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Diabetologie

Stresstest für den Stoffwechsel

Gestationsdiabetes in Deutschland auf dem Vormarsch

Der Gestationsdiabetes mellitus gehört zu den häufigsten Komplikationen einer Schwangerschaft – Tendenz steigend. Die mit der Stoffwechselstörung einhergehenden Hyperglykämien beeinträchtigen Mutter und Kind, und das weit über die Schwangerschaft hinaus. In den meisten Fällen federt ein veränderter Lebensstil die hohen Glucose-Werte im Blut der Schwangeren ab. Bringt die Lifestyle-Modifikation keine Erfolge, wird zur intensivierten konventionellen Insulin-Therapie gegriffen, um die Hyperglykämien zu behandeln und das Wohl von Mutter und Kind zu sichern. | Von Tony Daubitz

Den ersten Fall eines Schwangerschaftsdiabetes beschrieb 1824 Heinrich Gottlieb Bennewitz im Rahmen seiner Dissertation in Berlin [1, 2]. Seine Patientin war in der vierten und fünften Schwangerschaft von außergewöhnlichem Durst geplagt. Ihr mit 12 Pfund äußerst schweres fünftes Kind verklemmte sich bei der Geburt mit den Schultern im Geburtskanal und konnte nicht lebend geboren werden. Da die Symptome der Frau nach der Entbindung verschwanden, empfahl man ihr eine Fleischdiät und erklärte sie für geheilt. Heutzutage steht der Befund Gestationsdiabetes immer häufiger in deutschen Mutterpässen: 2013 noch bei 4,6% der Schwangeren, 2018 schon bei 6,8% [3]. Abgegrenzt werden muss der Gestationsdiabetes aber vom Typ-1- und Typ-2-Diabetes mellitus, der natürlich auch während einer Schwangerschaft festgestellt werden kann. Diagnostisch liegt der Unterschied in strengeren Blut­glucose-Grenzwerten beim Gestationsdiabetes als beim manifesten Diabetes, der als in der Schwangerschaft diagnostizierter Diabetes klassifiziert wird. Der Gestationsdiabetes tritt als Stoffwechselstörung nur während der Schwangerschaft auf und verschwindet in den meisten Fällen danach wieder.

Lernziele

In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem,

  • wie ein Schwangerschaftsdiabetes entsteht und wie häufig er auftritt,
  • welche Folgen die Erkrankung für Mutter und Kind hat,
  • welche Lebensstilinterventionen ergriffen werden,
  • wann mit Insulin behandelt wird und wann mit Metformin und
  • wie sich das langfristige Diabetesrisiko der Mutter senken lässt.

Verwandtschaft mit Typ-2-Diabetes

Um die Entstehung des Schwangerschaftsdiabetes zu verstehen, muss man sich zunächst die physiologischen Veränderungen des mütterlichen Glucose-Stoffwechsels während der Schwangerschaft vergegenwärtigen (s. Abb. 1). Besonders ab dem zweiten Trimenon fährt der mütterliche Organismus hormongesteuert die hepatische Gluconeogenese um bis zu 30% hoch und reguliert die Insulin-Sensitivität in der Peripherie um bis zu 50% herab [4]. Das so vermehrte Nährstoffangebot dient der Versorgung des Fetus über die Plazenta [5]. Die zunehmende Insulin-Resistenz beeinflusst darüber hinaus den Lipidstoffwechsel und sorgt für erhöhte Triglyceridwerte im Blut. Um bei gleichzeitig reduzierten Nüchternblutzucker-Werten in der Schwangerschaft trotzdem eine normale Glucose-Toleranz aufrechtzuerhalten, müssen die mütterlichen Betazellen in der Bauchspeicheldrüse das Doppelte bis Dreifache der üblichen Insulin-Menge zur Verfügung stellen [4]. Ein Schwangerschaftsdiabetes entsteht nun, wenn die mütterlichen Betazellen die im Laufe der Schwangerschaft ansteigende Insulin-Resistenz nicht mehr kompensieren können und sich eine Hyperglykämie einstellt (s. Abb. 1). Damit ähneln die zugrunde liegenden Vorgänge denen eines Typ-2-Diabetes.

Klassischerweise manifestiert sich ein Gestationsdiabetes, wenn bereits vor der Schwangerschaft Defekte im Glucose-Stoffwechsel vorhanden sind, die dann in der Schwangerschaft zu Tage treten und sich als Schwangerschaftsdiabetes manifestieren [6]. Die Schwangerschaft fungiert als Stresstest für den mütterlichen Metabolismus. Insulin-Resistenz bzw. -sekretionsdefekte sind oftmals genetisch prädeterminiert, wie bei Typ-2-Diabetikern. Wie stark sie sich aber ausprägen, hängt wesentlich vom Lebensstil ab: Eine hochkalorische Ernährung in Verbindung mit Bewegungsmangel und vor allem Übergewicht begünstigen diese Störungen des Glucose-Stoffwechsels. Zu den weiteren Risikofaktoren zählen ein bereits aufgetretener Gestationsdiabetes in einer früheren Schwangerschaft, eine positive (Gestations-)Diabetes-Familienanamnese, höheres Alter der Mutter und eine höhere Anzahl zurückliegender Geburten [6]. Aber auch die ethnische Zugehörigkeit spielt eine Rolle: Frauen aus dem Nahen Osten, Süd- und Ostasien sowie Afrika weisen das höchste Risiko (ca. 15%) für einen Schwangerschaftsdiabetes auf, Europäerinnen das geringste (ca. 6%) [4]. Zudem diskutieren verschiedene Studien einen Vitamin-D-Mangel als möglichen Risikofaktor [7].

Abb. 1: Pathophysiologie des Gestationsdiabetes (nach [4]).

Folgen für Mutter und Kind

Das Hauptmerkmal des Gestationsdiabetes bildet die Hyperglykämie, von der nicht nur die Mutter betroffen ist, sondern auch das ungeborene Kind. Während Diabetes-typische Symptome wie vermehrter Harndrang oft fehlen oder durch die Schwangerschaft fehlgedeutet werden, äußert sich die Erkrankung vielmehr durch häufigere Harnwegsinfekte und Scheideninfektionen, bedingt durch die erhöhte Glucose-Konzentration im Urin [6]. Oft weisen Schwangere mit Gestationsdiabetes auch eine vermehrte Fruchtwassermenge auf. Durch die Hyperglykämie erhöht sich das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Frühgeburten, Hypertonien, Präeklampsie (Hypertonie mit Proteinurie), Kaiserschnittgeburten, Geburtsverletzungen und Depressionen. Beim Fetus führt die Hyperglykämie zur vermehrten Ausschüttung von Insulin, welches wachstumsfördernd wirkt. Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft einen Gestationsdiabetes aufwiesen, zeigen deshalb häufig ein hohes Geburtsgewicht. Ab 4000 g spricht man von Makrosomie [6]. Das hohe Gewicht kann bei der Geburt für Probleme sorgen. So tritt häufiger eine sogenannte Schulterdystoktie auf, bei der es zu einer Fehlstellung der kindlichen Schultern im Becken der Mutter kommt, was zum Geburtsstillstand führt. Zusätzlich entwickeln die Feten höhere Hämatokritwerte und bilden weniger Surfactant, welches zur Lungenreifung beiträgt. Neugeborene müssen häufiger auf die Intensivstation verlegt werden [6].

Eine Studie, die kürzlich im Deutschen Ärzteblatt veröffentlich wurde, liefert aktuelle Zahlen für Deutschland [8]. Datengrundlage bildeten alle stationären Geburten zwischen 2013 und 2019 (rund 5 Mio. Geburten). Hiernach steigerte ein Gestationsdiabetes und präkonzeptioneller Diabetes im aktuellen Versorgungskontext das Risiko für eine Frühgeburt um 13%, für ein hohes Geburtsgewicht um 57%, für eine Kaiserschnittgeburt um 26% und für eine Verlegung des Neugeborenen auf eine Intensivstation um 54%.

Auch wenn sich die Blutglucose-Werte nach der Schwangerschaft meist wieder normalisieren, besteht für die betroffenen Frauen weiter ein Gesundheitsrisiko. Die S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus sieht die Stoffwechselstörung als eine Form des Prä-Diabetes Typ 2 an [6]. Da die Krankheit typischerweise fortschreitet, stellt ein mütterlicher Diabetes oder Prädiabetes das größte Langzeitrisiko dar. Eine Metaanalyse bezifferte das relative Diabetesrisiko einer Frau mit Gestationsdiabetes mehr als siebenmal so hoch wie das einer Frau nach Schwangerschaft ohne Blutzuckerkomplikationen [9]. Das Wiederholungsrisiko für einen zukünftigen Schwangerschaftsdiabetes liegt bei 35 bis 50%. Weitere mögliche Folgeerkrankungen bilden das metabolische Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen. Auch die Kinder leiden im späteren Leben häufiger an Übergewicht bzw. Adipositas, Diabetes und metabolischem Syndrom [6].

Abb. 2: Screening auf Gestationsdiabetes Nach der Messung der Blutglucose-Werte wird mit dem oralen Glucose-Toleranztest (oGTT) zur Diagnosestellung ein zweiter Test benötigt (modifiziert nach [6]). (GCK-MODY: Maturity-Onset Diabetes of the Young mit Glucokinase-Genmutation)

Diagnosestellung nach Laborwert

Da der Schwangerschaftsdiabetes kaum Symptome verursacht, wird die Diagnose nach dem Laborwert Plasma-Glucose gestellt [6]. Die deutschen Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses empfehlen seit 2012 ein zweistufiges Testverfahren (s. Abb. 2) [10]. Zwischen den Schwangerschaftswochen 24 + 0 und 27 + 6, also im Zeitraum, wenn die mütterliche Insulin-Resistenz merklich ansteigt, wird zunächst mit dem oralen 50-g-Suchtest (Glucose-Challenge-Test, GCT) nach möglichen Betroffenen gescreent. Der Test erfolgt im nicht-nüchternen Zustand unabhängig von der Tageszeit und der Nahrungsaufnahme. Die Schwangere trinkt 50 g Glucose aufgelöst in 200 ml Wasser. Wird eine Stunde danach im venösen Plasma mehr als 135 mg/dl (7,5 mmol/l) Glucose gemessen, gilt das Ergebnis als positives Screening und wird mit dem oralen 75-g-Glucose-Toleranztest (oGTT) abgesichert (s. Abb. 2). Bei Werten größer als 200 mg/dl (11,2 mmol/l) hingegen entfällt dieser und die Diagnose Gestationsdiabetes wird gestellt. Der orale Glucose-Toleranztest wird standardmäßig morgens, nach einer mindestens achtstündigen Nüchternperiode durchgeführt [6]. Unmittelbar vor Testbeginn erfolgt die erste Blutabnahme. Danach trinkt die Schwangere die Zuckerlösung (75 g Glucose in 300 ml Wasser). Nach einer und zwei Stunden wird erneut Blut zur Glucose-Bestimmung abgenommen. Überschreitet nur ein Glucose-Wert der drei Proben die in Abb. 2 angegebenen Grenzwerte, wird die Diagnose Gestationsdiabetes gestellt, oder die Diagnose Diabetes in der Schwangerschaft, je nach Wert. Auch an einen Maturity-Onset Diabetes of the Young (MODY), der durch einen Betazelldefekt entsteht, sollte gedacht werden. Zwar gründen sich die Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses auf zwei Interventionsstudien [11, 12], doch gilt der 50-g-Screening-Test mittlerweile als überholt. Dem Verfahren fehle die Validierung der Grenzwerte mit perinatalen Endpunkten, und die Sensitivität sei angesichts heutiger strengerer Kriterien fraglich, urteilt die S3-Leitlinie. Insbesondere übersieht der Test erhöhte Nüchternwerte. Trotzdem werden knapp drei Viertel der Schwangeren mit dem 50-g-GCT gescreent [3]. Denn nur so übernimmt die GKV auch die Kosten für den sich gegebenenfalls anschließenden diagnostischen 75-g-oGTT. Unumstritten ist der orale Glucose-Toleranztest aber auch nicht. Kritische Stimmen bemängeln, dass die Diagnosekriterien zu niedrig lägen und dadurch die Prävalenz des Gestationsdiabetes in die Höhe trieben. Wiederum spiegeln sie allerdings die steigenden Raten von Prädiabetikern in der Altersgruppe von 20 bis 44 Jahren wider [5]. Gleichzeitig ist der orale Glucose-Toleranztest störanfällig. Ungeeignete Entnahmegefäße, eine vorbereitende Ernährungsumstellung der Schwangeren und Medikamente (z. B. Cortison, Betasympathomimetika), um nur einige zu nennen, können den Ausgang des Tests erheblich beeinflussen [6]. Auch die Herstellung der Glucose-Lösung erfordert Übung. Viele Kassen sind dazu übergegangen, nur noch in der Apotheke abgefülltes Glucose-Pulver zu erstatten. In der Frauenarztpraxis wird dann die Lösung hergestellt, wobei auch Fehler passieren können. Die Wassermenge muss genau abgemessen werden und das Pulver rückstandsfrei überführt und aufgelöst werden. Alternativ stehen eine NRF-Rezeptur (NRF 13.8) und mittlerweile wieder Fertigarzneimittel (z. B. Glucosetest oGTT Infectopharm) zur Verfügung.

Tab.: Blutglucose-Zielwerte während der Schwangerschaft nach der S3-Leitlinie Gestationsdiabetes [6]
Zeitpunkt der Bestimmung
Plasma-Äquivalent
mg/dl
mmol/l
nüchtern, präprandial
65 bis 95
3,6 bis 5,3
eine Stunde postprandial
≤ 140
≤ 7,8
zwei Stunden postprandial
≤ 120
≤ 6,7

Fallen im oralen Glucose-Toleranztest bei einer Schwangeren erhöhte Glucose-Werte auf, wird die Diagnose Gestationsdiabetes gestellt und im Mutterpass eingetragen. Ab sofort gilt die Frau als Risikoschwangere und wird durch einen Diabetologen betreut. Bis zur Entbindung müssen die werdenden Mütter regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel messen. In den ersten ein bis zwei Wochen sind vier Messungen nötig (Vier-Punkte-Profil): morgens nüchtern und ein bis zwei Stunden nach den drei Hauptmahlzeiten. Fallen alle Werte normgemäß aus (s. Tab.), können die Frauen danach zu einer täglichen Messung (Rotation der Zeitpunkte) oder zu einem zweimal wöchentlichen Vier-Punkte-Profil übergehen. Praxishinweise für die Blutzuckermessung gibt der Kasten „Blutzucker richtig messen und Insulin korrekt injizieren“.

Blutzucker richtig messen und Insulin korrekt injizieren

Die Schwangeren begegnen der Diagnose „Diabetes“ zum ersten Mal und sind entsprechend verunsichert. Gerade bei der korrekten Blutzuckermessung und Insulin-Injektion kann das pharmazeutische Personal den Frauen beratend unter die Arme greifen.

Tipps zur Blutentnahme [21]:

  • Teststreifendose nicht geöffnet lagern
  • vor Messung Hände waschen
  • am besten seitlich an der Fingerkuppe stechen (dort befinden sich weniger Nervenenden und dementsprechend weniger schmerzhaft ist der Piks)
  • bei nur zögerlichem Blutfluss den Finger sanft ausstreichen
  • Blutstropfen nicht herauspressen (austretende Gewebsflüssigkeit verfälscht das Ergebnis)

Hinweise zur Insulin-Injektion [22]:

  • kein Desinfizieren der Injektionsstelle notwendig (bei guter Körperhygiene)
  • milchiges NPH-Insulin durch 20-maliges Rollen in den Händen durchmischen
  • für jede Injektion eine frische Nadel verwenden
  • Luftblasen durch Drehen des Dosierknopfes entfernen
  • Nadel im 90°-Winkel zur Hautoberfläche in die Haut/Hautfalte stechen
  • Nadel nach Injektion zehn Sekunden in der Haut lassen
  • Nadel gerade herausziehen und vorsichtig entsorgen

Spazieren und kleinere Mahlzeiten empfohlen

Bevor der Diabetologe pharmakotherapeutische Maßnahmen ergreift, optimiert er zunächst den Lebensstil der Betroffenen. In den meisten Fällen (70 bis 80%) lässt sich der Gestationsdiabetes mit Lebensstilinterventionen in den Griff bekommen [6]. Dabei wird an den Stellschrauben Bewegung und Ernährung gedreht. Ausreichend körperliche Aktivität, sofern nicht kontraindiziert, sollte der S3-Leitlinie Gestationsdiabetes zufolge jeder Schwangeren geraten werden, da so die Insulin-Resistenz vermindert werden kann. Ganz konkret schlägt die Leitlinie als einfachstes Mittel drei Spaziergänge pro Woche á mindestens 30 Minuten vor. Für Bewegung im häuslichen Umfeld können alternativ Übungen mit elastischen Bändern oder Übungen im Sitzen sorgen. Mindestens zehn Tage Bewegungsprogramm seien nötig, um Änderungen im Glucose-Stoffwechsel zu erzielen [6].

Als zweite Säule soll den Schwangeren die Wichtigkeit einer gesunden und ausgewogenen Ernährung erläutert werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Kohlenhydraten. Deren Aufnahme zu begrenzen, ist ein üblicher Therapieansatz und wird von internationalen Leitlinien unterschiedlich ausgelegt. Die S3-Leitlinie „Gestationsdiabetes“ rät zu einem reduzierten Kohlenhydratanteil der Ernährung von 40 bis 50%, um die Glucose-Toleranz zu verbessern. Protein soll für 20% der aufgenommenen Kalorien verantwortlich sein und Fett für 30 bis 35%. Bei Adipositas erachten die Autoren darüber hinaus eine Kalorienrestriktion um ca. ein Drittel als sinnvoll, um die Insulin-Resistenz zu vermindern [6]. Die Kohlenhydrate sollen auf drei nicht zu große Hauptmahlzeiten und zwei bis drei weitere Snacks aufgeteilt werden, damit die postprandialen Glucose-Spitzen kleiner ausfallen. Am Morgen sollten die Mütter weniger Kohlenhydrate zu sich nehmen, da durch die höheren Cortisol-Spiegel die Insulin-Resistenz zu diesem Zeitpunkt höher ausfällt. Möglicherweise wichtiger als die Menge der Kohlenhydrate ist deren Art: Komplexe, also langkettige, Kohlenhydrate in üblicher Menge waren einer Low-Carb-Diät in einer Pilotstudie überlegen und verbesserten die Insulin-Resistenz [13]. Auch die S3-Leitlinie empfiehlt, Kohlenhydrate mit einem niedrigen glykämischen Index sowie ballaststoffreiche Nahrungsmittel zu bevorzugen. Süßstoffe wie Aspartam können in der Schwangerschaft konsumiert werden [6]. Bei allem Fokus auf die Kohlenhydrate darf nicht vergessen werden, dass bei werdenden Müttern auch die Nährstoffversorgung mit Vitaminen und Mikronährstoffen gesichert sein soll (Folsäure, Vitamin-B-Komplex, Calcium, Magnesium, Eisen, Jod, Vitamin D).

Intensivierte konventionelle Insulin-Therapie

20 bis 30% der Mütter mit Gestationsdiabetes verfehlen trotz Lebensstiländerung die Glucose-Zielwerte [6]. In diesen Fällen wird zur Insulin-Therapie gegriffen, um die Blutzuckerkontrolle wieder zu normalisieren. Die Indikation für Insulin wird meist zwei Wochen nach der Diagnose gestellt, wenn innerhalb einer Woche mehr als 50% der Glucose-Messungen trotz Lebensstilintervention über den Referenzwerten lagen. Das gilt auch, wenn nur Nüchternwerte bestimmt wurden. Liegen aber bereits die Nüchternglucose-Werte über 110 mg/dl (6,1 mmol/l), wird eine Insulin-Therapie sofort eingeleitet, da sich solche Werte mit einer Lebensstiländerung kaum normalisieren lassen [6]. Mit der Diagnose Gestationsdiabetes gehen allgemein fetale Ultraschallbiometrien alle zwei bis drei Wochen einher, bei denen das fetale Wachstum überwacht wird. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden auch bei der Indikationsstellung der Insulin-Therapie berücksichtigt: Liegt der abdominelle Umfang des Fetus über der 75. Perzentile des Gestationsalters und sind weitere Risikofaktoren wie eine Adipositas der Mutter vorhanden, rät die Leitlinie, großzügig mit der Therapie zu beginnen [6]. Zeigt das Kind keine Wachstumsanomalien, sind auf der anderen Seite auch Überschreitungen der Glucose-Zielwerte tolerabel.

Die Therapie erfolgt nach den Prinzipien der intensivierten konventionellen Insulin-Therapie: Morgendlich und abendlich verabreichte Basalinsuline werden mit schnell wirksamen Bolusinsulinen kombiniert, um postprandiale Glucose-Spitzen zu verringern. Stechen aber nur erhöhte Nüchternwerte heraus oder treten lediglich zu hohe postprandiale Werte auf, können Basalinsuline oder Kurzzeitinsulin auch allein eingesetzt werden. Mischinsuline werden aufgrund der schlechten Steuerbarkeit nur in Einzelfällen empfohlen, beispielsweise bei schlechter Compliance. Als Basalinsulin kann NPH-Insulin (z. B. Protaphane®) gespritzt werden [6]. Falls dieses nicht ausreichend wirkt, können auch langwirksame Insulin-Analoga, z. B. Insulin glargin (z. B. Lantus®) und detemir (Levemir®) verordnet werden [6]. In Bezug auf Schwangerschaftskomplikationen unterscheiden sich die Analoga und NPH-Insulin nicht [14]. Schnellwirksames Humaninsulin (z. B. Actrapid®) und alternative schnellwirksame Insulin-Analoga, z. B. Insulin lispro (z. B. Humalog®) und Insulin aspart (NovoRapid®), eignen sich gleichermaßen als Bolusinsuline. Die Analoga wirken schneller und sind tendenziell auch mit weniger Hypoglykämien verbunden [15, 16]. Die Sicherheit aller genannten Analoga in der Schwangerschaft bestätigen auch Metaanalysen [14]. Weniger Erfahrungen bestehen hingegen mit Insulin degludec (Tresiba®) und glulisin (Apidra®), die derzeit bei Gestationsdiabetes nicht empfohlen werden. Praxishinweise für die Insulin-Applikation gibt der Kasten „Blutzucker richtig messen und Insulin korrekt injizieren“.

Metformin trotz Zulassungserweiterung off label

Während die Insulin-Therapie durch weltweiten Expertenkonsensus das pharmakotherapeutische Verfahren Nr. 1 darstellt, werden vereinzelt auch orale Antidiabetika eingesetzt. Die möglichen Vorteile liegen auf der Hand: Die oralen Antidiabetika sind günstiger, und Tabletten werden von den Patientinnen leichter akzeptiert als Insulin-Injektionen, was letztendlich der Therapietreue zugutekommt. Das Problem: Die Moleküle sind plazentagängig. Sulfonylharnstoffe wie Glibenclamid und andere Antidiabetika sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Die beste Datenlage weist Metformin (Glucophage®) auf. Beispielsweise stellte eine Metaanalyse aus dem letzten Jahr fest, dass das Biguanid im Vergleich zur Insulin-Therapie das Risiko für eine mütterliche Gewichtszunahme und Hypertonie, für Hypoglykämien bei Mutter und Kind sowie für ein hohes Geburtsgewicht reduzierte [17]. Die deutsche S3-Leitlinie rät im Einzelfall zum Off-Label-Einsatz von Metformin, beispielsweise als Add-on-Therapie bei Schwangeren mit hohem Insulin-Bedarf [6]. Vor einem Jahr erhielt Metformin auf Basis der von Merck veranlassten registergestützten Kohortenstudie CLUE und weiterer veröffentlichter Studien die Zulassungserweiterung für die Anwendung in der Schwangerschaft. Die CLUE-Studie sah bei mehr 4000 Kindern aus Metformin-exponierten Schwangerschaften von Müttern mit Typ-2-Diabetes oder Gestationsdiabetes nach bis zu elf Jahren keine Zeichen für Fehlbildungen oder toxische Effekte des Biguanids im Vergleich zur Insulin-Behandlung [18]. Die Metformin-exponierten Neugeborenen wogen im Vergleich zur Insulin-Gruppe aber signifikant weniger. Da die S3-Leitlinie überarbeitet wird, bleibt abzuwarten, wie sich die Autoren zukünftig zu Metformin positionieren werden. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft stellt aber klar, dass die Behandlung nach wie vor off label erfolge, da die Zulassung zwar auf Schwangere mit Typ-2-Diabetes aber nicht auf die Indikation Gestationsdiabetes ausgeweitet wurde [19].

Auf einen Blick

  • Die Prävalenz des Schwangerschaftsdiabetes in Deutschland beträgt knapp 7%.
  • Der Gestationsdiabetes erhöht das Risiko für Frühgeburten, ein erhöhtes Geburtsgewicht, Präeklampsie und Geburtsverletzungen.
  • Eine Kohlenhydrat-optimierte Ernährung kombiniert mit Bewegung behebt die Hyper­glykämie meist.
  • Eine intensivierte konventionelle Insulin-­Therapie wird in 20 bis 30% der Fälle eingeleitet.
  • Die Behandlung mit Metformin erfolgt off label.

Risiko in Schach halten

Nach der Geburt wird eine eventuelle Insulin-Therapie dann eingestellt, und am zweiten Tag nach der Geburt wird bei allen Gestationsdiabetikerinnen noch einmal ein Vier-Punkte-Profil (nüchtern vor dem Frühstück und jeweils eine bzw. zwei Stunden nach Beginn der drei Hauptmahlzeiten) aufgenommen, um die Glucose-Toleranz zu überprüfen. Gegebenenfalls müssen sie zu einem Diabetologen überwiesen werden, wenn sich die Werte nicht normalisieren (bei 13 bis 40%, [6]). Ansonsten ist nach sechs bis zwölf Wochen ein weiterer oGTT angezeigt, der diesmal nach den Grenzen für einen Diabetes außerhalb der Schwangerschaft auszuwerten ist (s. Abb. 2). Zwar erhöht der Schwangerschaftsdiabetes das Risiko für eine erneute Episode bei weiteren Schwangerschaften und langfristig für Typ-2-Diabetes mellitus, trotzdem haben die Frauen viel in der eigenen Hand. Kurzfristig verbessert das Stillen den Glucose-Metabolismus und senkt das langfristige Diabetesrisiko der Mutter und das Adipositasrisiko des Kindes [6]. Langfristig wirkt sich vor allem ein angepasster Lebensstil positiv aus und kann das Zehn-Jahres-Diabetesrisiko um 35% reduzieren [20]. Dazu gehört eine angepasste Ernährung, z. B. mediterran, fettreduziert bzw. mit erhöhten gesunden Fetten, eine Gewichtsnormalisierung sowie ein Nicht­rauchertraining und mehr körperliche Aktivität [6]. |
 

Interessenkonflikte
Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
 

Literatur

 [1] Bennewitz HG. De diabete mellito, graviditatis symptomate: dissertatio inauguralis medica quam. In Universitate litteraria berolinensi 1824. Verlag I. F. Starckii

 [2] Hadden DR, Hillebrand B. The first recorded case of diabetic pregnancy (Bennewitz HG, 1824, University of Berlin). Diabetologia 1989;32:625

 [3] Reitzle L et al. Gestationsdiabetes in Deutschland: Zeitliche Entwicklung von Screeningquote und Prävalenz. Journal of Health Monitoring 2021;6(2)

 [4] McIntyre HD et al. Gestational diabetes mellitus. Nat Rev Dis Primers 2019;5:47

 [5] Sweeting A et al. A Clinical Update on Gestational Diabetes Mellitus. Endocrine Reviews 2022;43:763-793

 [6] Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. S3-Leitlinie S3-Leitlinie, Hrsg. Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und der Deutschen Diabetes Gesellschaft e. V. AWMF-Registernummer: 057–008, Stand Februar 2018, abgelaufen und in Überarbeitung, awmf.org/leitlinien

 [7] Sadeghian M et al. Circulating vitamin D and the risk of gestational diabetes: a systematic review and dose-response meta-analysis. Endocrine 2020;70:36-47

 [8] Reitzle L et al. Schwangerschaftskomplikationen bei Frauen mit präkonzeptionellem Diabetes mellitus und Gestationsdiabetes mellitus. Dtsch Arztebl Int 2023;120:81-6

 [9] Bellamy L et al. Type 2 diabetes mellitus after gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2009;373:1773-1779

[10] Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Stand Februar 2023, www.g-ba.de/richtlinien/19/

[11] Crowther CA et al. Effect of treatment of gestational diabetes mellitus on pregnancy outcomes. N Engl J Med 2005;352:2477-2486

[12] Landon MB et al. A multicenter, randomized trial of treatment for mild gestational diabetes. N Engl J Med 2009;361:1339-1348

[13] Hernandez TL et al. Women With Gestational Diabetes Mellitus Randomized to a Higher–Complex Carbohydrate/Low-Fat Diet Manifest Lower Adipose Tissue Insulin Resistance, Inflammation, Glucose, and Free Fatty Acids: A Pilot Study. Diabetes Care 2016;39:39-42

[14] Lv S et al. Safety of insulin analogs during pregnancy: a meta-analysis. Archives of Gynecology and Obstetrics 2015;292:749-56

[15] Pettitt DJ, et. al. Efficacy, safety and lack of immunogenicity of insulin aspart compared with regular human insulin for women with gestational diabetes mellitus. Diabet Med 2007; 24:1129-1135

[16] Jovanovic L et al. Metabolic and immunologic effects of insulin lispro in gestational diabetes. Diabetes Care 1999;22:1422-1427

[17] He K et al. The efficacy and safety of metformin alone or as an add-on therapy to insulin in pregnancy with GDM or T2DM: A systematic review and meta-analysis of 21 randomized controlled trials. J Clin Pharm Ther 2022;47:168-177

[18] Brand KMG et al. Metformin in pregnancy and risk of adverse long-term outcomes: a register-based cohort study. BMJ Open Diab Res Care 2022;10:e002363

[19] Zulassung von Metformin in der Schwangerschaft / nur bei Typ 2 Diabetes, nicht bei Gestationsdiabetes (GDM) und Polyzystischem Ovar-Syndrom (PCOS). Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Schwangerschaft und Diabetes der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 28. Juli 2022, www.ddg.info/politik/stellungnahmen/zulassung-von-metformin-in-der-schwangerschaft-/-nur-bei-typ-2-diabetes-nicht-bei-gestationsdiabetes-gdm-und-polyzystischem-ovar-syndrom-pcos-im-maerz-2022-wurde-von-der-europaeischen-arzneimittelkommission-metformin

[20] Aroda VR et al. The effect of lifestyle intervention and metformin on preventing or delaying diabetes among women with and without gestational diabetes: the Diabetes Prevention Program outcomes study 10-year follow-up. J Clin Endocrinol Metab 2015;100:1646-1653

[21] Meißner T. Blutzucker: So messen Patienten richtig. Ärzte Zeitung vom 26. November 2013, www.aerztezeitung.de/Medizin/So-messen-Patienten-richtig-275901.html

[22] Durchführung einer Insulininjektion. Informationen von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe e.V., www.diabetesde.org/ueber_diabetes/therapie_bei_diabetes/alles_ueber_insulin/injektionsanleitung/durchfuehrung_insulininjektion_mit_dem_pen/schritt_1

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambus-Extrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen.

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