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Medizin
Myasthenia gravis: Doppelbilder und müde Muskeln
Alte und neue Therapieoptionen und Beratungstipps für eine seltenen Autoimmunerkrankung
Die Myasthenia gravis, die auch Erb-Goldflam-Krankheit genannt wird, ist eine erworbene Autoimmunerkrankung, bei der die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln gestört ist [1, 2]. Die Folge ist eine Muskelschwäche, die bei körperlicher Belastung zunimmt und sich nach Schonung wieder bessert [3]. Es handelt sich um eine seltene Erkrankung, von der in Deutschland geschätzt 10 bis 36 Menschen pro 100.000 Einwohner betroffen sind. Die jährliche Neuerkrankungsrate liegt zwischen 0,25 und 3,0 Fällen pro 100.000 Einwohner [4]. Insgesamt sind Frauen etwa 1,5-mal häufiger von der Erkrankung betroffen als Männer, wobei es zwei Häufigkeitsgipfel gibt: Zwischen 30 und 40 Jahren erkranken mehr Frauen an Myasthenia gravis, zwischen 60 und 80 Jahren mehr Männer [1]. Grundsätzlich ist eine Erkrankung aber in jedem Alter möglich, also auch bei Kindern.
Pathogenese und Ursachen
Bei rund 80% der Patientinnen und Patienten sind Acetylcholin-Rezeptor-Autoantikörper nachweisbar, die gegen postsynaptische Acetylcholin-Rezeptoren an den motorischen Endplatten gerichtet sind [5]. Dabei handelt es sich um Synapsen, die für die Erregungsübertragung von den Nervenfasern auf die Muskelfasern verantwortlich sind. Durch die Blockade der Acetylcholin-Rezeptoren wird verhindert, dass der Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) an diese Rezeptoren bindet und sich die Rezeptorkanäle für Natriumionen öffnen können. In der Folge kommt es zu einer Abschwächung der neuromuskulären Reizübertragung und damit zu einer Hemmung der Muskelkontraktionen. Zusätzlich entleeren sich die präsynaptischen Acetylcholin-Speicher bei wiederholten Reizen, was die neuromuskuläre Übertragung weiter beeinträchtigt. Mittelfristig werden die postsynaptischen Rezeptoren durch Aktivierung des Komplementsystems zerstört und es kommt zu einem Umbau der postsynaptischen Membran (Abb. 1) [2, 6]. Bei einem kleinen Teil der Betroffenen (< 5%) lassen sich statt der Acetylcholin-Rezeptoren-Autoantikörper Antikörper gegen die muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase (MuSK-Autoantikörper) nachweisen, die gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase gerichtet sind [5]. Ein weiterer Teil der Erkrankten ist doppelt seronegativ, das heißt, es sind weder ACh-Rezeptor- noch MuSK-Autoantikörper nachweisbar.
Als Auslöser der Autoantikörperbildung werden vor allem virale oder bakterielle Infektionen diskutiert. Zudem erkranken Menschen etwas häufiger an Myasthenia gravis, wenn bestimmte genetische Prädispositionen vorliegen. Operationen, schwere Traumata und manche Medikamente können ebenfalls eine Myasthenie auslösen oder zu einer Exazerbation führen. Darüber hinaus scheinen Thymusveränderungen bei der multifaktoriellen Genese der Myasthenia gravis eine Rolle zu spielen. So sind bei 85% der Patientinnen und Patienten Thymushyperplasien und bei 10 bis 15% Tumore der Thymusdrüse (Thymome) nachweisbar [6].
Symptome und Klassifikation
Leitsymptom der Myasthenia gravis ist eine übermäßige Ermüdbarkeit der quergestreiften Muskulatur bei Belastung, die sich nach einer Erholungsphase wieder bessert [6]. Meistens ist zu Beginn der Erkrankung die Augenmuskulatur (okuläre Muskulatur) betroffen, was mit dem Sehen von Doppelbildern bzw. hängenden Augenlidern (Ptosis) einhergeht. Seltener ist zuerst die Zungen-, Rachen- und Kehlkopfmuskulatur (bulbäre Muskulatur) in Mitleidenschaft gezogen, was dann zu Sprech-, Kau- und Schluckstörungen führt [3]. Die Betroffenen fallen zudem durch hängende Gesichtszüge auf. Eine Schwäche der Arm- und Beinmuskeln bzw. der Muskeln, die den Kopf halten ist ebenfalls ein typisches Symptom der Erkrankung (Abb. 2) [3]. Die Beschwerden nehmen im Tagesverlauf zu und sind dementsprechend abends meist stärker ausgeprägt als morgens [3]. Rund 80% der Erkrankten entwickeln früher oder später ein schweres Fatigue-Syndrom, das oft therapierefraktär ist. Meistens kommt es auch bei Patientinnen und Patienten, die zu Beginn der Erkrankung nur unter Augensymptomen leiden, im weiteren Verlauf zur Generalisierung, sodass zusätzliche Muskelgruppen betroffen sind [3].
Bis zu 20% der Patientinnen und Patienten erleiden früher oder später eine sogenannte myasthene Krise [2]. Dabei verschlechtert sich die Symptomatik rapide, sodass die Schluck- und Atemmuskeln ihre Funktionen nicht mehr ausreichend erfüllen können [3]. Auslöser sind vor allem Infektionen, aber auch bestimmte bzw. falsch dosierte Medikamente (z. B. Betablocker, Acetylcholinesterase-Blocker, Statine), Traumata oder Narkosen können zu einer Exazerbation der Symptome führen [2]. Bei einem Teil der Fälle ist der Auslöser unbekannt. Die myasthene Krise ist eine lebensbedrohliche Situation, die eine sofortige intensivmedizinische Behandlung erfordert [3].
Die Myasthenia gravis kann anhand der klinischen Symptomatik und ihrer Ausprägung gemäß der Myasthenia Gravis Foundation of America (MGFA) in fünf verschiedene Schweregrade bzw. MGFA-Klassen eingeteilt werden (Tab. 1) [4].
MGFA-Klasse | klinischer Status |
---|---|
I | rein okuläre Myasthenie, beschränkt auf äußere Augenmuskeln und Lidschluss |
II | leichte generalisierte Myasthenie mit Einbeziehung anderer Muskelgruppen, oft einschließlich Augenmuskeln |
III | mäßiggradige generalisierte Myasthenie, oft einschließlich Augenmuskeln |
IV | schwere generalisierte Myasthenie |
V | Intubationsbedürftigkeit mit und ohne Beatmung (myasthene Krise) |
Klasse II bis IV lassen sich in zwei Subgruppen unterteilen: | |
A | Betonung der Extremitäten und/oder Gliedgürtel, geringe Beteiligung oropharyngealer Muskelgruppen |
B | besondere Beteiligung oropharyngealer und/oder Atemmuskulatur, geringe oder gleich starke Beteiligung der Extremitäten oder rumpfnaher Muskeln |
Diagnose
Besteht aufgrund des charakteristischen Beschwerdebilds der Verdacht auf Myasthenia gravis, so können verschiedene Untersuchungen durchgeführt werden, um die Diagnose zu sichern [1, 3]:
- Belastungstests: Hierzu gehört z. B. der Simpson-Test, in dem versucht wird, durch einminütiges Aufwärtsblicken eine Ptosis zu provozieren. Ein weiterer Test ist der Halteversuchstest, bei dem die Arme über 180 Sekunden im Sitzen oder Stehen um 90° vorgestreckt werden, die Beine über 45 Sekunden im Liegen um 45° angehoben werden und der Kopf über 90 Sekunden im Liegen um 45° angehoben wird. Ein vorzeitiges Absenken deutet auf eine Myasthenia gravis hin.
- Eis-Test: Bei den Betroffenen kann durch Kühlung des Auges z. B. mithilfe eines Eisbeutels eine Verbesserung der Ptosis erzielt werden.
- Serienstimulation: Dabei werden Nerven wiederholt in rascher Folge elektrisch gereizt. Bei Patientinnen und Patienten mit Myasthenia gravis kommt es im dazugehörigen Muskel zu einer immer stärker werdenden Abnahme der elektrischen Muskelantwort (Dekrement).
- Labortest: Wenn im Blut Antikörper nachgewiesen werden können, die gegen die Acetylcholin-Rezeptoren der motorischen Endplatte gerichtet sind, dann ist dies beweisend für eine Myasthenia gravis. Allerdings sind bei rund 50% der Patientinnen und Patienten mit okulärer Myasthenie und bei etwa 10% mit generalisierter Myasthenie solche Antikörper nicht nachweisbar (seronegative Myasthenie). In diesem Fall kann auf weitere Antikörper, z. B. gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase, getestet werden.
- Medikamententest: Hierbei wird Edrophonium – ein reversibler Acetylcholinesterase-Hemmer, der die Impulsübertragung vom Nerv auf den Muskel verbessert − intravenös injiziert. Liegt eine Störung der neuromuskulären Reizübertragung vor, wie dies bei MG der Fall ist, verbessert sich die Symptomatik nach 30 bis 60 s, was jedoch höchstens eine halbe Stunde anhält.
- bildgebende Verfahren: Steht die Diagnose Myasthenia gravis fest, kann mithilfe einer Computertomographie (CT) oder einer Kernspintomographie (MRT) die hinter dem Brustbein gelegene Thymusdrüse auf Vergrößerungen bzw. gutartige oder bösartige Tumoren (Thymome) hin untersucht werden. Diese müssen dann gegebenenfalls chirurgisch entfernt werden.
Differenzialdiagnostisch müssen andere Störungen der neuromuskulären Übertragung wie das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom, Myopathien, z. B. die okulopharyngeale Muskeldystrophie, sowie Beeinträchtigungen der Hirnnerven III, IV oder VI abgegrenzt werden [1].
Therapie der Myasthenia gravis
Für die symptomatische Basistherapie werden bei jeder Form der Myasthenia gravis Acetylcholin-Inhibitoren empfohlen, wobei vorwiegend Pyridostigmin eingesetzt wird, das − je nach Krankheitsschwere, Begleiterkrankungen, Nebenwirkungen und individueller therapeutischer Breite − in nicht-retardierter und/oder retardierter Form gegeben wird [4]. Bei Unverträglichkeit gegenüber Pyridostigmin oder bei dessen Unwirksamkeit kann die Gabe der Acetylcholin-Hemmer Ambenonium, Neostigmin oder Distigmin in Betracht gezogen werden [4]. Acetylcholin-Hemmer blockieren die Acetylcholinesterase reversibel, verhindern dadurch den Abbau von Acetylcholin, was wiederum dazu führt, dass die Konzentration des Neurotransmitters im synaptischen Spalt zunimmt und die Muskelschwäche so verringert wird [1].
Neben der symptomatischen Therapie sollte die Patientinnen und Patienten grundsätzlich eine verlaufsmodifizierende Behandlung mit einem Immunsuppressivum angeboten werden, sofern die Begleitumstände (adäquate Infrastruktur, Möglichkeit eines kontinuierlichen Monitorings etc.) dies erlauben [4]. Dadurch wird das Abwehrsystem gehemmt und damit auch die Autoimmunreaktion unterdrückt. Hier können verschiedene Wirkstoffgruppen eingesetzt werden (Tab. 2) [1, 3, 4]:
verlaufsmodifizierende Therapie | okulär | generalisiert | |||
---|---|---|---|---|---|
Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper positiv | MuSK-Antikörper positiv | ||||
erste Wahl | zweite Wahl | erste Wahl | zweite Wahl | ||
milde/moderate Krankheitsaktivität/Krankheitsschwere |
und/oder
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und/oder
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und/oder
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und/oder
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und/oder
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hohe Krankheitsaktivität/Krankheitsschwere (inklusive therapierefraktär) |
| +/– Glucocorticoide und/oder eine zusätzliche Therapieoption aus milder/moderater Krankheitsaktivität/-schwere | |||
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krisenhafte Verschlechterung |
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- Glucocorticoide: Diese haben unter anderem eine immunsuppressive Wirkung. Die am häufigsten eingesetzten Substanzen sind Prednison, Prednisolon und Methylprednisolon. Sie zeigen eine hohe Ansprechrate von 70 bis 80% innerhalb weniger Wochen bis Monate. Da sie aber vor allem bei langfristiger Einnahme häufig zu Nebenwirkungen führen, werden Glucocorticoide insbesondere in der Langzeittherapie meist mit steroidsparenden Immunsuppressiva, z. B. Azathioprin, kombiniert.
- Azathioprin: Das Purin-Analogon, das über die DNA-Synthese die Proliferation von T- und B-Lymphozyten hemmt, wirkt somit ebenfalls immunsuppressiv. Die Wirkung tritt jedoch erst nach mehreren Monaten ein. Azathioprin kann als Mono- oder Kombinationstherapie zusammen mit Glucocorticoiden gegeben werden.
- sonstige Immunsuppressiva: Bei Unverträglichkeit, unzureichendem Ansprechen auf Azathioprin oder schweren Verlaufsformen können off label weitere Immunsuppressiva eingesetzt werden. Hierzu gehören Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Mycophenolat-Mofetil, Methotrexat und Tacrolimus sowie der monoklonale Antikörper Rituximab, der gegen CD20 auf der Zelloberfläche von B-Lymphozyten gerichtet ist.
Bei hoher Krankheitsaktivität, vor allem aber bei schweren Exazerbationen oder bei einer myasthenen Krise kann eine Interventionstherapie mit intravenösen Immunglobulinen durchgeführt werden, die eine immunmodulierende Wirkung aufweisen. Eine Alternative in diesen therapeutischen Situationen ist eine Plasmapherese oder eine Immunadsorption [1, 4]. Dabei werden die Antikörper (Plasmapherese) bzw. selektiv die Immunglobulin-G-Subtypen (Immunadsorption) durch Apherese aus dem Plasma entfernt.
Was die nicht-medikamentöse Behandlung der Myasthenia gravis betrifft, sollte bei Patientinnen und Patienten mit nachgewiesenem Thymom, unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung, die Thymusdrüse operativ entfernt werden. Auch bei einer generalisierten Myasthenia gravis kann – ohne Nachweis eines Thymoms − eine solche Thymektomie indiziert sein [1].
Neue Therapieansätze
Seit wenigen Jahren etablieren sich zunehmend spezifisch auf das Immunsystem wirkende Substanzen zur Behandlung der Myasthenia gravis, die sich durch einen schnellen Wirkeintritt und ein günstiges Nutzen-Nebenwirkungs-Profil auszeichnen [7]. So steht seit 2017 mit Eculizumab (Soliris®)der erste Inhibitor des Komplementfaktors C5 zur Verfügung, der bei der Pathogenese der MG eine wichtige Rolle spielt [4]. Im September 2022 wurde mit Ravulizumab (Ultomiris®)eine Weiterentwicklung von Eculizumab zur Behandlung der generalisierten MG zugelassen [8]. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Präparaten liegt in der deutlich längeren terminalen Halbwertszeit des Ravulizumab von 49,7 statt 11,3 Tagen bei Eculizumab. Dadurch kann das Therapieintervall in der Erhaltungstherapie von zwei auf acht Wochen verlängert werden. Seit dem Jahr 2022 wird auch der monoklonale Antikörper Efgartigimod (Vyvgart®) angeboten. Der Wirkstoff blockiert den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn), der verschiedene Funktionen beim Transport und Recycling von IgG hat. Bindet der neonatale Fc-Rezeptor an IgG, so wird der Abbau des Antikörpers verhindert. Wenn Efgartigimod wiederum den neonatale Fc-Rezeptor blockiert, ist körpereigenes IgG nicht mehr vor dem Abbau geschützt – dadurch sinken auch die Plasmaspiegel der Autoantikörper gegen die Acetylcholin-Rezeptoren. Efgartigimod ist der erste verfügbare Wirkstoff dieser Substanzklasse.
Im Rahmen der MycarinG-Studie wurde mit Rozanolixizumab (vorgesehener Handelsname Rystiggo®) nun ein weiterer FcRn-Inhibitor untersucht [9]. An der Multicenter-Studie der Phase III nahmen insgesamt 200 erwachsene Patientinnen und Patienten teil, die an generalisierter Myasthenia gravis erkrankt waren und einen MG-ADL-Score (Myasthenia Gravis Activities of Daily Living) von ≥ 3 aufwiesen. Anders als bei Efgartigimod wurden aber nicht nur Betroffene mit AChR-Autoantikörpern, sondern auch solche mit MuSK-Autoantikörpern eingeschlossen. Nach Randomisierung im Verhältnis 1 : 1 : 1 erhielten die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer über sechs Wochen Rozanolixizumab-Infusionen (7 mg/kg oder 10 mg/kg, einmal wöchentlich, subkutan) oder stattdessen Placebo. Im Ergebnis besserte sich der MG-ADL-Score bis Tag 43 (primärer Endpunkt) unter 7 mg Rozanolixizumab/kg Körpergewicht um 3,37 Punkte und unter 10 mg Rozanolixizumab/kg um 3,4 Punkte, während unter Placebo nur eine Verbesserung von 0,78 Punkten erreicht wurde (jeweiliges p < 0,0001). Die Rate der schwerwiegenden behandlungsbedingten Nebenwirkungen betrug in der Gruppe mit 7 mg Rozanolixizumab/kg 8%, mit 10 mg Rozanolixizumab/kg 10% und in der Placebogruppe 9%. Todesfälle traten nicht auf. Rozanolixizumab führte somit bei generalisierter Myasthenia gravis zu klinisch bedeutsamen Verbesserungen und wurde gleichzeitig gut vertragen, wobei auch die Gruppe mit MuSK-Autoantikörpern von der Behandlung profitieren konnte. Damit bietet der FcRn-Modulator eine potenzielle Therapieoption für eine breite Gruppe von MG-Patientinnen und -Patienten.
Ein neuer Therapieansatz bei der generalisierten Myasthenia gravis ist auch Zilucoplan, ein Inhibitor des Komplementfaktors C5. Im Gegensatz zu den Komplementinhibitoren Eculizumab und Ravulizumab ist Zilucoplan jedoch kein monoklonaler Antikörper, sondern ein makrozyklisches Peptid und wird auch nicht als intravenöse Infusion, sondern subkutan verabreicht. Die Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz wurden in der RAISE-Studie untersucht [10]. In die Multicenter-Studie der Phase III waren 174 erwachsene Patientinnen und Patienten mit generalisierter, AChR-Autoantikörper-positiver Myasthenia gravis eingeschlossen, die einen MG-ADL-Score von ≥ 6 aufwiesen. Diese erhielten nach Randomisierung im Verhältnis 1 : 1 über zwölf Wochen Zilucoplan (0,3 mg/kg, einmal täglich, subkutan als Selbstinjektion) oder stattdessen Placebo. Unter Zilucoplan sank der MG-ADL-Score signifikant um 4,39 Punkte im Vergleich zu 2,30 Punkten unter Placebo (p = 0,0004). Schwere therapiebedingte Nebenwirkungen und schwere Infektionen traten in beiden Gruppen etwa gleich häufig auf. Es kam zu keinen behandlungsbedingten Todesfällen. Zilucoplan befindet sich in der Zulassung und könnte damit eine neue, gut wirksame und verträgliche Behandlungsoption für Patientinnen und Patienten mit AChR-Autoantikörper-positiver generalisierter Myasthenia gravis sein. |
Auf einen Blick
- Die Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln gestört ist.
- Meistens bilden sich Autoantikörper gegen die ACh-Rezeptoren aus, welche die neuromuskuläre Reizübertragung hemmen. Auslöser können z. B. Infektionen und bestimmte Arzneimittel sein.
- Typische Symptome sind hängende Augenlider, Doppeltsehen und übermäßige Muskelschwäche in Armen und Beinen nach Belastung. Myasthenia gravis kann anhand der klinischen Symptomatik in fünf Schweregrade eingeteilt werden.
- Die Diagnose wird anhand der charakteristischen Beschwerden gestellt. Um sie zu sichern, können Belastungstests, Eis-Tests sowie eine Serienstimulation durchgeführt wrden. In Labortests können Autoantikörper nachgewiesen werden und ein Test mit Edrophonium kann ebenfalls auf das Vorliegen einer Myasthenia gravis hinweisen.
- Basistherapie sind Acetylcholin-Hemmer wie Pyridostigmin. Verlaufsmodifizierende Behandlungen können mit Glucocorticoiden und Immunsuppressiva wie Azathioprin (oft in Kombination) durchgeführt werden. Bei schweren Exazerbationen werden intravenöse Immunglobuline sowie Plasmapherese/Immunadsorption eingesetzt.
- In jüngster Zeit etablieren sich zunehmend neue Wirkstoffe zur Behandlung der Myasthenia gravis. Dazu gehören Komplementinhibitoren wie die monoklonalen Antikörper Eculizumab und Ravulizumab oder das makrozyklische Peptid Zilucoplan sowie die FcRn-Modulatoren Efgartigimod und Rozanolixizumab.
Literatur
[1] Myasthenia gravis. www.amboss.com/de/wissen/myasthenia-gravis/, Abruf am 24. Juli 2023
[2] Myasthenia gravis. Doccheck-Flexikon, https://flexikon.doccheck.com/de/Myasthenia_gravis, Abruf am 24. Juli 2023
[3] Myasthenia gravis. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM), www.dgm.org/sites/default/files/2022-11/Wissenswertes%20Myasthenia%20gravis_11_2022.pdf, Abruf am 24. Juli 2023
[4] Wiendl H, Meisel A et al. Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2022, DGN, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), https://dgn.org/leitlinie/diagnostik-und-therapie-der-myasthenia-gravis-und-des-lambert-eaton-syndroms
[5] Myasthenia gravis (ICD-10 G70.0). Informationen des Neurologienetz, www.neurologienetz.de/fachliches/erkrankungen/neuro-muskulaere-erkrankungen/myasthenia-gravis#c1450, Abruf am 27. Juli 2023
[6] Myasthenia gravis. Informationen der Gelben Liste. www.gelbe-liste.de/krankheiten/myasthenia-gravis, Abruf am 24. Juli 2023
[7] Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Neue Therapieoptionen bei Myasthenia gravis. https://idw-online.de/de/news814440, Abruf am 27. Juli 2023
[8] Wedekind S. Neue Therapie bei Myasthenia gravis. MMW – Fortschritte der Medizin 2023;165:49
[9] Bril V, Drużdż A, Grosskreutz J, Habib AA, Mantegazza R, Sacconi S, Utsugisawa K, Vissing J, Vu T, Boehnlein M, Bozorg A, Gayfieva M, u. a. Safety and efficacy of rozanolixizumab in patients with generalised myasthenia gravis (MycarinG): a randomised, double-blind, placebo-controlled, adaptive phase 3 study. Lancet Neurol 2023;22:383-394
[10] Howard JF, Bresch S, Genge A, Hewamadduma C et al. Safety and efficacy of zilucoplan in patients with generalised myasthenia gravis (RAISE): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 study. Lancet Neurol 2023;22:395-406
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