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Substanzmissbrauch

Rausch aus dem Ballon

Lachgas – gefährlicher „legaler“ Trend

Lachgas als Partydroge ist ein aktuell bleibendes, gefährliches Thema. Seit über 20 Jahren gibt es Berichte über den Missbrauch des legalen Narkosegases – Zahlen gibt es aber kaum. Dennoch scheint sich der Trend auszuweiten: Die Polizei registriert mehr Konsumfälle, und bei PubMed nehmen Artikel über Nebenwirkungen des N2O-Missbrauchs zu. Vermutet wird, dass Trends auf Social-Media-Plattformen wie TikTok jetzt die Zahlen nach oben treiben. | Von Volker Budinger

Der Konsum von Lachgas oder Distickstoffmonoxid (N2O) ist ein aktueller Trend auf Social-Media-Plattformen wie TikTok. Videos von Jugendlichen, die in Schulhofecken Gas aus bunten Ballons inhalieren, Aufnahmen von deutlich berauschten Jugendlichen und Anleitungen, wie man das „legale Rauschmittel” in größerer Menge bekommt und „anwendet”, gibt es zuhauf. Die gute Nachricht: Es sind auch sehr viele Videos zu sehen, in denen vor dem Rausch aus dem Luftballon gewarnt wird – auch von Prominenten wie dem Deutsch-Rapper Haftbefehl. Er gibt an, drei Monate lang bis zu 50 Flaschen am Tag konsumiert zu haben. Das „Zeug” mache „einen komplett zum Zombie“, zitiert ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung [1].

Seit Jahren zunehmender Konsum

Der Trend, sich mit Lachgas zu berauschen, ist in Deutschland nicht ganz neu. Bereits 1997 berichtete die DAZ über den „neuen Suchttrend” [2]. Seitdem ist das vermeintlich harmlose, „weil doch legale” Berauschen nie ganz verschwunden, führte aber wohl eher ein Schattendasein. „Für Deutschland liegen uns […] praktisch keine Daten vor. Wir wissen, dass die Substanz konsumiert wird, aber ansonsten wenig”, sagt etwa Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht DBDD [3]. Sie leitet auch das Projekt „Nationales Early Warning System – NEWS“, das als bundesweites Frühwarnsystem für neue psychoaktive Substanzen agieren soll. In dessen jüngstem Bericht „Substanzkonsum in deutschen Partyszenen 2022” [4] rangiert Lachgas als konsumierte Substanz auf dem letzten Platz und überschreitet gerade so den Schwellenwert von 5% der Erwähnungen.

Dennoch gibt es indirekte Hinweise darauf, dass der Konsum zunimmt. So berichtete etwa jüngst das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen von einer Verdreifachung der Fälle innerhalb eines Jahres [5]. Der Konsum fällt eher zufällig auf, wenn etwa berauschte Jugendliche aufgegriffen werden, da für Lachgas als nicht verbotene Substanz keine Kriminalstatistik geführt wird. Weitere Hinweise finden sich in wissenschaftlichen Quellen. So steigen seit dem Jahr 2017 die Fallberichte zu Lachgas-Missbrauch und dessen Folgen in der wissenschaftlichen Datenbank PubMed deutlich an. Das „European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction“ (EMCDDA) hat dies in einem Situations­bericht [6] ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass der Konsum von Lachgas etwa seit dem Jahr 2010 in eine „dritte Phase” des Trends eingetreten ist.

Als Ursache sehen die europäischen Forscher zum Beispiel, dass seit einigen Jahren Lachgas auch in größeren Gebinden legal etwa am Kiosk erworben werden kann. Da das Gas verschiedene legale Anwendungen hat und der Verkauf in Deutschland nicht verboten ist, kann die Polizei dagegen auch nicht einschreiten.

Verbote in den Niederlanden und auf Mallorca

Anders ist die Situation seit dem 1. Januar 2023 in den Niederlanden. Nachdem die Zahl von Verkehrsunfällen mit Lachgas-Berauschten signifikant zugenommen hatte, hat das Land Distickstoffmonoxid auf die Liste der verbotenen Rauschmittel gesetzt [7]. Besitz und Verkauf sind dort seitdem verboten. Ausnahmen gibt es nur für medizinische und technische Zwecke. Auch in Spanien – und damit auch auf Mallorca – darf Lachgas nur mit besonderer Genehmigung verkauft werden, weshalb die Polizei unter anderem auf der Urlaubsinsel gegen Straßenhändler hart durchgreifen kann [8]. In Frankreich wurde der Verkauf an Minderjährige nach Todesfällen bereits im Juni 2021 verboten, in Belgien seit Februar 2022 in einigen Städten. In der Schweiz gibt es die Bestrebung, Lachgas in die Liste der Betäubungsmittel aufzunehmen [9].

Was ist Lachgas?

Was steckt hinter dem Namen Lachgas? Distickstoffmonoxid (N2O) ist ein natürliches Stickoxid und entsteht unter anderem in der Natur als Nebenprodukt bei der bakteriellen Nitrifikation. Es ist farblos mit süßlichem Geruch. In manchen Erwähnungen heißt es Stickoxidul oder Stickoxydul.

Aus Kläranlagen, in der Landwirtschaft und aus Mooren werden große Mengen Lachgas in die Atmosphäre freigesetzt, wo es sich im Schnitt 109 Jahre hält und einen 273-mal höheren Effekt auf die Erderwärmung hat als Kohlendioxid. Der Anteil entweichenden Gases aus dem Konsum und sein klimaschädlicher Einfluss lassen sich laut Forschern bislang nicht messen. Außerdem schädigt es die Ozonschicht – mittlerweile mehr als Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).

Die Wirkung als Narkosemittel und Analgetikum kennt man seit 1797, als der englische Apotheker und Chemiker Humphry Davy damit zu experimentieren begann. Rein dargestellt hatte es bereits 1771 der Chemiker Joseph Priestley. Seit 1844 wird es medizinisch angewendet – besonders bei der Zahnmedizin und bei sehr kurzen chirurgischen Eingriffen.

Zum Einsatz kommt Lachgas aber auch in der Lebensmittelindustrie als Lebensmittelzusatzstoff E 942, wo es insbesondere als Treibgas in Milchprodukten, etwa in Schlagsahnedosen, fungiert. Ferner kann beim Fahrzeugtuning durch Lachgas-Einspritzung kurzzeitig die Motorleistung erhöht werden – was allerdings in Deutschland verboten ist. Auch in Raketentreibstoffen dient N2O als Oxidationsmittel.

Wo steckt der Suchtfaktor?

Medizinisch lässt sich Distickstoffmonoxid nur kurz anwenden – die schmerzstillende und leicht narkotische Wirkung hält nur rund 15 Minuten an. Es wirkt ab etwa einem Anteil von circa 20% in der Atemluft, bei zu hoher Dosierung kann es zu Atemdepression und -stillstand kommen.

Dass sich Lachgas als Rauschmittel missbrauchen lässt, ist bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Phase eins des Lachgas-Missbrauchs gab es kurz nach der Entdeckung mit sogenannten Lachgas-Partys, Phase zwei in den späten 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem unter Medizin- und Zahnmedizinstudenten [10]. Der aktuelle, unter anderem durch die COVID-19-Pandemie und Social-Media-Trends getriggerte Anstieg des Konsums wird als Phase drei bezeichnet.

Der Trivialname Lachgas (engl. Laughing Gas) ist bereits ein Hinweis auf die euphorisierende Wirkung von Distickstoffmonoxid. Bereits kurz nach seiner Entdeckung wurde die psychogene Wirkung beschrieben als „Gas, das je nach Charakter der damit berauschten Probanden bei Inhalation Lachen, Singen, Tanzen, Reden oder Prügeln bewirken könne” [10]. Die Wirkung wird als Euphorie, Entspannung und „Losgelöstsein“ beschrieben [11]. Auch Wärme- und Glücksgefühle sowie leichte Halluzinationen werden durchlebt [12].

Konsumiert wird Lachgas typischerweise, indem es aus den Gasflaschen in Luftballons gefüllt und dann aus diesen inhaliert wird. Die direkte Inhalation aus den Druckbehältnissen würde zu Erfrierungen führen [9]. Leere Gasflaschen und ausgeleierte Luftballons werden daher oft am Ort des Konsums zurückgelassen.

Die vermeintliche Harmlosigkeit, die leichte Verfügbarkeit sowie die Kurzfristigkeit des Rausches tragen zur Gefährlichkeit bei. Oft konsumieren die Betroffenen in kurzer Zeit viel – Suchtfaktor ist dabei die psychische Wirkung.

Tödlicher TikTok-Trend: Deo-Challenge

Auf der Social-Media-Plattform TikTok jagt ein Trend den nächsten. Erreicht ein Video große Aufmerksamkeit, versuchen andere es nachzumachen. In sogenannten Challenges werden Jugendliche dazu angetrieben, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun würden und sich dabei zu filmen. Ihr Ziel: Ihr Video soll möglichst viele „Likes“ generieren. Je krasser die Mutprobe, umso eher wird das Video gesehen und „geliked“. Die Challenges sind aber teilweise sehr gefährlich, immer wieder berichten Medien über Todesfälle, die mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Ende September warnte das Bundes­institut für Risikobewertung vor Challenges mit Deodorants, in denen mit Pumpsprays bis zur Kälteverbrennung auf die Haut gesprüht oder das Aerosol sogar inhaliert werden sollte. Beim Sprühen kann die Temperatur innerhalb weniger Sekunden auf bis zu -30 °C sinken. Weil die Schmerzrezeptoren bei extremer Kälte denaturieren können, wird in der Folge kein Schmerz­signal mehr ans Gehirn gesendet. So ist das Risiko hoch, dass trotz Hautschädigungen weitergesprüht wird. Kälteverbrennungen treten auf, im schlimmsten Fall stirbt die Haut ab und eine Hauttransplantation kann notwendig werden. Werden die Aerosole der Deodorants missbräuchlich eingeatmet, können Herz und Gehirn geschädigt werden. In der Lunge kann die Atemluft verdrängt werden, bis hin zu einer Sauerstoffunterversorgung. Neben Benommenheit und Erbrechen kann es zu schweren Symptomen wie Atemstörungen, epileptischen Anfällen und Kreislaufversagen kommen, schwere Verläufe können tödlich enden [18].

Gefahren des Konsums

Mit dem Konsum größerer Mengen steigt aber auch die Gefahr schwerer Nebenwirkungen. Von der möglichen Atemdepression und unmittelbaren Verletzungsgefahren durch Schwindel, Desorientiertheit oder Autofahren im Rausch­zustand abgesehen, gibt es Langzeitfolgen. Distickstoff­monoxid oxidiert Vitamin B12, das als Co-Faktor des Enzyms Methionin-Synthase und des Enzyms Methylmalonyl-­Coenzym-A-Mutase fungiert. Bis zu sechs Stunden nach dem Konsum ist die Funktion dieser Enzyme nachhaltig beeinträchtigt. Das kann zu Symptomen eines Vitamin-B12-Mangels, vor allem jedoch zu bleibenden neurologischen Schäden führen [13]. Beschrieben wird etwa eine Degeneration des Rückenmarks mit Bewegungsstörungen bis hin zur Querschnittslähmung. Neuropathien treten ebenso auf wie Psychosen mit Verhaltensänderungen, Wahnvorstellungen, Paranoia oder Halluzinationen [13, 14, 15, 16, 17]. Blickt man auf den Laborwert, haben die Betroffenen dabei oft einen normalen Vitamin-B12-Spiegel. In vielen Fällen, wenn der Lachgaskonsum komplett eingestellt wird und die Betroffenen unter anderem mit Vitamin-B12-Gabe therapiert werden, sind Symptome reversibel. Todesfälle in einigen europäischen Ländern führten aber bereits zu entsprechenden Gesetzesänderungen im Umgang mit dem Gas. |
 

Literatur

 [1] FAZ. Haftbefehl: Habe 50 Flaschen Lachgas am Tag konsumiert. 14.03.2023 www.faz.net/aktuell/gesellschaft/smalltalk/haftbefehl-ueber-drogen-er-konsumierte-50-flaschen-lachgas-am-tag-18747037.html

 [2] DAZ. Neuer Suchttrend: Lachgas in Diskotheken. DAZ 1997, Nr. 20, 11.05.1997 www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/1997/daz-20-1997/uid-1908

 [3] Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD), Webauftritt, www.dbdd.de

 [4] Bergmann H et al. News: Substanzkonsum in deutschen Partyszenen 2022. IFT News. 2023 ift.de/wp-content/uploads/2023/04/Bergmann-2023_NEWS.pdf

 [5] Radio 90,1. Lachgas wird öfter als Partydroge missbraucht. 16.10.2023, www.radio901.de/artikel/lachgas-wird-oefter-als-partydroge-missbraucht-1794851.html

 [6] EMCDDA. Freizeitkonsum von Distickstoffmonoxid in Europa: Situation, Risiken, Reaktionen. 18.08.2023, www.emcdda.europa.eu/publications/topic-overviews/recreational-nitrous-oxide-use-europe-situation-risks-responses_de

 [7] ZDF heute. Lachgas ab 2023 in Niederlanden verboten. 15.11.2022; www.zdf.de/nachrichten/politik/niederlande-verbot-lachgas-100.html

 [8] Adel R et al. Schluss mit lustig: Polizei nimmt auf Mallorca Verkäufer von Lachgas fest. Mallorca Magazin 15.08.2023; www.mallorcamagazin.com/nachrichten/lokales/2023/08/15/114265/schluss-mit-lustig-polizei-nimmt-auf-mallorca-verkaufer-von-lachgas-fest.html

 [9] Schweizerische Koordinations- und Fachstelle Sucht. Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O) Informationen für Fachpersonen im Kontakt mit Konsumierenden. www.infodrog.ch/files/content/schadensminderung_de/2022-07_DE_Faktenblatt_Lachgas_def.pdf; Stand: 2022, letzter Zugriff 02.11.2023

[10] Hügin W. Anaesthesie. Entdeckung, Fortschritt, Durchbrüche. Editiones Roche, Basel 1989, ISBN 3-88878-060-8, S. 11f

[11] EMCDDA. Im Blickpunkt... Freizeitkonsum von Distickstoffmonoxid (Lachgas). www.emcdda.europa.eu/spotlights/spotlight-recreational-use-nitrous-oxide-laughing-gas_de; Stand: 03.02.2023

[12] Pronova BKK. Lachgaskonsum und die Folgen. www.pronovabkk.de/gesuender-leben/koerper-und-seele/gesunder-lifestyle/lachgaskonsum-und-die-folgen.html. letzter Zugriff 02.11.2023

[13] NN. Vitamin-B12-Mangel: Freizeitdroge Lachgas kann zu bleibenden neurologischen Schäden führen; Ärzteblatt 24.08.2023; www.aerzteblatt.de/nachrichten/145421/Vitamin-B12-Mangel-Freizeitdroge-Lachgas-kann-zu-bleibenden-neurologischen-Schaeden-fuehren

[14] Vollhardt R et al. Neurological consequences of recreational nitrous oxide abuse during SARS-CoV-2 pandemic. J Neurol 269, 1921–1926 (2022). doi.org/10.1007/s00415-021-10748-7

[15] Hassing LT et al. Nitrous-oxide-induced polyneuropathy and subacute combined degeneration of the spine: clinical and diagnostic characteristics in 70 patients, with focus on electrodiagnostic studies. Eur J Neurol. 2023 Sep 27. doi: 10.1111/ene.16076. Epub ahead of print

[16] De Halleux C, Juurlink DN. Diagnosis and management of toxicity associated with the recreational use of nitrous oxide. CMAJ. 2023 Aug 21;195(32):E1075-E1081. doi: 10.1503/cmaj.230196

[17] Zheng R et al. Reversible Neuropsychiatric Disturbances Caused by Nitrous Oxide Toxicity: Clinical, Imaging and Electrophysiological Profiles of 21 Patients with 6-12 Months Follow-up. Neuropsychiatr Dis Treat. 2020 Nov 23;16:2817-2825. doi: 10.2147/NDT.S270179

[18] Deo-Challenge: Missbräuchliche Anwendung kann die Gesundheit schwer schädigen. Information des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vom 21. September 2023, www.bfr.bund.de/cm/343/deo-challenge-missbraeuchliche-anwendung-kann-die-gesundheit-schwer-schaedigen.pdf

Autor

Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Redakteur und Texter für Wissenschaft, Umwelt und Gesundheit, Drehbuchautor, Rettungshelfer

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