Arzneimittel und Therapie

Mehr Sicherheit in der Therapie mit Lithium

Viele Patienten kennen Anzeichen einer Vergiftung nicht

Lithium wird in der psychiatrischen Therapie seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. Patienten müssen jedoch vor toxischen Effekten auf der Hut sein, da die therapeutische Breite von Lithiumsalzen gering ist. Eine kürzlich im britischen Pharmaceutical Journal publizierte Umfrage unter Patienten, die Lithium einnehmen, zeigt, dass gut ein Drittel der Befragten mögliche Anzeichen einer Intoxikation nicht benennen konnte. Grund genug, das Thema aufzufrischen.

Bei der Behandlung von Depressionen und akuten Manien ist Lithium ein wichtiges Werkzeug. Es eignet sich zur Langzeittherapie von bipolaren Störungen und zeigt nachweislich eine antisuizidale Wirkung. Patienten mit Depressionen, die nur unzureichend auf die Behandlung mit Antidepressiva ansprechen, können von einer Lithium-Augmentation profitieren. Dabei ist der Wirkmechanismus nicht vollständig geklärt. Bekannt ist, dass Lithium in verschiedene Neurotransmittersysteme eingreift (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Glutamat, GABA), die häufig im Rahmen affektiver Erkrankungen aus dem Gleichgewicht geraten [1, 2]. Welches Lithiumsalz verabreicht wird, spielt eine Rolle für die Pharmakokinetik. Gut wasserlösliche Salze wie Lithiumchlorid und -sulfat erreichen bereits nach einer Stunde die maximale Plasmakonzentration. Das schlechter lösliche Lithiumcarbonat dagegen benötigt etwa vier Stunden, um vollständig gelöst und im oberen Gastrointestinaltrakt absorbiert zu werden. Retardformulierungen setzen den Wirkstoff über einen Zeitraum von vier bis zwölf Stunden frei. Lithium durchdringt die Bluthirnschranke, die höchsten Konzentrationen im Hirn werden nach etwa 24 Stunden gemessen. Der Arzneistoff bindet nicht an Plasmaproteine, wird nicht metabolisiert und zum größten Teil über die Nieren wieder ausgeschieden [3].

Foto: makasana photo/AdobeStock

In der Beratung sollten Patienten über den Zusammenhang von Störungen des ­Wasser- und Elektrolythaushaltes und Lithium-Vergiftungen aufgeklärt werden.

Geringe therapeutische Breite

Das therapeutische Fenster, in dem Lithium sicher eingesetzt werden kann, ist schmal. Plasmakonzentrationen zwischen 0,4 und 1,0 mmol/l gelten als wirksam. Zur Behandlung von Depressionen reichen oft Spiegel im unteren Bereich aus, während Manien eher mit höheren Konzentrationen therapiert werden. Ab einer Konzentration von 1,2 mmol/l drohen bereits akut toxische Effekte. Bei langfristiger Anwendung können bereits bei niedrigeren Spiegeln chronisch toxische Effekte auftreten. Das Risiko für einen Rückfall und erneutes Auftreten von Symptomen steigt bereits bei Plasmakonzentrationen unterhalb von 0,6 mmol/l [3]. Patienten mit einer Lithium-Therapie balancieren also auf einem schmalen Grat. Eine regelmäßige Kontrolle der Lithium-Plasmakonzentrationen ist wichtig. Aus dem Arzneimittelverordnungsreport 2021 geht hervor, dass in Deutschland im Jahr 2020 23,1 Millionen Tagesdosen Lithium-haltiger Medikamente verordnet wurden. Das entspricht einem Zuwachs von 2,9% im Vergleich zum Vorjahr [4]. Laut einer im Pharmaceutical Journal publizierten Umfrage unter Patienten mit Lithium-Therapie konnte gut ein Drittel (34%) aller Befragten die Symptome für eine Intoxikation nicht beschreiben und wusste nicht, welches bewährte Verhalten toxische Effekte von Lithium verhindern kann [5]. Doch welche Symptome gilt es zu erkennen?

Akute Toxizität

Eine akute Lithium-Vergiftung äußert sich oft durch Symptome im Gastro­intestinaltrakt. Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sind jedoch unspezifisch. Gleichzeitig treten in vielen Fällen neurologische Symptome auf. Patienten sind lethargisch und müde. Oft können Hyperreflexie, Tremor und Ataxie beobachtet werden. Bei Plasmakonzentrationen über 2,5 mmol/l können Steifheit, Hypertonie oder Hypo­tonie hinzukommen. Im schlimmsten Fall kann es zu Myoklonien, Krämpfen und Koma kommen [6]. Akut toxische Effekte können durch beschleunigte Elimination des Lithiums be­handelt werden. Dies geschieht durch vermehrte Diurese durch Flüssigkeitszufuhr bei gleichzeitiger Kochsalz-­Gabe. Lithium gehört außerdem zu den hämodialysierbaren Substanzen. Da Lithium in der psychiatrischen Therapie häufig über Jahre oder sogar Jahrzehnte angewandt wird, sollten Patienten auch für Symptome chronischer Toxizität sensibilisiert sein.

Es geht an die Nieren

Nach jahrelanger Lithium-Therapie zeigen viele Patienten Nierenprobleme. Etwa 40% entwickeln einen Dia­betes insipidus renalis, der gekennzeichnet ist durch starken Durst und Polyurie. Schäden an den Nierentubuli stören die Fähigkeit, den Urin zu konzentrieren. Nach jahrzehntelanger Lithium-Behandlung leiden manche Patienten zudem unter einer Lithium-induzierten Nephropathie, die durch erhöhte Serumkreatinin-Werte messbar wird. Histopathologisch ist die Krankheit durch renale Zysten im Bereich des distalen Tubulus und des folgenden Sammelrohrs sichtbar. Selten kommt es bis zum Endstadium, dann allerdings ist eine Dialyse notwendig. Verschiedene molekulare Mechanismen tragen zur nephrotoxischen Wirkung von Lithium bei. Das einfach geladene Lithium-Kation wird durch die Glomeruli filtriert und zu großen Teilen im proximalen Tubulus wieder absorbiert. Teile werden aber auch im distalen Tubulus und im Sammelrohr durch den Natrium-Ionenkanal ENaC aufgenommen. ENaC ist für Lithium sogar deutlich durchlässiger als für Natrium, im Gegensatz zu Natrium können die Zellen das Lithium jedoch nur schlecht wieder in den Blutstrom abgeben. Dadurch reichert sich das Alkalimetall auch bei therapeutischen Dosen in den Zellen an, bis zytotoxische Konzentrationen erreicht sind. Außerdem kommt es in den Zellen des Sammelrohrs zur Dysregulation des Wasserkanals Aquaporin 2, der für die Resorption von Wasser aus dem Primärharn verantwortlich ist. Lithium inhibiert weiterhin die Glykogensynthase GSK-3β, die im Sammelrohr in eine Reihe zellulärer Funktionen involviert ist [7]. Im Falle einer Hypo­natriämie erhöht sich die Lithium-Rückresorption, und das Risiko für Nebenwirkungen steigt. Patienten, deren Natrium-Spiegel durch starkes Schwitzen, Erbrechen, Diuretika-­Einnahme oder Natrium-­arme Diät reduziert ist, haben daher ein erhöhtes Risiko, akut toxische Effekte zu erleiden, selbst wenn sie zuvor viele Jahre stabil auf Lithium eingestellt waren [2].

Das SILENT-Syndrom

Akute neurologische Symptome während einer Lithium-Therapie klingen in der Regel nach Absetzen des Arzneimittels ab. In seltenen Fällen kann es jedoch zu einem irreversiblen Syndrom Lithium-induzierter Neurotoxizität kommen, das mit dem Akronym SILENT bezeichnet wird (Syndrome of irreversible lithium-effectuated neuro­toxicity). Zittern, Sprachstörungen, Störungen der Bewegungskoordination, Hyperreflexie und Muskelschwäche können über Monate anhalten oder zum Dauerzustand werden. Patienten erscheinen mitunter orientierungslos, erregt und verwirrt. Auch hier ist der zugrunde liegende Mechanismus nur unzureichend verstanden. Demyelinisierung von Nervenfasern und der Verlust von Purkinje-Zellen im Kleinhirn scheinen eine Rolle zu spielen [8, 9]. Japanische Mediziner berichteten von einem SILENT-Fall, bei dem vor und nach der Lithium-­Vergiftung Hirnscans des Patienten aufgenommen worden waren. Der 54-jährige Patient mit bipolarer Störung hatte über 30 Jahre täglich 1200 mg Lithiumcarbonat eingenommen. Er wurde mit neurologischen Ausfallerscheinungen in ein Krankenhaus eingeliefert und fiel schließlich für eine Woche ins Koma. Sein Lithium-Plasmalevel war mit 3,45 mmol/l alarmierend hoch. Beim Vergleich der Hirnscans stellten die behandelnden Ärzte fest, dass das Volumen der grauen Materie im Kleinhirn nach der Vergiftung deutlich niedriger war als vorher. Auch über sechs Monate nach der Intoxikation litt der Mann unter Sprach- und Bewegungsstörungen sowie Hyperreflexie [10].

Neben- und Wechselwirkungen sowie Kontraindikationen

Darüber hinaus wirkt Lithium hemmend auf den Schilddrüsenstoffwechsel. Struma bilden sich bei rund 20% der deutschen Patienten, die mit Lithium behandelt werden. In manchen Fällen kommt es zu Hypo- oder Hyperthyreosen sowie Schilddrüsenentzündungen [11]. Zudem können unter Lithium-Therapie QT-Verlängerungen auftreten [12]. Dementsprechend sind Herzrhythmusstörungen Kontraindikationen für eine Lithium-Therapie. Auch bei Nierenfunktionsstörungen, Natrium-Mangel, neurologischen Erkrankungen und einer Schwangerschaft im ersten Trimenon sollte eine alternative Therapie angewandt werden [13]. Besondere Vorsicht sollte bei gleichzeitiger Gabe von Diuretika gelten. Sie können den Lithium-Spiegel eines Patienten in die eine oder andere Richtung aus dem schmalen therapeutischen Fenster entgleiten lassen. Ähnliches gilt für ACE-Inhibitoren. Interaktionen können auch mit einigen anderen Antidepressiva und Antipsychotika auftreten. Die allgegenwärtigen nichtsteroidalen Entzündungshemmer (NSAID) sind dafür bekannt, die Clearance von Lithium zu reduzieren [14].

Dass Lithium auch unterhalb des therapeutischen Fensters eine gewisse Wirksamkeit haben kann, legen epi­demiologische Erhebungen nahe. Gegenden, in denen die natürliche Konzentration von Lithium im Trinkwasser erhöht ist, haben eine niedrigere Suizidrate [15]. Zudem gibt es Hinweise, dass auch das Risiko für Alzheimererkrankungen in solchen Regionen geringer ist als in Gegenden mit vergleichsweise niedrigen Lithium-­Werten im Trinkwasser [16].

Fazit

Lithium ist auf mehrere Arten ein einzigartiges Medikament. Zum einen wirkt es zuverlässig als Stimmungsstabilisator und ist das Mittel erster Wahl bei der Behandlung von affektiven Störungen. Zum anderen ist das therapeutische Fenster zur sicheren und wirksamen Verwendung sehr schmal. Besonders Entgleisungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes haben das Potenzial, eine Lithium-Vergiftung bei Patienten hervorzurufen, die den Wirkstoff zuvor jahrelang problemlos einnahmen. Patienten sollten auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden. Erste Anzeichen einer Vergiftung können gastrointestinale und neurologische Symptome sein. Viel Wasser zu trinken, ist ein einfaches und bewährtes Mittel, toxische Effekte zu vermeiden. Der Lithium-Plasmaspiegel eines Patienten sollte mindestens alle drei bis sechs Monate kontrolliert werden. |

Literatur

[1] Brunton LL, Chabner BA, Knollmann BC. Goodman & Gilman‘s the pharmacological basis of therapeutics. 12. Auflage, McGraw-Hill Education, New York, 2011

[2] Aktories K, Förstermann U, Hofmann FB, Starke K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Elsevier Urban & Fischer, München, 2013

[3] Malhi GS, Tanious M, Das P, Berk M. The science and practice of lithium therapy. Aust N Z J Psychiatry 2012;46(3):192-211, doi: 10.1177/0004867412437346

[4] Ludwig WD, Mühlbauer B, Seifert R. Arzneiverordnungs-Report 2021: Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare. Springer Verlag Berlin, 2022

[5] Sayburn A. One in three patients taking lithium unaware of toxicity warning signs, finds pharmacy audit. Pharmaceutical Journal, 24. März 2023, doi:10.1211/PJ.2023.1.179480

[6] Baird-Gunning J, Lea-Henry T, Hoegberg LCG et al. Lithium Poisoning. J Intensive Care Med 2017;32(4):249–263, doi:10.1177/0885066616651582

[7] Grünfeld JP, Rossier BC. Lithium nephrotoxicity revisited. Nat Rev Nephrol 2009;5(5):270–276, doi:10.1038/nrneph.2009.43

[8] Adityanjee, Munshi KR, Thampy A. The syndrome of irreversible lithium-effectuated neurotoxicity. Clin Neuropharmacol 2005;28(1):38–49, doi:10.1097/01.wnf.0000150871.52253.b7

[9] Cuigniez M, Audenaert K, Santens P, Heylens G. SILENT: The syndrome of irreversible lithium-effectuated neurotoxicity: A case report with two years follow-up. Clin Neurol Neurosurg 2020;195:106057, doi:10.1016/j.clineuro.2020.106057

[10] Ikeda Y, Kameyama M, Narita K et al. Total and regional brain volume reductions due to the Syndrome of Irreversible Lithium-Effectuated Neurotoxicity (SILENT): a voxel-based morphometric study. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2010;34(1):244–246, doi:10.1016/j.pnpbp.2009.10.010

[11] Bschor T, Bauer M. Schilddrüsenfunktion bei Lithiumbehandlung. Nervenarzt 1998;69(3):189–195, doi:10.1007/s001150050259

[12] Marquardt H, Schäfer SG, Barth H. Toxikologie, 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2019

[13] Haussmann R, Lewitzka U, Severus E, Bauer M. Sachgerechte Behandlung affektiver Störungen mit Lithium. Nervenarzt 2017;88(11):1323–1334, doi:10.1007/s00115-017-0421-0

[14] Finley PR. Drug Interactions with Lithium: An Update. Clin Pharmacokinet 2016;55(8):925–941, doi:10.1007/s40262-016-0370-y

[15] Memon A, Rogers I, Fitzsimmons SMDD et al. Association between naturally occurring lithium in drinking water and suicide rates: systematic review and meta-analysis of ecological studies. Br J Psychiatry 2020;217(6):667–678, doi:10.1192/bjp.2020.128

[16] Muronaga M, Terao T, Kohno K et al. Lithium in drinking water and Alzheimer‘s dementia: Epidemiological Findings from National Data Base of Japan. Bipolar Disord 2022;24(8):788–794, doi:10.1111/bdi.13257

Ulrich Schreiber, M. Sc. Toxikologie

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