Arzneimittel und Therapie

Wie und wann Opioide abgesetzt werden sollen

Internationale Leitlinie bietet Empfehlungen zum sicheren Vorgehen

Zunehmende Opioid-Verordnungen und damit verbundene negative Folgen sind zu einem globalen Problem geworden. Nationale und internationale Organisationen haben sich daher zum Ziel gesetzt, die Häufigkeit arzneimittelbedingter Schäden zu verringern. In diesem Kontext entstand eine internationale Leitlinie zur Entwöhnung von Opioiden, die elf Empfehlungen zu einem sicheren Ausschleichen und Absetzen von Opioiden gibt.

Das Expertengremium zur Erstellung der Leitlinie „Evidence-based clinical practice guideline for deprescribing opioid analgesics“ bestand aus Mitgliedern unterschiedlicher Gesundheitsberufe (auch Apothekern), die Erfahrungen bei der Betreuung von Patienten unter einer Opioid-Therapie hatten. Bei der Erarbeitung ihrer Empfehlungen griffen sie auf systematische Reviews und klinische Studien zurück, deren Evidenz mithilfe der GRADE-Klassifikation (GRADE = Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation) beurteilt wurde. Die Stärke einer Empfehlung orientierte sich ebenfalls an den GRADE-Kriterien. So gibt es klare oder bedingte Empfehlungen für oder gegen eine Maßnahme sowie Konsensus-Empfehlungen, die auf Expertenmeinungen basieren. Die Leit­linie ist für Allgemeinmediziner zur Entwöhnung von Opioid-Analgetika bei Erwachsenen bestimmt. Die Empfehlungen beziehen sich auf Pa­tienten, denen ein oder mehrere Opio­ide gegen jede Art von Schmerzen verordnet wurden. Abhängige, Patienten unter eine Substitutionstherapie oder Konsumenten illegaler Opioide (Heroin) werden in der Leitlinie nicht berücksichtigt.

Foto: sebra/AdobeStock

Bei der Erstverordnung von Opioiden sollte der Patient darüber aufgeklärt werden, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Therapie handelt.

Bei Erstverordnung bereits ans Absetzen denken

Bei der Erarbeitung der Empfehlungen standen drei klinisch relevante Fragen im Vordergrund:

  • In welchem Verhältnis stehen Nutzen und Schaden beim Absetzen von Opioiden?
  • Welches Vorgehen ist zu bevorzugen?
  • Welche Interventionen erleichtern das Absetzen?

Unter Berücksichtigung dieser Fragen wurden elf Empfehlungen erstellt. Für jede Empfehlung werden der Evidenzgrad und die Art der Empfehlung angegeben. Zudem werden Hinweise zur praktischen Umsetzung der Empfehlung aufgeführt, wobei individuelle Gegebenheiten und persönliche Vor­lieben berücksichtigt werden. Wie dies in der Leitlinie aussieht, wird an zwei Beispielen gezeigt:

Empfehlung: Bereits mit der Verordnung eines Opioids sollte ein Therapieplan entwickelt und implementiert werden, der auch das Absetzen des Opioids thematisiert.

Grad der Empfehlung: Konsensus-Empfehlung

Hinweise zum praktischen Vorgehen:

  • Der Plan zur Schmerztherapie sollte bereits das Absetzen des Opioids vorsehen und nichtmedikamentöse Maßnahmen enthalten.
  • Eine geeignete Opioid-freie Pharmakotherapie kann die Schmerzbehandlung verbessern und Opioide einsparen. Eine evidenzbasierte Opioid-freie Pharmakotherapie ist zu erwägen.
  • Evidenzbasierte nichtpharmako­logische Strategien zur Schmerz­behandlung und gegebenenfalls die Überweisung an Angehörige anderer Gesundheitsberufe sind gleichfalls zu erwägen.
  • Bereits bei der ersten Verordnung eines Opioids ist mit dem Patienten die voraussichtliche Dauer der Therapie zu besprechen. Der Patient sollte informiert werden, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Therapie handelt.
  • Wiederholte Verschreibungen von Opioiden bei akuten oder akut­-chronischen Schmerzzuständen sind zu vermeiden.

Empfehlung: Absetzen von Opioiden bei Tumorpatienten mit Schmerzen, die zu den Langzeit-Überlebenden gerechnet werden, wenn keine klinisch bedeutsame Verbesserung hinsichtlich Funktion, Lebensqualität oder Schmerzen eintritt, oder es keinen Fortschritt bezüglich der Therapieziele gibt oder der Patient schwere oder unzumutbare Nebenwirkungen erleidet.

Grad der Empfehlung: Konsensus-Empfehlung

Hinweise zum praktischen Vorgehen:

Neu auftretende oder sich verschlechternde Schmerzen sollten sorgfältig evaluiert werden.

Kommunikationshilfen (z. B. der Leitfaden „Communication techniques for opioid analgesic tapering conversations“ [3]) können bei Gesprächen mit dem Patienten helfen.

Ein Deprescribing-Plan, auf den sich Arzt und Patient geeinigt haben, kann Dosisreduktionen und das Beenden der Opioid-Therapie erleichtern.

Das Funktionsniveau kann vom Patienten und Arzt beurteilt werden, wofür validierte Werkzeuge (z. B. Fragebögen) eingesetzt werden können.

Deutsche Leitlinien zum Absetzen von Opioiden

Die S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS)“ geht in einem Kapitel auf die Be­endigung einer Therapie mit Opioid-haltigen Analgetika ein (Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. [Hrsg.], Stand: 1. April 2020; AWMF-Register-Nr. 145-003).

Die S3-Leitlinie „Medikamentenbezogene Störungen“ geht auf Patienten mit schädlichem Gebrauch bzw. Abhängigkeit von medizinisch indizierten Opio­iden ein (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. und Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e. V. [Hrsg.], Stand: 1. August 2020, AWMF-Register-Nr. 038-025).

Wann (nicht) absetzen?

Die weiteren Empfehlungen befassen sich mit folgenden Aspekten:

  • Absetzen von Opioiden, die bei Nicht-Tumorpatienten gegen chronische Schmerzen verordnet wurden
  • Absetzen von Opioiden bei Patienten, die Opioide aufgrund chronischer Schmerzen erhalten und bei denen folgende klinische Charakteristika vorliegen: Komorbiditäten, die das Risiko von Opioid-Nebenwirkungen erhöhen (z. B. Schlafapnoe, COPD), gleichzeitige Einnahme sedierender Pharmaka (z. B. Benzodiazepine, Antipsychotika) oder bei Einnahme hoher Opioid-Dosen
  • kein Absetzen von Opioiden am Lebensende
  • kein Absetzen von Opioiden im Bereich der Allgemeinversorgung bei Opioid-abhängigen Erkrankungen; dies sollte unter fachärztlicher Begleitung oder in entsprechenden Institutionen erfolgen
  • schrittweises Absetzen der Opioide, abruptes Absetzen vermeiden
  • Aufstellen eines individuellen Deprescribing-Plans unter Berücksichtigung der Patientencharakteristika
  • Durchführung eines regelmäßigen Monitorings
  • nach Möglichkeit interdisziplinäre Betreuung
  • Ko-Interventionen erwägen, die das Absetzen des Opioids erleichtern

Ausführlicher Algorithmus unterstützt das Vorgehen

Wie diese Ziele zu erreichen sind und welche Evidenz für die jeweiligen Schritte vorliegt, wird anhand eines ausführlichen Algorithmus veranschaulicht. Der erste Schritt ist die Beantwortung der Frage, warum der Patient ein Opioid einnimmt. Je nach Antwort werden weitere Schritte aufgeführt. Ein Beispiel: Werden Opioide gegen akute Schmerzen kurzfristig (weniger als eine Woche lang) eingenommen, kann das Opioid sofort ohne weitere Maßnahmen abgesetzt werden. Wird es hingegen am Lebensende verordnet, sollte es nicht abgesetzt werden. Für alle anderen Fälle richtet sich das weitere Vorgehen nach individuellen Kriterien und klinischen Vorgaben. Wird ein Absetzen eingeleitet, sind die allgemeinen Empfehlungen zu beachten. Das schrittweise Ausschleichen sollte sich an der Dauer der Einnahme orientieren. Bei einer unter dreimonatigen Einnahme kann die Dosierung wöchentlich um 10 bis 25% verringert werden, bei einer mehr als dreimonatigen Einnahme wird die Dosierung in vierwöchentlichen Abständen um 10 bis 25% reduziert. Wurde das Opioid länger als ein Jahr oder in hohen Dosierungen eingenommen, sollte die Dosis langsamer und unter häufigem Moni­toring reduziert werden. Zur Linderung von Ab­setzsym­ptomen können z. B. Loperamid bei Durchfällen, Metoclopramid oder Ondansetron bei Übelkeit und Erbrechen, Butylscopolamin bei abdominalen Krämpfen sowie Ibuprofen oder Paracet­amol bei Muskel- und Gelenkschmerzen eingesetzt werden. |

Literatur

[1] Langford AV et al. Clinical practice guideline for deprescribing opioid analgesics: summary of recommendations. Medical Journal of Australia 2023;219:80-89, doi.org/10.5694/mja2.52002

[2] Langford AV et al. Challenges of opioid deprescribing and factors to be considered in the development of opioid deprescribing guidelines: a qualitative analysis. BMJ Qual Saf 2021;30(2):133-140, doi: 10.1136/bmjqs-2020-010881

[3] Langford AV, Gnjidic D, Schneider CR. Communication techniques for opioid analgesic tapering conversations. University of Sydney 2020, imh.org.au/wp-content/uploads/2021/07/Communication-techniques-for-opioid-analgesic-tapering-conversations.pdf

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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