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Management
Hingeschaut, wofür das Herz brennt
Wie Sie herausfinden, wie Sie Ihr Leben und Ihre Arbeit gestalten wollen
Samstagmorgen. Ich sitze als Teilnehmerin in einer Weiterbildung für Coaches und die Vorstellungsrunde erwischt mich, wie eigentlich jedes Mal, eiskalt und ohne Vorwarnung. Natürlich hätte ich mir nach vielen Jahren mit Fort- und Weiterbildungen, Coachings, Trainings, einem ziemlich guten Mentoring und diversen Netzwerkveranstaltungen denken können, dass dieser Punkt kommt. Zudem sollten diese ganzen Ausbildungen doch irgendwann einmal Früchte tragen und jeder würde – zu Recht – von mir eine eloquente Selbstvorstellung erwarten. Tatsächlich verlassen meinen Mund zwei schlichte Sätze: „Ich heiße Anja Keck. Ich bin Apothekerin und seit dem 1. Januar selbstständig als Coach.“ Der Seminarleiter entgegnet – nach einer deutlichen Pause – stutzend: „Es ist doch immer wieder interessant, welchen Prospekt unserer Persönlichkeit wir den anderen zur Verfügung stellen.“ Ich hatte bei der Aufforderung, sich kurz vorzustellen, dem Wort „kurz“ wohl eine zu große Bedeutung beigemessen.
Die meisten Menschen stellen sich ungern vor, aber mir fehlt vollends die Leidenschaft, in solchen Momenten überhaupt etwas von mir zu geben. Vielleicht, weil mir die üblichen Varianten nicht gefallen. Entweder bieten wir einen Steckbrief mit Eckdaten an: Name, höchster Bildungsabschluss, derzeitige Arbeitsstelle, Familienstatus und Wohnort. Oder wir versuchen es mal anders und geben ungefragt Dinge von uns, die die anderen Teilnehmer irritieren, z. B. die Lieblingsfarbe oder -automarke.
Eine Vorstellungsrunde kann wunderbar zur Selbstdarstellung genutzt werden: derzeitige Position, große Erfolge, Größe des Unternehmens, wie viele Mitarbeiter man führt, Berufserfahrung inkl. Selbstbeschreibung, welche Charakterzüge man mitbringt. Sollten sich die anderen Teilnehmer nicht selbst ein Bild machen dürfen?
Nichts davon holt mich für meine eigene Vorstellung wirklich ab. Schon gar nicht die schillernde Selbstdarstellung, sodass sich ja keiner traut, mich in der Pause anzusprechen. Gute Gespräche sind das, was ich wirklich schätze und liebe. Ich möchte die Menschen um mich herum kennenlernen. Ich möchte wissen, wofür ihr Herz brennt. Das würde mich beim Kennenlernen interessieren.
Wenn ich ehrlich zu mir bin und eine Vorstellung für mich formulieren würde, die sich gut anfühlt, müsste sie wohl in etwa so lauten: „Ich heiße Anja Keck. Vorstellungsrunden sind nicht so mein Ding, aber was ich wirklich schätze, sind gute Gespräche. Wem das auch so geht: Ich tausche mich leidenschaftlich gerne über Coaching von Führungskräften und Teams, Persönlichkeitsentwicklung, Fantasy, insbesondere wenn es um Pen&Paper geht, und natürlich Pharmazie in all ihren Facetten aus.“
Dem Herzensthema auf der Spur
Wer im Moment gar nicht genau weiß, was sein Herzensthema ist, oder wer gerade die Leidenschaft an seinem Job verloren hat, kann die Idee einer authentischen Vorstellung als Methode nutzen, um sich Klarheit über sein Herzensthema zu verschaffen.
Stellen Sie sich vor, die Vorstellungsrunde dient bei einem Seminar dazu, in der Pause besser ins Gespräch zu kommen. Welche Themen, über die Sie leidenschaftlich gerne sprechen, würden Sie servieren, damit der Small Talk großartig wird? In einem Persönlichkeitsprospekt, in dem es nur um Sie geht, was würden die anderen Teilnehmer dort finden? Notieren Sie sich ein paar Zeilen, eine kleine Vorstellung. Es dürfen auch Träume, Wünsche und noch nicht erreichte Ziele ihren Platz haben.
Außenstehende wissen oft mehr
Meist wissen Außenstehende viel besser, wo unsere Energie und unsere Leidenschaft stecken. Fragen Sie Menschen, die Ihnen nahestehen, welches Thema, Hobby oder welchen Wirkungsbereich sie mit Ihnen verbinden. Über welches Thema können Sie stundenlang reden, diskutieren oder argumentieren? Wann fangen Sie an zu leuchten? Wann sind Sie voll da, präsent bis in die letzte Haarspitze? Wann werden Sie leidenschaftlich? Für die Menschen, die uns begleiten, ist unser Herzensthema meist so offensichtlich, dass sie nie auf die Idee kommen würden, es zu erwähnen. Also bleibt nur fragen.
Einen Tag nach der wortkargen Vorstellungsrunde – ich war müde und haderte noch mit meinen rhetorischen Fähigkeiten – kam im Freundeskreis das Gespräch auf die berufliche Entwicklung der sechzehnjährigen Tochter meines Bekannten. Das Mädchen ist blitzgescheit. Ein künstlerisches und naturwissenschaftliches Ass. Als ich mitbekam, in welche Richtung das Gespräch lief, war ich sofort hellwach, präsent und habe eine verbale Gewandtheit an den Tag gelegt, die in diesem Rahmen mehr als deutlich hervorstach. Warum? Eins meiner Herzensthemen – Fluch und Segen zugleich – ist es, Frauen, insbesondere junge Frauen, bei ihrer Potenzialentfaltung zu unterstützen. Der Gesprächsverlauf gab mir Anlass zur Sorge, dass diese junge Frau durch Ängste und Konventionen das Schicksal ereilen könnte, weit unter ihren Möglichkeiten zu bleiben.
Vielleicht war es vermessen, mich einzumischen und meine Meinung inklusive bestechender Argumente kundzutun. Aber so ist das mit Herzensthemen, sie lassen einen nicht kalt.
Eine Reise in die Vergangenheit
Beenden Sie den Satz: „Als Kind habe ich immer gerne …!“ Tatsächlich ist es sehr erhellend, eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen und zu forschen, ob es schon früh wichtige eigene Themen im Leben gab. Die Eltern können einem dabei gut auf die Sprünge helfen. Wenn wir uns die Frage stellen, wofür wir in diesem Leben angetreten sind, ergibt es Sinn, am Anfang des Lebens zu schauen, ob Hinweise darauf zu finden sind. Schule, Erwachsenwerden und was einem sonst noch so in die Quere kommt, kann diese zarten Pflänzchen verschütten.
Energie, Zeit, Raum, Geld
Wenn endlich klar ist, was das Aufstehen morgens leicht macht, was Begeisterung auslöst und wofür es sich lohnt zu diskutieren, zu feiern und zu leben, ist die nächste große Hürde, dem Herzensthema mehr Raum zur Entfaltung zu geben.
Üblicherweise heißt mehr „Raum“, dass irgendetwas anderes weichen muss. Je nach Herzensthema braucht es wortwörtlich einen Raum, wie einen Platz für Yoga, ein Büro oder eine Werkstatt. So banal es klingt, ein Weg kann Ausmisten sein: Bücher, die nie gelesen werden, Kleidung, die nur von A nach B geräumt wird, Andenken, die ständig abgestaubt werden müssen. Vieles, mit dem wir uns umgeben, fordert Platz und Zeit, die uns an anderer Stelle fehlen.
Wer eine minimalistisch bestückte Wohnung sein Eigen nennt, findet u. U. andere Bereiche in seinem Leben, wo Aussortieren im übertragenen Sinn, wie „Nein“ sagen oder zur Abwechslung nur mal nicht „Hier“ schreien, dem Herzensthema die Luft zum Atmen gibt.
Um seinem Ziel näherzukommen, ist es wichtig, ein paar markante Geländepunkte am Horizont zu erkennen. Woran werden Sie merken, dass Sie sich Ihrem Ziel nähern? An dieser Stelle darf geträumt und rumgesponnen werden. Schließlich geht es nicht um einen ausgetretenen Pfad, den jeder nimmt, sondern um die kreative Leistung, den eigenen perfekt passenden Weg zu finden. Was kennzeichnet dieses Leben? Mehr Zufriedenheit, schöne Momente, mehr Energie, nicht mehr das Gefühl zu haben zu arbeiten, Flow oder etwas ganz anderes. Bestimmen Sie einen Marker.
Fazit
Das Leben ist viel leichter, wenn wir das machen, was uns erfüllt. Sobald der Weg sich nicht mehr richtig anfühlt, liegt es an uns selbst, etwas zu ändern. Ich bin der festen Überzeugung, dass dazu auch gehört, die Pharmazie im Apothekenalltag zu reanimieren. Seinem Herzen zu folgen, bringt Energie, lässt uns Hindernisse überwinden und pustet Sinn ins Leben. Es spricht allerdings nichts dagegen, auch das Hirn mitzunehmen. Wofür bist Du angetreten? |
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