Gesundheitspolitik 2023

Lauterbachs „Digitalisierungs-Turbo“

Die Ampel will mit Hilfe von E-Rezept, elektronischer Patientenakte & Co. aufholen

ks | Endlich die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranbringen – das ist 2023 eines der großen Themen für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er startet im Frühjahr mit einer Strategie, die übers Jahr hinweg konkretisiert wird und im Dezember in zwei Gesetzesbeschlüssen mündet. Die Ampel feiert sich: Man habe vom Schneckentempo in den Turbo gestartet – und im nächsten Jahr sollen weitere Gesetze noch mehr Anschub geben.

Es ist kein Geheimnis: Auch wenn die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor mehr als zwei Jahrzehnten die ersten Schritte in ein digitales Gesundheitswesen versprach – die Pläne entwickelten sich bestenfalls zögerlich. Man denke an die elektronische Gesundheitskarte (eGK), die nach Schmidts Plänen bis 2006 etabliert sein sollte und mit der auch (endlich!) das E-Rezept kommen sollte. Schon damals stand Lauterbach dem Ministerium als Berater zur Seite. Er weiß daher nur zu gut, wo die Widerstände liegen. Fakt ist: Weder in der Versorgung noch in der Forschung läuft es rund. Um international Anschluss zu finden, muss einiges getan werden. Den „Defätismus“, der sich in den letzten 20 Jahren vor allem in der Ärzteschaft, aber auch bei vielen Apothekerinnen und Apothekern breit gemacht hat, will Lauterbach nicht akzeptieren. Im März 2023 legt er seine „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ vor und zeigt auf, wohin es gehen soll: Bis 2025 sollen 80 Prozent der GKV-Versicherten über eine elektronische Patientenakte (ePA) verfügen. Dabei soll maßgeblich das Opt-Out-Modell helfen: Die ePA soll es künftig nicht erst nach umständlicher Beantragung und Authentifizierung geben, sondern ganz automatisch – wer sie nicht nutzen will, soll jedoch widersprechen können. Zudem verspricht Lauterbach, dass 80 Prozent der ePA-Nutzer, die in medikamentöser Behandlung sind, bis Ende 2025 über eine digitale Medika­tionsübersicht verfügen werden. Und bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten durch das neue Forschungsdatenzentrum Gesundheit realisiert werden.

Foto: imago images/Chris Emil Janßen
Karl Lauterbachs Digitalisierungsgesetze sollen vollenden, was die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor mehr als 20 Jahren in die Wege geleitet hat

ePA für alle: Mit dem Medikationsplan geht es los

Zwei Gesetze sollen zu diesen und weiteren Zielen führen: das „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digitalgesetz) und das „Gesetz zur ver­besserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungs­gesetz – GDNG). Ersteres soll den Behandlungsalltag mit digitalen Lösungen verbessern und insbeson­dere ePA und E-Rezept einen Schub verleihen, mit Letzterem sollen Gesundheitsdaten für die Forschung erschlossen werden. Es wird Juni bis das Bundesgesundheitsministerium seine ersten Referentenentwürfe vorlegt. Die Grundpfeiler sind hier bereits gesteckt – auch wenn in den kommenden Monaten noch im Detail nachjustiert und zwischen Gesundheits- und Datenschutz austariert wird. Das Digitalgesetz legt fest, dass die ePA zur Opt-Out-Anwendung wird – los geht es Anfang 2025. Der elektronische Medikationsplan soll ihr erster Anwendungsfall sein. Er wird nicht mehr auf der eGK gespeichert sein, wo er, wenn vorhanden, manuell zu füllen ist, sondern in der ePA in erster Linie automatisiert gespeist werden. Apotheken müssen diesen, soweit erforderlich, künftig aktualisieren und ergänzen (sofern der oder die Versicherte nicht widersprochen hat). Was das E-Rezept betrifft, ist im ersten Referentenentwurf auch noch ganz konkret vorgesehen, dass es für Ärzte ab 1. Januar 2024 Pflicht ist, „normale“ Arzneimittel elektronisch zu verordnen. Ein Zugriff auf E-Rezepte soll zudem künftig auch über Kassen-Apps möglich sein – eine Option, die in der Apothekerschaft gar nicht gut ankommt. Klargestellt wird auch: E-Rezept und Token dürfen nur innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) übermittelt werden – Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel.

Assistierte Telepharmazie in der Apotheke

Überdies soll die Telemedizin fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden. So sollen Videosprechstunden breiter eingesetzt und leichter genutzt werden können. Und auch Apotheken sollen mitspielen: Sie sollen die Versicherten unterstützen, diese telemedizinischen Leistungen zu nutzen und sie vor Ort bei der Inanspruchnahme anleiten. Auch einfache medizinische Routineaufgaben sollen sie in diesem Rahmen erbringen können. Details zu diesem Angebot und der Vergütung sollen Deutscher Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband vereinbaren. Wichtig: Apotheken sollen selbst entscheiden können, ob sie diese sogenannte assistierte Telemedizin anbieten oder nicht.

Kassen sollen über Gesundheitsrisiken informieren

Mit dem GDNG wiederum sollen bislang in „Silos“ gelagerte Gesundheitsdaten miteinander verknüpft und nutzbar gemacht werden – für eine bessere Versorgung, eine gemeinwohlorientierte Forschung und die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems. Auch Daten aus der ePA sollen dazu bereitgestellt werden. Ebenso ist geplant, die Verfahren mit den Datenschutzbehörden zu vereinfachen – und gleichzeitig den Datenschutz zu stärken.

Im Anfang August vorgelegten zweiten GDNG-Entwurf stößt besonders eine Regelung auf Kritik in der Apothekerschaft: Krankenkassen sollen ihnen vorliegende Versichertendaten auswerten können und Versicherte darauf hinweisen können, wenn sie potenziell schwerwiegende Risiken erkennen – auch auf solche, die durch die Arzneimitteltherapie entstehen können. Die ABDA fürchtet, dass dies Patienten verunsichern könnte.

eGK-Abruf bringt Schwung ins E-Rezept

In der Praxis will man in Sachen E-Rezept auch 2023 schon so gut wie möglich vorankommen. Die Apotheken sind grundsätzlich technisch bereit – doch die elektronischen Verordnungen lassen auf sich warten. Liegt es an den Ärzten, ihrer technischen Ausstattung und ihrem Willen? Oder sind es doch vor allem die nicht ganz überzeugenden Einlösewege – eine nur mit Hürden zugängliche App und ein auf Papier ausgedruckter Abrufcode –, die den Versicherten zur Ver­fügung stehen? Apotheker wie Ärzte machen sich schon seit geraumer Zeit für einen dritten Weg stark: Den Abruf des E-Rezepts über die eGK. Anfang 2023 leistet die Gematik die Vorarbeit – ihre Spezifikation findet diesmal auch den Segen der Datenschützer. Und zum 1. Juli ist es so weit: Der Schlüssel zum E-Rezept kann nun auf der eGK, die die Versicherten zumeist ohnehin bei sich tragen, gespeichert werden. Die Apotheken können über die vor Ort in ein Leseterminal gesteckte Karte die Verordnungen vom E-Rezept-Fachdienst abrufen. Eine PIN-Eingabe ist nicht nötig. Die neue Option zeigt Wirkung: Lag die Zahl der eingelösten E-Rezepte Ende Juni 2023 noch bei rund 2 Millionen, waren es Mitte Dezember immerhin schon rund 14 Millionen. Aus Sicht der Apotheken besonders charmant: Die Arzneimittelversender sind hier außen vor. Das lassen Shop Apo­theke und DocMorris nicht auf sich sitzen. Sie holen zum Gegenschlag aus: Sie beschweren sich nicht nur im BMG, sondern auch bei der EU-Kommission, dass das E-Rezept so verzögert kommt und sie diskriminiert würden. Ihre Beschwerde in Brüssel richten sie auch gleich noch gegen das seit Ende 2021 im Sozialrecht verankerte Rx-Boni-Verbot. Letzteres habe die Kommission nämlich nur akzeptiert, weil sie damals noch von einer E-Rezept-Einführung Anfang 2022 ausgegangen sei. Das Drohgebaren zeigt offenbar eine gewisse Wirkung: Ende 2023 beschließt die Gematik-Gesellschafterversammlung, „dass hinsichtlich der mobilen Nutzung der eGK ohne PIN für den digitalen Verkaufsbereich eine entsprechende Spezifikation (…) erarbeitet werden soll“.

Bewegung im Parlamentarischen Verfahren

Ende August gibt das Kabinett grünes Licht für beide Gesetzentwürfe, an denen nach der ersten Verbändeanhörung im BMG nochmals an vielen Stellen nachgearbeitet wurde. So wurde auch die Norm zum E-Rezept (§ 360 SGB V) nachjustiert. Der 1. Januar 2024 als neuer Starttermin fällt – es bleibt beim schon jetzt gesetzlich fixierten 1. Januar 2022. Und es werden weitere Ausnahmen bestimmt, wann in welchen Fällen bzw. innerhalb welcher Systeme Token auch außerhalb der TI übermittelt werden können.

Im parlamentarischen Verfahren gibt es noch viele Diskussionen. Im Dezember beschließt der Gesundheitsausschuss des Bundestages 33 Änderungsanträge zum Digitalgesetz und sechs zum GDNG. Vor allem an der ePA, den Widerspruchs- und Zugangsmöglichkeiten wurde gearbeitet.

Auch für die Apotheken ist nun eine weitere neue Aufgabe vorgesehen. Sie sollen Versicherten, die digital weniger affin sind, einen leichten Zugang zur Verwaltung ihrer ePA bieten können. Es geht um Beratung, aber auch die Erstellung von Abschriften aus der ePA sowie auf Wunsch das Löschen von Daten – inklusive Information über die Folgen. Auch dies fällt in den Maßnahmenkatalog der assistierten Telemedizin, sodass es hierfür eine Vergütung geben soll. Ausdrücklich heißt es seitens des Gesetzgebers, dass so die Rolle der Apotheken gestärkt werden solle.

Neu ist zudem: Krankenhäusern wird bei der Ausstellung von E-Rezepten eine Schonfrist gewährt: So müssen etwa Entlassrezepte erst ab Anfang 2025 elektronisch ausgestellt werden.

Zudem erhalten auch Privatversicherer die Möglichkeit, ihren Versicherten eine App anzubieten, mit der sie E-Rezepte verwalten und einlösen können.

Minister Lauterbach spricht bei der Verabschiedung der Gesetze im Bundestag von einem „Quantensprung“. Und weist selbst auf die Anfänge von vor rund 20 Jahren hin. Zugleich bekräftigt er, dass er mit seinen Gesetzen im Bereich der Digitalisierung noch nicht am Ende ist: Ein Medizinforschungsgesetz ist bereits in Arbeit und ein weiteres Gesetz soll die Gematik in eine digitale Netzagentur überführen, über die der Bund die Fach­aufsicht haben soll.

Inkrafttreten werden Digitalgesetz und GDNG voraussichtlich erst im Februar. Denn erst am 2. Februar 2024 findet sich für den Bundesrat wieder Gelegenheit, sich mit ihnen zu befassen. Dass die Länder den Gesetzen Steine in den Weg legen werden, ist nicht zu erwarten.

Apotheken umsetzungsbereit

Die ABDA signalisiert nach den Gesetzesbeschlüssen: Die Apothekerschaft ist trotz aller Herausforderungen bereit, die Digitalisierungsprojekte aktiv zu begleiten und gestalten. Dass mit den Gesetzen die Versorgung verbessert werden soll und Gesundheits­daten sicher genutzt werden können, ist auch im Sinne der ABDA. Einige Kritikpunkte bleiben jedoch: So komme es bei der Umsetzung der assistierten Telemedizin darauf an, Einflüsse von kapitalgesteuerten Anbietern einen Riegel vorzuschieben, betont DAV-Chef Hans-Peter Hubmann. |

Wann kommt welches E-Rezept?

Ab 1. Januar 2024 soll das E-Rezept für Arzneimittel, die bisher auf Muster 16 verordnet wurden, verbindlicher Standard werden. Auch wenn dies nicht so ausdrücklich im Gesetz steht – für weitere E-Rezepte gibt der neue § 360 SGB V neue Startdaten vor. Für die Apotheken von Bedeutung sind folgende Stichtage: BtM- und T-Rezepte müssen ab 1. Juli 2025 elektronisch verordnet werden. Ab 1. Juli 2027 sind überdies Hilfsmittel, Verbandmittel, Medizinprodukte, Bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung sowie Harn- und Blutteststreifen zwingend elektronisch zu verordnen.

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