Interpharm 2023

Neue Arzneimittel 2022 im Rückblick

Welche Wirkstoffe für die Apotheke besonders relevant sind

dab | In Deutschland wurden im vergangenen Jahr insgesamt 49 neue Wirkstoffe zugelassen. Die Indikationsgebiete waren dabei breit gestreut. In ihrem Vortrag gaben Dr. Christian Ude, Inhaber der Stern-Apotheke in Darmstadt, und Dr. Mario Wurglics, Wissenschaft­licher Mitarbeiter am Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität Frankfurt/Main, einen Überblick dazu. Ausgewählte und teils für Apotheken besonders relevante Wirkstoffe stellten sie genauer vor.

Im Jahr 2022 tat sich einiges, was Neuzugänge auf dem Arzneimittelmarkt betrifft. Die Anwendungsge­biete umfassten dabei unter anderem COVID-19 und andere Infektionskrankheiten, Krebs-, Nieren-, Stoffwechsel- und immunologische Erkrankungen. Auf sechs neue Arzneimittel gingen Ude und Wurglics genauer ein. Als besonders für Apotheken relevant betrachten die beiden Experten Darid­orexant, Finerenon und Difelikefalin.

Schneller einschlafen, später aufwachen

Lange Zeit, für etwa zwei Jahrzehnte, gab es keine nennenswerten Neueinführungen mit der Indikation Schlafstörungen, erklärte Wurglics. Dafür aber mehrere Misserfolge, wie etwa der extrasynaptische GABA-Rezeptor­agonist Gaboxadol. Während weniger Benzodiazepine eingesetzt werden, dominieren die Benzodiazepin-Rezeptoragonisten. Melatonin- und Melatonin-Rezeptoragonisten spielen laut Wurglics in Europa eine eher unter­geordnete Rolle. Mit Daridorexant (QuviviqTM) kam nun ein Schlafmittel mit einem neuen Wirkprinzip auf den Markt. Es handelt sich dabei um einen dualen Orexin-Rezeptorantagonisten. Das Neuropeptid Orexin ist für die Kontrolle des Wachzustands wichtig. Daridorexant fördert den Übergang vom Wachzustand in den Schlaf, indem es Orexin-Rezeptoren blockiert. Im Schnitt schläft der Patient damit 11,7 Minuten schneller ein und wacht 22,8 Minuten später auf. In Untersuchungen über drei Monate wurde kein Wirkverlust beobachtet – längere Studien sind allerdings nötig. Ein weiterer Pluspunkt des dualen Orexin-Rezeptoragonisten ist, dass er auch bei älteren Patienten über 65 Jahre sicher eingesetzt werden kann. Zu beachten sind bei der Einnahme allerdings mögliche Wechselwirkungen mit CYP-Inhibitoren.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Mario Wurglics

Kardiovaskulärer Nutzen für Typ-2-Diabetiker

Für Typ-2-Diabetiker mit chronischer Nierenerkrankung (CKD), die ein erhöhtes kardiovaskuläres und renales Risiko haben oder keine Natrium-Glucose-Co-Transporter-2(SGLT-2)-Inhibitoren einnehmen können, gibt es seit 2022 eine neue Therapieoption – Finerenon (Kerendia®). Wie Ude berichtete, hat es dieser nichtsteroidale Mineralocorticoid-Rezeptorantagonist bereits in die Leitlinie der American Diabetes Association geschafft. Er wirkt selektiv, was ihn gegenüber Spironolacton mit seiner breiten Wirkung an verschiedenen Rezeptoren verträglicher macht. So tritt unter Finerenon beispielsweise keine Gynäkomastie als Nebenwirkung auf. Die Risiken für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität sowie Progression der chronischen Nierenerkrankung reduziert Finerenon gegenüber Placebo signifikant um 14% bzw. 23%. Insgesamt ist der neue Arzneistoff gut wirksam und verträglich. Allerdings kann es unter der Einnahme zu Hyperkaliämien kommen.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Christian Ude

Weniger Juckreiz bei Hämodialysepatienten

Mit Difelikefalin (Kapruvia®) wurde eine therapeutische Lücke bei Hämodialysepatienten geschlossen, die unter CKD-assoziiertem Pruritus leiden. Bisher gab es für diese Erkrankung, die mit einer verringerten Schlafqualität, sozialer Isolation und Depression einhergeht, keine Therapieoption. Als ursächlich für die Erkrankung wird neben der Ablagerung von Toxinen auch eine Dysregulation des Immunsystems und eine periphere Neuro­pathie angenommen. Als weitere Ursache wird eine Überstimulation zentraler µ-Opioid-Rezeptoren und/oder eine Inhibition peripherer κ-Opioid-Rezeptoren angenommen. Hier greift Difelikefalin als selektiver κ-Opioid-Rezeptoragonist ein. Er weist eine gute Wirksamkeit und ein gutes Sicherheitsprofil auf. In der S2k-Leit­linie „Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus“ wird das neue Arzneimittel bereits empfohlen.

Weitere, interessante Neuzulassungen

Ude und Wurglics gingen auf drei weitere interessante Wirkstoffe ein, die allerdings im Apothekenalltag wohl eher selten vorkommen. So etwa der Birkenrindenextrakt Filsuvez® zur Behandlung der Schmetterlingskrankheit, Epidermolysis bullosa. Von dieser Erkrankung mit Blasen- und Wund­bildung bei geringem Druck oder Reibung sind etwa 2000 bis 4500 Menschen in Deutschland betroffen. Der überwiegende Teil (70%) erkrankt an einer leichten Form (Epidermis bullosa simplex), bei der sich Blasen nur in der obersten Hautschicht bilden. Bei weiteren Formen (Epidermolysis bullosa junctionalis und dystrophica) sind zudem tiefere Hautschichten betroffen. Bei der schwersten Form (5% der Fälle) treten Blasen schon in der Lederhaut auf und auch andere Organe können in Mitleidenschaft geraten. Der nun als Orphan Drug zugelassene Birkenrindenextrakt kann zur Wundheilung und zum Wundverschluss bei der Epidermolysis bullosa junctionalis und dystrophica eingesetzt werden. Er war bereits 2016 in Europa zur Behandlung von partiellen Hautwunden aufgrund von Verbrennungen oder Hauttransplantationen unter dem Namen Episalvan® auf dem Markt.

Im weiteren gingen die beiden Experten noch auf Sotorasib (Quviviq®) und Anifrolumab (Saphnelo®) ein.

Sotorasib ist der erste KRAS-Inhibitor zur Therapie des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms. Er adressiert die Mutation G12C im KRAS-Gen, die vor allem durch Zigarettenrauch ausgelöst wird und lange Zeit als nicht behandelbar (nicht druggable) gesehen wurde. Das progressionsfreie Überleben war in einer Phase-III-Studie unter Sotarasib im Vergleich zu Docetaxel im Median um einen Monat länger, was einen leichten Vorteil darstellt. Als einschränkend erwähnte Wurglics, dass die Vergleichsmedikation (Docetaxel) nicht dem besten Behandlungsstandard entsprach. Weitere Studien mit einer größeren statistischen Power seien nötig.

Auch bei Anifrolumab, das als monoklonaler Antikörper zur Add-on-Therapie des systemischen Lupus erythematodes eingesetzt wird, sollte man nicht zu viel erwarten. In einer Studie konnte kein Vorteil gegenüber Placebo festgestellt werden. Welcher Endpunkt zur Beurteilung ausgewählt werden sollte, wird laut Ude noch diskutiert. Das Sicherheitsprofil bewertete er als gut, allerdings müsse das erhöhte Herpes-zoster-Risiko unter der Therapie beachtet werden. |

 

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