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Management

Plötzlich Führungskraft

Authentisch und selbstsicher in die neue Rolle als Führungskraft starten

Selbst für Mitarbeiter, die sich lange auf eine Führungsrolle vorbereitet haben, kann die Beförderung vom Teammitglied zum Vorgesetzten eine beson­dere Herausforderung sein. Um den Übergang gut zu gestalten, sollten ein paar Aspekte bedacht und das bereits vorhandene Wissen über das Unternehmen vorteilhaft genutzt werden.

Wenn Sie gestern noch zum Team gehört haben und heute Führungskraft sind, sollte Ihr erster Schritt eine kurze Analyse der Gemengelage sein. Sie befinden sich im Einflussbereich ganz unterschiedlicher Erwartungen. In den meisten Fällen ist für eine Führungsposi­tion eine bestimmte Qualifikation erforderlich, die die Organisation oder der Gesetzgeber erwartet. Diese Anforderungen sind klar formuliert und einfach nachzuweisen. Diese Normen sind sozusagen die Grundvoraussetzung, um für die Position überhaupt in Betracht zu kommen.

Schwieriger wird es bei den Erwartungen der anderen Parteien, wie Vorgesetzte, Teammitglieder, die Leitungskräfte anderer Abteilungen, Externe und die Familie. Sie alle werden Erwartungen und bestimmte Vorstellungen haben, wie die Zusammenarbeit bzw. das Zusammenleben in Zukunft aussehen wird. Damit gehen zwei Herausforderungen einher: Zum einen kennen sie die Erwartungen nicht oder nur vage, zum anderen ist damit zu rechnen, dass die Erwartungen der Parteien in vielen Fällen widersprüchlich sein werden und nicht zwingend kompatibel mit Ihren eigenen Erwartungen an sich sind.

Selbstreflexion

Da Sie auf Ihr eigenes Denken und Handeln den größten Einfluss haben, sollten Sie zuerst ihr Augen­merk darauf richten. Die Führungsrolle ist ganz neu und es wird Zeit brauchen, um die Rolle auszufüllen. Wie Sie diese gestalten, liegt ganz an Ihnen. Jede Leitung hat ein Recht auf einen eigenen Führungsstil und auf ein authentisches, souveränes Auf­treten. Überlegen Sie: Haben Sie in Ihrer eigenen Karriere den Start einer frischen Führungskraft erlebt? Womit konnte sie glänzen und was kam gar nicht gut an?

Besonders schlechte Führungskräfte eignen sich am besten für eine Betrachtung. Warum? Die Vorbildfunktion guter Führungskräfte ist wunderbar, sie inspirieren einen und es lässt sich viel abschauen. Auf Dauer kostet es allerdings viel mehr Energie Führungsverhalten zu imitieren, als seinen eigenen, authentischen Stil zu finden und zu leben. Authentisch heißt in diesem Kontext, dass das Verhalten am Ende zur Führungskraft und zum Gegenüber passt und der Situation angemessen ist.

Schlechte Vorbilder zeigen uns, wie wir es nicht machen sollen. Wenn wir selbst mal Ziel von verbalen Angriffen oder Herabwürdigungen geworden sind, wird diese Erfahrung auch in stressigen Situationen präsent sein und wir werden – mit vorangegangenen Reflexion – sehr wahrscheinlich ein besseres Verhalten an den Tag legen als das, was wir selbst erlebt haben.

Wenn Sie – in diesem Fall glück­licherweise – schlechte Führungsarbeit verfolgen durften, überlegen Sie, was es auszusetzen gab. Welche Verhaltensweisen haben Ihnen überhaupt nicht zugesagt? Und was das Wichtigste ist, was würden Sie anderes machen und wie?

Bei guter Überlegung sollten sich über diese Perspektive einige gute Tipps finden lassen. Ein netter Nebeneffekt dieser Betrachtung ist, dass diese unangenehmen Erfahrungen im Nachhinein doch für etwas nützlich waren.

In diese entstehende Vorstellung, wie Sie Ihre Rolle gestalten wollen, sollten Sie eigene Wünsche ein­betten. Welche Ziele wollen Sie erreichen? Machen Sie sich einen Überblick über Ihre Stärken und Fähigkeiten sowie über Ihre Schwächen. Beantworten Sie die Fragen: „Was kann ich gut? Was fällt mir leicht? Was macht mir Spaß? Was schätzen andere an mir?“

Im Alltag wird diese Bewusstheit bei der Entscheidung helfen, wann Sie selbst agieren und wann die den Expertenrat des Teams einholen.

Das Team

Wer gestern noch Teammitglied war und heute Führungskraft hat einen ganz besonderen Vorteil. Sie kennen die Kollegen, ihre Art zu arbeiten, ihre Launen und vielleicht das, was sie sich von einer Führungskraft wünschen. Sie hatten schon die Möglichkeit sich Ansehen zu erarbeiten. Die wenigsten werden vom ersten Tag an Perfektion in der neuen Rolle erwarten, aber alle erwarten, dass die neue Führungskraft nicht aus reiner Überforderung unausstehlich wird.

Vertrauen und Respekt werden Sie sich im Alltag verdienen müssen und das braucht Zeit. Wie würden Sie reagieren, wenn es anders gelaufen wäre und ein anderes Teammitglied befördert worden wäre? Was würden Sie erwarten? Wie würden Sie sich fühlen? Nehmen Sie diese Perspektive einmal ganz bewusst ein.

Neben den eigenen Gedanken macht es Sinn die Kollegen in Mitarbeitergesprächen ganz konkret zu fragen, was sie von der Zusammenarbeit erwarten. Besonders wenn ein anderer Kollege wegen Ihnen auf eine Beförderung verzichten musste, sollten Sie das im Vieraugen­gespräch thematisieren. Das es einen zweiten Kandidaten gab bedeutet, dass sie einen Potenzialträger im Team haben, der es u. U. als wertschätzend empfindet, wenn er mit eingebunden wird, vielleicht sogar als Stellvertreter. Finden Sie passende Worte für das Gespräch und versuchen Sie eine Basis zu finden, auf der sie voneinander profitieren können.

Der Chef

Ein weiterer Vorteil im Gegensatz zu neuen Kollegen ist, dass Sie die Strukturen im Unternehmen kennen. Sie haben Routine in Ihrem ursprünglichen Aufgabenfeld, die Abläufe und ungeschriebenen Gesetze sind Ihnen vertraut. Sie wissen welche Anfor­derungen an Ihren Vorgänger gestellt wurden oder zu welchen Problemen es in der Zusammen­arbeit in der Führungsebene kam. Eine Führungskraft von extern müsste Zeit darauf verwenden, diese Feinheiten zu eruieren.

Im Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten sollen Sie im Vorfeld die gegenseitigen Erwartungen, die Stellenbeschreibung und Befugnisse klären. Genauso, wie Sie gegenüber Ihren Mitarbeitern, hat auch Ihr Vorgesetzter eine Verpflichtung, Sie in Ihrer Entwicklung zu unterstützen. Was brauchen Sie, um schnell Ihre neue Position aus­füllen zu können? Das können Führungskräfte-Coachings sein, Rückhalt im Umgang mit Mit­arbeitern, Zeitkontingente für Führungstätigkeiten oder die Zusage, dass Ihre ehemalige Stelle neu besetzt wird und Sie nicht auf einmal zwei Jobs machen.

Die oberste Führungsebene kann im Vorfeld einen guten Start beeinflussen. Das beginnt schon beim Auswahlverfahren. Wenn mit den infrage kommenden Kandidaten gesprochen wurde oder es für alle die Möglichkeit gab sich auf die Stelle zu bewerben, ist ein hohes Maß an Transparenz gegeben. Sobald die Entscheidung getroffen wurde, ist es hilfreich, wenn der Chef die Beförderung öffentlich macht und ein paar Kriterien nennt, die zur Entscheidung geführt haben. Nichts ist bedrohlicher als die Ungewissheit, deswegen darf an dieser Stelle illustriert werden, wie die weitere Zusammenarbeit aussehen wird. Das ausgesprochene Vertrauen der obersten Leitungsebene fällt bei den Mitarbeitern sicher ins Gewicht. Die Vorstellung der neuen Führungskraft bei wich­tigen Geschäftspartnern gehört mit zu diesem Prozess.

Die goldene Mitte

Über das Verhalten einer Führungskraft in der goldenen Mitte gehen die Meinungen auseinander. Von Loyalität zum Vorgesetzten über klare Abgrenzung bis hin zum Dienstleister für das Team ist alles dabei. An allem ist etwas Wahres dran und im Grunde genommen muss das Vorgehen zu einem selbst und den Gegebenheiten passen.

Was nicht vergessen werden darf ist: Die goldene Mitte ist eine eigenständige Position, auf die die Reibungskräfte widersprüchlicher Interessen wirken können, die umso größer werden, umso weniger diese Lücke gefüllt wird. Wer sich auf eine Seite schlägt, verlässt die Position, was quasi einen Zusammenprall fördert. Dem Gedanken folgend braucht es:

Neutralität

Als Führungskraft ist Neutralität gefragt. Der Flurfunk wird nach einiger Zeit nicht mehr zu hören sein. Sollte Ihnen doch etwas zu­getragen werden, kann es dazu dienen Sie zu beeinflussen. Ein ganz normaler Teil des Prozesses, seien Sie nicht enttäuscht, sondern auf der Hut. Die Rückfrage, ob es sich um eine Beschwerde handelt, der Sie nachgehen sollen, hilft da in einigen Fällen. Ist dem nicht so, lassen Sie das Getratsche vorbei­ziehen. Das Arbeitsleben wird dadurch einsamer, für die Rolle ist es allerdings auf Dauer einfacher. Stellen Sie sich darauf ein, dass Lob rar wird. Gelobt wird häufig von oben nach unten oder auf gleicher Ebene. Lob kann genauso Hierarchie schaffen wie Tadel, deswegen werden Mitarbeiter, die Sie respektieren, sparsam damit umgehen.

Kontakt

Die Empfehlung sich abzugrenzen kann sehr schnell in die Isolation führen. Für eine gute Arbeit ist jedoch der Kontakt wichtig. Im Coaching heißt es so schön: Kontakt ist Begegnung an der Grenze. Eine Führungskraft ist professioneller Ansprechpartner mit Grenzen. Diese gelten für das Team und für den Vorgesetzten. Wo sind Ihre Grenzen? Ist das Wochenende heilig? Wünschen Sie keine Anrufe im Urlaub, weil das genauso gut der Vorgesetzte oder ihre Vertretung regeln kann? Dann teilen Sie das bitte mit. Niemand kann hellsehen, wo die Grenzen des anderen liegen.

Für Austausch auf Augenhöhe und Rückmeldung eignet sich ein Netzwerk mit anderen Führungskräften, was am Anfang aufgebaut werden muss.

100 Tage mit Bedacht

Alle Prozesse aus der neuen Perspektive heraus in Augenschein zu nehmen und in der Rolle an­zukommen, ist für die ersten 100 Tage sicher eine gute Option. Wenn Sie dieses Vorgehen transparent machen, beugen Sie anfänglichen Irritationen vor.

Weiterentwicklung

Für die eigene Weiterentwicklung hilft die kontinuierliche Reflexion der eigenen Rolle. Dafür eignet sich eine erfahrene Führungskraft als Mentor oder ein professioneller Coach. Dass die Leitung einen Einfluss auf die Unternehmenskultur hat, ist klar, aber wie stark dieser Einfluss sein kann, ist uns am Anfang nicht bewusst. Es gilt also für das Unternehmen, sich selbst und das Team, die beste Version von sich selbst als Führungskraft zu werden, die möglich ist.

Delegation

Tappen Sie nicht in die Delegationsfalle. Sie können keine Aufgaben delegieren, die sie früher immer selbst gemacht haben? Natürlich. Sie haben jetzt eine Menge anderer Aufgaben. Delegation besonders von anspruchsvollen Aufgaben bedeutet, dass Sie den Mitarbeitern vertrauen. Es schafft Motivation etwas außerhalb der Routine machen zu können.

Zu guter Letzt

Genauso, wie viele andere, bin ich aus dem Team heraus Führungskraft geworden. Ich habe mich nicht auf eine Seite gestellt, sondern versucht beide Seiten zu hören, um einen guten Weg zu finden. Manchmal denken Chefs, dass sie das Unternehmen sind. Die Teams – die voll mit Arbeit sind – haben das gleiche Empfinden, aber das Unternehmen ist die Summe der Teile und kann noch mehr sein, wenn gut zusammengearbeitet wird. Es ist eine Frage der Kooperation und nicht der Machtausübung.

Ich hätte mir damals gewünscht, dass mich jemand ermutigt hätte: „Stell dem Unternehmen deine Perspektive zur Verfügung und sei ruhig ein bisschen unbequem, wenn nötig. Das hilft allen sich wieder zurechtzurücken.“ |

Anja Keck ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, 
Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin. Mehr unter www.anjakeck.de

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