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Arzneimittel und Therapie
Individuelle Blutdruckziele vereinbaren und erreichen
Neue nationale Versorgungsleitlinie Hypertonie veröffentlicht
Als Hypertonie gelten weiterhin Blutdruckwerte oberhalb von 140 mmHg systolisch und/oder 90 mmHg diastolisch. Wie auch bei der pharmazeutischen Dienstleistung „standardisierte Blutdruckmessung“, werden drei Messungen durchgeführt und zur Bestimmung für den systolischen und den diastolischen Blutdruck jeweils der Mittelwert der Blutdruckwerte aus der zweiten und dritten Messung herangezogen. Zur Bestätigung soll dann eine ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung, eine Heimblutdruckmessung oder eine erneute Blutdruckmessung in der Praxis erfolgen. Nach Diagnosestellung können dann die Natrium- und Kalium-Spiegel, die Nierenfunktion, der Lipidstatus, der Glucose-Wert und der Urinstatus bestimmt werden. Zur Bestimmung von Endorganschäden werden ein Ruhe-EKG und die Messung der Albumin-Kreatinin-Ratio empfohlen. Bei Patienten, die ihr Therapieziel erreicht haben und die keine kardiovaskulären Komorbiditäten aufweisen, wird dann die mindestens jährliche Blutdruck-Kontrolle empfohlen, andernfalls soll alle drei Monate der Blutdruck bestimmt werden.
Zielkorridore statt fixer Vorgaben
Prinzipiell gilt für alle Hypertoniker ein Zielwert von < 140/90 mmHg. Neu wurden nun aber flexible Zielkorridore eingeführt, die ein patientenindividuelles Abweichen ermöglichen (s. Abb.). Damit soll zum einen dem Trend Rechnung getragen werden, dass z. B. bei hohem kardiovaskulärem Risiko auch niedrigere Zielwerte sinnvoll sein können, zum anderen aber im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung auch höhere Werte vorstellbar sind. Geschulte Patienten können die Dosierung auch eigenständig variieren. Die Abbildung zeigt die verschiedenen Einflussgrößen auf mögliche individuelle Zielwerte.
Der Zielkorridor dient als Orientierung für die individuelle Einschätzung, welcher Blutdruckzielwert auf Basis der vorliegenden persönlichen Situation angemessen erscheint.
Als nicht-pharmakologische Maßnahmen werden eine Salzrestriktion auf < 6 g/Tag, Gewichtsreduktion und Bewegung (gegebenenfalls nach der Aufnahme eines Belastungs-EKGs) empfohlen. Von Tabak- und Alkoholkonsum wird abgeraten.
Pharmakotherapie
Ähnlich wie bei anderen Indikationen, fließt in die Therapiebeurteilung der Hypertonie nun auch ein Stück weit die Betrachtung des individuellen kardiovaskulären Risikos ein. Als häufige kardiovaskuläre Risikofaktoren gelten dabei Adipositas, Rauchen, riskanter Alkoholkonsum, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Bewegungsmangel und Stress. Bei hohem Risiko oder bei Werten > 160/100 mmHg wird direkt eine Kombinationsbehandlung empfohlen. Anders als in anderen Leitlinien, kann bei Grad-1-Hypertonie (s. Tab.)und geringem Risiko aber auch wieder in Monotherapie begonnen werden.
Blutdruck [mmHg] | |||
---|---|---|---|
Kategorie | systolisch | diastolisch | |
Hypertonie Grad 1 | 140 bis 159 | und/oder | 90 bis 99 |
Hypertonie Grad 2 | 160 bis 179 | und/oder | 100 bis 109 |
Hypertonie Grad 3 | ≥ 180 | und/oder | ≥ 110 |
isolierte systolische Hypertonie | ≥ 140 | und | < 90 |
Geeignet sind als erste Wahl ACE-Hemmer (ACE-Inhibitoren, ACEI) bzw. Angiotensinrezeptor-Blocker (ARB), Calciumkanal-Blocker, Thiazide und Thiazid-artige Diuretika. Eine Bevorzugung von Angiotensinrezeptor-Blockern gegenüber ACE-Hemmern wurde trotz der besseren Verträglichkeit nicht vorgenommen. Grund ist die bessere Datenlage: ACE-Inhibitoren wurden ursprünglich noch gegen Placebo getestet, Angiotensin-Rezeptor-Blocker nicht mehr. Betablocker sind keine Blutdrucksenker der ersten Wahl, kommen aber bei den Komorbiditäten koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzinsuffizienz ins Spiel. Bei Diabetes werden wie bisher ACEI/ARB und Calciumkanal-Blocker empfohlen, nach Schlaganfall Calciumkanal-Blocker, ACE-Hemmer oder Thiazid-artige Diuretika. Bei Nierenerkrankungen kommen neben ACEI/ARB auch Schleifendiuretika in Frage. Thiazid-artige Diuretika (Chlortalidon und Indapamid) werden aufgrund der stärkeren Wirkung in niedrigen Dosierungen gegenüber Hydrochlorothiazid bevorzugt. Diese Empfehlung erscheint nach der neuen Diuretic Comparison Project Studie [Ishani 2022], die kaum Unterschiede fand und noch in den Begleittext aufgenommen wurde, allerdings fraglich. Zudem wird empfohlen, möglichst auf Fixkombinationen zurückzugreifen. Diese sind in Deutschland hauptsächlich mit Hydrochlorothiazid als Diuretikum verfügbar. Die Leitlinie rät zur Kombination von niedrigdosierten Erstlinien-Wirkstoffen statt maximaler Dosierungen eines einzelnen Wirkstoffes. In der Schwangerschaft werden Nifedipin retard, Metoprolol und Alpha-Methyldopa empfohlen.
Hypertensive Entgleisungen
Neue Empfehlungen gibt es auch zum Umgang mit hypertensiven Entgleisungen, also einem Blutdruck von > 180/110 mmHg. Da Nitrendipin-Phiolen nicht mehr verfügbar sind, wird nun unter anderem auf Glyceroltrinitrat und Amlodipin verwiesen. Diese beiden Wirkstoffe ergänzen sich insofern, als die Wirkung von Glyceroltrinitrat besonders schnell (aber kurzanhaltend) eintritt und von Amlodipin erst nach einigen Stunden. Eine Kombination kann also sinnvoll sein. Für den hypertensiven Notfall, also Entgleisungen mit Endorganschädigung, werden intravenös applizierte Schemata mit Enalaprilat, Esmolol und Nitroprussidnatrium im stationären Setting empfohlen.
Literaturtipp
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Einbindung der Pharmazeuten und Fachärzte
Bei Polymedikation spricht sich die Leitliniengruppe in ihrer neuen Empfehlung 7 – 15 für eine Medikationsanalyse aus: „Bei Polymedikation sollte eine Medikationsanalyse durchgeführt und in die Therapieplanung einbezogen werden, gegebenenfalls interprofessionell“. Der Zusatz „gegebenenfalls interprofessionell“ irritiert hier etwas, da Evidenz ausschließlich für interprofessionelle Medikationsanalysen vorliegt. In der Praxis werden Medikationsanalysen wohl ausschließlich von Pharmazeuten und in Zusammenarbeit mit Ärzten durchgeführt. Auch die Hervorhebung von Interaktionen als arzneimittelbezogenes Problem entspricht nicht unbedingt den tatsächlichen Gegebenheiten. Betont wird auch die pharmazeutische Dienstleistung der standardisierten Blutdruckmessung. Für die Einbindung von Fachärzten nennt die Leitliniengruppe konkrete Indikationen bei allerdings abgeschwächtem Empfehlungsgrad. Bezüglich der Zusammenarbeit ist die Leitlinie insgesamt also etwas zurückhaltend.
Fazit
Die neue Versorgungsleitlinie Hypertonie reflektiert die Ergebnisse der klinischen Studien der letzten Jahre vor dem Hintergrund der bestehenden Evidenz. Dass flexible Zielkorridore vorgegeben werden stärkt die partizipative Entscheidungsfindung zusammen mit dem Patienten. Auf der anderen Seite verlangt es von den Ärzten und Apothekern auch ein größeres Therapieverständnis, als die fixe Vorgabe eines einzigen Zielwertes. Insgesamt wird der aktuelle Stand der (Pharmako-)Therapie abgebildet. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Leitlinie Eingang in die klinische Praxis findet und die Versorgung von Patienten mit Hypertonie verbessert. |
Literatur
Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie – Langfassung, Version 1.0. 2023. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), DOI: 10.6101/AZQ/000502,www.leitlinien.de/themen/hypertonie/version-1
Ishani A, Cushman WC, Leatherman SM, et al. Chlorthalidone vs. Hydrochlorothiazide for Hypertension-Cardiovascular Events. N Engl J Med 2022;387(26):2401-2410
Neue Hypertonie-Leitlinie
Ein Interview
DAZ: Es gibt bereits eine europäische Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC), sowie britische und amerikanische Leitlinien zur Hypertonie. Welche Intention steckt hinter dieser neuen Versorgungsleitlinie?
Rose: Die von Ihnen genannten Leitlinien basieren auf unterschiedlichen Intentionen. Während sich die britischen NICE-Leitlinien stets sehr am Versorgungsalltag und an der Leistbarkeit orientieren, berücksichtigen die ESC-Leitlinien sehr stark die klinische Forschung. Wir sind mit dem Anspruch angetreten, eine vorrangig evidenzbasierte Leitlinie zu erstellen. Das war noch kurz vor der Pandemie, Startschuss war im November 2019.
DAZ: Gibt es denn im Bereich Hypertonie überhaupt Innovationen, die ein Update erforderlich machen?
Rose: Absolut. Obwohl sich die Wirkstoffforschung spürbar aus der Indikation verabschiedet hat, boomt die klinische Forschung geradezu. Es wird oft verkannt, dass die Ergebnisse der anwendungsbezogenen Forschung oft einen genauso großen Patientennutzen bergen, wie etwa die erfolgreiche Entwicklung einer neuen Wirkstoffklasse.
DAZ: Können Sie Beispiele nennen?
Rose: Da ist zunächst einmal die Diskussion um die optimalen Zielwerte zu nennen. Auch wenn man den Blutdruck in der Praxis nicht immer so genau einstellen kann, wie man gerne möchte, so ist durch die SPRINT-Studie durchaus ein Trend Richtung niedrigerer Zielwerte in Gang gekommen. Wir haben dieser Entwicklung durch die Einführung individueller Zielkorridore Rechnung getragen. Auch die Ergebnisse der QUARTETT-Studie zu einer kombinierten Therapie oder aus dem Diuretic Comparison Project konnten noch auf dem letzten Meter einbezogen werden.
DAZ: Wie sieht es mit der Einbindung der Apotheken aus?
Rose: Die pharmazeutischen Dienstleistungen Medikationsanalyse und standardisierte Blutdruckmessung werden beschrieben und empfohlen. Auch wenn ich mir persönlich ob der klaren Evidenzlage eine noch stärkere Empfehlung gewünscht hätte, so ist das ein klares Zeichen zur Zusammenarbeit, auch an die anderen Berufsgruppen.
DAZ: Herr Rose, vielen Dank für das Gespräch!
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