Management

Engagement als Stolperstein

Wenn Übermotivation zu hektischem Aktionismus führt

Alle reden von Demotivation – der Gefahr, dass schwierige Umstände und Rahmenbedingungen zu schlechteren Arbeits­ergebnissen führen. Die umgekehrte Gefahr wird weniger häufig thematisiert und oft übersehen: Ein Zuviel an Engagement stellt ebenfalls einen Stolperstein dar und kann sowohl beim Apothekenleiter als auch im Team zu unbefriedigenden Leistungen führen. Was also tun bei „Übermotivation“?

Das Phänomen der Übermotivation wird vernachlässigt, weil es im Vergleich zur Demotivation eher selten auftritt. Die folgenden pointierten Beispiele zeigen, was unter der Übermotivationsfalle „Engagement“ verstanden werden soll. Die PTA Martina Meyer (alle Namen sind fiktiv) ist Feuer und Flamme für ihren Beruf, sie brennt für ihren Job und identifiziert sich voll und ganz mit der Erreichung der Apothekenziele. Sie ist der festen Überzeugung, einen Beitrag zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation in ihrem Einflussbereich zu leisten. Bereits morgens nach dem Aufstehen, beim Frühstück und auf dem Weg zur Arbeitsstelle überlegt sie, wie sie ihre Aufgaben bestmöglich erledigen kann.

Die zunächst einmal grundsätzlich positiv zu bewertende Einstellung zu Apotheke und Tätigkeit führt bei der PTA dazu, dass sie übereifrig, ja überdreht mit der Aufgabenerledigung startet und es nicht akzeptieren kann, wenn Kollegen (aus ihrer Sicht) nicht ebenso engagiert zur Sache gehen. Noch problematischer ist: In der Kundenberatung agiert Martina Meyer manchmal geradezu hektisch, will sie doch unbedingt eine Topberatung hinlegen oder im Frei- und Sichtwahlbereich etwas verkaufen. Dies kommt bei den Kunden, die sich aufgrund des übermotivierten Verhaltens der PTA bedrängt fühlen, nicht gut an: „Die will mir unbedingt etwas andrehen, ganz gleich, ob ich es tatsächlich brauche.“ Das Über­engagement lässt die Mitarbeiterin die Grundregeln des kunden­zentrierten Beratens vergessen.

Foto: dbunn/AdobeStock

Bei einem Überengagement kann über kurz oder lang ein Burn-out drohen, zumal der Aktionismus oft in das private Umfeld hineingetragen wird.

Aktionismus mit Burn-out-Gefahr

Bei Apothekenleiter Hermann Schmidt ist das übermotivierte Agieren vor allem auf die Befürchtung zurückzuführen, dass seiner Apotheke erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten drohen könnten. Er führt sie noch nicht allzu lange, verfügt mithin noch nicht über umfangreichere Erfahrungen und lässt sich von der krisenhaften Situation dazu verleiten, in einen hektischen Aktionismus zu verfallen. Ein Motivationsgespräch mit seinen Angestellten jagt das nächste, ständig beruft er außer­ordentliche Mitarbeitersitzungen ein und reiht eine Aktion und Initiative an die andere, die zu mehr Kunden und Umsatz führen soll. „Zu viel des Guten“ und „Immer mehr vom Gleichen“ – so lässt sich seine Übermotivation auf den Punkt bringen. Weil sich Hermann Schmidt permanent Sorgen über die Zukunft seiner Apotheke macht, droht ihm über kurz oder lang der Burn-out, zumal er diese Sorgen in das private Umfeld hineinträgt.

Eines haben die PTA Martina Meyer und der Apothekenleiter Hermann Schmidt gemeinsam: Meyers überbordende Euphorie und Schmidts aus der Sorge ge­borener Aktionismus ziehen die Verdrängung der Realitäten nach sich. Indem sie derart fokussiert und konzentriert zu Werke geht, um ihr Ziel auf jeden Fall – koste es, was es wolle! – zu verwirklichen, nimmt die PTA in den Augen ihrer Kunden nicht deren Unzufriedenheit und Widerwillen wahr. Und der Apothekenleiter erkennt nicht, dass seine hektische Unrast zur Folge hat, dass die von ihm in Gang gesetzten Dinge nicht sauber zu Ende gebracht werden. Ein nicht abgewickeltes Projekt löst das nächste ab.

Austausch suchen

Wie gelingt es Martina Meyer und Hermann Schmidt, sich aus der Falle „Übermotivation“ zu befreien? Der Hinweis, sich kontinuierlich in die Selbstreflexion zu begeben, hilft nur bedingt weiter, weil überengagierte Menschen oft nicht in der Lage sind, die Falle zu erkennen, in der sie feststecken. Unterstützung von außen tut not – und zwar am besten nicht erst nach dem Hineinstolpern in die Falle, sondern möglichst vorher.

Viele Apothekenleiter tauschen sich im Kreis Gleichgesinnter aus – gemeint sind zum Beispiel Unternehmer, Selbstständige, Freiberufler und andere Apothekenleiter. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass in diesem Kreis Hermann Schmidts Überengagement erkannt und beim Namen genannt wird, weil auch andere darunter leiden. Und der PTA hilft vielleicht die Mitarbeitersitzung mit ihren Kollegen und dem Chef weiter, in der diese Martina Meyer auf ihr kontraproduktives Ver­halten im Kundengespräch aufmerksam machen. Wenn dann die Frage diskutiert wird, warum sie so agiert, wird wohl auch ihr Überengagement zur Sprache kommen.

Reflexion aus der Distanz

Ist mithilfe der Fremdeinschätzungen und -bewertungen das Pro­blem erst einmal identifiziert, kann auch die Selbstreflexion auf fruchtbaren Boden fallen. Dann erkennt der Apothekenleiter, dass es unsinnig und kontraproduktiv ist, nach dem Motto „Immer mehr vom Gleichen“ seine Anstrengungen stets auszuweiten, und es zielführender sein kann, die einmal gewählte Strategie grundsätzlich zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern.

Der Blick weitet sich und wird frei, es gelingt, die eigenen Glaubenssätze und Haltungen infrage zu stellen. Bei Martina Meyer betrifft das ihre Einstellung, nur der bedingungslose Einsatz „Tag und Nacht“ führe zum gewünschten Ziel. Und Hermann Schmidt reflektiert nun mit Abstand und aus der Distanz die Frage, ob seine Apotheke wirklich von wirtschaftlichen Niederschlägen bedroht und ob Angst in seiner Situation ein guter Ratgeber ist.

Wem es gelingt, jetzt die Helikopterperspektive einzunehmen und die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, hat gute Chancen, sich aus der Übermotivationsfalle zu befreien oder ihr auszuweichen. Martina Meyer etwa fragt sich, wie sie selbst reagieren würde, wenn ihr in einem Beratungs- und Verkaufs­gespräch in einem Buchladen oder einer Boutique ein übermotivierter und übereifriger Verkäufer begegnen würde: „Ich würde wohl glauben, er wolle mir etwas aufschwatzen, und mich zurückziehen. Ich muss dringend etwas an meinem Verhalten ändern und mein Engagement zurückfahren oder es in andere Bereiche umleiten, wo es besser aufgehoben ist!“

Übermotivation als Führungsproblem

Es gibt weitere Ursachen für übermotiviertes Verhalten, etwa die allzu eindimensionale Fixierung auf die Erreichung eines Ziels. Ein Beispiel aus dem Apothekenbereich ist, dass ein Apothekenleiter ein Ziel vorgibt und sich die Mit­arbeiter und er selbst in die Ziel­erreichung verbeißen. „Wir müssen das bis zum Jahresende schaffen, egal, was passiert!“ Lädt der Chef das Ziel überdies mit einem Incentive oder einer sonstigen Belohnung auf und deklariert es als besonders erstrebenswert, ist es die Folge unzureichender Führung, wenn sich das Apothekenteam bei der Zielerreichung verrennt. Abhilfe schafft ein Zielmanagement, das mehr an der Realität orientiert ist und bei dem der Apotheken­leiter die Ziele und die Details der Zielerreichung mit seinem Team genau abspricht und auf ein realistisches Fundament stellt. Dabei betont er die Relevanz des Ziels, ohne es aber zu dramatisieren. |

Dr. Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater

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