutzen sein könnte.

Ophthalmika

Faricimab
Der sowohl gegen Angiopoietin 2 (Ang-2) als auch den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor A (VEGF-A) gerichtete bispezifische Antikörper Faricimab (Vabysmo®) wird zur Behandlung der neovaskulären (feuchten) altersabhängigen Makuladegeneration oder einer Visus-Beeinträchtigung infolge eines diabetischen Makulaödems eingesetzt. Bei den Betroffenen kann eine signifikante Verbesserung der Sehschärfe erreicht werden. Faricimab stellt jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand gegenüber den bereits etablierten VEGF-A-Inhibitoren Brolucizumab und Ranibizumab sowie dem VEGF-A/B- und PIGF-(Plazentawachstumsfaktor-)Inhibitor Aflibercept allenfalls einen mäßiggradigen therapeutischen Fortschritt dar. In klinischen Studien hat sich die Substanz Aflibercept als ebenbürtig, jedoch nicht als überlegen gezeigt. Der Wirkmechanismus von Faricimab ist insofern innovativ, als der Antikörper nicht nur gegen VEGF-A, sondern auch gegen das ebenfalls an der Pathogenese beteiligte Angiopoietin 2 (Ang-2) gerichtet ist.

Netarsudil
Der Rho-Kinasen-Inhibitor Netarsudil ist zur Behandlung von Erwachsenen mit primärem Offenwinkelglaukom oder okulärer Hypertension indiziert, bei denen eine Monotherapie mit einem Prostaglandin oder Netarsudil nicht ausreichend den Augeninnendruck senken kann. In Deutschland wird der Wirkstoff im topisch einzusetzenden Präparat Roclanda® in Fixkombination mit dem Prostaglandin-F2α-Analogon Latanoprost angewendet. Netarsudil weist einen völlig innovativen Wirkmechanismus auf. In klinischen Studien war es in Kombination mit Latanoprost gegenüber den Einzelsubstanzen signifikant überlegen. Bei etwa 58% der Teilnehmer aus der Verum-Gruppe konnte der Augeninnendruck unter 16 mmHg gesenkt werden, im Vergleich zu 37% unter Latanoprost allein. Netarsudil ist seit November 2019 auch in Form des Monopräparats Rhokiinsa® in der EU zugelassen. Die Entscheidung, den Wirkstoff in Deutschland mit dem Präparat Roclanda® in fixer Kombination mit dem synergistisch wirkenden Prostaglandin-Analogon auf den Markt zu bringen, ist nachvollziehbar. In klinischen Studien war der Rho-Kinase-Inhibitor als Einzelsubstanz den Standardtherapeutika Latanoprost oder Timolol unterlegen.

Sedativa

Daridorexant
Daridorexant (Quviviq®) wird bei Erwachsenen mit Schlafstörungen ein­gesetzt, deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und bei denen die Leistungsfähigkeit am Folgetag stark beeinträchtigt ist. Inwiefern der Wirkstoff einen therapeutischen Fortschritt darstellt, ist derzeit offen. Daridorexant besitzt einen völlig innovativen und ursächlichen Wirk­mechanismus. Als dualer Ant­agonist an Orexin-1- und -2-Rezeptoren führt die rasch anflutende Substanz zu einer Normalisierung von überaktiven Wachheitssignalen im Gehirn. Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen und Z-Substanzen findet keine allgemeine Hemmung der Gehirnaktivität statt. In den zulassungsrelevanten Studien wurde vor allem durch die höheren 50-mg-Dosis eine signifikante Verbesserung des objektiven und subjektiven Ein- und Durchschlafens sowie der Leistungsfähigkeit am Folgetag gezeigt. Von Vorteil ist, dass Daridorexant nach derzeitigem Kenntnisstand weder Hangover-Effekte, Dyspnoe noch eine relevante körperliche Abhängigkeit auslöst. Ein Problem stellen jedoch die gelegentlich auftretenden Daridorexant-assoziierten Schlafparalysen dar, bei denen sich der Patient bis zu mehrere Minuten während des Schlaf-wach-Übergangs nicht bewegen oder nicht sprechen kann. Insbesondere in den ersten Wochen der Behandlung sind Halluzinationen und Kataplexien möglich. Ob diese Ereignisse in Kauf genommen werden, muss jeder individuell entscheiden.

Daridorexant Die beiden Varianten des Neuropeptids Orexin A und B werden von Nervenzellen des Hypothalamus gebildet. An postsynaptisch lokalisierten, G-Protein-gekoppelten Orexin-Rezeptoren OX1R und OX2R von zentralen Neuronen wirken sie als Agonisten und fördern die Wachheit (links), wobei Orexin A Affinität zu beiden Rezeptor-Subtypen aufweist, während Orexin B ausschließlich an OX2R bindet. Daridorexant wirkt an beiden Rezeptor-Subtypen als Antagonist und unterbindet deren Aktivierung durch die körper­eigenen Orexine A und B. Bei Insomnie-Patienten kann somit die Wachheit reduziert und das Einschlafen erleichtert werden (rechts).

Therapeutika bei Stoffwechselstörungen

Evinacumab
Für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren mit homozygoter familiärer Hypercholesterolämie steht seit September 2023 der Wirkstoff Evinacumab (Evkeeza®) zur Verfügung. Die Betroffenen weisen Blut-Cholesterol-Werte auf, die trotz hochdosierter Behandlung mit normalerweise effektiven Standardtherapeutika weit außerhalb des angestrebten Bereichs liegen. Der Antikörper Evinacumab ist gegen das Lipidregulatorprotein Angiopoietin-Like Protein 3 (ANGPTL3) gerichtet und wird als Add-on-Therapeutikum zur Senkung des Low-Density-Lipoprotein-(LDL-)Cholesterol-Spiegels eingesetzt. Für die bereits im Kindes- und Jugendalter akut gefährdeten Patienten stellt der neue Antikörper mit innovativem Wirkmechanismus einen bedeutenden therapeutischen Fortschritt dar. In der zulassungsrelevanten Studie mit bislang als austherapiert geltenden Teilnehmern kam es durch Evinacumab als Add-on-Therapeutikum im Vergleich zu Placebo zu einer anhaltenden Halbierung der LDL-Cholesterol-Spiegel. Das Angiopoietin-Like Protein 3 (ANGPTL3) ist ein körpereigener Inhibitor der Enzyme Lipoproteinlipase und endotheliale Lipase, der die Auflösung von Triglycerid-reichen Lipoproteinen unterbindet. Der Antikörper Evinacumab bindet spezifisch an ANGPTL3 und hebt dessen Wirkung auf, sodass die Aktivität der Enzyme Lipoproteinlipase und der endothelialen Lipase erhöht wird.

Lonafarnib
Die durchschnittliche Lebenserwartung von Patienten mit vorzeitiger Alterung aufgrund des sehr seltenen Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndroms und weiteren progeroiden Laminopa­thien mit Verarbeitungsfehlern im Zusammenhang mit einer heterozygoten Lamin-A(LMNA)-Mutation liegt bei etwa 15 Jahren. Hauptursache des frühen Todes sind die Folgen der vaskulären Entzündungen und Fibrosen, die zu Arteriosklerose und Herzinsuffizienz führen. Betroffene ab einem Alter von zwölf Monaten können nun mit dem kausal wirkenden Lonafarnib (Zokinvy®) behandelt werden. Die Substanz hat einen völlig innovativen Wirkmechanismus und verhindert, dass sich das aufgrund von Mutation verkürzte farnesylierte Progerin innerhalb der Zellkernhülle ansammelt. Auf diese Weise ist es möglich, das Fortschreiten der Erkrankung in gewissem Maße aufzuhalten. In den zulassungsrelevanten klinischen Studien konnte ein Gewinn an Lebenszeit von immerhin einigen Jahren erreicht werden, eine Heilung ist allerdings nicht zu erwarten. In zukünftigen Unter­suchungen sollte geprüft werden, ob ein noch frühzeitigerer Einsatz von Lonafarnib, bereits vor Erreichen des ersten Geburtstags, von Nutzen ist. Offenbar profitieren insbesondere jüngere Patienten von der neuen Medikation.

Tirzepatid
Agonisten des am Rezeptor des Glukagon-ähnlichen Peptids 1 (Glucagon-like peptide-1, GLP-1) wie Dulaglutid, Liraglutid und Semaglutid haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten als effektive blutzuckersenkende Arzneistoffe mit geringem Hypoglykämie-Risiko etabliert. Derzeit ist davon auszugehen, dass der neue Wirkstoff Tirzepatid für Patienten mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes einen weiteren therapeutischen Fortschritt bedeutet. Durch die zum GLP-1-Agonismus hinzukommende agonistische Wirkung am Rezeptor des Glucose-abhängigen insulinotropen Polypeptids (GIP) können metabolische Stoffwechselwege im Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel simultan beeinflusst werden. In den zulassungsrelevanten klinischen Studien hat sich Tirzepatid gegenüber Semaglutid, dem bisherigen Favoriten aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten, über­legen gezeigt. Nach Applikation von 15 mg Tirzepatid wurde eine Senkung des HbA1c-Werts um durchschnittlich 2,5 Prozentpunkte erreicht, unter Semaglutid waren es 1,9 Prozentpunkte. Zudem geht man davon aus, dass Tirzepatid in Deutschland eine baldige Zulassungserweiterung als Antiadipositas-Therapeutikum erhält. Klinische Studien deuten darauf hin, dass Tirzepatid das Körpergewicht stärker als Semaglutid senkt.

Tirzepatid Die körpereigenen Hormone Glukagon-ähnliches Peptid 1 (GLP-1) und Glucose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) beeinflussen insbesondere Funktionen des Pankreas, des Magens und des Gehirns. Als dualer GLP-1/GIP-Agonist imitiert Tirzepatid die Wirkungen der Peptidhormone und führt bei Diabetes Typ 2 zu einer verbesserten Blutzuckerkontrolle sowie zur Gewichtsabnahme.

Therapeutika für hämato­logische Malignome

Ciltacabtagen Autoleucel
Die Prognose von Patienten mit multiplem Myelom, die bereits gegen eine Behandlung mit CD38-Antikörpern, Immunmodulatoren und Proteasom-Inhibitoren refraktär sind, ist extrem schlecht. Für deren Behandlung steht seit Februar 2023 das CAR-T-Zell-Präparat der zweiten Generation Ciltacabtagen Autoleucel (Carvykti®) zur Verfügung. Die für jeden Patienten indi­viduell hergestellte „lebende“ Immunzell-Therapie auf Basis autologer T-Zellen ist gegen das auf Myelom-Zellen exprimierte B-Zell-Reifungs­antigen (B-Cell Maturation Antigen, BCMA) gerichtet und hat in klinischen Studien noch bessere Erfolge als das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Belantamab-Mafodotin und das weitere CAR-T-Zell-Präparat Idecabtagen Vicleucel, das ebenfalls BCMA als Target besitzt, erreicht. Unter Ciltacabtagen Autoleucel zeigten nach eineinhalb Jahren mit etwa 98% nahezu alle der Behandelten ein gutes Ansprechen, bei 80% der Patienten konnte eine vollständige Response erreicht werden. Auch wenn direkte Vergleiche und belastbare Langzeitdaten derzeit noch fehlen, ist die Entwicklung von Ciltacabtagen Autoleucel nach derzeitigem Kenntnisstand als großer Gewinn für Patienten mit multiplem Myelom zu verbuchen.

Epcoritamab
Der bispezifische CD20/CD3-Anti­körper Epcoritamab (Tepkinly®) ist für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom (Diffuse Large B-Cell Lymphoma, DLBCL) vorgesehen. Der IgG1-Antikörper besitzt zwei Antigen-bindende Domänen, wovon eine gegen das transmembranäre Phosphoprotein CD20 auf B-Zellen gerichtet ist. Die andere Domäne bindet an den auf polyklonalen T-Lymphozyten vorkommenden CD3-Rezeptor. Durch die Verbindung der drei Elemente – B-Zellen, Epcoritamab und polyklonale T-Zellen – nähern sich malige B-Zellen und zytotoxische T-Zellen an und es bildet sich eine immunologische Synapse. Die Substanz bedeutet für die Patienten mit sehr schlechter Prognose eine neue Hoffnung. In der zulassungsrelevanten Studie erwies sich Epcoritamab bei den stark vorbehandelten Teilnehmern als sehr effektiv. Bei mehr als 60% der Studienteilnehmer kam es zu einem Ansprechen auf die Behandlung, 39% erreichten eine vollständige Response. Sogar Patienten mit vorangegangener CAR-T-Zell-Therapie profitierten von der neuen Behandlungs­option. Epcoritamab wird aktuell für den Einsatz bei verschiedenen anderen B-Zell-Lymphomen, teilweise sogar als Erstlinien-Therapeutikum, geprüft.

Glofitamab
Ähnlich wie bei Epcoritamab beruht auch die Wirkung des bidirektionalen Antikörpers Glofitamab auf einer Umlenkung der T-Zell-Zytotoxizität durch die Bildung einer immunologischen Synapse über das CD3-Oberflächenprotein. Anders als Epcoritamab besitzt der IgG1-Antikörper Glofitamab nicht nur zwei sondern insgesamt drei Antigen-bindende Domänen, wovon zwei gegen das transmembranäre Phosphoprotein CD20 auf B-Zellen gerichtet sind. Die verbleibende Domäne bindet an den auf polyklonalen T-Lymphozyten vorkommenden CD3-Rezeptor. Als Folge wird eine Annäherung von umprogrammierten zytotoxischen T-Zellen und malignen B-Zellen erreicht. Die Zielgruppe von Glofitamab sind erwachsene Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL). Die Substanz wird derzeit als Monotherapeutikum nach Vorbehandlung mit dem reinen CD20-Antikörper Obinutuzumab eingesetzt. In der zulassungsrelevanten Studie erwies sich Glofitamab bei den praktisch austherapierten Patienten als sehr effektiv. Bei 50% der Studienteilnehmer kam es zu einem Ansprechen auf die Behandlung, 35% erreichten eine vollständige Response, die bei 75% dieser Gruppe über mindestens ein Jahr anhielt. Wie schon unter Epcoritamab profitierten auch Patienten mit vorangegangener CAR-T-Zell-Therapie von der neuen Behandlungsoption Glofitamab.

Ivosidenib
Bei etwa jedem zehnten Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) liegt eine Mutation des Enzyms Iso­citrat-Dehydrogenase 1 (IDH1) vor, die letztlich zu einer verstärkten Bildung eines tumorbegünstigenden Metaboliten führt. Patienten mit neu diagnostizierter AML und IDH1-R132-Mutation, die für eine Standard-Induktionschemotherapie nicht geeignet sind, können seit Juli 2023 mit dem IDH1-Inhibitor Ivosidenib (Tibsovo®) in Kombination mit dem Nucleosid-Analogon Azacitidin behandelt werden. Auch für bereits vorbehandelte Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Cholangiokarzinom und derselben IDH1-Mutation ist Ivosidenib, allerdings als Monotherapeutikum, geeignet. In den beiden zulassungs­relevanten Phase-III-Studien konnte bei AML-Patienten durch Ivosidenib und Azacitidin gegenüber der Azacitidin-Monotherapie eine signifikante Verlängerung der ereignisfreien Überlebenszeit erreicht werden. Die mediane Gesamtüberlebenszeit war unter dem IDH1-Inhibitor mit 24 vs. acht Monaten verdreifacht. Ähnliches wurde auch bei Patienten mit Gallengangskarzinom nachgewiesen, allerdings war der absolute Gewinn an Lebenszeit mit Medianwerten von zehn vs. acht Monaten bei den bereits stärker vorbehandelten Patienten mit ohnehin schlechterer Prognose nicht so deutlich.

Ivosidenib Die Isocitrat-Dehydrogenase katalysiert im Citratzyklus die oxidative Decarboxylierung von Isocitrat zu α-Ketoglutarat. Dieses wird bei Tumorpatienten mit mutierter Isocitrat-Dehydrogenase 1 vermehrt zum Onkometaboliten 2-Hydroxyglutarat reduziert. Der Wirkstoff Ivosidenib ist ein Hemmstoff des veränderten Enzyms und unterbindet die übermäßige Entstehung von 2-Hydroxyglutarat. Als Folge werden onkogene Prozesse wie DNA-Methylierung, beschleunigte Zellteilung und damit die Tumorentstehung gehemmt.
 

Loncastuximab Tesirin
Bei maligne entarteten B-Zellen findet meist eine Überexpression des CD19-Oberflächenproteins statt. Diese Tat­sache macht man sich bei der Therapie mit dem Wirkstoff Loncastuximab Tesirin (Zynlonta®) zunutze. Hierbei handelt es sich um ein Konjugat aus dem auf CD19 abzielenden monoklonalen IgG1-Kappa-Antikörper Loncastuximab und dem niedermolekularen Alkylans Tesirin, einem Pyrrolobenzodiazepin-Dimer. Nach hochspezifischer Bindung an CD19 wird das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat in die Zelle internalisiert, wo Tesirin nach proteolytischer Spaltung freigesetzt wird. Im Zellkern bindet das Alkylans an die kleine Furche der DNA und bildet kovalente Bindungen zwischen den DNA-Strängen aus. Als Folge wird bei den betroffenen B-Zellen der Zelltod induziert. Loncastuximab Tesirin wird als Monotherapeutikum zur Behandlung des rezidivierten oder refraktären diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (Diffuse Large B-Cell Lymphoma, DLBCL) und des hochmalignen B-Zell-Lymphoms (High-Grade B-Cell Lymphoma, HGBL) eingesetzt. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat kann nach derzeitigem Kenntnisstand für bereits stark vorbehandelte Lymphom-Patienten durchaus als therapeutischer Fortschritt eingestuft werden. In der Zulassungsstudie zeigte nahezu die Hälfte der Teilnehmer eine Response auf die Behandlung. Bei etwa einem Viertel der Patienten wurde sogar ein vollständiges Verschwinden der Symptome verzeichnet.

Talquetamab
Der G-Protein-gekoppelte Rezeptor (G-protein coupled receptor family C group 5 member D) GPRC5D wird insbesondere auf CD138-positiven maligne entarteten Zellen im Knochenmark von Patienten mit multiplem Myelom, jedoch allenfalls minimal auf gesunden B-Zellen und B-Zell-Vorläufern, exprimiert. Ähnlich wie das B-Zell-Reifungsantigen gilt GPRC5D somit als gut geeignetes Target für die Behandlung des multiplen Myeloms. So ist der bispezifische Antikörper Talquetamab (Talvey®) gegen GPRC5D und das Oberflächenprotein CD3 auf zytotoxischen T-Zellen gerichtet. Die Substanz wird derzeit bei Erwachsenen mit nach mindestens drei hocheffektiven Therapieregimen rezidiviertem oder refraktärem multiplem Myelom eingesetzt. Die Wirkung beruht auf der Bildung einer immunologischen Synapse, sodass durch umprogrammierte T-Zellen eine gezielte Zerstörung von CPRC5D-positiven Zellen herbeigeführt werden kann. In der Zulassungsstudie sprachen etwa 73% der mindestens dreifach vorbehandelten Patienten auf die Medikation an. Der bispezifische Antikörper steht unmittelbar für die Patienten zur Verfügung und muss nicht langwierig individuell hergestellt werden, was ein gewisser Vorteil von Talquetamab gegenüber den mindestens ebenso effektiven CAR-T-Zell-Präparaten wie Ciltacabtagen Autoleucel ist.

Teclistamab
Genau wie Talquetamab ist auch der bispezifische Antikörper Teclistamab (Tecvayli®) für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplem Myelom als Monotherapeutikum indiziert. Der bispezifische IgG4-Antikörper ist gegen das Oberflächenprotein CD3 auf T-Zellen gerichtet. Zudem bindet er hochspezifisch an das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA), das auf Zellen des multiplen Myeloms, B-Zellen und Plasmazellen im Spätstadium exprimiert wird. Durch die Verbindung der drei Elemente – Myelomzellen, Teclistamab und polyklonale T-Zellen – nähern sich die zytotoxischen T-Zellen den malignen B-Zellen an, und es bildet sich eine immunologische Synapse. Unabhängig von der ursprünglichen T-Zell-Spezifität und ohne Beteiligung des Haupthistokompatibilitätskomplexes auf antigen-präsentierenden Zellen werden die gebundenen T-Zellen aktiviert und deren zytotoxische Wirkung unmittelbar auf BCMA-positive B-Zellen umgeleitet. Es sprachen fast zwei Drittel der dreifach vorbehandelten Patienten auf die Medikation an, 40% erreichten sogar eine vollständige Response mit gänzlichem Verschwinden der Tumorzeichen.

Therapeutika für neurologische Störungen

Vutrisiran
Patienten mit hereditärer Transthyretin(TTR)-vermittelter Amyloidose (hATTR) leiden unter starken Beeinträchtigungen, die innerhalb einiger Jahren meist zu Multiorganversagen und Tod führen. Die durchschnittliche Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Diagnose liegt bei weniger als fünf Jahren. Erwachsene, die aufgrund einer solchen Erkrankung unter einer Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2 leiden und noch gehfähig sind, können mit Vutrisiran (Amvuttra®) behandelt werden. Hierbei handelt es sich um eine chemisch stabilisierte doppel­strängige, kleine interferierende Ribonukleinsäure (small interfering RNA, siRNA), die speziell auf Varianten von Transthyretin-mRNA und deren Wildtyp abzielt. Das entsprechende Gen wird aufgrund der RNA-Interferenz stillgelegt und ein katalytischer Abbau der gebildeten TTR-mRNA ausgelöst. Als Folge kommt es zu einer verringerten Biosynthese des veränderten Proteins Transthyretin, sodass die Ablagerung von pathogenen Amylo­iden in den Geweben reduziert wird. Bei hATTR-Patienten wird eine mehr als 80%ige, langfristige Reduktion der TTR-Protein-Serumspiegel von Varianten und Wildtyp und sogar eine geringfügige Verbes­serung der Amyloidose-Symptomatik erreicht. Die Behandlung sollte so früh wie möglich begonnen werden, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.

Therapeutika für solide Tumoren

Elacestrant
Etwa 80% aller Brusttumore exprimieren verstärkt Rezeptoren des Wachstumsfaktors Estrogen, die sich somit als Target für eine gezielte Anti­tumortherapie anbieten. Der Estrogen-Rezeptor-alpha(ERα)-Antagonist Elace­strant (Orserdu®) ist als Monotherapeutikum zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms vorgesehen. Er kommt für Männer und postmenopausale Frauen mit Estrogenrezeptor-positivem und Humanem-Epidermalem-Wachstumsfaktor-Rezeptor-Typ-2(HER2)-negativem Tumor mit einer aktivierenden Estrogen-Rezeptor-1(ESR1)-Mutation infrage, deren Erkrankung nach mindestens einer endokrinen Therapie fortgeschritten ist. Mit Elacestrant ist erstmals eine Therapieoption speziell für Karzinome mit ESR1-Mutation eingeführt worden. Die Substanz wirkt wie Tamoxifen als selektiver Estrogen-Rezeptor-Modulator (SERM), sodass die tumorfördernde Wirkung von Estrogen gehemmt wird. Zusätzlich wirkt Elacestrant als selektiver Estrogen-Rezeptor-Degrader (SERD), was zu einer reduzierten Zahl an wachstumssteigernden Estrogen-Rezeptoren im Tumorgewebe führt. Die mediane progressionsfreie Über­lebenszeit war unter Elacestrant im Vergleich zur Standardtherapie mit Fulvestrant oder Aromatase-Hemmern signifikant von 1,9 auf 3,8 Monate verdoppelt.

Tremelimumab
Erwachsene mit fortgeschrittenem bzw. nicht resezierbarem hepatozellulärem Karzinom oder mit metastasiertem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (non-small-cell lung cancer, NSCLC) können mit dem gegen das zytotoxische T-Lymphozyten-assozi­ierte Antigen 4 (CTLA-4) gerichteten Antikörper Tremelimumab (Imjudo®) behandelt werden. Das auf der Oberfläche von T-Lymphozyten exprimierte Protein CTLA-4 begrenzt die Aktivierung von Effektor-T-Zellen durch die Interaktion mit seinen aktivierenden Liganden CD80 und CD86. Auf diese Weise wird die körpereigene Abwehrreaktion z. B. gegen Tumorzellen heruntergefahren, was Tremelimumab unterbindet. Die Substanz wird als Erstlinien-Therapeutikum derzeit in Kombination mit dem Checkpoint-Inhibitor Durvalumab eingesetzt, bei NSCLC-Patienten erfolgt zusätzlich eine platinbasierte Chemotherapie. In den zulassungsrelevanten Studien konnte durch die zusätzliche Gabe von Tremelimumab eine Verlängerung der medianen Überlebenszeit von etwa 2,5 Monaten gegenüber der Standardtherapie erreicht werden. Trotz dieser recht geringen gewonnenen Lebenszeit erscheint ein Behandlungsversuch gerechtfertigt, insbesondere da die Nebenwirkungen der Kombinationstherapie mit dem CTLA-4-Inhibitor nicht schwerwiegender als die der Standardtherapeutika sind. |

Wirkstoffe, die 2023 vorgestellt wurden.
Substanz
Handelsname
Gruppe
Zulassungsinhaber
Einführungsdatum
Anti-T-Lympho­zyten­globulin
Atgam®
selektive Immunsuppressiva
Pfizer Pharma GmbH
1. November 2022
Ciltacabtagen Autoleucel
Carvykti®
andere antineoplastische Mittel
Janssen-Cilag International (B)
15. Februar 2023
Cipaglucosidase alfa
Pombiliti®
andere Mittel für das alimentäre System und den Stoffwechsel, Enzyme
Amicus Therapeutics Europe Limited (IRL)
1. August 2023
Daridorexant
Quviviq®
Hypnotika/Sedativa, andere Hypnotika/Sedativa
Idorsia Pharmaceuticals Deutschland GmbH
15. November 2022
Dengue-Virus-Impfstoff
Qdenga®
Impfstoffe, virale Impfstoffe
Takeda GmbH
15. Februar 2023
Deucravacitinib
Sotyktu®
Immunsuppressiva, selektive Immun­suppressiva
Bristol-Myers Squibb Pharma EEIG (IRL)
15. April 2023
Difelikefalin
Kapruvia®
alle übrigen therapeutischen Mittel, andere therapeutische Mittel
Vifor Fresenius Medical Care Renal Pharma (F)
1. Oktober 2022
Elacestrant
Orserdu®
endokrine Therapie, Antiestrogene
Stemline Therapeutics B.V. (NL)
1. November 2023
Epcoritamab
Tepkinly®
antineoplastische Mittel, andere monoklonale Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
AbbVie Deutschland GmbH
15. Oktober 2023
Eptacog beta
Cevenfacta®
Blutgerinnungsfaktoren
Laboratoire français du Fractionnement et des Biotechnologies (F)
15. November 2022
Etranacogen Dezaparvovec
Hemgenix®
Gen- und Zelltherapeutika
CSL Behring GmbH
1. Mai 2023
Evinacumab
Evkeeza®
andere lipidmodifizierende Substanzen
Ultragenyx Netherlands B. V. (NL)
1. September 2023
Faricimab
Vabysmo®
Ophthalmika, antineovaskuläre Mittel
Roche Registration GmbH
15. Oktober 2022
Ferucarbotran
Resotran®
superparamagnetisches Kontrastmittel, Eisenoxid, Nanopartikel
b.e.imaging GmbH
15. November 2022
Golufitamab
Columvi®
antineoplastische Substanzen, andere monoklonale Antikörper und Anti­körper-Wirkstoff-Konjugate
Roche Registration GmbH
1. August 2023
Ivosidenib
Tibsovo®
antineoplastische Mittel, andere anti­neoplastische Mittel
Les Laboratoires Servier (F)
15. Juli 2023
Lasmiditan
Rayvow®
Analgetika, Migränemittel
Eli Lilly Nederland B.V. (NL)
1. März 2023
Lonafarnib
Zokinvy®
andere Mittel für das alimentäre System und den Stoffwechsel, sonstige Mittel für das alimentäre System und den Stoff­wechsel
EigerBio Europe Ltd. (IRL)
15. Oktober 2022
Lonapegsomatropin
Skytrofa®
Hypophysen- und Hypothalamus­hormone und Analoga, Somatropin und Somatropinrezeptor-Agonisten
Ascendis Pharma Endocrinology Division A/S (DK)
15. September 2023
Loncastuximab Tesirin
Zynlonta®
antineoplastische und immunmodulierende Mittel, antineoplastische Mittel, monoklonale Antikörper und Anti­körper-Wirkstoff-Konjugate, andere monoklonale Antikörper und Anti­körper-Wirkstoff-Konjugate
Swedish Orphan Biovitrum AB (S)
15. Mai 2023
Maralixibat
Livmarli®
Gallen- und Lebertherapie, andere Mittel zur Gallentherapie
Mirum Pharmaceuticals International B.V.(NL)
15. Januar 2023
Maribavir
Livtencity®
antivirale Mittel zur systemischen Anwendung, direkt wirkende Anti­infektiva
Takeda Pharmaceuticals International AG (IRL)
1. Dezember 2022
Mavacamten
Camyzos®
Herztherapie, andere Herzmittel
Bristol-Myers Squibb Pharma EEIG (IRL)
1. August 2023
Mirikizumab
Omvoh®
Immunsuppressiva, Interleukin-Inhibitoren
Eli Lilly Nederland B.V. (NL)
15. Juli 2023
Netarsudil
Roclanda®
Ophthalmika, Glaukommittel und Miotika
Santen Oy (FIN)
15. Dezember 2022
Nirsevimab
Beyfortus®
Immunsera und Immunglobuline, antivirale monoklonale Antikörper
AstraZeneca AB (S)
1. September 2023
Olipudase alfa
Xenpozyme®
andere Mittel für das alimentäre System und den Stoffwechsel, Enzyme
Genzyme Europe B.V. (NL)
1. Oktober 2022
Pegunigalsidase
Elfabrio®
andere Mittel für das alimentäre System und den Stoffwechsel, Enzyme
Chiesi Farmaceutici S.p.A. (I)
1. Oktober 2023
Ritlecitinib
Litfulo®
Immunsuppressiva, Janus-assoziierte Kinase (JAK)-Inhibitoren
Pfizer Europe MA EEIG (B)
15. Oktober 2023
RSV-Impfstoff
Arexvy®
Impfstoffe, virale Impfstoffe
GlaxoSmithKline Biologicals SA (B)
1. August 2023
RSV-Impfstoff
Abrysvo®
Impfstoffe, virale Impfstoffe
Pfizer Europe MA EEIG (B)
1. Oktober 2023
Somapacitan
Sogroya®
Hypophysen- und Hypothalamus­hormone und Analoga, Somatropin und Somatropinrezeptoragonisten
Novo Nordisk A/S (NL)
1. November 2023
Sotrovimab
Xevudy®
antivirale monoklonale Antikörper
GlaxoSmithKline Trading Services Limited (IRL)
15. November 2022
Spesolimab
Spevigo®
Immunsuppressiva, Interleukin-Inhibitoren
Boehringer Ingelheim International GmbH
1. Februar 2023
Sutimlimab
Enjaymo®
Immunsuppressiva, selektive Immunsuppressiva
Genzyme Europe B.V. (NL)
1. Januar 2023
Tabelecleucel
Ebvallo®
andere antineoplastische Mittel, anti­neoplastische Zell- und Gentherapie
Pierre Fabre Medicament (F)
15. Mai 2023
Talquetamab
Talvey®
andere monoklonale Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
Janssen-Cilag International NV (B)
15. September 2023
Teclistamab
Tecvayli®
andere monoklonale Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
Janssen-Cilag International NV (B)
1. September 2023
Tezepelumab
Tezspire®
Mittel bei obstruktiven Atemwegs­erkrankungen, andere Mittel bei obstruktiven Atemwegserkrankungen zur systemischen Anwendung
AstraZeneca AB (S)
15. November 2022
Tirzepatid
Mounjaro®
Antidiabetika, exkl. Insuline
Eli Lilly Nederland B.V. (NL)
15. November 2023
Tremelimumab
Imjudo®
andere monoklonale Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
AstraZeneca AB (S)
1. April 2023
Voclosporin
Lupkynis®
Immunsuppressiva, Calcineurin-Inhibitoren
Otsuka Pharmaceutical Netherlands B.V. (NL)
1. März 2023
Vutrisiran
Amvuttra®
andere Mittel für das Nervensystem
Alnylam Netherlands B.V. (NL)
15. Oktober 2022

Neue Arzneimittel 2023

In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapieoptionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel.

Dort steht Ihnen auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen zur Ver­fügung. Die für die Offizin bedeutsamen Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regel­mäßig in unserer Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.

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