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Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Dr. Thomas Müller-Bohn, DAZ-Redakteur

Die Bürokratie ist seit vielen Jahren das Hauptärgernis im Apothekenalltag. Die Abgabeerleichterungen in der Pandemie haben drei Jahre lang noch stärkere Belastungen verhindert. Das hat sich im Umgang mit den zunehmenden Lieferengpässen günstig gefügt. Doch bis Anfang der Woche sah es so aus, als würden diese für die Versorgung mittlerweile unverzichtbaren „Erleichterungen“ zu Ostern ersatzlos auslaufen. Seit Montag zeichnet sich nun ab, dass aus dem Bundestag heraus über einen Änderungsantrag zu einem laufenden Gesetzgebungsverfahren eine gesetz­liche Übergangsregelung bis Ende Juli geschaffen werden soll (s. S. 9). Damit wäre das drohende Versorgungschaos aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Denn der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für die dauerhafte Neuregelung sieht Austauschmöglichkeiten nur auf der Grundlage einer Liste vor, die mit der tatsächlichen Verfügbarkeit von Arzneimitteln vor Ort nichts zu tun hat. Auf den Punkt gebracht bedeutet das neue Bürokratie. Wenn die Erleichterungen bei der Arzneimittelauswahl entfallen, sei es Ostern oder erst im August, wird die neue (alte) Bürokratie auf eine andere Apothekenwelt als vor der Pandemie treffen: mit sehr viel mehr Lieferengpässen, mit einer noch stärker angespannten Personalsituation und mit Teams, die von Corona und Lieferengpässen zermürbt sind. Die alten Regeln sind in dieser Welt nicht mehr umsetzbar. Darum könnten sie zu einem Katalysator für neue Apothekenschließungen werden. Inhaber und Angestellte, die das kurz vor der Rente nicht mehr mitmachen wollen, und Angestellte, die dann doch ein Angebot aus einem anderen pharmazeutischen Betätigungsfeld annehmen, können dazu führen, dass ganz plötzlich noch viel mehr Apotheken schließen.

Die ABDA hat am Dienstag die große Öffentlichkeit der Bundespressekonferenz gesucht, um vor dem drohenden Versorgungschaos zu warnen. Die plötzlich zu erhoffende Übergangsregel hat zwar den Termindruck genommen, aber es bleibt viel zu tun. ABDA-Präsidentin Overwiening hat betont, dass die Übergangsregel der Einsicht der Parlamentarier, insbesondere im Gesundheitsausschuss, zu danken ist. Die Parlamentarier hätten das Problem verstanden. Zugleich hat Overwiening an Bundesgesundheitsminister Lauterbach appelliert, dauerhaft für die nötigen flexiblen Regeln zu sorgen. Sie machte auf der großen Bühne sehr deutlich, dass Lauterbach die Warnungen der Apotheker vor großen Belastungen für die Patienten und vor „bürokratischem Irrsinn“ bisher in den Wind geschlagen hat. Sie scheute dabei auch nicht den Vergleich mit dem Amtsvorgänger Spahn, der sich gemeinsam mit den Apothekern in der Bundespressekonferenz präsentiert hatte. Das war ein ziemlich klares Signal. Außerdem kündigte sie an, die Apotheker würden ihre Präsenz bei Politikern und in den sozialen Medien deutlich verstärken, und sie würden den öffentlichen Raum mit ihren Themen „plakatieren und beschallen“. Genaueres verriet Overwiening nicht. Damit bleibt die Frage: Ist das die Eskalation, die die ABDA berufsintern angekündigt hat? Ist damit eine Apothekendemo gemeint oder sollen Lautsprecherwagen durch die Straßen fahren? Wie bei den Abgaberegeln bleibt also vieles offen, aber es gibt einen Anfang.

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