Arzneimittel und Therapie

Medikation unter der Lupe

Tipps und Tricks für die Medikationsanalyse – Fall 10: Viel Lärm um nichts oder ernsthafte Probleme von Kopf bis Bauch?

Erweiterte Medikationsberatung ist eine der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen, die Apotheken ihren Patientinnen und Patienten mit Polymedikation anbieten können. Herzstück ist eine Medikationsanalyse. Sie ist die Basis für das Erkennen und Lösen von arznei­mittelbezogenen Problemen. Neben einem strukturierten Vorgehen ist detektivischer Spürsinn gefragt. Mit unserer crossmedialen Serie „Medikation unter der Lupe“ fordern wir diesen Spürsinn heraus.

Einmal im Monat stellen wir in der DAZ und auf DAZ.online einen Fall vor und geben Anregungen für Lösungen. Dann sind Sie gefragt. Wie würden Sie vorgehen, um die Probleme in den Griff zu bekommen? Ihren Lösungs­ansatz können Sie dann in einem Webinar mit unseren Autorinnen und Autoren diskutieren, die ihrerseits einen Vorschlag präsentieren werden. Das Webinar zu unserem zehnten Fall, den hier Apothekerin Dr. Isabel Waltering, Institut für Pharmazeu­tische und Medizinische Chemie Münster, vorstellt, startet am 23. August 2023 um 20:00 Uhr.

Der Fall

Subjektive Parameter und Haupt­beschwerden: Belinda Süß (fiktiver Name) ist eine 74-jährige Patientin, 165 cm groß und wiegt 75 kg, BMI 27,5 kg/m2. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und hat einen sehr aktiven Freundeskreis, mit dem sie viel und häufig telefoniert. Die Tochter lebt in Österreich und ist auch oft telefonisch mit ihr in Kontakt.

Sie gibt folgende Erkrankungen an:

  • Diabetes mellitus Typ 2
  • Bluthochdruck
  • Vorhofflimmern
  • chronische Bronchitis/COPD
  • Schilddrüsenunterfunktion
  • Rosazea
  • Osteoporose

Vor ca. zehn Jahren erlitt sie einen Schlaganfall. Als aktuelle Beschwerden gibt sie trockene Augen, Blähungen und Durchfälle sowie Herzrasen und Schlafstörungen an.

Objektive Parameter: Die Tabelle zeigt die Arzneimittel, die Frau S. aktuell (Juli) dauerhaft anwendet.

Tab.: Medikation der Patientin
Wirkstoff
Stärke
Form
Dosierung
besondere Hinweise
Levothyroxin
50 µg
Tabletten
1-0-0-0
Vitamin D
10.000 IE
Kapseln
0-1-0-0
bestellt Tochter aus dem Internet (Vita 2You)
Metformin
850 mg
Tabletten
1-0-1-0
Ramipril
2,5 mg
Tabletten
1-0-1-0
Bisoprolol
5 mg
Tabletten
1-0-1-0
Sitagliptin
50 mg
Tabletten
1-0-0-0
Apixaban
5 mg
Tabletten
1-0-1-0
Atorvastatin
20 mg
Tabletten
0-0-1-0 oder 0-0-½-0
Arzt gibt keine genaue Dosierung vor
Femiloges
Tabletten
1-1-1-1
Simeticon
Tabletten
1-1-1-1
bei Blähungen
Prednisolon
20 mg
Tabletten
1-½-0-0
nach Krankenhausauf­enthalt wegen Bronchitis
Pantoprazol
40 mg
Tabletten
1-0-1-0
Spiriva® Respimat
Respimat
1-0-1-0
Formoterol
6 µg
Inhalationskapseln
1-0-1-0
Buscopan®
Dragees
1-1-1-0
bei Bauchschmerzen
Salbutamol
Spray
bei Bedarf
Metronidazol
Gel
morgens und abends auftragen
Estriol
Creme
abends auftragen
als Bedarfsmedikation verwendet sie zusätzlich folgende Medikamente:
Metamizol
500 mg
Tabletten
bei Bedarf
Lactulose
Sirup
bis zu dreimal 10 ml
bei Verstopfung
Macrogol
Pulver zur Herstellung einer Lösung
bis zu zwei Beutel pro Tag
bei Verstopfung

Laborwerte: Die Laborwerte sind überwiegend unauffällig. Ins Auge fallen die Zuckerwerte:

  • Blutzucker nüchtern: 199 mg/dl (11,05 mmol/l),
  • HbA1c-Wert: 9,2%
  • Gesamtcholesterol-Wert: 167 mg/dl (4,29 mmol/l); Angaben zum LDL-Cholesterol- und HDL-Cholesterol-Spiegel liegen nicht vor.
  • Nierenfunktion ist mit 55 ml/Minute leicht eingeschränkt (Serum-Creatinin 0,9 ml/Minute)
  • Calcium-Spiegel ist mit 4,4 mmol/l deutlich erhöht
  • Blutdruckmessung in der Apotheke ergab einen Wert von 129/88 mmHg und einen Puls von 92 Schlägen/Minute

Der Kontakt zu Frau Süß wurde im Rahmen eines Vortrags zu Demenz in einer Tagespflege-Einrichtung hergestellt. Sie fühlt sich mit ihrer Medikation überfordert und hat Probleme sich an die Einnahmevorschrift zu halten. Viele Telefonate über den Tag verteilt hindern sie immer wieder daran, ihre Tabletten regelmäßig einzunehmen. Beim vereinbarten Termin zur erweiterten Medikationsberatung berichtet sie, dass sie im Mai ins Krankenhaus musste, da aufgrund von massivem Vorhofflimmern eine erneute Kardioversion notwendig war. Ihre hohen Pulswerte beunruhigen sie doch sehr. Dazu kommen seit Jahren Schlaf­probleme. Auch die Blähungen empfindet Frau S. als sehr belastend.

Sie ist sich nicht sicher, ob sie das Statin weiternehmen soll, ihr Hausarzt sagt, sie könne auch eine halbe Tablette nehmen, dann kann sie es doch auch ganz absetzten.

Frau S. berichtet auch von Rückenschmerzen aufgrund der Osteoporose, mag aber das Metamizol, diesen „Hammer“, nicht so oft einnehmen, aus Angst vor einer Abhängigkeit. Außerdem wünscht sie sich ein Präparat gegen ihre trockenen Augen.

Die Kontrolle der Inhalationstechnik zeigt einen korrekten Umgang mit den Inhalatoren, aber eine gewisse Unsicherheit bei der Häufigkeit der Anwendung vom Salbutamol-Dosier­aerosol.

Auf Nachfrage zur Indikation der einzelnen Medikamente war sie zum Teil unsicher und hat ihren mitanwesenden Ehemann immer wieder gefragt, der aber auch nicht alle Informationen hatte. Außerdem fragte sie häufig nach den gleichen Informationen und machte insgesamt einen recht unruhigen und verunsicherten Eindruck.

Tipps und Tricks

Bei der Bearbeitung des Falls ist es notwendig, die relevanten arznei­mittelbezogenen Probleme zu erkennen und vor allem zu priorisieren. Auf folgende arzneimittelbezogenen Probleme (ABP) sollte geachtet werden:

  • Einnahmezeitpunkte
  • Einnahmeintervalle
  • Dosierungen
  • fehlende Indikationen der angewendeten Arzneimittel
  • Dauer der Anwendung
  • Nebenwirkungen
  • Doppelmedikation
  • Probleme mit Therapie- und Ein­nahmetreue
  • fehlende Arzneimittel

Lösungswege

Dr. rer. nat. Isabell Waltering, PharmD, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, geriatrische Pharmazie, Infektiologie und ATHINA-Koordinatorin, wird am 23. August 2023 um 20:00 Uhr mit Ihnen in einem Webinar Lösungswege diskutieren.

Das Webinar ist buchbar unter https://akademie.dav-medien.de/medikation-unter-der-lupe-fall-10/

Das Webinar ist kostenfrei für Abonnenten der DAZ und Scholz online sowie für DPhG-Mitglieder. Alle anderen zahlen 35,00 Euro für die Teilnahme. |

 

Disclaimer

Die Kasuistiken beruhen teils auf tatsächlichen Gegebenheiten, teils auf Ergänzungen und Fiktion. Ihren Pharmakovigilanz-Verpflichtungen sind die Autorinnen und Autoren nach eigenem Ermessen und nach eigener Bewertung nach­gekommen.

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