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Belästigende Anrufe: ABDA setzt auf Kammern statt auf Gesetzgeber
DAT-Antrag soll nicht weiterverfolgt werden / Kritik von den Kammern Hamburg und Rheinland-Pfalz
Nach einer im März 2022 auf DAZ.online durchgeführten Umfrage haben drei von vier Approbierten bereits mindestens einmal im Notdienst einen obszönen Anruf erhalten. Doch nur die allerwenigsten Betroffenen wehren sich dagegen. Die Rückmeldungen aus dem Berufsstand auf die DAZ-Berichterstattung waren zahlreich und emotional. Auch die Kammern aus Hamburg und Rheinland-Pfalz wurden aktiv: Sie legten beim DAT im vergangenen September einen Antrag vor, in dem sie den Gesetzgeber aufforderten, „geeignete Maßnahmen zum Schutz von notdiensthabenden Apothekerinnen und Apothekern vor bedrohlichen und belästigenden Anrufen zu ergreifen und umzusetzen“. Dieser wurde mit großer Mehrheit angenommen.
In der Folge musste sich die ABDA mit diesem Thema befassen. Nun hat deren Geschäftsführender Vorstand einen Beschluss gefasst: Er plädiert dafür, „nicht an den Gesetzgeber mit dem Ziel heranzutreten, Straftatbestände zu schaffen oder zu erweitern, welche explizit die Belästigung/Bedrohung von Apotheker*innen im Notdienst sanktionieren“. Es sei zwar „unter Berücksichtigung der erheblichen persönlichen Betroffenheit der Apotheker*innen im Falle einer solchen Belästigung oder sogar Bedrohung opportun, nach Maßnahmen zu suchen, die zu einer Abschreckung führen“, erläutert der Geschäftsführende ABDA-Vorstand. Eine eigene Rechtsnorm zu schaffen, die eine solche Tat gezielt unter Strafe stellt, sei indes nicht erfolgversprechend. Eine strafrechtliche Verfolgung solcher Anrufe sei bereits möglich, sodass keine Regelungslücke bestehe, die aber Voraussetzung eines gesetzgeberischen Handelns wäre. Zu nennen seien etwa § 185 Strafgesetzbuch (Beleidigung), § 238 StGB (Nachstellung) und § 241 StGB (Bedrohung).
ABDA fürchtet Ansehensverlust
Es sei nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Voraussetzung einer Strafbarkeit bei den genannten Straftatbeständen anpasst, wenn es sich bei den Opfern um Apothekerinnen und Apotheker im Notdienst handelt. Daher dürfte nach Einschätzung des Geschäftsführenden ABDA-Vorstands „ein Anschreiben an den Gesetzgeber mit dem Ziel, einen eigenen Straftatbestand zu erwirken, eher zu einem Ansehensverlust führen als zu dem gewünschten Ergebnis“. Zielführender scheinen demnach praktische Vorkehrungen im Einzelfall, die die Kammern selbst treffen können und dies vereinzelt bereits tun. Etwa durch Schulungen des Personals, das Einrichten einer Fangschaltung und das Zulassen von Anrufen nur mit Nummernübertragung. Die ABDA könnte zudem über einen gewissen Zeitraum Zahlen und Fakten zusammentragen und die Situation im Auge behalten.
Kritik am Beschluss
Die Antragsteller aus Hamburg und Rheinland-Pfalz erinnern in einer Stellungnahme zum Beschluss des Geschäftsführenden ABDA-Vorstands zunächst daran, dass es nach geltendem Satzungsrecht der ABDA nicht die Aufgabe eines ABDA-Gremiums sei, einen vom DAT beschlossenen Antrag abzuändern – in diesem Fall also den Gesetzgeber nicht zu adressieren. „Vielmehr sind die Beschlüsse der Hauptversammlung für das Handeln der Bundesvereinigung und ihrer Organe verpflichtend“, schreiben die Kammern mit Verweis auf § 4 Abs. 2 der ABDA-Satzung. „Sollte die ABDA von der Umsetzung eines Antrages Abstand nehmen wollen, sollte dies vor der Beschlussfassung etwa in der Antragskommission beraten und ggf. entsprechend kommuniziert werden.“
Zudem betonen die Kammern, dass verbale sexuelle Belästigung bisher eben nicht strafbar sei – das dürfte wohl ein Tatbestand sein, der in den notdiensthabenden Apotheken besonders häufig vorkommt. So setze die sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) eine körperliche Berührung voraus. Auch könne verbale sexuelle Belästigung nicht grundsätzlich als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB betrachtet werden. Eine Strafbarkeit wegen Bedrohung (§ 241 StGB) scheide ebenfalls aus.
Das sogenannte Catcalling hingegen, also sexuell konnotierte Verhaltensweisen bzw. verschiedene Arten der sexuellen Belästigung ohne Körperkontakt, sei hierzulande bisher nicht strafbewehrt – anders als in einigen anderen europäischen Ländern, etwa Belgien, den Niederlanden, Portugal und Frankreich. „‚Catcalling‘ befasst sich mit verbaler sexueller Belästigung im öffentlichen Raum“, fassen die beiden Kammern zusammen. „Öffentlich“ sei dabei nicht im Sinne von „in der Öffentlichkeit“ zu verstehen, sondern meine vielmehr, dass sich ein Mensch nicht in einem geschützten Rückzugsraum befindet, in dem er vor sexueller Belästigung geschützt ist oder sich effektiv wehren kann. „In dem Maße, wie verbale sexuelle Belästigung etwa im vorgeschriebenen apothekerlichen Notdienst, dem sich das Opfer nicht komplett entziehen kann, stattfinden, ist die Öffentlichkeit im Sinne der Schutzwürdig- und -bedürftigkeit des Opfers als gegeben anzusehen“, so die Kammern. Ganz generell sehen sie nach dem Vorstehenden Bedarf, die verbale sexuelle Belästigung von Rettungs- und Notdienstpersonal – und damit auch von Apothekenpersonal – gesondert unter Strafe zu stellen.
Laut Hamburgs Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen geben die Kammern nicht auf. In Gesprächen mit Politikern sei man auf offene Ohren gestoßen. |
Ausgeliefert
Ein Kommentar
Ist das schon Arbeitsverweigerung? Die ABDA hat von den Delegierten beim Deutschen Apothekertag im vergangenen Jahr einen klaren Auftrag erhalten: Sie soll darauf hinwirken, dass der Gesetzgeber geeignete Maßnahmen ergreift, um Approbierte im Notdienst vor bedrohlichen und belästigenden Anrufen zu schützen. Die Beschlüsse der Hauptversammlung sind nach § 4 Absatz 2 der ABDA-Satzung bindend für das Handeln der Bundesvereinigung und ihrer Organe – doch der Geschäftsführende Vorstand will den Antrag nicht umsetzen. Damit bricht die ABDA nicht nur eigenes Recht, sie sendet auch ein fatales Signal an die betroffenen Apothekerinnen und Apotheker im Land: Euer Schutz ist nicht unsere Baustelle.
Mindestens so irritierend wie der Vorgang selbst und der Versuch, diesen Arbeitsauftrag weitgehend unbemerkt unter den Tisch fallen zu lassen, ist die Begründung, die der Geschäftsführende Vorstand vorbringt. Weder erfassen die aufgeführten Strafnormen verbale sexuelle Belästigung, um die es sich in vielen Fällen handelt, noch ist nachvollziehbar, weshalb ein Ansehensverlust drohen sollte, wenn die Standesvertretung dieses Problem in Berlin anschneidet. Dass sich Menschen, die rund um die Uhr für andere da sind und etwa die Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen, eine Möglichkeit wünschen, sich gegen verbale Übergriffe zu wehren, ist völlig legitim und dürfte sich auch den Abgeordneten erschließen.
Anzunehmen ist, dass auch andere notdienstleistende Gesundheitsberufler von solchen Attacken betroffen sind, wie der Geschäftsführende Vorstand treffend anführt. Das ist allerdings kein Argument, um nicht aktiv zu werden, sondern zeigt umso mehr, dass Handlungsbedarf seitens der Politik besteht. Dass es keineswegs undenkbar ist, solche Anrufe mit einer Straf- oder zumindest Ordnungswidrigkeiten-Rechtsnorm zu sanktionieren, zeigt der Blick ins EU-Ausland. In einigen Staaten ist das sogenannte Catcalling bereits verboten. In Frankreich etwa kann verbale sexuelle Belästigung mit Geldstrafen in Höhe von bis zu 750 Euro geahndet werden.
Das Begehren des Berufsstands einfach so wegzuwischen, zeugt überdies von mangelndem Verständnis, welche Folgen für die Berufsausübung drohen. Am Telefon belästigt zu werden, hinterlässt Spuren – egal, wie geübt man darin ist, so etwas an sich abprallen zu lassen. Es bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn das nächste Mal das Telefon klingelt. Nun sind Notdienste ohnehin nicht unbedingt beliebt unter den Approbierten. Solchen Übergriffen macht- und wehrlos ausgesetzt zu sein, fördert indes sicher nicht die Bereitschaft, die nächtlichen Dienste zu übernehmen. Vor dem Hintergrund, dass die ABDA den Notdienst zurecht gern als wichtiges Abgrenzungsmerkmal zum Versandhandel bemüht, sollte ihr doch das Wohlergehen der dienstleistenden Approbierten ein wenig mehr am Herzen liegen, als es der Beschluss des Geschäftsführenden Vorstands vermuten lässt.
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