Arzneimittel und Therapie

Hilfe, ein Fluorchinolon-Rezept!

Beratungstipps zu Verordnungen über Ciprofloxacin und Co.

Bereits 2019 wurde die Anwendung von Fluorchinolon-Antibiotika aufgrund teils irreversibler Nebenwirkungen stark beschränkt. Aktuelle Studiendaten legen jedoch nahe, dass Ciprofloxacin und Co. weiterhin außerhalb der empfohlenen Anwendungsgebiete verordnet werden. Mit einem Rote-Hand-Brief haben daher die Zulassungsinhaber kürzlich an die Anwendungsbeschränkungen erinnert. In der Apothekenpraxis stellt sich nun die Frage, wie man bei der Verordnung eines Fluorchinolon-Antibiotikums angemessen beraten sollte.
Foto: cineberg/AdobeStock

Fluorchinolone zählen zu den Breitbandantibiotika, da sie überwiegend gegen grampositive und gramnegative Bakterien sowie Anaerobier wirken. Ihr Hauptangriffspunkt sind bakterielle Topoisomerasen und somit En­zyme, welche an der DNA-Replikation beteiligt sind. Dadurch verhindern sie die Vermehrung und Ausbreitung der Bakterien. Der im Juni 2023 veröffentlichte Rote-Hand-Brief zu Fluorchinolon-Antibiotika zur systemischen und/oder inhalativen Anwendung bezieht sich auf die folgenden Wirkstoffe:

  • Ciprofloxacin (z. B. Ciprobay®)
  • Delafloxacin (in D nicht erhältlich)
  • Levofloxacin (z. B. Tavanic®, Quins­air®)
  • Moxifloxacin (z. B. Avalox®)
  • Norfloxacin (z. B. Norflohexal®)
  • Ofloxacin (z. B. Oflox Basics)

Aufgrund von sehr seltenen, aber potenziell lebenslang beeinträchtigenden Nebenwirkungen sollte die Behandlung mit Fluorchinolonen nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung initiiert werden. In Deutschland sind Fluorchinolone u. a. für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:

  • intraabdominale Infektionen
  • untere Atemwegsinfektionen ver­ursacht durch gramnegative Bakterien, z. B. Pneumonie
  • akute Verschlechterung der chronischen Sinusitis, insbesondere wenn sie durch gramnegative Bakterien verursacht ist
  • Harnwegsinfektionen, z. B. komplizierte Harnwegsinfektionen oder akute Pyelonephritis
  • akute und chronische bakterielle Prostatitis
  • Infektionen des Genitaltraktes, z. B. Gonokokken-Urethritis und -Zerviz­itis verursacht durch empfindliche Neisseria gonorrhoeae
  • Infektionen der Knochen und Gelenke

Anwendung stark beschränkt

Hierbei ist zu beachten, dass Fluorchinolone vor allem bei schweren bakteriellen Infektionen eingesetzt werden sollen oder wenn andere Antibiotika als ungeeignet erachtet werden. Beispielsweise gelten Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam und Trimethoprim als Mittel der ersten Wahl bei einer unkomplizierten Zystitis. Ciprofloxacin und Levofloxacin werden hingegen ebenso wie Ceftriaxon und Cefotaxim als Mittel erster Wahl bei einer unkomplizierten Pyelonephritis mit schwerem Verlauf empfohlen. Auch werden Infektionen mit Fluorchinolonen behandelt, für die nur wenige Antibiotika zur Verfügung stehen, wie eine akute bakterielle Prostatitis.

Systemische oder inhalative Fluorchinolone sollten laut dem aktuellen Rote-Hand-Brief nicht verordnet werden zur Behandlung von:

  • nicht schweren oder selbstlimitierenden Infektionen, z. B. Tonsillitis, Pharyngitis, akute Bronchitis,
  • leichten bis mittelschweren Infektionen, darunter unkomplizierte Zyst­itis, akute bakterielle Rhinosinusitis, akute Otitis media, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), es sei denn, andere üblicherweise ein­gesetzte Antibiotika werden als ungeeignet erachtet,
  • nicht bakteriellen Infektionen, z. B. nicht bakterielle (chronische) Prostatitis,

und auch nicht zur Prävention von:

  • Reisediarrhö oder
  • rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege.

Patienten, die bereits mit schwer­wiegenden Nebenwirkungen auf Chinolon- oder Fluorchinolon-Antibiotika reagiert haben, sollen ebenfalls keine systemischen oder inhalativen Fluorchinolone erhalten.

Sehr seltene, schwerwiegende Nebenwirkungen

Die Anwendung der Fluorchinolone wurde bereits 2019 beschränkt, nachdem die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in einer Risikobewertung schwerwiegende und langanhaltende (über Monate bis Jahre), die Lebensqualität beeinträchtigende und möglicherweise irreversible Nebenwirkungen festgestellt hat. Diese betreffen insbesondere den Bewegungsapparat und das Nervensystem. Die schwer­wiegenden Nebenwirkungen umfassen: Tendinitis, Sehnenruptur, Arthralgie, Schmerzen in den Extremitäten, Gangstörungen, Neuropathien mit Parästhesien, Depressionen, Fatigue, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, Psychosen, Schlafstörungen sowie Beeinträchtigungen der Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken). Sehnenschäden können innerhalb von 48 Stunden nach Behandlungsbeginn, aber auch noch Monate nach Behandlungsende auftreten. Die Häufigkeit dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen liegt bei 1 zu 10.000 (sehr selten). Ein erhöhtes Risiko für Fluorchinolon-­induzierte Tendinitis und Sehnenruptur haben ältere Patienten, Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Organtransplantierte und Patienten, die mit Corticosteroiden behandelt werden. Bei diesen Patienten sollten Fluorchinolone mit besonderer Vorsicht angewendet werden. Eine gleichzeitige Behandlung mit Corticosteroiden und Fluorchinolonen sollte unterbleiben.

Praktisches Beispiel

Angenommen, Ihnen wird in der Apotheke ein Rezept über

  • Ciprofloxacin 500 mg 28 Tabletten, Dosierung: 1-0-1, und
  • Ibuprofen 600 mg 20 Tabletten, Dosierung: bei Bedarf

von einem Stammkunden vorgelegt. Der verordnende Arzt ist ein Urologe. Wie reagieren Sie nun angemessen? Zunächst sollten Sie die Indikation hinterfragen, beispielsweise mit: „Ihnen wurde ein Antibiotikum verordnet. Was ist der Grund dafür?“

Ihr Patient berichtet Ihnen dann, dass der Arzt eine Entzündung der Prostata festgestellt hat. Die Beschwerden kamen sehr plötzlich, und er fühlt sich richtig krank. Nun können Sie davon ausgehen, dass das Fluorchinolon für ein zugelassenes Anwendungsgebiet verordnet wurde. Denn eine akute bakterielle Prostatitis wird meist mit Fluorchinolonen über zwei bis vier Wochen behandelt. Sie zeichnet sich durch einen plötzlichen Beginn, meist mit starken Schmerzen beim Urinieren und im Bereich des Damms aus. Zudem haben die Patienten oftmals ein schweres Krankheitsgefühl mit grippe­ähnlichen Symptomen.

Problematisch ist jedoch, dass der Stammkunde Diabetiker ist. Cipro­floxacin kann bei Diabetikern die Gefahr einer Hyperglykämie sowie einer Hypoglykämie erhöhen.

Sie erklären ihm, dass es wichtig ist, das Antibiotikum regelmäßig morgens und abends einzunehmen, bis die Packung zu Ende ist. Er kann es mit dem Essen einnehmen, allerdings nicht zusammen mit Milchprodukten. Außerdem sollte er sich vor der Sonne schützen, sonst kann es zu Hautausschlägen kommen. Er sollte nun auch häufiger seinen Blutzucker messen, denn nicht nur die Infektion, sondern auch das Antibiotikum können seine Blutzuckerwerte durcheinanderbringen.

Nun sollten Sie ihn auch auf die sehr seltenen Nebenwirkungen aufmerksam machen, ohne ihn zu sehr zu verunsichern.

Abb.:Leitfaden zum Umgang mit Verordnungen über Fluorchinolon-­Antibiotika, die systemisch oder inhalativ angewendet werden.

Hierfür erklären Sie ihm, dass der Arzt das Antibiotikum der ersten Wahl für seine Beschwerden vorordnet hat. Es wirkt üblicherweise sehr gut, und damit sollte es ihm bald besser gehen. Allerdings kann es in sehr seltenen Fällen zu schweren Nebenwirkungen kommen. Diese lassen sich gut behandeln, wenn man sie rechtzeitig erkennt. Er sollte daher unbedingt seinen Arzt kontaktieren, falls etwas Ungewöhnliches auftritt wie geschwollene Gelenke, Sehstörungen, Kribbeln in den Armen oder Beinen, starke Bauchschmerzen oder depressive Verstimmungen. Diese Nebenwirkungen treffen nur einen von 10.000 Patienten, aber er sollte Bescheid wissen, damit er gleich reagieren kann.

Hier ist einfühlsame Kommunikation gefragt. Es gilt, den Patienten aufzuklären, ohne ihn zu verunsichern. Da aber beispielsweise nach einer Achillessehnenruptur die Sportfähigkeit erst nach drei bis sechs Monaten wiederhergestellt ist, kann dies eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bedeuten.

Der nebenstehende Leitfaden kann Sie bei der Beratung zu Fluorchinolon-Verordnungen unterstützen (s. Abb.). |

Literatur

Aussetzung bzw. Einschränkungen in der Anwendung von Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika aufgrund von die Lebensqualität beeinträchtigenden und möglicherweise dauerhaften Nebenwirkungen. Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, 11. März 2019, www.ema.europa.eu/en/documents/referral/quinolone-fluoroquinolone-article-31-referral-disabling-potentially-permanent-side-effects-lead_de.pdf

Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (Hrsg.), Stand: April 2017, AWMF-Registernummer: 043/044

Fachinformationen der genannten Präparate

FAQ zu Fluorchinolon-Antibiotika. Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Themendossiers/Fluorchinolone/Fluorchinolone_FAQ.html

Reifferscheid E. Fluorchinolone. Informationen der Gelbe Liste, Stand: 16. Januar 2023, www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen/fluorchinolone

Systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolon-haltige Antibiotika – Erinnerung an die Anwendungsbeschränkung. Roter-Hand-Brief, 7. Juni 2023

Wagenlehner FME et al. Prostatitis und männliches Beckenschmerzsyndrom: Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl Int 2009;106(11):175-183, doi: 10.3238/arztebl.2009.0175

Autorin

Apothekerin Dr. Karin Schmiedel wurde an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg promoviert (Thema: Diabetesprävention) und war Mitarbeiterin des WIPIG – Wissenschaft­liches Institut für Prävention im Gesundheitswesen. Seit 2015 ist sie Filialleiterin der Kur-Apotheke in Bad Windsheim.

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2 Kommentare

Ofloxacin AT

von Geuenich am 14.07.2023 um 15:38 Uhr

Wie sieht es mit den Nebenwirkungen bei Ofloxacin Augentropfen aus? Die werden ja doch sehr häufig verordnet, zumal Alternativen ja auch nicht immer lieferbar sind. Oder gelten die UAW nicht für lokale Anwendung am Auge?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Ofloxacin AT

von DAZ-Redaktion am 17.07.2023 um 10:32 Uhr

„Topische Anwendungen, die direkt auf der Haut, den Augen oder den Ohren angewendet werden, sind nicht in die Bewertung einbezogen“, kann man beim BfArM nachlesen:
https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/a-f/fluorchinolone-bewegungsapparat.html

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