Kongresse

Arzneimitteltherapiesicherheit im Fokus

Krankenhausapotheker sind bereit für die Herausforderungen der Zukunft

Der diesjährige Jahreskongress des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA), der vom 4. bis 6. Mai 2023 als Präsenzveranstaltung in Nürnberg abgehalten wurde, stand unter dem Motto „Unsere Kernkompetenz: AMTS – Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus“. Dieses Thema wurde von den Keynote Lectures aufgenommen und spiegelte sich in den rund 30 Vorträgen der von über 1000 Teilnehmern besuchten Tagung wider. Das wissenschaft­liche Programm wurde durch eine Posterausstellung sowie Satelliten-Symposien und eine Industrie­ausstellung ergänzt.
Foto: DAZ / Petra Jungmayr

Die 48. Jahrestagung der ADKA fand in diesem Jahr als Präsenz­veranstaltung in Nürnberg statt.

In seiner Begrüßung unterstrich ADKA-Präsident Dr. Thomas Vorwerk die wissenschaftlichen, politischen und praktischen Aspekte der AMTS und deren verzahnte Umsetzung im Krankenhaus. So liegt das Medikationsmanagement beim Stationsapotheker, die patientenindividuelle Arzneimittellogistik beim Krankenhaus­apotheker, die elektronische Verordnung beim Arzt, und Verabreichung und Dokumentation obliegen der Pflege. Das Entlassmanagement ergänzt Sicherheit und Versorgung des einzelnen Patienten. Neben der AMTS sind in naher Zukunft weitere Herausforderungen zu bewältigen. So die Wissensexplosion, Fortschritte der Technik (Stichwort künstliche Intelligenz), ein Rückgang an Fachkräften und geänderte Ansprüche an das Arbeitsleben. Als nächster Punkt steht das Krankenhausreformgesetz an.

Das wissenschaftliche Programm beleuchtete zahlreiche Aspekte der AMTS, griff aber auch weitere Themen wie die pharmazeutische Logistik, die Telepharmazie, neue Medikamente oder innovative Therapien wie etwa die CAR-T-Zell-Therapie auf. Ebenso kamen die künftige Ausbildung und der aktuelle Stand zur Novellierung der Approbationsordnung für Apotheker zur Sprache. Ein praxisrelevantes Seminar befasste sich mit dem Einfluss religiöser und diätetischer Aspekte auf die Arzneimittelauswahl.

Religiöse und diätetische Aspekte der Arzneimittelauswahl

Das Einhalten bestimmter religiöser oder diätetischer Vorschriften erschwert oder verbietet mitunter die Einnahme oder Anwendung von Medikamenten. Das betrifft etwa die Gabe von Blutprodukten bei Zeugen Jehovas, das Einhalten von Fasten­zeiten bei gläubigen Muslimen oder die Einnahme von Arzneimitteln mit bestimmten Hilfsstoffen bei Veganern. Dr. Markus Zieglmeier, München, erläuterte die Hintergründe und zeigte Alternativen auf, um die medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Die Einnahme von Medikamenten, die aus Tieren, vor allem aus Schweinen, gewonnen werden, kann für Muslime, Juden und Veganer problematisch sei. Ein klassisches Beispiel ist die Ablehnung von Heparinen, die aus Schweinemucosa gewonnen werden. Eine therapeutische Alternative ist der Wechsel auf Fondaparinux (synthetisch hergestellter, selektiver Inhibitor des aktivierten Faktors X, Xa) oder die Einnahme eines DOAKs, wobei bei letzteren der Zulassungsstatus zu beachten ist. Zur äußer­lichen Anwendung eignen sich Hirudoid-Topika. Als therapeutische Alternative zu Pankreatin, das aus dem Pankreas von Schlachtschweinen gewonnen wird, kommen Enzyme aus Pilzen wie Lipase aus Rhizopus oryzae und Amylase aus Aspergillus oryzae (z. B. in Nortase®) infrage. Mögliche Ersatzstoffe für Gelatine, die zu 80% aus Schweineschwarten gewonnen wird, sind Stärke, Carrageen, Hydroxypropylcellulose (Ersatz für Gelatinekapseln) oder Polygelin. Letzteres ist unter anderem in dem Plasmaersatzmittel Haemaccel® und als Adjuvans in wenigen Impfstoffen enthalten und wird aus Rinderknochen gewonnen. Eine weitere Alternative ist der Einsatz von Gelatine, die aus geschächteten Rindern gewonnen wurde. Zu beachten ist ferner, dass bei der Herstellung eines Medikaments eine Kontamination von aus Schweinefett gewonnenem Magnesiumstearat (wird als Trennmittel in der Tablettenpresse verwendet) erfolgen kann. Eine kontaminationsfreie Herstellung kann zertifiziert werden (Halal Control; s. Kasten „Weiterführende Infos“).

Weiterführende Infos

Das Problem mit Alkohol

… besteht im Islam im Hinblick auf Arzneimittel selten, da Alkohol nur als berauschendes Mittel verboten ist. Geringe Restmengen von weniger als 0,5% sind meist unproblematisch. Die Einnahme von Tinkturen oder alkoholhaltigen Zubereitungen ist allerdings nur zulässig, wenn keine alkoholfreien Alternativen zur Verfügung stehen. Dies dürfte allerdings nur selten der Fall sein. Zieglmeier erwähnte in diesem Zusammenhang auch den pragmatischen Ansatz im Islam „Not bricht Gebot“. So können Ausnahmen gemacht werden, wenn keine anderen therapeutischen Alternativen bestehen.

Arzneimitteleinnahme im Ramadan

Auch hier muss wiederum differenziert werden, da der (Schwer-)Kranke nicht an die allgemeinen Fastenregeln gebunden ist. Im stationären Bereich werden daher keine Probleme bei der Versorgung mit Arzneimitteln auftreten, wohl aber bei chronisch Kranken im ambulanten Bereich, zum Beispiel bei Diabetikern und Hypertonikern. So häufen sich Blutzuckerentgleisungen im Ramadan, was bei der Betreuung von Diabetikern berücksichtigt werden muss. Zieglmeier erwähnte hier beispielhaft mögliche Probleme bei der Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren, da der Wirkmechanismus der Gliflozine auf der Hemmung renaler Natrium-abhängiger Glucosetransporter beruht. Die Folgen sind eine vermehrte Glucos­urie und Dehydrierung sowie eine Verschlechterung der Nierenfunktion. Die größten Risiken für Diabetiker während der Fastenperiode sind demnach diabetische Ketoazidose, Hyper- oder Hypoglykämien, Dehydration und Thrombosen. In der Fastenzeit sollte der Blutzucker daher verstärkt kontrolliert werden. Bei einigen anderen Erkrankungen kann auf alternative Arzneiformen ausgewichen werden. Erlaubt sind transdermale therapeutische Systeme, Salben, Augen- und Ohrentropfen, vaginale Arzneiformen sowie Gurgellösungen und Mundspülungen, sofern sie nicht geschluckt werden.

Blutprodukte bei Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas lehnen aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung die Transfusion von Blut und Blut­bestandteilen ab. Auch wenn es innerhalb der Glaubensgemeinschaft teilweise divergierende Standpunkte über die Zulässigkeit einzelner Blutbestandteile gibt und einige Mitglieder eine Reform in der Blutfrage fordern, bleibt es bei der weit überwiegenden Anzahl der Zeugen Jehovas bei einer strikten Ablehnung der Gabe der vier Hauptbestandteile des menschlichen Blutes. Ob und welches Blutprodukt bei einem Mitglied der Zeugen Jehovas eingesetzt werden darf, ist individuell zu klären; Handlungsempfehlungen hierzu wurden zum Beispiel von der Universität Düsseldorf erstellt (s. Kasten „Weiterführende Infos“). Nicht erlaubt sind Vollblut, Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate, Leuko­zyten, Eigenblutspende und Frischplasma. Der Einsatz von Albumin, Immunglobulinen, Gerinnungs­faktoren, Cellsaver (maschinelle Autotransfusion) und Erythropoetin hängt von der Gewissensentscheidung des Betroffenen ab.

Tierfreie Arzneimittel für Veganer

Schätzungsweise 1% der Bevölkerung folgt einem veganen Lebensstil. Die Betroffenen sind meist jünger, pflegen eine gesunde Lebensweise und leiden selten an chronischen Erkrankungen, sind also keine große Zielgruppe für medikamentöse Therapien. Aufgrund der Ablehnung tier­ischer Produkte kann allerdings ein Nährstoffmangel – dieser betrifft vor allem Vitamin B12, Jodid, Zink, Selen, Eisen – auftreten, der substituiert werden muss. Ist dies der Fall, sollten ebenfalls Arzneimittel ohne tierische Hilfsstoffe ausgewählt werden. Hier hilft nur ein genauer Blick auf die Zusammensetzung; so scheiden einige Produkte aufgrund ihres Gelatine- oder Lactosezusatzes aus. |

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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