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Beratung

Ein starkes Quintett

Antihistaminika der 2. Generation: Viele Gemeinsamkeiten, aber auch relevante Unterschiede

H1-Antihistaminika sind eine Wirkstoffklasse mit vielfältigen Einsatzgebieten. In der Selbstmedikation von allergischer Rhinitis und Urtikaria haben sich vier Substanzen der 2. Generation eta­bliert, die kaum noch sedieren. Als Tablette ziehen sie viele Patienten einem Nasenspray vor. Eine weitere oral wirksame Substanz kam in diesem Frühjahr mit Bilastin hinzu. Wenngleich die Gemeinsamkeiten in dem Quintett dominieren, bestehen doch anwendungsrelevante Unterschiede, etwa beim Wirkeintritt und den Neben- und Wechselwirkungen. | Von Ralf Schlenger 

Histamin entfaltet seine Wirkung auf die Zellen über vier verschiedene G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (H1 – H4) (siehe auch Beitrag ab S. 34). An H1-Rezeptoren bewirkt Hist­amin eine Vasodilatation von Arteriolen, eine erhöhte Kapillarpermeabilität mit Übertritt von Plasmabestandteilen in das Gewebe, entzündliche Reaktionen durch Förderung der Leukozytenmigration, Juckreiz durch Angriff an Neuronen, außerdem eine Kontraktion der glattem Muskulatur von Bronchien und Darm. Im zentralen Nervensystem sind H1-Rezeptoren neben H3-Rezeptoren an der Regulation des Wachzustandes und der Nahrungsaufnahme beteiligt. In ihrer Gesamtheit bestimmen periphere H1-Histamin-Wirkungen maßgeblich die allergische Symptomatik.

H1-Rezeptorantagonisten verdrängen Histamin kompetitiv von seinem Rezeptor und begrenzen dessen Wirkungen im Gewebe. Deshalb sind sie indiziert für die Behandlung aller Erkrankungen, die auf einer übermäßigen Freisetzung von Histamin beruhen: von allergischer Rhinitis und Konjunktivitis, Urtikaria, Quincke-Ödem bis zu Arzneimittelallergien. Die „erste Generation“ der H1-Antihistaminika bringt zusätzliche zentrale und anticholinerge Effekte mit sich, die je nach Indikationen erwünscht oder unerwünscht sind.

Unterschiedliche Indikationen von Antihistaminika

Bei den H1-Antihistaminika der ersten Generation ist aufgrund ihrer Lipophilie und der daraus folgenden ZNS-Gängigkeit sehr häufig (> 10% der Anwendungen) mit sedierenden Nebenwirkungen zu rechnen. Substanzen mit besonderem Sedierungspotenzial wie Diphenhydramin (z. B. Betadorm, Vivinox) oder Doxylamin (z. B. Valocordin) werden als Schlafmittel eingesetzt. Auch sind anticholinerge Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Mydriasis, Harnverhalt und Tachykardie eher bei Antihistaminika der 1. Generation zu erwarten. Diphenhydramin und dessen Salz mit 8-Chlortheophyllin, das Dimenhydrinat, dienen als Antiemetika u. a. bei Kinetosen (z. B. Vomex A, Reisefit Hennig, Reise­tabletten-ratiopharm). Die Wirkung von Analgetika, Hypnotika, zentraldämpfenden Psychopharmaka und Alkohol kann durch die sedierenden Substanzen verstärkt werden. Zu beachten ist auch eine mögliche QT-Zeit-Verlängerung bei gleichzeitiger Gabe von CYP3A4-Hemmstoffen (u. a. Azol-Antimykotika und Makrolide).

Wegen ihrer sedierenden und anticholinergen Effekte spielt die erste Generation der Antihistaminika in der Behandlung von Allergien heute kaum mehr eine Rolle, es sei denn bei der Anwendung über Nacht. Mit der Entwicklung von weniger lipophilen und selektiver wirkenden H1-Anthistaminika wurde eine gezieltere Therapie des allergischen Spektrums mit allergischer Rhinitis und Konjunktivitis, Urtikaria, Quincke-Ödem, aber auch von Arzneimittelallergien möglich. Sedierende Nebenwirkungen sind in aller Regel nicht zu beobachten. Jedoch sollten Patienten im Beratungsgespräch stets darauf hingewiesen werden, dass diese Nebenwirkung individuell unterschiedlich stark ausgeprägt vorkommen und im Einzelfall eine Beeinträchtigung beim Bedienen von Maschinen bzw. beim Autofahren nie gänzlich ausgeschlossen werden kann.

Antihistaminika als Allergie-Basismedikation

In Leitlinien zur allergischen Rhinitis werden intranasale und orale nicht-sedierende H1-Antihistaminika bei leichten bis moderaten Beschwerden (Stufe 1 von 4) gleichrangig als erste Wahl empfohlen [1]. Der Stellenwert der Tabletten sollte im Beratungsgespräch bedacht werden: Im ARIA-Therapiealgorithmus (ARIA = Allergic rhinitis and its impact on asthma) stehen als wirksamste Arzneimittel und Goldstandard bei allergischer Rhinitis intranasale Glucocorticoide. Sie werden als erste Wahl unbedingt empfohlen für alle Patienten mit mäßig bis schwerer Heuschnupfensymptomatik und sind ebenfalls verschreibungsfrei erhältlich [2]. Ihr Wirk­eintritt erfolgt allerdings erst nach Tagen. Und auch Wissenschaftler räumen ein, dass viele Patienten orale Arzneimittel per se gegenüber Nasensprays bevorzugen. Allgemein empfohlen wird die regelmäßige Einnahme über die gesamte Saison, auch an Tagen mit wenigen Symptomen. Tatsächlich verwendet die überwiegende Mehrheit der Patienten Allergiemedikamente nur bei Bedarf: wenn Symptome nicht gut kontrolliert sind oder wenn man sich auf eine absehbar hohe Pollenbelastung einstellen möchte, etwa bei vorausgesagtem Pollenflug, einer geplanten Wanderung, einem Grillabend im Freien etc.

Hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit werden bei oralen Präparaten der 2. Generation in der ARIA-Leitlinie keine Unterschiede gemacht [3]. Tatsächlich dominieren in der Anwendung mehr die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede, auch wenn dies werbeseitig gerne anders dargestellt wird:

  • Cetirizin, Loratadin, Levocetirizin, Desloratadin und Bilastin sind potente, selektive, periphere H1-Rezeptor­antagonisten.
  • Alle fünf bessern Rhinorrhoe, Pruritus und okulare Symp­tome, ohne in relevanter Weise zu sedieren.
  • Bei allen ist die tägliche Einmalgabe empfohlen, außer bei den reduzierten pädiatrischen Dosierungen von Cetirizin und Levocetirizin.
  • Die Anwendungsdauer soll bei saisonalen Beschwerden auf den Zeitraum der Exposition beschränkt sein. Bei ganzjähriger Allergie ist eine Dauerbehandlung möglich.
  • Falls keine schwerwiegende Symptomatik vorliegt oder diese kürzer als vier Wochen andauert, müssen die Patienten die verschreibungsfreien Präparate selbst bezahlen.
  • Unterschiede, die für eine Empfehlung interessant sind, bestehen in der Zeit bis zum Wirkungseintritt, bei Wechselwirkungen mit der Nahrungsaufnahme, bei Vorliegen von Nieren- oder Leberinsuffizienz und bedingt in der Schwangerschaft und Stillzeit.

Anwendungsrelevante Eigenschaften bzw. Unterschiede sind in der Tabelle zusammengefasst.

Tab.: H1-Antihistaminika Übersicht über die Wirkstoffe für die Selbstmedikation der allergischen Rhinitis und Urtikaria
Cetirizin
Levocetirizin
Loratadin
Desloratadin
Bilastin
Präparate (eine Auswahl)
Tabletten 5 / 10 mg: Zyrtec (UCB Pharma) Reactine (Johnson & Johnson)
Cetirizin Vividrin (Dr. Mann)
Cetirizin-Generika (AbZ, elac, ratiopharm)
Saft: Cetirizin ratiopharm Saft (1 mg/ml)
Filmtabletten 5 mg : Xusal, Levoceti-AbZ 5 mg, Levocetirizin-ratiopharm 5 mg
Tropfen: Xusal
Tabletten:
Lorano akut (Hexal),
Loratadin-Generika (AL, axi, Fairmed, Heumann, ratiopharm, Stada)
Filmtabletten 5 mg: Desloraderm (Dermapharm),
Desloranio (Axunio), LoranoPro (Hexal), Desloratadin-Generika (1A Pharma, AbZ, Aristo, Heumann, Puren, TAD)
Tropfen 0,5 mg/ml: LoranoPro (Hexal)
Allegra Allergie­tabletten 20 mg (Nattermann/Sanofi)
Indikation
Linderung von nasalen und okularen Symptomen bei saisonaler und perennialer allergischer Rhinitis, Urtikaria
saisonale und perenniale allergische Rhinitis, Urtikaria
allergische Rhinitis, Urtikaria
allergische Rhinitis, Urtikaria
allergische Rhinitis (saisonal und perennial), Urtikaria
Standarddosierung/Tag
1 × 10 mg ab 12 Jahre
1 × 5 mg ab 6 Jahre
1 × 10 mg ab 12 Jahre
1 × 5 mg ab 12 Jahre
1 × 20 mg ab 12 Jahre
Pädiatr. Dosierung/Tag
2 – 6 Jahre: 2 × 2,5 mg
ab 6 Jahre: 2 × 5 mg
2 – 6 Jahre:2 × 1,25 mg
< 30 kg KG: 1 × 5 mg 2 – 12 Jahre: 1 × 10 mg
nur Tropfen:
1 – 5 Jahre: 1 × 1,25 mg, < 3 Jahre: für max. 1 Woche
6 – 11 Jahre: 1 × 5 mg
Nahrungsaufnahme
verringerte Resorptionsgeschwindigkeit; Bioverfügbarkeit unverändert
verringerte Resorptionsgeschwindigkeit; Bioverfügbarkeit unverändert
kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden
kann mit oder ohne Nahrung eingenommen werden
Nüchtern einnehmen! Nahrungsmittel und Fruchtsäfte reduzieren Bioverfügbarkeit um ca. 30%
Zeit bis zur max. Plasmakonz./Halbwertszeit
tmax = 1,0 ± 0,5 h t1/2 = 10 h
tmax = 0,9 h t1/2 = 7,9 ± 1,9 h
tmax = 1 – 1,5 h t1/2 = 8,4 h (3-20 h)
tmax = ca. 3 h t1/2 = ca. 27 h
tmax = 1,3 ht1/2 = 14,5 h
Kontraindikation
terminale Nieren­insuffizienz
eGFR < 15 ml / min
terminale Nieren­insuffizienz
eGFR < 15 ml / min
Überempfindlichkeit gegen Wirkstoff/Hilfsstoffe
Überempfindlichkeit gegen Wirkstoff/Hilfsstoffe
Überempfindlichkeit gegen Wirkstoff/Hilfsstoffe
Warnhinweise /Vorsicht geboten
Cave Lactose*
u. a. Alkohol, Prostatahyperplasie (Risiko Harnverhalt), Epilepsie, Pruritus u. Urtikaria nach Absetzen, Schwangerschaft, Stillzeit
Cave Lactose
Alkohol, Prostatahyperplasie (Risiko Harnverhalt), Epilepsie, Pruritus u. Urtikaria nach Absetzen, Schwangerschaft, Stillzeit
Cave Lactose
Cave Lactose
Alkohol, schwere Niereninsuffizienz, Krampfanfälle in der Eigen- oder FamilienanamneseTropfen: zusätzlich hereditäre Fructoseintoleranz
Cave Niereninsuffizienz
keine P-Glykopro­tein-Inhibitoren (Ketoconazol, Erythromycin, Ciclosporin, Ritonavir oder Diltiazem)
Niereninsuffizienz
Dosisanpassung erforderlich
Dosisanpassung erforderlich
Dosisanpassung nicht erforderlich
1,5- bis 2,5-fach erhöhte Blutspiegel
Dosisanpassung nicht erforderlich
Leberinsuffizienz
Dosisanpassung nicht erforderlich
Dosisanpassung nicht erforderlich
bei schwerer Leberschädigung Standarddosis jeden 2. Tag
keine Angabe
Dosisanpassung nicht erforderlich
Nebenwirkungen
> 1% (häufig): Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Abdominalschmerzen, Mundtrockenheit, Übelkeit, Pharyngitis
Kinder: auch Diarrhö
> 1% (häufig): Kopfschmerzen, Somnolenz, Mundtrockenheit, Müdigkeit
Kleinkinder (< 6 Jahre): Magen-Darm-Störungen, Schlafstörungen, Somnolenz6 – 12 Jahre: Kopfschmerzen, Somnolenz
> 1% (häufig): Somnolenz
Kinder (2 – 12 Jahre): Kopfschmerzen, Nervosität, Müdigkeit
> 1% (häufig): Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Müdigkeit
Kinder u. Jugendl.: erhöhte Inzidenz von neu auftretenden Krampfanfällen
> 1% (häufig): Somnolenz, Kopfschmerzen
Verkehrstüchtigkeit
bei der Standard­dosis keine klinisch relevante Einschränkung gezeigt
bei der Standard­dosis keine klinisch relevante Einschränkung gezeigt
keine Beeinträch­tigung festgestellt
kein oder ein zu vernachlässigender Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit
kein Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit
Gravidität
strenge Indikationsstellung**
strenge Indikationsstellung; „Kann falls notwendig in Betracht gezogen werden“
„vorsichtshalber vermeiden“
Nicht empfohlen; „aus Vorsichtsgründen vermeiden“
„aus Vorsichtsgründen vermeiden“
Stillzeit
strenge Indikationsstellung***
Substanz geht in die Milch über. Eine Schädigung des Säuglings ist bisher nicht bekannt geworden.
strenge Indikationsstellung
Substanz geht in die Milch über. Eine Schädigung des Säuglings ist bisher nicht bekannt geworden.
nicht einnehmen: Substanz geht in die Milch über
strenge Indikationsstellung
Substanz geht in die Milch über. Eine Schädigung des Säuglings ist bisher nicht bekannt geworden.
nicht einnehmen: Substanz geht in die Milch über (Tierversuch)

* Cave Lactose: Arzneimittel mit Lactose sollten Patienten mit der seltenen hereditären Galactose-Intoleranz, völligem Lactase-Mangel oder Glucose-Galactose-Malabsorption nicht einnehmen.

** Schwangerschaft: Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor. Der Tierversuch erbrachte keine Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen.

*** Stillzeit: Ein Risiko für Nebenwirkungen bei gestillten Säuglingen kann nicht ausgeschlossen werden.

Entscheidend: keine Sedierung

Seit Langem stehen Cetirizin (z. B. Zyrtec, Reactine) und Loratadin (z. B. Lorano akut) in der Standarddosis von jeweils täglich 10 mg zur Verfügung. Cetirizin ist ein Metabolit des Hydroxyzin, einem Antihistaminikum der 1. Generation. Wie die meisten oralen Antihistaminika entfaltet Cetirizin seine antiallergische Wirkung ab 30 bis 60 Minuten nach der Einnahme. Loratadin muss als Prodrug zunächst in der Leber zur Wirkform Desloratadin umgewandelt werden; die Wirkung tritt entsprechend verzögert, innerhalb von 1 bis 3 Stunden ein [4]. Zudem können zahlreiche Substrate der Leberenzyme CYP3A4 und CYP2D6 (u. a. Makrolide, Azol-Antimykotika, Inhaltsstoffe von Grapefruit, Bitterorange) die Metabolisierung von Loratadin hemmen. Der Wirkstoff ist somit nicht erste Wahl für Patienten unter Polymedikation. Bei Patienten mit schwerer Leberschädigung soll die Standarddosis von Loratadin nur jeden zweiten Tag gegeben werden.

Die wichtigste unerwünschte Wirkung von H1-Antihistaminika in der Allergiebehandlung sind die zentralen Effekte. Somnolenz wird in der Fachinformation bei Cetirizin (z. B. Zyrtec) mit einer Häufigkeit von 1,8% bis 9,6% beschrieben (gegenüber 1,1% bis 5% unter Placebo), bei Loratadin mit nur 1,2%. Eine stärker müde machende Wirkung von Cetirizin gegenüber Loratadin wurde in einer Head-to-head-Studie belegt [5]. Cetirizin soll bei 10% der Nutzer die Blut-Hirn-Schranke passieren und dann zu Müdigkeit und auch Verkehrsuntauglichkeit führen [2]. Kopfschmerzen zeigten in klinischen Studien 7,4% der Cetirizin-Anwender (8% unter Placebo) gegenüber 2,7% bei Loratadin.

Cetirizin steht auch in einer Fixkombination mit schleimhautabschwellendem Pseudoephedrin (Reactine duo, ab 12 Jahren) zur Verfügung. Die Kombination darf allerdings, im Gegensatz zum Antihistaminikum alleine, nur kurz­zeitig verwendet werden.

Verschreibungspflichtige Antihistaminika der 2. Generation sind Rupatidin (Urtimed), Mizolastin (Mizollen, Zolim), Ebastin (Ebastel) und Fexofenadin (Fexofenaderm, Telfast).

Von der zweiten zur dritten Generation

Zwei Abwandlungen der bewährten Substanzen sind verschreibungsfrei erhältlich, die auch unter „3. Generation“ firmieren: Levocetirizin (z. B. Xusal), das (R-)Enantiomer von Cetirizin, hat eine doppelt so hohe Bindungsaffinität zum humanen H1-Rezeptor wie das Racemat. Es genügt die halbe Dosis (5 mg/Tag statt 10 mg/Tag) für eine vergleichbare Wirkung. Somnolenz (1,4%) und Kopfschmerzen (3,2%) sind laut Fachinformation seltener als bei Cetirizin.

Bei Desloratadin (z. B. LoranoPro) handelt es sich um den aktiven Metaboliten von Loratadin, der zum großen Teil für die klinische Wirkung verantwortlich ist. Hier entfällt der ausgedehnte First-Pass-Metabolismus durch die Leberenzyme und damit ein Interaktionspotenzial. Der Wirkstoff ist binnen 30 Minuten nach Einnahme im Plasma nachweisbar. Auch eine chronische, alkoholbedingte Lebererkrankung verändert das pharmakokinetische Profil des aktiven Metaboliten nicht signifikant, wohingegen sich die AUC und die Plasmaspitzenkonzentrationen (Cmax) der Muttersubstanz Loratadin verdoppeln können.

Desloratadin weist mit 27 Stunden die längste Plasmahalbwertszeit im Quintett der rezeptfreien H1-Antihistaminika auf. Laut Fachinformation liegen keine Anhaltspunkte für eine relevante Wirkstoffkumulation nach einmal täglicher Anwendung von Desloratadin (5 – 20 mg) über 14 Tage vor. Bei Halbwertszeiten unter 10 Stunden, wie bei Cetirizin und Levocetirizin, dürfte nach morgendlicher Einnahme der Schwerpunkt der Wirkung auf dem Tag liegen und zur Nacht abnehmen. Bei polleninduzierter, tagsüber vorherrschender Symptomatik sollte die Einmalgabe genügen. Im Falle nächtlicher Beschwerden, etwa bei perennialer Hausstaubmilbenallergie, könnte eine Aufteilung in eine Morgen- und eine Abenddosis hilfreich sein.

Bilastin, das jüngste OTC-Antihistaminikum

Seit März 2022 ist Bilastin in festen Zubereitungen zur oralen Anwendung mit 20 mg je abgeteilter Form aus der Verschreibungspflicht ausgenommen, sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen eine Beschränkung der Anwendung auf Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren angegeben ist. Seit Januar 2023 steht der Arzneistoff unter dem Handelsnamen Allegra Allergietabletten für die Selbstmedikation zur Verfügung. Eine niedrigere Dosierung mit 10 mg pro Tablette, die dann für Kinder zwischen sechs und elf Jahren geeignet ist, wird nach einem positiven Votum des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht erwartet.

Bilastin wird rasch resorbiert und wirkt nach 30 bis 60 Minuten vergleichbar gut wie Cetirizin, wobei das Sedierungspotenzial laut einem aktuellen systematischen Review geringer sein soll [6]. Bilastin zeigte in bildgebenden Verfahren im Vergleich zu anderen Antihistaminika einschließlich Cetirizin und Loratadin die niedrigste zerebrale Affinität zu H1-Rezeptoren. Darauf gründet die Annahme, dass die Substanz „nicht sedativ“ ist und auch keine Wechselwirkung mit Alkohol oder zentral dämpfenden Arzneistoffen aufweist [7] – was mit Angaben der aktuellen Fachinformation nicht ganz zur Deckung zu bringen ist. Positiv zu verbuchen ist, dass Bilastin im Gegensatz zu anderen oralen Antihistaminika weder bei Nieren- noch Leberinsuffizienz eine Dosisanpassung erfordert. Die Substanz wird nicht metabolisiert und unverändert über den Urin (etwa ein Drittel) und die Fäzes (etwa zwei Drittel) ausgeschieden. Vermieden werden sollte indes bei Patienten mit moderater oder schwerer Niereninsuffizienz die gleichzeitige Gabe von Inhibitoren des P-Glykoproteins – des Membranproteins, das aktiv Fremdstoffe aus der Zelle in den Extrazellulärraum pumpt (Beispiele siehe Tabelle.). Ein Nachteil gegenüber der „Konkurrenz“ besteht in der Wechselwirkung mit Nahrungsmitteln, welche die orale Bioverfügbarkeit von Bilastin um 30% reduzieren. Als Erklärung wird angeführt, dass Bilastin ein Substrat des Anionentransporters OATP1A2 ist – einem Transportprotein, das sich auch im Dünndarm findet und durch Flavonoide gehemmt wird. Die Bilastin-Tablette soll eine Stunde vor oder zwei Stunden nach der Aufnahme von Nahrung oder Fruchtsaft eingenommen werden.

Kinder und Schwangere

Für Kinder ab zwei Jahren stehen geeignete Anwendungsformen z. B. Cetirizin ratiopharm Saft (1 mg/ml) und Xusal Tropfen (Levocetirizin 5 mg/ml) zur Verfügung. Die Lösungen können unverdünnt oder mit etwas Wasser gegeben werden. Kinder scheinen nach Gabe der Antihistaminika häufiger als Erwachsene von Magen-Darm-Störungen wie Diarrhö betroffen zu sein. Bei jungen Patienten mit Krampfanfällen in der Eigen- oder Familienanamnese ist Desloratadin mit Vorsicht anzuwenden, da vor allem bei jüngeren Kindern neu auftretende Krampfanfälle unter der Behandlung registriert worden sind.

Eine Anwendung in der Schwangerschaft gestatten die Fachinformationen bei strenger Indikationsstellung für Cetirizin und sein Enantiomer Levocetirizin. Nach der Datenbank des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin (embryotox.de) können die beiden Substanzen in allen Phasen der Schwangerschaft eingenommen werden [8]. Bei Loratadin, Desloratadin und Bilastin liegen zur Anwendung bei schwangeren Frauen bislang zu wenige Daten vor. |

Literatur

[1] Merz R. Allergische Rhinitis: Therapieoptionen und aktuelle Trends: Zertifizierte Fortbildung der Landesärztekammer Hessen

[2] Ärzteverband Deutscher Allergologen e. V. Achtung: Beitrag der Stiftung Warentest zum Thema Heuschnupfen widerspricht gültigen Leitlinien. Pressemitteilung vom 23.02.2023

[3] Klimek L et al. ARIA-Leitlinie 2019: Behandlung der allergischen Rhinitis im deutschen Gesundheitssystem. Allergo J Int 2019; 28: 255 – 276

[4] Hexal, Angaben der Website LoranoPro https://www.loranopro.de/loranoakut-produktinformationen.html

[5] Salmun LM et al. Loratadine versus cetirizine: assessment of somnolence and motivation during the workday. Clin Ther 2000; 22(5):573-582. doi: 10.1016/S0149-2918(00)80045-4. PMID: 10868555

[6] Randhawa AS et al. Efficacy and Safety of Bilastine in the Treatment of Allergic Rhinitis: A Systematic Review and Meta-analysis. Front Pharmacol. 2021; 12: 731201, doi: 10.3389/fphar.2021.731201

[7] Jáuregui I et al. Bilastine: a new antihistamine with an optimal benefit-to-risk ratio for safety during driving. Expert Opin Drug Saf. 2016 Jan;15(1):89-98. doi: 10.1517/14740338.2016.1112786

[8] Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin https://www.embryotox.de

Autor

Ralf Schlenger ist Apotheker und arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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