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Arzneimittel und Therapie
Lichtexposition mit schmerzhaften Folgen
Krankheitsbild und Behandlung der erythropoetischen Protoporphyrie
Die erythropoetische Protoporphyrie (EPP) ist eine seltene, erblich bedingte Stoffwechselerkrankung. Sie geht einher mit einer gestörten Bildung von Häm, einem wichtigen Bestandteil des Hämoglobins in den Erythrozyten sowie des Muskelfarbstoffs Myoglobin. Bei der erythropoetischen Protoporphyrie besteht ein Defekt des Enzyms Ferrochelatase, das Eisen in Protoporphyrin einfügt. Der Körper ist somit nicht in der Lage, Häm regulär zu bilden. Die Folge: Es kommt im Knochenmark zur Überproduktion von metallfreiem Protoporphyrin, einer Häm-Vorstufe. Protoporphyrin reichert sich ebenfalls an, wenn ein Problem im ersten Schritt des Häm-Synthesewegs vorliegt. Ursache ist dann eine hohe Aktivität des Enzyms Delta-Aminolävulinsäure-Synthase-2 (ALAS2), und es kann sich eine sogenannte X-chromosomal-dominante Protoporphyrie (XLPP) ausbilden mit übermäßigem Zink-Protoporphyrin.
Die erythropoetische Protoporphyrie und X-chromosomal-dominante Protoporphyrie sind sehr seltene Erkrankungen. Die Prävalenz in der weißen Bevölkerung liegt bei 1 : 75.000 bis 1 : 200.000. Die ersten Symptome können bereits im frühen Kindesalter, also schon bei Säuglingen, nach der ersten Sonnenlichtexposition auftreten. An allen lichtexponierten Hautarealen kommt es unter Sonneneinstrahlung, meist im Frühjahr und im Sommer, zu Sonnenbrand-ähnlichen, phototoxischen Reaktionen. Kribbeln, Brennen und Juckreiz gehen starken, quälenden Schmerzen voraus. Darüber hinaus bilden sich Erytheme und ödematöse Schwellungen, vor allem an den Händen und im Gesicht. Bei vielen Betroffenen sieht die Haut jedoch völlig normal aus ohne Entzündungs- und Schwellungszeichen, dennoch leiden sie unter starken Schmerzen. Die Seltenheit der Erkrankung sowie die teilweise unsichtbaren Symptome sind die Gründe, warum die Diagnose oft erst sehr spät gestellt wird.
Übeltäter Protoporphyrine
Zur Diagnose der erythropoetischen Protoporphyrie führen erhöhte Protoporphyrin-Spiegel in Plasma und Erythrozyten. Bei dieser Erkrankung ist das metallfreie Erythrozyten-Protoporphyrin erhöht, bei der X-chromosomal-dominanten Protoporphyrie das Zink-Protoporphyrin. Genetische Analysen bestätigen die Ergebnisse (EPP: Mutation des FECH-Gens, XLPP: Mutation des ALAS2-Gens). Einen frühen Hinweis auf die Erkrankung kann ein auffälliges Vermeidungsverhalten gegenüber Sonnenlicht geben.
Verantwortlich für die extreme Lichtempfindlichkeit sind die Protoporphyrine. Sie akkumulieren im Knochenmark und in den Erythrozyten, gelangen ins Plasma und werden in der Haut abgelagert. Dort führt dann eine Exposition gegenüber sichtbarem Licht zur Bildung von Sauerstoffradikalen, die Entzündungen, Zellschädigung und starke Schmerzen verursachen. Die Haut der Betroffenen reagiert am empfindlichsten auf blaues sichtbares Licht im Bereich der Wellenlänge von etwa 400 nm, dem Hauptabsorptionsspektrum von Protoporphyrin. Die Zeit bis zum Auftreten der Beschwerden variiert individuell von wenigen Minuten bis zu einer Stunde. Zu beachten gilt: Auch künstliches Licht kann Schmerzen und Phototoxizität auslösen. Nach wiederholter Exposition treten mitunter chronische Hautveränderungen auf wie eine Lichenifikation, also Vergröberung des Hautreliefs, abweichende Pigmentierung und wachsartige Haut. Neben den Hautsymptomen entstehen bei einem Viertel der Patienten bereits in jungem Alter Gallensteine, wenn Protoporphyrin vermehrt über die Leber an die Galle abgegeben wird. Bis zu 5% der Betroffenen entwickeln darüber hinaus schwere Leberfunktionsstörungen.
Management und bisherige Behandlung
Die wichtigste Präventivmaßnahme ist das Meiden von Sonnenlicht, was aber die normalen täglichen Aktivitäten einschränkt und die Lebensqualität enorm reduziert. Zudem sollten Betroffene langärmelige und dicht gewebte Kleidung tragen (u. a. Handschuhe, Hut, geschlossene Schuhe). Erforderlich ist auch eine Mikropigment-haltige Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor im UV-A-Bereich, welche allerdings die auslösenden Wellenlängen nicht ausreichend abdeckt. Da Fensterscheiben (Auto, Haus) ebenfalls keinen ausreichenden Schutz bieten, sind Filter gegen Blaulicht ratsam.
Einen kurativen Ansatz bei erythropoetischer Protoporphyrie und X-chromosomal-dominanter Protoporphyrie gibt es derzeit nicht. Bereits vorhandene Symptome klingen beim Aufenthalt in dunklen, kühlen Räumen innerhalb von Stunden bis Tagen wieder ab. Die Empfehlungen zu kalten Kompressen sowie topischen und/oder oralen Corticosteroiden sind hingegen widersprüchlich. Ausreichende Evidenz für die Anwendung von Betacarotin, N-Acetylcystein, Vitamin C und Antihistaminika wie Cimetidin zur Symptomvorbeugung fehlt. Lange Zeit wurde auf UV-B-Bestrahlung gesetzt, um eine Pigmentierung der Haut zu induzieren. Seit 2014 ist Afamelanotid (Scenesse®) als einziges Präparat für Erwachsene mit erythropoetischer Protoporphyrie zugelassen. Dieser Agonist am Melanocortin-1-Rezeptor wird alle zwei Monate subkutan als Implantat verabreicht – nur von Ärzten in spezialisierten Zentren und nur in Phasen mit starker Sonnenlichtexposition. Empfohlen werden drei Implantate pro Jahr, die Höchstzahl beträgt vier. Die Jahrestherapiekosten liegen laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss pro Patient zwischen 76.000 und 102.000 Euro (Stand Lauer-Taxe 15. Juli 2016). Afamelanotid regt in der Haut die Produktion des schwarzbraunen Pigments Eumelanin an. Somit verhindert der Wirkstoff das Eindringen von Licht in Zellen und damit die schmerzhaften Reaktionen. Gemäß der zulassungsrelevanten Studienergebnisse konnten sich die Patienten signifikant länger schmerzfrei direktem Sonnenlicht aussetzen als die unbehandelte Kontrollgruppe. Sehr häufige Nebenwirkungen unter Afamelanotid sind Übelkeit und Kopfschmerzen, häufig treten Reaktionen an der Implantationsstelle auf. Zu beachten gilt auch: Unter der Therapie lassen die Symptome nach, aber die Behandlung hat keinen Effekt auf die Protoporphyrin-Konzentration.
Orale Therapie in der Pipeline
Nun wurde kürzlich im „New England Journal of Medicine“ eine Phase-II-Studie zu einem neuen Wirkstoff veröffentlicht. Dersimelagon ist genauso wie Afamelanotid ein Melanocortin-1-Rezeptoragonist, der ebenfalls die Eumelanin-Spiegel erhöht, Patienten mit erythropoetischer Protoporphyrie und X-chromosomal-dominanter Protoporphyrie vor phototoxischen Zellschäden schützt und insgesamt für mehr Sonnentoleranz sorgt. Der große Vorteil: Die Substanz lässt sich oral verabreichen. Im Rahmen der Studie erhielten 102 Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren entweder Placebo oder Dersimelagon in einer Dosierung von 100 mg oder 300 mg einmal täglich über 16 Wochen. Das Ergebnis: Dersimelagon erhöhte in beiden Dosierungen signifikant den Zeitraum symptomfreier Sonnenlichtexposition. Er war unter 100 mg Dersimelagon durchschnittlich 54 Minuten und unter 300 mg 63 Minuten länger als unter Placebo. Im Vergleich zu Placebo nahm unter der Einnahme von Dersimelagon auch die Anzahl von Episoden mit phototoxisch bedingtem Schmerz ab, zudem verbesserte sich die Lebensqualität der Patienten. Die häufigsten Nebenwirkungen waren mild bis moderat und äußerten sich in vorübergehender Übelkeit, Kopfschmerzen und hyperpigmentierter Haut, einschließlich Sommersprossen. Mit Spannung zu erwarten sind die Ergebnisse der derzeit laufenden Phase-III-Studie, in der bereits jüngere Patienten ab zwölf Jahren einbezogen wurden und in der die Dersimelagon-Dosierung aufgrund dosisabhängig gehäufter Nebenwirkungen auf 100 mg täglich beschränkt wurde. Weiterhin gefragt sind Therapieoptionen für die ganz jungen Patienten. Und für alle Betroffenen zählt: Erythrozytenzahl und Protoporphyrin-Gehalt im Plasma sowie die Leberfunktion sollten jährlich überprüft werden. Eine Hepatitis-A- und -B-Impfung ist dringend anzuraten. Jugendliche und Erwachsene sollten möglichst auf Alkohol verzichten. Ein bei der erythropoetischen Protoporphyrie häufig vorkommender Vitamin-D-Mangel lässt sich mit einem Vitamin-D-Präparat ausgleichen. Hingegen sollte bei auftretender Anämie eine Eisen-Supplementierung nur nach Rat erfahrener Spezialisten erfolgen. Und schlussendlich kann eine sequenzielle Leber- und Knochenmark-Transplantation für die schwersten Verläufe der erythropoetischen Protoporphyrie mit Leberbeteiligung in Betracht gezogen werden. |
Literatur
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The Porphyrias - introduction for non experts. Informationen des International Porphyria Network, porphyrianet.org/en/content/2021-webinar-series-porphyrias-introduction-non-experts
Zusammenfassende Dokumentation über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Afamelanotid. Gemeinsamer Bundesausschuss, 4. August 2016
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