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Management

In der Grauzone zwischen Unehrlichkeit, Notlüge und Ehrlichkeit

„Ehrlich währt doch am längsten“

Gibt es Situationen, in denen der Apothekenleiter und seine Mitarbeiter zu einer Notlüge greifen dürfen? Während dies bei Mit­arbeiterkommunikation durchaus eine Überlegung wert sein kann, ist jede Unehrlichkeit im Gespräch mit den Kunden kontraproduktiv, weil dieses Verhalten zu einem Vertrauensverlust führen muss, der nicht wieder gutzumachen ist. Oder gibt es doch Ausnahmen?

Das Sprichwort „Ehrlich währt am längsten“ sollte bei der Kommunikation mit den Kunden Bestand haben. Wobei es gewiss die „kleine Notlüge“ gibt, die aber nicht dazu dienen darf, sich einen Vorteil zu verschaffen oder den Kunden durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen manipulativ zum Kauf zu überreden. Wenn es darum geht, einfach nett und höflich zu sein und dem Kunden über eine peinliche Situation hinwegzuhelfen, ist der Griff zu der sozialen Konvention der Notlüge erlaubt. Allerdings ist es zielführend, wenn das Apothekenteam im Rahmen einer Mitarbeitersitzung dieses Thema diskutiert, um zu einer gemeinsamen Übereinkunft zu gelangen, wo genau die Grenze zwischen der erlaubten Notlüge und der kundenschädlichen Unehrlichkeit verläuft.

Zu empfehlen ist, die Frage anhand konkreter Beispiele durch­zudeklinieren. Wenn in einer wissenschaftlichen Untersuchung festgestellt wurde, dass eine begehrte und oft gekaufte Hautcreme Vor- und auch Nachteile hat: Soll das Team dies aktiv kommunizieren? Muss es dem Kunden sagen: „Sie kaufen ja immer die Hautcreme XY bei uns. Eine Untersuchung ist jetzt zu dem Ergebnis gelangt, sie könnte folgende Nachteile haben …“ Oder ist es sogar richtig, vom Kauf abzuraten? Entscheidend ist die Frage, um welche konkreten Nachteile es sich handelt. Mögliche gesundheitliche Folgen müssen benannt werden, zumal sich die Apotheke auf diese Weise den Ruf erwerben kann, stets das Wohl des Kunden in den Fokus zu rücken. Auf der anderen Seite: Dürfte die Creme überhaupt noch verkauft werden, wenn die Folgen derart negativ wären?

Allein dieses Beispiel zeigt, wie komplex die Frage ist, ob immer die ganze Wahrheit gesagt werden muss. Das Apothekenteam könnte sich darauf verständigen, die Nachteile und den Nutzen im Rahmen einer Pro-und-Contra-Argumentation darzulegen, um den Kunden selbst entscheiden zu lassen.

„Wer ehrlich ist, hat weniger Stress“

Die Frage nach der Opportunität von Unehrlichkeit und kleiner Notlüge in der Kundenkommunikation berührt einen weiteren Aspekt: den der Auswirkungen auf denjenigen, der zu den entsprechenden unehrlichen Verhaltensweisen greift. Wer im Kundengespräch ehrlich ist und ehrlich sein darf, tut sich selbst etwas Gutes. Wer hingegen zu dem Instrument „Lüge“ greift – und sei es nur die „Notlüge“ –, setzt sich oft unter erheblichen Stress. „Wer ehrlich ist, hat weniger Stress“: Das zeigt die Alltags­erfahrung und wird überdies durch eine Untersuchung belegt, die allerdings unter der Beteiligung von lediglich 110 Menschen zustande gekommen ist. Nach einer Meldung des Magazins „managerSeminare“ (Oktober 2012, Heft 175, S. 12) stellten US-Forscher fest: Wer lügt, empfindet Stress. Bei der Untersuchung stieg in der Gruppe sogenannter „Lügenvermeider“ die allgemeine Zufriedenheit an, die Gesundheitswerte verbesserten sich. Die „Lügenvermeider“ waren angehalten, auf Lügen weitgehend zu verzichten: Sie sollten entweder die Wahrheit sagen oder Antworten verweigern, wenn ihnen das unmöglich erschien, oder zur Not das Thema wechseln. „Diese Effekte waren umso stärker, je wahrheitstreuer die Probanden gewesen waren. In der Kontrollgruppe wurden erwartungs­gemäß keine diesbezüglichen Veränderungen gemessen.“

Das heißt: Allein aus Selbstschutz sollten der Apothekenleiter und sein Team sich darauf verständigen, auf Unwahrheiten und Notlügen zu verzichten. Die Fokussierung auf ehrliche und damit glaubwürdige Argumente im Kundengespräch dient der Verbesserung der Kundenbeziehungen und der Entlastung der Mitarbeiter.

Bleibt die Frage, wie es mit der Grauzone zwischen Unehrlichkeit, Notlüge und Ehrlichkeit im Rahmen der Kommunikation zwischen dem Apothekenleiter und den Mitarbeitern aussieht.

Der ehrliche Wein schmeckt am besten

Ist es ein Zeichen von Unehrlichkeit, wenn der Apothekenleiter die wirtschaftlich prekäre Situa­tion der Apotheke verschweigt oder dem düsteren Gesamtbild ein paar freundlichere Farb­kleckse beimischt? Oder ist er seinen Mitarbeitern bedingungslose ­Ehrlichkeit schuldig? Ein Patentrezept gibt es nicht, er muss die Begleitumstände und die Rahmenbedingungen berücksichtigen und auf dieser Grund­lage eine Entscheidung treffen. Denn die Mitteilung, die Lage der Apotheke sei besorgniserregend, kann beim sicherheitsorientierten Mitarbeiter die letzten Kraftquellen zum Versiegen bringen und Demotivation nach sich ziehen. Beim kämpferischen Kollegen hingegen führt die „bedingungslose Ehrlichkeit“ zu der Haltung, sich voll und ganz für die Erreichung der Apothekenziele zu engagieren.

In der Regel bevorzugen es die Mitarbeiter, reinen und ehrlichen Wein eingeschenkt zu bekommen. Sie wollen ihre eigenen Entscheidungen fällen, und zwar auf der Grundlage von Fakten und sach­lichen Informationen. Darum ist Ehrlichkeit in der Kommunikation zwischen dem Apothekenleiter und den Mitarbeitern die beste Medizin. Hat sich in das Verhältnis erst einmal Misstrauen eingeschlichen, kann der Schaden immens sein. Trotzdem: Jeder Entscheidungsträger weiß, dass Grauzonen existieren, die zu der Überlegung Anlass geben, den Mitarbeitern nicht immer alle Fakten offen zu legen, weil die Nachteile den Nutzen überwiegen würden. Darum noch mal: Ein Patentrezept gibt es nicht, der Apothekenleiter entscheidet am besten auf der Grundlage der Bewertung der Gesamtsituation.

Zudem gibt es Situationen, die geradezu dazu herausfordern, unehrlich zu sein, sich aber vermeiden lassen. Wenn der Apo­thekenleiter in der Sitzung fragt: „Was halten Sie von meiner Idee?“, könnten Mitarbeiter glauben, es sei besser, nicht wahrheitsgemäß zu antworten. Schließlich will man es sich mit dem Chef nicht verderben. Also sollte der Apo­thekenleiter besser fragen: „Sie kennen nun meine Vorstellungen. Wie sehen Ihre Vorschläge aus?“ Wenn den Mitarbeitern die Chef-Idee nicht gefällt, können sie jetzt mit eigenen Vorschlägen aufwarten, ohne dessen Denk­anstoß verurteilen oder unehrlich belobigen zu müssen.

Besser bei der Wahrheit bleiben

Auch für die Mitarbeiter sollte in der Regel Ehrlichkeit Trumpf sein: Den Apothekenleiter bei der Frage, wie es mit der dringenden Gestaltung des Handverkaufsaufstellers für den Frei- und Sichtwahlbereich aussieht, mit der Aussage anzuschwindeln, es sei „alles im grünen Bereich“, entpuppt sich spätestens dann als Bumerang, wenn es mit dem zugesagten Fertig­stellungstermin doch nicht funktioniert. Es ist besser, bei der Wahrheit zu bleiben: „Ich bin etwas im Rückstand, ist es möglich, mich zu unterstützen?“

Das bedeutet: Die Grauzonen zwischen Unehrlichkeit und Ehrlichkeit lassen sich am besten durch das Motto „Ehrlich währt so gut wie immer am längsten“ aufhellen. |

Dr. Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater

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