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Abwassermonitoring wird ausgeweitet
Das Robert-Koch-Institut (RKI) will die Untersuchungen für mehr Erregergruppen als bisher nutzen
Aktuell brechen mehrere Infektionswellen über Deutschland herein. Neben Influenza und Corona führt auch das Respiratorische-Synzytial-Virus (RSV) zu steigenden Krankmeldungen und Hospitalisierungszahlen. Die letzten Untersuchungen des Abwassers zeigen einen dramatischen Anstieg der SARS-CoV-2-Konzentration. Neben dem R-Wert und der 7-Tages-Inzidenz hat sich die Messung der Virenlast im Abwasser als wertvolle Ergänzung bei der Trendermittlung in einer Infektionswelle erwiesen, auf die gegenwärtig verstärkt zurückgegriffen wird. Das Verfahren ist langjährig erprobt, jedoch hat sich die Anwendung in der Epidemieforschung erst in den letzten Jahren etabliert. Das überregionale Abwassermonitoring wurde im Zuge der Corona-Pandemie in Deutschland implementiert.
Die Ursprünge des Abwassermonitorings
Bereits in den 1940er-Jahren wurden erstmals Viren in Abwässern nachgewiesen. In den 1990er-Jahren nutzte man das Abwassermonitoring jedoch zunächst für den Nachweis von Chemikalien- und Schadstoffeinträgen. Seit den 2000er-Jahren kommt das Verfahren verstärkt bei der Ermittlung des regionalen Drogenkonsums zur Anwendung. Dafür wurde 2010 die SCORE-Gruppe gegründet, welche in Zusammenarbeit mit der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) europaweite Abwassermonitorings in größeren Städten durchführt.
An der aktuellen Studie aus dem Jahr 2022 beteiligten sich 104 Städte aus 21 Ländern der EU, sowie aus Norwegen und der Türkei. Erfasst werden Amphetamin, Metamphetamin, MDMA und Ketamin, die als Primärsubstanz im Abwasser nachgewiesen werden können, sowie Cannabis und Kokain, über deren Abbauprodukte. Heroin und dessen Abbauprodukt (6-Monoacetylmorphin) sind nicht im Abwasser nachweisbar. Lediglich das ebenfalls abgebaute Morphin ist nachweisbar, kann aber nicht für die Analyse herangezogen werden, da es auch in der Schmerztherapie verwendet wird und eine Abgrenzung somit nicht möglich ist.
Anwendung in der Pandemie
Auch viele Viren und Bakterien werden über den Stuhl, Urin und Speichel ausgeschieden und gelangen so ins Abwasser. Während der COVID-19-Pandemie wurde das Abwassermonitoring erstmals flächendeckend für die Bestimmung der Viruslast eingesetzt. In den USA und den Niederlanden hatte man damit bereits 2020 begonnen. Im März 2021 sprach die Europäische Kommission eine Empfehlung zum Aufbau nationaler Abwassermonitoring-Systeme bis Oktober 2021 aus. Parallel dazu plant die EU-Kommission ein eigenes System zur europaweiten Überwachung. Mit dem „EU Wastewater Observatory for Public Health“ soll eine eigene EU-Einrichtung zur Überwachung des Abwassers geschaffen werden. Sie befindet sich derzeit im Aufbau.
Deutsche Monitoring-Strategie
In Deutschland folgte man erst recht spät der Empfehlung der EU-Kommission. Seit Juni 2022 werden Daten aus zunächst 50 Kläranlagen erfasst. Mittlerweile sind 129 Kläranlagen an den Messungen beteiligt, zukünftig sollen es 175 werden. Die gemessenen Daten sammelt das Robert-Koch-Institut (RKI) immer montags. Bis zur Laborauswertung und Veröffentlichung dauert es in der Regel zwei Wochen. Das heißt, die aktuell veröffentlichten Zahlen zur Belastung durch SARS-CoV-2 beziehen sich auf die Woche vom 23. bis 29. November. In den Proben misst man die Virenbestandteile in Genkopien pro Liter und vergleicht diese dann mit den Werten der Vorwoche. In der letzten Novemberwoche beispielsweise hat sich die SARS-CoV-2-Konzentration gegenüber der Vorwoche um 54 Prozent erhöht.
Im Oktober 2022 wurde das Abwassermonitoring im Infektionsschutzgesetz verankert. Infolge war das Projekt „ESI-CorA“ für die Überwachung von SARS-CoV-2 implementiert worden, welches im März dieses Jahres beendet wurde. Seitdem finanziert das Bundesgesundheitsministerium zusammen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit das Folgeprojekt „Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung (AMELAG). Bis Ende 2024 werden dafür 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Abwassermonitoring bietet gegenüber anderen Epidemie-Indikatoren wie Inzidenzwert oder Reproduktionszahl den Vorteil, dass auch Infektionen bei Menschen mit asymptomatischen Verläufen, oder solchen, die nicht in einer Praxis vorstellig werden, in der Messung erfasst werden. Zudem lässt sich Anhand der Abwasseruntersuchung ein Anstieg mehrere Tage früher erkennen als bei den anderen Indikatoren. Jedoch stellt das Verfahren lediglich eine Ergänzung zu anderen Indikatoren (Inzidenzen, Prävalenzen) dar, betont das RKI.
Ausweitung auf andere Erregergruppen
Da sich das Monitoring in der Pandemie bewährt hat, werden Forderungen nach einer Ausweitung des Verfahrens lauter. So wird bereits in vielen Ländern auch nach Polioviren gefahndet, im August 2022 konnte so ein Polio-Ausbruch in London registriert werden. Das California Department of Public Health hat bereits RSV und Influenza-Viren im Abwasser erfasst, auch das mPox-Virus ist laut dem New England Journal of Medicine im Abwasser nachweisbar. Ebenso kann der Influenza-A-Virus auf diese Weise gemessen werden.
Auf Anfrage der DAZ teilte die zuständige Stelle des RKI mit, dass gegenwärtig auch Methoden zur Erfassung von Influenza-Viren in Deutschland geprüft würden. Ein gesondertes Projekt von RKI und Umweltbundesamt untersucht zudem die Verbreitung von Polio im Abwasser. Für das kommende Jahr sei auch eine Erfassung von RSV vorgesehen, ebenso wie eine Studie über die Anwendungsmöglichkeiten bei multiresistenten Bakterien, teilte das RKI mit. |
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