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Rechtsprechung 2023
Alles was Recht ist: Von Opium-Tinkturen, Lieferdiensten und Demo-Verboten
Erfolglos angeschwärzt. Ein Hausarzt, der einem männlichen Patienten ohne klare Diagnose ein teures Brustkrebs-Arzneimittel verordnet hat, wurde dafür von einer Krankenkasse in Regress genommen. Sein Versuch, der Apotheke eine Pflichtverletzung bei der Arzneimittelabgabe in die Schuhe zu schieben, misslang. Das Sozialgericht Hannover hielt den Regress für berechtigt (AZ 1/2, S. 3).
Keine Benachteiligung von selbstständigen Schwangeren. Für werdende Mütter sehen das Mutterschutzgesetz und weitere Gesetze einen umfassend scheinenden finanziellen, sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz vor. Selbstständige Freiberuflerinnen bekommen in ihrer Mutterschaft jedoch schwerwiegende Lücken im System der Absicherung zu spüren. Eine davon ist jetzt geschlossen worden: Viele private Krankenversicherungsverträge sehen für die Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes zwar die Zahlung von Krankentagegeld vor, aber erst nach Ablauf einer vereinbarten Karenzzeit. Zu Unrecht, wie aus einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Ravensburg hervorgeht (AZ 1/2, S. 7).
Der EuGH muss wieder ran. Aufgrund von zwei Vorlagebeschlüssen des Bundesgerichtshofs muss sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage befassen, ob Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auch von Mitbewerbern des Verletzers zivilrechtlich verfolgt werden dürfen. Ausgangspunkt des Verfahrens ist die Klage des Apothekers Hermann Vogel gegen zwei Kollegen, die über den Amazon-Marktplatz Arzneimittel verkaufen (AZ 3, S. 3).
Geldstrafen für illegale Impfaktion. Gegen einen Apotheker, zwei Ärzte und eine italienische Hotel-Mitarbeiterin hat das Amtsgericht München wegen des Verdachts auf Unterschlagung von COVID-19-Impfstoff Strafbefehl erlassen. Die Verurteilten waren in Zeiten, da Vakzine noch knapp waren, an einer Impfaktion in einem italienischen Hotel beteiligt (AZ 3, S. 8).
Urteil gegen Stada wegen Daosin. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat in einem Rechtsstreit mit dem Pharma-Unternehmen Stada vor dem Landgericht Frankfurt einen Sieg errungen. Stada darf für sein Nahrungsergänzungsmittel Daosin nicht mehr damit werben, dass es den Abbau von Histamin im Darm unterstützt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Stada hat gegen die Entscheidung Berufung eingelegt (DAZ 5, S. 14).
pDL sind für Heimbewohner erlaubt. Eine Klausel im entsprechenden Vertragstext zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung stiftete rechtliche Verunsicherung: Dürfen Apotheken pharmazeutische Dienstleistungen in Pflegeheimen anbieten? Eine juristische Prüfung des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein kam zu einem klaren Ergebnis: Wer in einem Heim lebt, für den ist das Heim sein Zuhause. Deshalb dürfen Apotheken dort Patientinnen und Patienten pharmazeutische Dienstleistungen anbieten und erbringen. Dies gilt nicht nur für Medikationsanalysen, sondern für alle fünf pharmazeutischen Dienstleistungen (DAZ 9, S. 12).
„Jetzt wieder lieferbar“ ist unerlaubte Werbung. Das Landgericht Hannover hatte sich mit der Werbung einer Apotheke für Strophanthus-Tinkturen zu befassen. Der Hinweis der Apotheke auf ihrer Website, dass die Tinktur jetzt wieder lieferbar sei, stufte das Gericht als unzulässige Werbung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel ein. Das Urteil ist rechtskräftig (DAZ 9. S. 16).
Fast 10 Millionen Euro für nicht erbrachte Tests abgerechnet. Das Landgericht Berlin hat einen Berliner wegen Betrugs in 67 Fällen unter Einbeziehung von Strafen aus einem anderweitigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, in einem Online-Verfahren mehrere Corona-Testzentren bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin angemeldet zu haben. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass in den Testzentren entweder gar keine Tests oder weniger als die abgerechneten Tests durchgeführt wurden. Darüber hinaus hat das Gericht die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 9,7 Millionen Euro angeordnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (AZ 14/15, S. 2).
BGH bestätigt Haftstrafe für Münchner „Cannabisarzt“. Aus ganz Deutschland kamen Patienten zu einem Münchner Privatarzt, um sich Medizinalcannabis verordnen zu lassen. Doch die Staatsanwaltschaft hatte Zweifel an der „ärztlichen Begründetheit“ der Verordnungen und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Arzt ein. Das Landgericht München I verurteilte den Angeklagten unter anderem wegen des unerlaubten und gewerbsmäßigen Verschreibens von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung inzwischen bestätigt (AZ 16, S. 2).
Gericht untersagt Meditonsin-Werbeaussagen. „Nachgewiesene Wirksamkeit & Verträglichkeit“ – Unter anderem mit diesem Slogan warb die Firma Medice auf ihrer Website für ihre Meditonsin-Tropfen. Doch einige der Werbeaussagen waren unzulässig, wie das Landgericht Dortmund schon im vergangenen Herbst feststellte. Nachdem der Arzneimittelhersteller seine Berufung zurückgenommen hat, ist das Urteil jetzt rechtskräftig (AZ 19, S. 2).
Kein Schmerzensgeld bei „überzogener Angst vor Krebs“. Wenn sich durch die Einnahme eines verunreinigten Arzneimittels das Risiko, an Krebs zu erkranken, um 0,02% erhöht, sind hierdurch ausgelöste Ängste kein Grund für Schmerzensgeldansprüche gegen ein Pharmaunternehmen. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden (AZ 21, S. 3).
Jetzt ist Karlsruhe gefragt. Das Pharmaunternehmen Roche hat Verfassungsbeschwerde gegen das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz eingelegt. Das Unternehmen sieht in verschiedenen Maßnahmen des Gesetzes einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die grundgesetzlich zu schützende Berufsausübungsfreiheit sowie den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (AZ 22, S. 4).
Skonto: Großhandels-Mindestpreis darf nicht unterschritten werden. Welche Rabatte und Skonti dürfen Pharmagroßhändler und Pharmaunternehmen, die ihre Arzneimittel im Direktvertrieb anbieten, Apotheken gewähren? Der Gesetzgeber wollte diese Frage eigentlich unmissverständlich regeln – dennoch muss sich die Rechtsprechung weiterhin mit der „Skonto-Frage“ beschäftigen. Im vorliegenden Verfahren hatte ein direktvertreibendes Pharmaunternehmen Apotheken für eine vorfristige Zahlung ein Skonto angeboten und damit den Großhandels-Mindestpreis unterschritten. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg ist dies unzulässig und wettbewerbswidrig. Das letzte Wort ist damit jedoch immer noch nicht gesprochen. Das Oberlandesgericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof wegen „grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts“ zugelassen (DAZ 24, S. 14).
Berufung zu Opium-Tinktur zurückgewiesen. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat in einer Entscheidung zum rechtlichen Status von Opium-Tinkturen die Berufung einer Apotheke gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg zurückgewiesen. Auch das Oberlandesgericht stuft eine in der Apotheke ohne Veränderung abgefüllte Opium-Tinktur als zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel ein. Das Urteil ist nicht ohne Kritik geblieben (AZ 26, S. 3).
Schlappe für Nationales Gesundheitsportal. Mit seinen redaktionellen Beiträgen zu Gesundheitsthemen macht das Nationale Gesundheitsportal des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) privaten Anbietern entsprechender Informationen in unzulässiger Weise Konkurrenz. Das Landgericht Bonn hat deshalb einer Unterlassungsklage des Wort & Bild Verlags gegen das BMG stattgegeben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (AZ 27, S. 3).
Lunapharm geht leer aus. Der einstige Pharmahändler aus dem brandenburgischen Mahlow war vor fünf Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Damals berichtete das ARD-Magazin „Kontraste“ über windige Wege von Importarzneimitteln. Der Fall sorgte in der Politik für viel Unruhe – und beschäftigt bis heute die Gerichte. Mitte des Jahres hat das Landgericht Potsdam eine Schadensersatzklage von Lunapharm gegen die Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen (AZ 29, S. 3).
Wenn KVen nicht zahlen … Wenn ein Apotheker noch offene Honorarforderungen im Zusammenhang mit Corona-Bürgertests geltend machen möchte, muss er nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts hierfür den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht und nicht zum Sozialgericht beschreiten (AZ 29, S. 3).
Ermittlungen eingestellt. Im März 2019 ließ die Wuppertaler Staatsanwaltschaft Praxen sowie Geschäftsräume und Privatwohnungen von sechs Verdächtigen sowie mehrere Pharmaunternehmen, darunter auch das Roche-Unternehmen, durchsuchen. Hintergrund war ein Korruptionsverdacht im Zusammenhang mit dem Bottroper Zyto-Skandal. Im Juli 2023 wurden die Ermittlungen gegen Roche nunmehr eingestellt (AZ 29, S. 5).
Gescheiterte Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des Bottroper Zyto-Apothekers Peter S. nicht zur Entscheidung angenommen. Die Richter halten das Urteil des Landgerichts Essen, das S. zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und einem lebenslangen Berufsverbot verurteilt hatte, für verfassungsgemäß (AZ 35, S. 3).
Lieferungen an Sonn- und Feiertagen sind unlauter. Nach dem Landgericht Köln hat auch das Landgericht Berlin entschieden, dass Sonn- und Feiertagslieferungen von Arzneimitteln über einen Schnelllieferdienst unlauter sind, wenn die mit dem Unternehmen kooperierende Apotheke nicht zum Notdienst eingeteilt ist. Die Wettbewerbszentrale hatte unter Hinweis auf geltende besondere Landesgesetze zur Feiertagsruhe gegen das Start-up Mayd geklagt. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig (AZ 35, S. 3).
Glucose-Prozess: zwei Jahre auf Bewährung – Revision folgt. Im Kölner „Glucose-Prozess“ ist das Urteil ergangen: Die Apothekerin, die laut Anklage für den Tod einer Schwangeren und ihres ungeborenen Babys verantwortlich sein soll, wurde vom Landgericht Köln wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig: Die Verteidigung hat beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt (AZ 40, S. 2).
Lunapharm: Strafprozess gestartet. Seit Oktober müssen sich die Lunapharm-Geschäftsführerin und ein Rechtsanwalt vor dem Landgericht Potsdam verantworten. Ihnen wird gewerbsmäßiger Handel mit gefälschten Arzneimitteln vorgeworfen. Die Lunapharm-Affäre brachte seinerzeit nicht nur die damalige Brandenburger Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) zu Fall. Sie war auch einer der Auslöser für das von der Großen Koalition in Berlin auf den Weg gebrachte Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, mit dem die Importförderklausel modifiziert wurde (AZ 42, S. 3, DAZ 43, S. 12).
EuGH: Erste Kopie ist kostenlos. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Patienten haben das Recht auf eine kostenlose erste Kopie ihrer Patientenakte. Dies ergibt sich aus der Datenschutz-Grundverordnung, die den davon abweichenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgeht (AZ 44, S. 8).
Kein Recht auf Natrium-Pentobarbital. Haben Sterbewillige das Recht, dass ihnen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung erlaubt? Das Bundesverwaltungsgericht sagt nein, denn es gebe alternative, medizinisch begleitete Möglichkeiten, sich das Leben zu nehmen. Versage das BfArM die begehrte Erlaubnis, sei dies mit dem durch das Grundgesetz geschützten Recht auf selbstbestimmtes Sterben vereinbar (DAZ 45, S. 18).
Demo-Verbot für PTA-Klassen. Das Regierungspräsidium Stuttgart hat einer PTA-Klasse untersagt, während der Unterrichtszeit an den Apotheken-Protesten am 22. November in Stuttgart teilzunehmen. Die Schulbesuchsverordnung sehe nämlich keine Ausnahmen von der Schulpflicht für Demonstrationen vor. Das Demonstrationsrecht könne außerhalb des Unterrichts ausgeübt werden (DAZ 46, S. 12). |
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