Interpharm 2023

„Paracetamol aus Frankreich ist eine Mogelpackung“

Herstellung in Europa – keine Lösung für Lieferengpässe?

dm | „Nicht lieferbar!“ Dieser Satz löst negative Emotionen aus – zu allgegenwärtig ist das Problem geworden. Doch was hat den Arz­neimittelmarkt eigentlich zu dem gemacht, was er heute ist? Das erörterte Dr. Uwe Weidenauer, der am Beispiel von Paracetamol deutlich machte, warum es keine einfachen Lösungen für die Engpässe gibt.
Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Uwe Weidenauer


In der heutigen arbeitsteiligen Welt wird (so gut wie) nichts mehr vom Rohstoff bis zum Endprodukt an einem Ort produziert. Dr. Uwe Weidenauer sprach in Göttingen von „weltumspannenden Lieferketten“ und deren Folgen für unsere Arzneimittelversorgung. Um zu erklären, wie es zu der heutigen Engpass-Situation gekommen ist, warf er einen historischen Blick zurück auf die Entstehung unserer Pharmaindustrie.

Fertigarzneimittel seit 100 Jahren, Rabattverträge seit 2007

Es gab eine Zeit, als Apotheker und Apothekerinnen als „Pillendreher“ noch wirklich selbst Arzneimittel herstellten. Tatsächlich gibt es Fertigarzneimittel erst seit gut 100 Jahren, erinnerte Weidenauer. Die Arzneimittelhersteller erwuchsen dabei nach dem Zweiten Weltkrieg aus Unternehmen mit einem „ganz anderen Hintergrund“ als der Pharmazie – etwa aus der Teerchemie, der Farbstoffindustrie –, aber auch aus öffentlichen Apotheken. Doch auf das Wirtschaftswunder folgten schließlich auch Wirtschaftskrisen, die Politik wurde zu Reformen gezwungen, die schließlich auch den Arzneimittelmarkt auf den Wettbewerb ausrichteten. Solche Struktur­reformen hätten zwar Innovationen geschaffen, aber auch den Preis gedrückt, so Weidenauer. Zugespitzt mündete diese Entwicklung wohl 2007 in die Einführung der Rabattverträge. Es entstand ein Kostendruck, der sich am besten anhand der aktuellen Engpässe bei Fiebersäften verdeutlichen lässt.

Während die Einführung der Rabattverträge den allermeisten Apothekern und Apothekerinnen noch sehr präsent sein dürfte, wissen wahrscheinlich weniger, dass das erste Institut für Pharmazeutische Technologie erst 1959 eröffnet wurde. Dieser Schritt war laut Weidenauer bedeutend, weil sich damit in der Pharmazie die Technologie von der Chemie abspaltete – woraus am Ende vor allem „der Job der Generikahersteller“ wurde. Ungefähr in den 80er-Jahren nahmen so die Generika-Industrie – nach Überwindung einiger Hürden – und die Globalisierung der Pharma­industrie an Fahrt auf. Und spätestens seit der Nitrosamin-Krise weiß die Welt der Pharmazie: Verunreinigungen und andere Probleme bei Wirkstoffherstellern können für Generikahersteller und die allgemeine Arzneimittelversorgung weltweit zum Problem werden.

Nicht nur an die Wirkstoffe denken!

Allerdings: In der Wertschöpfungskette gilt es, neben den Wirkstoffen auch an deren Vorstufen und die Rohstoffe sowie Hilfsstoffe als mögliche Engstellen für Lieferengpässe zu denken. Als Beispiel nannte Weidenauer die vergangenen Tamoxifen-Engpässe. Hier soll vor allem ein anorganischer Hilfsstoff zum Lieferengpass geführt haben. Wer also denkt, eine Paracetamol-Produktion in Frankreich, wie sie bald wiederaufgenommen werden soll, sei eine gute Idee, der muss sich laut Weidenauer bewusst machen: „Para­cetamol aus Frankreich ist eigentlich eine Mogel­packung.“ Denn die Vor­stufen für die Wirkstoffherstellung würden weiterhin aus China bezogen. Selbst Wirkstoffhersteller in Indien würden gewisse Vorstufen nur aus China einkaufen. Der Markt erscheint also oft vielfältiger, als er ist, weil die verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen teils nur von wenigen Wirkstofflieferanten und Lieferanten des Ausgangs­materials abhängig sind. |

 

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