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DAZ aktuell

ARMIN räumt auf

Medikationsmanagement überzeugte in Studie

Die Ergebnisse der ARMIN-Studie überraschten selbst die Autoren: Das Medikations­management der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) senkte das Mortalitätsrisiko und verbesserte die Therapietreue der Teilnehmer signifikant. Dass die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern so gut funktionierte, liefert deutliche Argumente, entsprechende Leistungen in die Regelversorgung zu integrieren. | Von Tony Daubitz 

2014 startete in Sachsen und Thüringen die Arzneimittel­initiative Sachsen-Thüringen, kurz ARMIN (s. Interview mit dem Vorsitzenden des Thüringer Apothekerverbands Stefan Fink „Dieses Ergebnis ist es wert, der Zusammenarbeit eine Chance zu geben“ auf S. 22 in dieser Ausgabe der DAZ). Die Initiatoren des Projekts, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Landesapothekerverbände aus Sachsen und Thüringen sowie die AOK PLUS als regionale Krankenkasse hatten sich als Ziel gesetzt, die Versorgung multimorbider Patienten durch eine bessere Betreuung und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern zu optimieren. Das Modellvorhaben lief bis 2022 und bestand aus drei Säulen:

  • Statt Präparaten sollten nur Wirkstoffe verordnet werden, die Präparateauswahl erfolgte in der Apotheke.
  • Es wurde ein einheitlicher Medikationskatalog erstellt mit zugelassenen Wirkstoffen und Kombinationen für versorgungsrelevante Indikationen und
  • ein Medikationsmanagement eingeführt. Wie dieser Prozess genau ablief, zeigt Abbildung 1.

Der Gesetzgeber schreibt für solche Modellvorhaben im SGB V eine wissenschaftliche Auswertung vor, die unter Federführung der klinischen Pharmazeutin Prof. Dr. Hanna Seidling vom Universitätsklinikum Heidelberg in Kooperation mit dem Institut für angewandte Gesundheitsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH durchgeführt wurde. Bereits 2022 publizierten sie erste Ergebnisse: Befragungen belegten damals die gute Zusammenarbeit zwischen den Heilberuflern [1]. Am 14. April 2023 veröffentlichten sie im Deutschen Ärzteblatt die mit Spannung erwarteten Ergebnisse ihrer Evaluation des Medikationsmanagements, die vier Tage später im Beisein der Vertreter der Kooperationspartner auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurden [2].

Über 5000 ARMIN-Teilnehmer

Bis zum Jahr 2018 konnten insgesamt 5180 AOK-Versicherte (Durchschnittsalter 72,6 Jahre) für das Projekt gewonnen werden. Voraussetzung war, dass ihnen regelmäßig mindestens fünf verschiedene Arzneimittel verordnet wurden bzw. auch weniger, wenn Bedarf für ein Medikationsmanagement bestand, beispielsweise im Fall der Non-Adhärenz. Die Patienten mussten sich aktiv einschreiben, was die Ergebnisse in beide Richtungen verzerrt haben könnte: Besonders motivierte Teilnehmer würden die Daten überzeichnen, bereits gut versorgte würden für eine Unterschätzung der Daten sorgen. Da die Ergebnisse retrospektiv evaluiert wurden, musste eine geeignete Kontrollkohorte gefunden werden. Die Gutachter ordneten 5033 Teilnehmern deshalb aus den Versicherungsdaten des Vertragspartners AOK Plus in Bezug auf unter anderem Alter, Geschlecht, Komorbiditäten und Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen entsprechende („gematchte“) Kontrollen zu (n = 10.039; Durchschnittsalter 73,7 Jahre). Im Schnitt wurden beide Kohorten über 30 Monate beobachtet und dabei – hierin liegt die Besonderheit – Daten zur Mortalität gesammelt. Dieser härteste aller Endpunkte findet in solchen Studien zu Medikationsanalysen eigentlich selten Anwendung.

Lebensrettendes Medikationsmanagement

Im Untersuchungszeitraum verstarben 469 Teilnehmer aus der ARMIN-Kohorte (9,3%) sowie 1300 der Kontrollteil­nehmer (12,9%). Das um Kovariaten bereinigte relative Risiko, im Untersuchungszeitraum zu sterben, lag in der ARMIN-Gruppe somit um 16% niedriger (Hazard Ratio = 0,84; p < 0,001). Das absolute Sterblichkeitsrisiko wurde durch die Medikationsanalyse um 1,52% gesenkt, wodurch sich eine Number Needed to Treat (NNT) von 66 ergab, das heißt, 66 Patienten mussten im Schnitt durch eine Medikationsanalyse betreut werden, um ein Menschenleben zu retten. In Abbildung 2 ist dargestellt, wie sich die Überlebenswahrscheinlichkeiten im Zeitverlauf entwickelt haben.

Als weiteren Endpunkt schauten sich die Wissenschaftler an, wie viele Teilnehmer in den ersten zwei Jahren nach Einschluss hospitalisiert werden mussten. In diesem Kontext unterschieden sich die ARMIN- und die Kontrollgruppe aber nicht. 52,4% der ARMIN-Teilnehmer und 53,4% der herkömmlich versorgten Versicherten wurden in dem Zeitraum mindestens einmal in ein Krankenhaus eingewiesen. ARMIN-Teilnehmer wurden allerdings früher und häufiger hospitalisiert.

Abb. 2: Überlebenswahrscheinlichkeit in der Kaplan-Meier-Darstellung (nach [2])

Enges Heilberufler-Patienten-Verhältnis

Mögliche Erklärungsansätze für diese Befunde lieferten die Analysen der sekundären Endpunkte. Beispielsweise standen die im Rahmen von ARMIN betreuten Patienten häufiger mit ihren Heilberuflern in Kontakt als die Kontrollteilnehmer. Der durchschnittliche ARMIN-Teilnehmer suchte seinen Hausarzt 16,6-mal pro Jahr auf (Anstieg um + 1,3 gegenüber vor der Intervention), seine Apotheke 15,5-mal (+ 2,0) und seine Fachärzte 6,6-mal (- 0,6), während die Kontrollgruppe 15,0-mal pro Jahr (- 0,4) zum Hausarzt, 14,1-mal (+ 0,6) in die Apotheke und 4,8-mal (- 2,5) zum Facharzt ging – und damit signifikant weniger häufig (p < 0,001). ARMIN-Teilnehmer traten zusätzlich häufiger in sogenannte Disease-Management-Programme ein als die Kontrollgruppe (5,3% vs. 2,8%, p < 0,001). Die Autoren der ARMIN-Studie vermuten, dass durch den engeren Austausch mit den Angehörigen der Heilberufe Probleme womöglich zeitiger erkannt und im Rahmen der Behandlung früher zu notwendigen Hospitalisierungen geführt haben könnten.

Die Ergebnisse im Detail

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Die Studienergebnisse zur Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) wurden im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Wenn Sie diese im Detail nachlesen möchten, geben Sie auf DAZ.online den Webcode J6CT8 in die Suchfunktion ein und Sie gelangen direkt zur Publikation.

Verbesserte Therapietreue

Darüber hinaus zeigte die Auswertung, dass das Medikationsmanagement verschiedene Kennzahlen der Arzneimitteltherapiesicherheit im Jahr nach der Einschreibung gegenüber dem Vorjahr verbesserte. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hob in der Pressekonferenz insbesondere die verbesserte Adhärenz hervor. Direkt gemessen werden konnte der Parameter zwar nicht, er wurde aber anhand der Arzneimittelverordnungen geschätzt: Gegenüber dem Jahr vor der Einschreibung erhöhten sich die Tage, die von Verordnungen abgedeckt waren (Proportion-of-days-covered), durch das Medikationsmanagement bei 43,4% der ARMIN-Teilnehmer, in der Kontrollgruppe nur bei 41,6% (p = 0,001). Die eingeschränkte Adhärenz sei „eines der größten Probleme in der Langzeitbehandlung von Krankheiten“, führt Overwiening aus und betont, wie wichtig es deshalb sei, dass die Einnahmetreue verbessert wurde. Sie sieht vor allem die strukturierten und wiederholten Gespräche mit den Patienten sowie die ärztliche und pharmazeutische Überprüfung des Medikationsplans als ausschlaggebend hierfür an.

Wechselwirkungen nicht reduziert

Wenn es darum ging, Wechselwirkungen zu vermeiden, schlug sich ARMIN aber nicht besser als die herkömmliche Betreuung. Interaktionen wurden hierfür mittels der Verordnungsreichweite geschätzt. Mit dem Medikationsmanagement ließen sich Wechselwirkungen bei 23,8% der ARMIN-Teilnehmer reduzieren, aber auch ohne Medika­tionsmanagement verringerten sie sich bei 24,1% der herkömmlich betreuten Versicherten (p = 0,927). Die Autoren der Studie zweifeln allerdings daran, dass ein positiver Effekt des Medikationsmanagements zu einer geringeren Prävalenz von Wechselwirkungen beitragen würde, da diese auch oft schon mit einfachen Maßnahmen wie einem ge­eigneten Monitoring, Dosisanpassungen und möglichen Therapiepausen bewältigt werden können.

ARMIN für alle

Die Daten zu den sekundären Endpunkten werfen interessante Erklärungsansätze auf, die Stoff bieten für weitere, prospektive Studien. Denn generell lasse das retrospektive Design der ARMIN-Studie keine Kausalschlüsse zu, dafür fängt es den Versorgungsalltag möglicherweise besser ein, so die verantwortliche Autorin Prof. Dr. Hanna Seidling. Schließlich lief das Projekt über sechs Jahre im Patienten­alltag. Die Standesvertreterinnen Overwiening und Dr. Annette Rommel, erste Vorsitzende des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, fordern deshalb, ein an ARMIN angelehntes Medikationsmanagement für alle Versicherten mit Polymedikation zu etablieren. |

Literatur

[1] Moecker R et al. Task sharing in an interprofessional medication management program – a survey of general practitioners and community pharmacists. BMC Health Serv Res 2022;22:1005

[2] Meid AD et al. Mortality and hospitalizations among patients enrolled in an interprofessional medication management program-results of the Medicines Initiative Saxony–Thuringia (Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, ARMIN). Dtsch Arztebl Int 2023;120:253-260

[3] Müller U et al. Elektronisch unterstützte Kooperation ambulant tätiger Ärzte und Apotheker zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Bundesgesundheitsblatt 2018;61:1119-1128

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambus-Extrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen.

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