Wirtschaftsinterpharm

Zahlen zum Sprechen bringen

Erträge sichern in stürmischen Zeiten – Interpharm-Veranstaltung „Apotheke & Wirtschaft“

Bericht der DAZ-Redaktion | Im Fokus der Interpharm „Apotheke & Wirtschaft“ am 21. April standen drei Kernfragen: Wie können Apothekeninhaberinnen und -inhaber die Erträge in stürmischen Zeiten sichern? Wie gelingt der Sprung vom Pharmazeuten zum Unternehmer? Und können die Chancen der Digitalisierung genutzt werden? Neben praxisnahen Antworten erlebten die Zuschauer bei der Onlineveranstaltung lebhafte Diskussionen unter anderem mit dem SPD-Apothekenexperten Dirk Heidenblut zu den aktuellen Branchen-Reiz­themen Honorarerhöhung sowie Bürokratie- und Retax-„Abrüstung“.
Alle Fotos: DAZ/Moritz Hahn

„Was ist das Packungshonorar und warum bin ich dafür zuständig?“ Diese Frage des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) musste Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, kürzlich beantworten. Mitte April hatten sich Christiansen und Habeck zu einem 30-minütigen Telefonat verabredet. Für den Kammerchef galt es zunächst, Aufklärungs­arbeit zu leisten. Das berichtete er in seinem Impulsvortrag im Vorfeld der Podiumsdiskussion zum Apothekenhonorar. Ausgangspunkt war eine E-Mail vom vergangenen Oktober: Als die Apotheken in Schleswig-Holstein streikten, schrieb der Kammerpräsident im Vorfeld unter anderem dem Minister eine ausführliche E-Mail, in der er über die Hintergründe der Protestaktion aufklärte. Nun bekam er die Chance, Habeck nochmals im Gespräch die Nöte des Berufsstands nahezubringen. Da der Kammerchef im Dialog mit dem Minister neben den Grundzügen der Apothekenvergütung auch immer wieder Begrifflichkeiten erklären musste, blieb seiner Aussage nach keine Zeit, Habeck den Forderungskatalog der ABDA in Gänze vorzustellen. Auf vier wesentliche Punkte habe er sich beschränkt:

  • Erhöhung des Fixums in der Arzneimittelpreisverordnung
  • Handlungsfreiheit für die Apotheken für die schnelle Patientenver­sorgung/Engpass-Ausgleich
  • Reduzierung von Retaxationsverfahren auf das sachlich gebotene Maß
  • Einzelmaßnahmen zum Bürokratieabbau

Kai Christiansen

Beim Thema Bürokratieabbau sei Habeck besonders hellhörig geworden, so Christiansen. Insgesamt habe er Verständnis für die Lage der Apotheken gezeigt, ohne jedoch konkrete Versprechen zu machen. Den Kammerchef entmutigt das nicht. „Mein vorrangiges Ziel war es, dass es nicht bei diesem einen Gespräch bleibt“, betonte er. Insofern war der Austausch offenbar von Erfolg gekrönt: „Er hat mir seine persönliche E-Mail-Adresse gegeben und gebeten, dass ich ihm die genannten vier Punkte nochmals in einer E-Mail erläutere.“ In zwei bis drei Wochen wolle sich der Minister erneut bei Christiansen melden – so lange brauche er, um sich zu den angesprochenen Themen in seinem Haus zu informieren. Das Fazit des Präsidenten fällt vorsichtig optimistisch aus: Er habe einen Fuß in die Tür bekommen, sagte Christiansen. Nun gelte es, sich weiter hindurchzuschieben. 

gbg

Wo geht die Reise hin?

Ein Höhepunkt der Interpharm Apo­theke & Wirtschaft war die Podiumsdiskussion zum Apothekenhonorar. Wo geht die Reise hin – Fixum rauf, Umverteilung zugunsten förderungs­bedürftiger Apotheken oder sogar beides? Darüber sprachen der SPD-Apothekenexperte Dirk Heidenblut, Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Kai Christiansen, die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer und der Apotheken-Wirtschaftsexperte Prof. Dr. Reinhard Herzog mit AWA-Chefredakteur Hubert Ortner. Herzog zweifelt daran, dass aktuell genug Geld im System vorhanden ist. Bis 2019 sei die Rechnung irgendwie aufgegangen – „wohl auch durch eine Strukturbereinigung, wenn man das so euphemistisch ausdrücken möchte“, führte Herzog aus. Doch dann kam Corona, „und alle Zahlen, die man bis dahin kannten, konnte man vergessen“. Der Einbruch der Kundenzahlen, Masken, Tests und andere Phänomene hätten die individuellen Apotheken in sehr unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Die Folge sei eine deutliche Spaltung im Markt. „Und jetzt haben wir Inflation, Ukraine-Krieg und Energiekrise.“ Herzog bezeichnete die aktuelle Phase als „Zeitenwende“. Aus seiner Sicht werde die Politik nicht darum herumkommen, jetzt zumindest einen Inflationsausgleich für die Apotheken zu schaffen.

An welchen Schrauben kann die Apotheke drehen? Darüber diskutierten der Wirtschaftsexperte Prof. Dr. Reinhard Herzog, Kai Christiansen (Präsident der Kammer Schleswig-Holstein), Apothekenexperte Dirk Heidenblut (SPD), AWA-Chefredakteur Hubert Ortner (Moderator) und die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer (v. l.).

Ob ein wie auch immer gearteter Umverteilungsmechanismus zur Stabilisierung der Apothekenlandschaft beitragen könne, bewerteten die Diskutanten recht unterschiedlich. Heidenblut sprach sich klar dafür aus, grundsätzlich mehr Geld ins System zu geben, gleichzeitig gelte es aber, das Kernproblem nicht aus den Augen zu verlieren: Die Arbeit in den Apotheken müsse überall wieder attraktiv werden, nicht nur in Berlin im Ärztehaus.

Herzog warnte vor den Schattenseiten einer Umverteilung. „Das wird sehr viel Unfrieden stiften“, glaubt er. Dabei sei der Finanzierungsbedarf einer möglichen Strukturförderung gar nicht so groß wie oft angenommen. Seiner Schätzung nach dürfte man am Ende etwa 1000 bis 2000 Apotheken in Deutschland identifizieren, die förderungsbedürftig sind. Um jeder dieser Apotheken etwa 100.000 Euro im Jahr extra zukommen zu lassen, brauche es insgesamt rund 100 bis 200 Millionen Euro. „Diesen Betrag sollte man schon irgendwie aus dem Gesamtetat herausschneiden können, ohne eine Verteilungsdiskussion innerhalb des Berufsstands anzufangen.“ Die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer vom Beratungs- und Forschungsunternehmen May + Bauer hält eine reine Erhöhung des Apothekenhonorars ebenfalls für wenig zielführend. Wenn man die Präsenzapotheken in der Fläche erhalten wolle, „dann kostet das sicherlich auch Geld“. Eine Erhöhung des Fixums für alle Apotheken gleichermaßen allerdings nütze einem Betrieb in einer schwierigen Situation „zwar ein bisschen, aber nicht so viel wie nötig“. Das Geld mit der Gießkanne zu verteilen, ergebe vor diesem Hintergrund keinen Sinn.

Kammerpräsident Christiansen drängte es an dieser Stelle, einen Punkt klarzustellen: Die Diskussion erwecke den Eindruck, als gebe es „einige wenige Apotheken, denen es schlecht geht, und viele, denen es gut geht“. Das sei ein Trugschluss: Bei genauerem Hinsehen zeige sich, dass inzwischen Apotheken überall schließen – sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Er pochte daher darauf, das Packungshonorar zunächst „durch die Bank weg“ zu erhöhen – denn mit diesem Honorar finanzierten Apotheken andere Leistungen, zum Beispiel die politisch gewollten Impfungen. Ähnlich verhalte es sich mit den pharmazeutischen Dienstleistungen, konkret der Medikationsanalyse. „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht müsste ich das meinen Mitarbeitern verbieten.“ Um weiterhin solche gesellschaftlich sinnvollen Aufgaben wahrnehmen zu können, müsse gewährleistet sein, dass die ureigenste Aufgabe der Apotheken, die Arzneimittelabgabe, ausreichend bezahlt werde. 

gbg

Die Macht der Simulationen

Prof. Dr. Reinhard Herzog

In die Zukunft schauen viele, doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Prof. Dr. Reinhard Herzog, Tübingen, zeigte, dass valide Unternehmenssimulationen das wirtschaftliche Verständnis enorm stärken können, auch wenn es natürlich Unwägbarkeiten gibt. In den Naturwissenschaften spielen Simulationstech­niken schon lange eine herausragende Rolle, ob in der Konstruktion (Finite Elemente-Modelle), bei Wetter- und Klima­modellen oder in der Arzneimittelentwicklung (Computer Aided Drug Design). Aber wo bleibt die betriebswirtschaftliche Simulation? Dreh- und Angelpunkt ist die Schaffung einer modelltauglichen Datenbasis, das heißt, die Wirtschaftsdaten müssen in einer Software abgebildet werden. In der Apotheke klafft hier eine Lücke. Auf der Ebene der Warenbewegungen sind die Apothekenrechner hochentwickelt. Die kaufmännischen Daten hingegen finden sich hier nicht, sondern sind Sache des Steuerbüros. Also muss man diese beiden Welten vereinfachend zusammenführen, z. B. in einer Tabellenkalkulation wie Excel. Um den Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, reicht ein solcher vereinfachender Ansatz. Hat man sich diese Mühe gemacht oder auf Vorlagen zurückgegriffen, die man zum Beispiel auf www.apotheke-wirtschaft.de findet, kann man quasi aus der Adler­perspektive an den wesentlichen Randbedingungen wie Umsatz oder Handelsspanne spielen oder an der Kostenschraube drehen und erkennt sofort die Auswirkungen auf den Gewinn. In der Wirtschaftssprache ist dafür der Begriff Sensitivitätsanalyse bekannt. Das Erstaunen ist meist groß, wenn man erfährt, welch große „Hebelwirkung“ bereits geringe Veränderungen der Einnahmebasis haben, insbesondere, wenn kaum Spielraum bei den Kosten besteht. Aus nur 1% Umsatzrückgang werden so gerne 3% bis teilweise über 6% Gewinnrückgang – je niedriger die Ausgangsrendite und je margenschwächer der Betrieb, umso größer ist dieser „Hebel“. Kommen mehrere Faktoren ungünstig zusammen, kann sich diese Wirkung bis hin zu ernsten Problemen potenzieren. Umgekehrt wirken Umsatz- und Margensteigerungen, erst recht bei kontrollierter Kostenlage, auch stark gewinnsteigernd, der Hebel wirkt beidseitig. Dies zu erkennen, ist von eminenter Bedeutung.
 

Die Interpharm geht weiter!

Sie haben die Interpharm „Apotheke & Wirtschaft“ verpasst? Möchten aber praxisnahe Vorträge und Tipps hören, wie Sie als Apothekeninhaberin oder Filialleiter in diesen stürmischen Zeiten mit steigenden Kosten und zunehmenden Belastungen weiterhin auf (Ertrags-)Kurs bleiben? Aber Sie konnten nicht live dabei sein oder möchten den einen oder anderen Vortrag noch einmal erleben? Kein Problem – bis zum 23. Juni können Sie noch Tickets für die Interpharm „Apotheke & Wirtschaft“ erwerben, bis zum 30. Juni stehen die Vorträge online für Sie bereit.

Und am 5. und 6. Mai können Sie die Interpharm endlich auch wieder in Präsenz erleben: Wir treffen uns in der Lokhalle in Göttingen unter anderem zum Pharmazeutischen Kongress, zum PTAheute-Kongress und zum Interpharm Forum! Den Abschluss der Interpharm 2023 bildet am 26. Mai die Online-Veranstaltung „Zukunft Personal“.

Weitere Informationen und Tickets auf interpharm.de

Wer nicht weiß, wovon er lebt und woran er was verdient, ist auf Nebel- oder gar Geisterfahrt unterwegs – und wird immer wieder überrascht sein. Mit überschaubarem Aufwand kann es jedoch gelingen, Zahlen „zum Sprechen zu bringen“ und dynamisch zu betrachten. So schlägt die Stunde der Simulationsrechnungen: Erwartungsbereiche statt (böse) Überraschungen! 

rh

Impfungen rechnen sich für die Gesellschaft

Mit Blick auf Dienstleistungen in Apotheken berichtete Prof. Dr. Uwe May, Rheinbreitbach, über die gesundheitsökonomische Bewertung von Impfungen. Auf den Vorwurf einer zunehmenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen entgegnete er: „Ökonomie heißt nicht Sparen, sondern langfristig und nachhaltig ‚haushalten‘“. Gemäß seiner Analyse würde eine Erhöhung der Impfquote bei Influenza um 12% die Zahl der jährlichen Krankheitsfälle in Deutschland um etwa 900.000 verringern und 41 Todesfälle verhindern. Die eingesparten Behandlungskosten würden die zusätzlichen Kosten für die Impfungen nicht kompensieren, aber mit den vermiedenen Arbeitsausfällen wende sich das Blatt. Entscheidend sei nicht die Perspektive der Krankenkassen, sondern die Gesamtgesellschaft. Dort würden Geld und Gesundheit gewonnen.

Prof. Dr. Uwe May

Bei der Evaluation des Modellprojektes mit Grippeimpfungen in Apotheken in Nordrhein seien die Erwartungen übererfüllt worden. 36% der dort Geimpften hätten sich ohne das Angebot der Apotheke nicht impfen lassen, bei weiteren 26% sei es unklar gewesen. Damit sei belegt, dass der niederschwellige Zugang zur Impfung in der Apotheke die Impfquote erhöht. Die zunehmende Wahrnehmung könne sogar zusätzlich die Impfnachfrage in den Arztpraxen steigern. Für die Apotheke sei die Honorierung aber schlechter als bei der Abgabe von Rx-Arzneimitteln. Da das Impfen volkswirtschaftlich sinnvoll sei, müsse ein Anreiz für die Apotheke geschaffen werden. Aus ökonomischer Sicht müsse der Preis zwischen dem volkswirtschaftlichen Vorteil und den Kosten der Apotheke liegen.

May sieht darin eine Blaupause für andere Impfungen und weitere Leistungen in Apotheken. Damit meint er nicht nur die pharmazeutischen Dienstleistungen zulasten der GKV, sondern auch Leistungen für Selbstzahler, die mit ihrer Eigenverantwortung das System entlasten. Als Beispiele nannte May Impfpasschecks, die Raucherentwöhnung, Selbsttests mit telepharmazeutischer Beratung und die pharmazeutische Betreuung zur Reduzierung der Non-Compliance. 

tmb

Gematik auf neuem Kurs

Mark Langguth

Mark Langguth gab als früherer Abteilungsleiter der Gematik einen Einblick in die Arbeitsabläufe bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dabei sollten Prozesse neu und effizient gedacht werden, aber zu oft würden analoge Abläufe nur „elektrifiziert“, kritisierte Langguth. Da das Gesundheitswesen dokumentenbasiert arbeite, werde primär an der Übermittlung von Dokumenten gearbeitet. Die Gematik erarbeite Anforderungen an die Industrie, die dann die Technik entwickle. Da die Grundlagen in Gesetzen festgelegt werden müssten, dauere eine solche Entwicklung Jahre. Als herausragendes Problem betonte Langguth, dass bisher niemand eine „Ende-zu-Ende-Verantwortung“, also die Gesamtverantwortung, habe. Dies habe besonders das E-Rezept gezeigt. Dort war die Gematik nur für die Übermittlung verantwortlich, aber es fehlten notwendige Regeln zur Abrechnung. Mit der neuen Digitalstrategie des Bundes solle die Gematik die Gesamtverantwortung übernehmen. Mit der geplanten Komplettübernahme durch den Bund endet die Zuständigkeit der Selbstverwaltung, aber es sei vorgesehen, die Nutzer, also Ärzte und Apotheker, aktiv in die Konzeption einzubinden. Die Gematik solle die Technik weiterhin nicht selbst entwickeln. Das Vetorecht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informations­technik und des Bundesdatenschutzbeauftragten, das bisher blockierend gewirkt habe, solle entfallen. Damit werde sich der Weg einer Idee zur Praxis wesentlich ändern, erwartet Langguth, aber dies sei bisher nur ein white paper des Ministeriums, noch kein Referentenentwurf.

Für das E-Rezept zeigte sich Langguth zuversichtlich, bezweifelte aber, dass alle Rezeptarten bis 2026 komplett digital abgewickelt werden. Als häufigsten Einlösungsweg erwartet er die Übermittlung über die elektronische Gesundheitskarte in der Apotheke vor Ort. Als weitere Instrumente der Telematikinfrastruktur (TI) seien die elektronische Patientenakte und der elektronische Medikationsplan als Datenbasis für Medikationsanalysen und die Kommunikation mit Ärzten über KIM für Apotheken relevant. 

tmb

Was bringt die Digitalisierung im Apothekenalltag?

In der anschließenden Diskussion ging DAZ-Herausgeber Dr. Benjamin Wessinger der Frage nach, wie die Digitalisierung im Apothekenalltag helfen kann. Isabell Müller Duve, Tauben-Apotheke Braunschweig, riet, Gewohntes neu zu denken. Das Impfen und Testen als ohnehin neue Aufgaben seien gute Gelegenheiten für digitale Anwendungen gewesen, die sie nun auch anders nutze. Zudem gebe es „tolle Tools“ für die innerbetrieb­liche Kommunikation. Auch hybride Mitarbeiterbesprechungen hätten sich bewährt. Außerdem empfahl sie die Kommunikation mit den Kunden über Social Media, auch für die Personal­gewinnung. Zu den ersten E-Rezepten berichtete Müller Duve, die Bearbeitung dauere erstmal länger, besonders bei Änderungen. Doch Langguth zeigte sich überzeugt, dass E-Rezepte die Arbeit beschleunigen werden, wenn die Abläufe eingespielt sind.

Digitalisierung in der Apotheken Mark Langguth (früherer Abteilungsleiter der Gematik), Isabell Müller Duve (Tauben-Apotheke Braunschweig), DAZ-Herausgeber Dr. Benjamin Wessinger (Moderator) und Gerrit Nattler (Elisana Apotheken Gelsenkirchen) im Erfahrungsaustausch (v. l.).

Gerrit Nattler, Elisana Apotheken Gelsenkirchen, habe bei der Filialisierung gemerkt, dass es „an der Kommunikation hakt“. Daraufhin habe er mit seinem Bruder die Kommunikationssoftware apocollect entwickelt und dabei versucht, alle Aufgaben vollständig digital abzubilden, um doppelte Arbeit durch Parallelstrukturen zu vermeiden. Mit Blick auf die Telematikinfrastruktur forderte Nattler, sie müsse einen Nutzen für die Patienten bieten. Dafür müssten auch diejenigen mitgenommen werden, die dies umsetzen. Zudem sei leider der – seines Erachtens falsche – Eindruck entstanden, die Digitalisierung helfe den Versendern. Wenn die TI-Anwendungen erst einmal laufen, sehe er aber große Chancen für die Vor-Ort-Apotheken, auch bei der Arzneimitteltherapiesicherheit.

Auf Wessingers Frage, ob die Digitalisierung die so oft propagierte Effizienzsteigerung bringe, erklärte Langguth, die TI sei noch nicht so weit. Zunächst habe es geheißen, wenn die Prozesse „elektrifiziert“ sind, werde alles von allein gut laufen, aber dabei habe niemand den „Riesen Change-Prozess“ gesehen. Den Apothekern riet Langguth, ihre Beratungsleistung auch telepharmazeutisch anzubieten und sich mit einem solchen Service im Wettbewerb zu profilieren. 

tmb

„Warum bin ich eigentlich Apotheker geworden?“

„60 Wochenstunden Arbeit. Ich kann nicht mehr, mir fehlt es an Personal. Warum bin ich eigentlich Apotheker geworden?“ Diese und ähnliche Themen und Fragen stellen sich nach Erfahrung von Axel Witte von der Essener Steuer- und Wirtschaftsberatung RST zahlreiche Apothekerinnen und Apotheker. Sie seien im Hamsterrad gefangen, fühlten sich ausgelaugt, sie setzten keinen Fokus auf die Zukunft. Stattdessen lebten und arbeiteten sie im Hier und Jetzt. Zeit für die Weiterentwicklung ihrer Apotheken bleibe da nicht, so Witte. In seinem Vortrag erläuterte der Berater, wie Apotheker aus dieser Situation herauskommen können, um mehr Zeit für sich zu gewinnen, die sie dann wiederum in die strategische Entwicklung ihrer Apotheken stecken können. Dazu gehört, in die Führungsrolle hineinzuwachsen, Aufgaben zu delegieren und die Mitarbeiter zu führen. Die wollten und müssten „mitgenommen“ werden. Nur so kann ein Teamgefühl entstehen. Das trage nicht nur zur Steigerung der Motivation bei, sondern erhöhe auch die Attraktivität der Apotheke als Arbeitgeber.

Axel Witte

Zudem sollten die Unternehmer über die inhaltliche Ausrichtung ihrer Apotheken nachdenken. Wichtig sei, inno­vativ zu sein und sich auf bestimmte Aktivitäten oder Therapie­gebiete zu spezialisieren, um ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Das könne beispielsweise im Bereich Cannabis, Onkologie, Senioren oder Prävention geschehen. Möglich sei auch eine Serviceapotheke, die um­liegende Unternehmen beliefert oder sich auf die Tiergesundheit fokussiert. Nach den Erfahrungen Wittes geht die Hinwendung zum unternehmerisch denkenden Apotheker oftmals mit einem steigenden wirtschaftlichen Erfolg einher. Ein Jahresumsatz von bislang 1,5 Millionen Euro könne mit dem richtigen Konzept in zweistellige Millionen-Euro-Bereiche wachsen. 

ts

Raus aus dem Hamsterrad

Wie der Schritt konkret aussehen kann, erläuterte Roland Rudolf. Der Inhaber der Vital-Apotheke in Dresden und der Adler-Apotheke in Radebeul fühlte sich vor einigen Jahren erschöpft: Er bekam körper­liche Probleme, das Leben erschien ihm monoton und grau, sonntags trudelten bei ihm die Krankmeldungen seiner Mitarbeiter ein. Rudolf: „Ich reagierte immer nur auf Ereignisse.“ Nach der Lektüre eines Ratgebers beschloss er, sein Leben zu ändern: „Ich trieb drei Stunden Sport, legte mein Handy abends zur Seite, ernährte mich besser, machte Meditation und änderte meinen Glaubensgrundsatz, dass ich immer präsent sein müsse.“ Statt­dessen konzentrierte er sich fortan auf wirklich unternehmerische Tätigkeiten und arbeitete an einer Vision und Strategie für seine Apotheken. Er übertrug seinen Mitarbeitern zunehmend Aufgaben, führte Feedback-Gespräche und bildete sich weiter. Anfangs habe es Irritationen gegeben, so Rudolf. Die Mitarbeiter fragten: Wo ist der Chef? Zudem kamen ihm immer wieder Bedenken, ob er auf dem richtigen Weg sei. Andererseits, so Rudolf, sei im Laufe der Zeit die Motivation der Mitarbeiter gestiegen. Zudem hat sein persönliches Stress­level nachgelassen, während er neue Kraft und Lebensfreude gewann.

Roland Rudolf

„Wann sollten Sie damit beginnen, das Hamsterrad zu verlassen und Unternehmer zu werden?“, fragt Rudolf und gibt selber die Antwort: „Jetzt, sofort!“. Dass es auf diesem Weg auch Herausforderungen gibt, will der Essener Berater Witte allerdings nicht verschweigen: „Sie müssen manchmal hart durchgreifen und beständig dranbleiben.“ Nach seinen Erfahrungen sind 30% aller Apotheker diesbezüglich recht aktiv, 10% seien „super erfolgreich“. Der Rest, sagte Witte ehrlich-unverblümt, „schläft“ hingegen. Er meint: Diese Apotheker arbeiten hart und fleißig, ohne echte Unter­nehmer zu sein. 

ts |

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