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Teamschulung

Fatigue – Dauerbegleiter einer Tumorerkrankung

Unterschätzt, unterdiagnostiziert, untertherapiert

Fatigue begleitet den Tumorpatienten von Beginn der Erkrankung an, ist während der Therapie präsent und kann über eine lange Zeit hinweg anhalten. Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit im Leben eines Krebspatienten wird ihr relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt und die Betroffenen sind nur unzureichend über mögliche Maßnahmen zur Besserung informiert. Welche infrage kommen, wird im Folgenden skizziert. | Von Petra Jungmayr 


Die tumorbezogene Fatigue (Cancer-related fatigue; CRF) unterscheidet sich von anderen Formen der Fatigue aufgrund ihrer schweren Ausprägung und Persistenz sowie der Unfähigkeit, sie durch Ruhe oder Schlaf zu mindern. Sie wird definiert als „besorgniserregendes, anhaltendes, subjektives Gefühl von körperlicher, emotionaler und/oder kognitiver Müdigkeit oder Erschöpfung mit Bezug zur Tumorerkrankung oder Tumorbehandlung, das nicht im Verhältnis zu aktuellen Aktivitäten steht und die übliche Funktionsfähigkeit beeinträchtigt“ [1]. Damit verbunden sind eine Beeinträchtigung der Lebensqualität und der täglichen Aktivität sowie soziale und möglicherweise wirtschaftliche Folgen. Schwere und zeitlicher Verlauf einer Tumor-assoziierten Fatigue können unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Genese ist meist multikausal, wobei somatische, psychische, kognitive und psychosoziale Faktoren zusammenwirken. Die einzelnen pathophysiologischen Mechanismen sind nicht bekannt. Man vermutet unter anderem die Beteiligung pro-inflammatorischer Zytokine, eine Dysregulation der Hypothalamus-­Hypophysen-Nebennieren-Achse, Muskelatrophien sowie eine Störung zirkadianer Rhythmen.

Lernziele

In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem

  • wie sich die tumorbezogene Fatigue (cancer-related fatigue; CRF) sich von anderen Formen der Fatigue unterscheidet
  • welche pharmakotherapeutischen Maßnahmen in aktuellen Leitlinien genannt werden
  • welche Phytopharmaka oder Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt werden können
  • wo Betroffene Hilfe und Informationen finden können

Häufig unterschätzt

Bei der spontanen Auflistung von Nebenwirkungen einer Krebstherapie fallen meist die Schlagworte Haarausfall, Erbrechen, Übelkeit oder Schmerzen; die häufigste Folge­erscheinung, nämlich die Fatigue, wird hingegen selten genannt. Obwohl die Tumor-assoziierte Fatigue ein generelles Symptom einer Krebserkrankung ist, werden Prävalenz und Auswirkungen häufig unterschätzt. Sie tritt bei rund 65% (möglicherweise noch mehr) aller Tumorpatienten auf. Bei rund zwei Drittel der Betroffenen dauert die schwere Fatigue mindestens sechs Monate an und ein Drittel leidet noch Jahre nach der Behandlung. Bis zu 40% der Patienten berichten bereits zum Zeitpunkt der Diagnose von einer Fatigue, ein Großteil während der Chemo- und/oder Radiotherapie. Auch Hormontherapien, zielgerichtete und Immuntherapien – letztere vor allem im Zusammenhang mit einer Immun-Chemotherapie – können zu einer ausgeprägten Fatigue führen [2, 3]. Ungeachtet der Tatsache, dass die Fatigue zu den lang anhaltenden Folgen einer Krebserkrankung gehört, wird diesem Problem im klinischen Alltag oftmals zu wenig Beachtung geschenkt. So zeigte eine jüngst veröffentlichte Studie mit mehr als 2500 Tumorpatienten, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen – und zwar vorwiegend ältere Patienten – nur unzureichend über diese Langzeitfolge informiert wurde. Mehr als 40% der Probanden wurden von ihrem behandelnden Arzt überhaupt nicht auf dieses Problem angesprochen; ein Fatigue-Assessment wurde lediglich bei 13% der Patienten mit starken Beschwerden durchgeführt [4].

Regelmäßiges Screening empfohlen

Leitlinien empfehlen ein systematisches Screening für alle Tumorpatientinnen und -patienten und zwar regelmäßig während der Therapie und bei der Nachsorge. Dies kann anhand einer numerischen Bewertungsskala erfolgen, in der der Betroffene seine Einschätzung subjektiv wiedergibt. Wird eine bestimmte Punktezahl erreicht, sollten eine genaue Fatigue-Erhebung (z. B. mithilfe des Brief Fatigue Inventory Questionnaire; BFI) durchgeführt werden. Dieser folgt eine Anamnese mit anschließender Differenzial­diagnostik. Hierbei sind behandlungs- und therapiebedingte Faktoren (z. B. Depressionen, Anämie, Schlafstörungen, Kachexie, Mangelernährung, Krankheitsprogress, Nebenwirkungen aufgrund von Interaktionen, Schlafstörungen, Infektionen, organische Dysfunktionen) zu berücksichtigen. Komorbiditäten sind nach Möglichkeit kausal zu therapieren, auffällige Laborparameter zu korrigieren. Bleibt die Fatigue weiterhin bestehen, liegt eine primäre Fatigue vor, die mithilfe nicht-pharmakologischer und pharmakotherapeutischer Maßnahmen gelindert werden kann [5, 6].

Wege aus der Fatigue

Moderates Kraft- und Ausdauertraining, körperliche Aktivität, Psychoedukation, Yoga, Massagen und Akupunktur sowie psychosoziale Interventionen und Verhaltenstherapien helfen bei der Linderung einer Fatigue; die Pharmakotherapie spielt nur eine untergeordnete Rolle. Welche Methode und welcher Umfang gewählt werden, hängt vom Stadium der Erkrankung und individuellen Gegebenheiten ab (s. Tab.). An erster Stelle stehen die körperliche Aktivität und moderates Kraft- und Ausdauertraining. Damit verbunden sind eine Abnahme der Inflammation, eine Verbesserung der Lebensqualität und eine Minderung der Fatigue. Zusätzlich können Ängste reduziert sowie Stimmung, Schlaf und körperliche Fitness verbessert werden. Exakte Vor­gaben, wie dabei vorzugehen ist, existieren nicht, wohl aber Empfehlungen. So etwa ein Ausdauertraining durch Nordic Walking, Radfahren oder Tanzen, Training an Ausdauergeräten (z. B. Ergometer) drei Mal wöchentlich für rund 30 Minuten mit moderater Intensität. Das Krafttraining kann mithilfe von Hanteln oder elastischen Bändern oder an Geräten in Fitness-Studios erfolgen. Die angestrebte Häufigkeit liegt bei zwei Mal pro Woche mit einem moderaten Training der wichtigsten Muskelgruppen [2, 5, 7]. Diese Empfehlungen gelten allerdings nicht uneingeschränkt. So sollen körperliche Aktivitäten bei Vorliegen einer Thrombozytopenie oder Anämie, Fieber, akuten Infektionen, fortgeschrittener Osteoporose oder ernsthaften Begleiterkrankungen vermieden werden. Liegen Knochenmetastasen oder Sicherheitsbedenken (z. B. aufgrund einer Sturzgefahr) vor, sind Kraft- und Ausdauertraining ebenfalls nicht oder nur eingeschränkt möglich.

Therapiephase
Empfohlene Maßnahmen
während der Chemotherapie
  • körperliche Aktivität
  • Yoga
  • Massage
  • psychosoziale Interventionen (kognitive Verhaltenstherapie, Psychoedukation)
  • Ernährungsberatung
  • Lichttherapie
  • eventuell Methylphenidat
nach der Chemotherapie
  • körperliche Aktivität
  • Yoga
  • psychosoziale Interventionen (kognitive Verhaltenstherapie, Psychoedukation)
  • Akupunktur
  • Lichttherapie
  • Ernährungsberatung
  • eventuell Methylphenidat
am Lebensende
  • körperliche Aktivität (an die jewei­ligen Möglichkeiten angepasst)
  • eventuell Methylphenidat oder Corticoide

Yoga und Verhaltenstherapie

Mithilfe von Yoga, Akupunktur und Massagen kann eine Tumor-bedingte Fatigue ebenfalls gelindert werden. So liegen mehrere Studien vor, die einen günstigen Einfluss von Yoga nachweisen; diese Studien wurden allerdings vornehmlich bei Brustkrebspatientinnen durchgeführt. Ebenfalls günstig werden Akupressur und Akupunktur bewertet, die an vielen onkologischen Zentren in den USA, Europa und Australien angeboten werden [10]. In einer Metaanalyse mit knapp 700 Patienten wurde eine Linderung der Fatigue durch Massage gezeigt. Psychosoziale Interventionen beruhen auf der Tatsache, dass eine starke Korrelation zwischen emotionalem Stress und Fatigue besteht. Darauf beruhen Maßnahmen wie Psychoedukation und kognitive Verhaltenstherapien, die ebenfalls zur Bewältigung einer Fatigue empfohlen werden. Fasst man das Potenzial der nicht-pharmakologischen Therapiemöglichkeiten zusammen, so werden moderates Kraft- und Ausdauertraining als wichtigstes Instrument genannt, gefolgt von Yoga, Verhaltenstherapien, Akupunktur und Massage [2, 5].

Tipps für den Alltag

  • Tagesablauf bewusst gestalten, Planung im Voraus
  • realistische Ziele setzen
  • Einteilen der Kräfte; Abwechseln von Pausen und Aktivitäten
  • Tätigkeiten kräfteschonend gestalten
  • Setzen von Prioritäten und Delegieren von Aufgaben
  • eigene Ansprüche an verfügbare Energie anpassen
  • Zeit für angenehme Dinge nehmen

Medikamentöse Maßnahmen

Die Möglichkeiten einer pharmakotherapeutischen Unterstützung sind gering. So erwägen aktuelle Leitlinien lediglich den Einsatz von Methylphenidat und bei fortgeschrittener Erkrankung die kurzfristige Gabe von Prednison oder Dexamethason. Die Liste der Negativ-Empfehlungen ist länger und umfasst Modafinil, Armodafinil (Psychoanaleptika; zugelassen in USA), Antidepressiva (insbesondere Paroxetin), Donepezil, Eszopiclon, Megestrolacetat und Melatonin [2].

Hier finden Betroffene Hilfe

Phytotherapeutika und Nahrungsergänzungsmittel

Für die Wirksamkeit von Phytopharmaka und Nahrungs­ergänzungsmitteln (NEM) bei einer Tumor-bedingten Fatigue liegen nur für einige wenige aussagekräftige Studien vor. Dementsprechend zurückhaltend äußern sich auch die aktuellen Leitlinien. Diese sprechen sich bedingt für eine Anwendung von Ginseng (Wisconsin Ginseng; Panax quinquefolius) bei länger andauernder Fatigue und unter Vorbehalt für Mistelpräparate aus. Die Einnahme von L-Carnitin, Coenzym Q10, Astralagus oder Guarana (eine Studie mit günstigem Effekt) wird nicht empfohlen [2,8]. In einer Studie zeigte eine an Omega-3-Fettsäuren, Früchten und Gemüse reiche Ernährung einen günstigen Einfluss bei Brustkrebspatientinnen [8]. Eine aktuelle Metaanalyse zeigte keine signifikante Reduktion einer tumorbezogenen Fatigue durch die Einnahme von Ginseng, Guarana, Mistel, Psychostimulanzien, Megestrolacetat oder Antidepressiva. Eine signifikante Wirksamkeit wurde lediglich Corticosteroiden attestiert [9]. |


Interessenkonflikte

Die Autorin versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

[1] Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. S3-Leitlinie, Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe (DKH), Langversion 2.2, Stand: September 2020, AWMF-Registernummer: 128/001OL

[2] NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology; Cancer-Related Fatigue; Version 2.2023, www.nccn.org/guidelines/guidelines-detail?category=3&id=1424

[3] Fischer I et al. Tumorassoziierte Fatigue bei Immuncheckpointinhibitoren. Der Onkologe 2021:1–5, https://doi.org/10.1007/s00761-021-01042-2

[4] Schmidt ME et al. Knowledge, perceptions, and management of cancer-related fatigue: the patients‘ perspective. Support Care Cancer. 2021;29(4):2063-2071, doi: 10.1007/s00520-020-05686-5, Epub 29. August 2020, PMID: 32860177, PMCID: PMC7892505

[5] Cancer-related fatigue: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis and treatment. Stand: 2020, www.esmo.org/guidelines/guidelines-by-topic/supportive-and-palliative-care/cancer-related-fatigue.

[6] Klasson C et al. Fatigue in Cancer Patients in Palliative Care-A Review on Pharmacological Interventions. Cancers (Basel) 2021;13(5):985, doi: 10.3390/cancers13050985, PMID: 33652866, PMCID: PMC7956665

[7] Erschöpfung bei Krebs – Fatigue. Hilfe für Krebserkrankte mit Fatigue – neue Broschüre des NCT Heidelberg. Stand: 27. Oktober 2022, www.nct-heidelberg.de/fileadmin/media/nct-heidelberg/das_nct/newsroom/broschueren/NCT_HD_fatigue_broschuere_web_final.pdf

[8] Pereira PTVT et al. Dietary supplements and fatigue in patients with breast cancer: a systematic review. Breast Cancer Res Treat 2018;171(3):515-526, doi: 10.1007/s10549-018-4857-0, Epub 18. Juni 2018, PMID: 29915949

[9] Yennurajalingam S et al. Meta-Analysis of Pharmacological, Nutraceutical and Phytopharmaceutical Interventions for the Treatment of Cancer Related Fatigue. Cancers (Basel) 2022;15(1):91, doi: 10.3390/cancers15010091, PMID: 36612088, PMCID: PMC9817820

[10] David A et al. Cancer-Related Fatigue-Is There a Role for Complementary and Integrative Medicine? Curr Oncol Rep 2021;23(12):145, doi: 10.1007/s11912-021-01135-6, PMID: 34743258

Autorin

Dr. Petra Jungmayr ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Onkologische Pharmazie und freie Mitarbeiterin der DAZ.

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