Arzneimittel und Therapie

Schon vor der Empfängnis an Folsäure denken!

Bundesinstitut für Risikobewertung aktualisiert Beratungsleitfaden

cel/mab | Nur knapp die Hälfte aller schwangeren Frauen beginnt – wie empfohlen – mit der Folsäure-­Supplementation schon bei Kinderwunsch, also vor der Schwangerschaft. Warum ist das so? Mangelt es an Beratung? Und warum ist Iod eigentlich so wichtig in der Schwangerschaft? Das BfR hat seinen Beratungsleitfaden aktualisiert.

Es gibt nur wenige Menschen, die Nahrungsergänzungsmittel brauchen – Schwangere und Stillende gehören dazu. So sollen diese zwar kalorientechnisch nicht „für zwei“ essen, doch bestimmte Nährstoffe fördern die gesunde Entwicklung des Kindes. Essenziell sind dabei vor allem Folsäure und Iod. Professor Martin Smollich (Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein) nennt die beiden Mikronährstoffe in einem Beitrag seines „Ernährungsmedizinblogs“ deswegen als „Top 1“ und „Top 2“ der wichtigsten Mikronährstoffe in Schwangerschaft und Stillzeit.

Weniger als 50% substituieren frühzeitig Folsäure

Das ist zwar ein alter Hut, dennoch hapert es wohl in der Praxis: Insbesondere bei der Supplementierung von Folat bei Frauen mit Kinderwunsch, also vor der Empfängnis. Denn: „Eine optimale Folsäure-Ver­sorgung ist sogar schon ab dem ersten Tag der Schwangerschaft wichtig. Da viele Frauen aber in den ersten Wochen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind, heißt das: Jede Frau, die schwanger werden möchte und könnte, sorgt am besten schon vor Eintritt der Schwangerschaft für eine gute Folsäure-Zufuhr“, erklärt Smollich. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät zur Supplementierung von Folsäure, am besten bereits bei Kinderwunsch und sodann während der Schwangerschaft, ebenso hält sie Iod für essenziell. Der „Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland – SuSe II“ zufolge nahmen zwar 81,7% der befragten Frauen (n = 966) Folsäure in der Schwangerschaft ein, allerdings hatten weniger als die Hälfte der Frauen (45,4%) wie empfohlen bereits vor der Schwangerschaft damit begonnen. Bei der zusätzlichen Versorgung mit Iod sieht es der Studie zufolge nicht besser aus: Nur die Hälfte der schwangeren Frauen supplementierte Iod.

Foto: freshidea/AdobeStock

Vor allem grünes Gemüse enthält die für die gesunde Entwicklung des Kindes notwendigen Folate.

Fehlt es an Beratung und Aufklärung?

Das potenzielle Folsäure-Defizit in der Frühschwangerschaft sieht auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Viele Frauen begännen mit der Einnahme zu spät oder gar nicht. „Wenn es darum geht, Wissen über die Bedeutung von Iod und Folat/Folsäure zu vermitteln und sowohl Mangelerscheinungen als auch Überdosierungen zu vermeiden, spielt die ärztliche Beratung rund um die Schwangerschaft eine maßgebliche Rolle“, sagt BfR-Vizepräsidentin Professor Tanja Schwerdtle. Aus diesem Grund hat das BfR das Merkblatt „Iod, Folat/Folsäure und Schwangerschaft – Ratschläge für die ärztliche Praxis“ aktualisiert. Denn: Die Verbesserung und nachhaltige Sicherung der perikonzeptionellen Versorgung mit Iod und Folat/Folsäure von Frauen mit Kinderwunsch und in der Schwangerschaft sei ein wichtiger Bestandteil der ärztlichen Beratung – dabei geht es dem BfR nicht nur um eine Mangelversorgung, auch die „Überschreitung der als gesundheitlich unbedenklich erachteten Gesamttageszufuhrmengen an diesen lebensnotwendigen Nährstoffen“ will es vermieden wissen.

Folsäure verhindert Neuralrohrdefekte

Folsäure benötigt der Körper für die Zellteilung und für Wachstumsprozesse, ein Folatmangel in der Schwangerschaft kann die Kindesentwicklung negativ beeinflussen – das Risiko für Frühgeburten, ein geringes Geburtsgewicht und fetale Wachstumsverzögerung können die Folge sein. Darüber hinaus reduziert eine perikonzeptionelle Supplementierung von Folsäure das Risiko für die Ent­stehung von Neuralrohrdefekten beim Kind. Die DGE rät zu 300 µg Folat-Äquivalenten täglich, Schwangere und Stillende sollten jeden Tag 550 µg beziehungsweise 450 µg Folat-Äquivalente zuführen. Darüber hinaus kann eine um 400 µg synthetische Folsäure pro Tag ergänzte Folat-reiche Ernährung bei Kinderwunsch das Risiko für Neuralrohrdefekte beim Kind verringern. Zudem gibt es Hinweise, dass eine zusätzliche Folat-Zufuhr das Risiko für andere kindliche Fehlbildungen, insbesondere Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, reduzieren könnte (1 µg Folat-Äquivalent = 1 µg Nahrungsfolat = 0,5 µg synthetische Folsäure, Aufnahme auf nüchternen Magen).

Folate aus der Nahrung

Folate finden sich in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln, wobei grünes Gemüse wie Spinat und Brokkoli, aber auch Hülsenfrüchte, Weizenkeime, Hefe, Eigelb, Vollkorngetreideprodukte, Zitrusfrüchte und -säfte sowie Leber besonders reich an Folaten sind. Auch reichern manche Hersteller von Frühstückscerealien, Milchprodukten und Fruchtsaftgetränken ihre Produkte mit Folsäure an.

Ist Folsäure ungefährlich?

Das BfR weist darauf hin, dass „bei Supplementierung der empfohlenen Tagesdosis von 400 µg Folsäure vor und im ersten Drittel einer Schwangerschaft […] bislang keine negativen Effekte auf die Gesundheit der werdenden Mutter oder des ungeborenen Kindes beobachtet“ worden seien, weswegen diese Folsäure-Supplementierung als „gesundheitlich unbedenklich anzusehen“ sei. Das gelte „normalerweise“ auch, wenn Schwangere parallel dazu Lebensmittel verzehrten, die mit Folsäure angereichert sind. Anders verhält es sich bei hoher Folat-Substitution, die nicht im Rahmen der Schwangerschaft erfolgt: Während eine erhöhte Zufuhr an Nahrungs­folaten sich protektiv auf Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs auswirkt, erhöhen synthetische Folsäure-Supplemente das Risiko für Darmkrebs, vor allem wenn man eine familiäre Vorbelastung für Kolorektalkarzinome mitbringt. Das machte Professor Martin Smollich bei der PAN-Vorlesungsreihe „Iss das! – Ernährung in der Medizin“ deutlich.

Allerdings kann die Wirksamkeit von Antiepileptika (zum Beispiel Phenobarbital, Phenytoin, Primidon) durch Folsäure-Supplemente vermindert werden, sodass gegebenenfalls die Dosis angepasst werden muss.

Warum Schwangere mehr Iod benötigen

Iod benötigt die Schilddrüse für die Synthese von Schilddrüsenhormonen, die im Organismus wichtige Stoffwechselfunktionen regulieren und für die gesunde Entwicklung von inneren Organen, Nervensystem, Kreislauf­organen und Muskulatur des Kindes notwendig sind – und das auch bereits vor Geburt. Für Schwangere empfiehlt die DGE eine tägliche Gesamtzufuhr von 230 µg Iod, Stillende sollten mit 260 µg sogar noch etwas mehr zu sich nehmen. Dabei können Meeresfisch mit hohem Iod-Gehalt „bedeutend zur Iod-Versorgung beitragen“, erklärt das BfR, ebenso Milch und Milchprodukte. Neben der Versorgung über Nahrungsmittel sollten Schwangere und Stillende jedoch zur Iod-Mangelprophylaxe „nach vorheriger Iod-Anamnese“ 100 bis 150 µg Iod zusätzlich über Supplemente zu sich nehmen.

Der erhöhte Iod-Bedarf von Schwangeren lässt sich zum einen durch den gesteigerten Grundumsatz der werdenden Mutter, einen vergrößerten Iod-Verteilungsraum sowie eine verstärkte Ausscheidung über die Nieren erklären. Estrogen-bedingt steigt außerdem die Konzentration von TBG (Thyroxin-bindendem Globulin) und damit die Bindungskapazität für Schilddrüsenhormone – das stimuliert letztlich die TSH(Thyreoidea-stimulierendes Hormon)-Ausschüttung aus der Hypophyse und erhöht damit die Synthese von Schilddrüsenhormonen. Ein Iod-Mangel kann folglich unter Umständen zu einem Struma (Kropf) führen und zu einer isolierten Hypothyroxinämie, bei der TSH zwar normal ist, freies Tetraiodthyronin (fT4) jedoch erniedrigt, da die Schilddrüse vor allem Triiodthyronin – das nur drei Iodatome benötigt – bildet. Dazu kommt, dass die Schild­drüse des Babys erst in der zweiten Schwangerschaftshälfte beginnt, selbst Schild­drüsenhormone zu bilden, denn erst ab der 18. bis 20. Schwangerschaftswoche ist die fetale Schilddrüse funktions­fähig. Das bedeutet: Zuvor ist das Baby auf die Schilddrüsenhormonzufuhr der Mutter angewiesen – was ebenfalls deren erhöhten Iod-Bedarf erklärt.

Vegane Ernährung und Rauchen steigert Risiko für Iod-Mangel

Ein Iod-Mangel kann vor allem bei Frauen mit speziellen Ernährungs­gewohnheiten auftreten – wenn sie als Veganerinnen auf Seefisch und Milchprodukte verzichten. Auch die Anwendung hormonaler Kontrazeptiva kann einen Iod-Mangel verstärken (erhöhte Bindungskapazität von Schilddrüsenhormonen durch erhöhte TBG-Spiegel). Und bei Raucherinnen kann das im Rauch enthaltene Thiocyanat den Iodid-Transport in die Schilddrüse hemmen, was ebenfalls eine ausreichende Versorgung mit Schilddrüsenhormonen gefährdet. „Schwerer Iod-Mangel in der Schwangerschaft ist mit einer erhöhten Rate an Fehl- und Totgeburten sowie Fehlbildungen assoziiert“, erklärt das BfR. Und: „Die fetale Schilddrüsenfunktion, aber auch die frühkindliche Entwicklung des zentralen Nerven­systems sowie Körperwachstum und -reifung sind von einer ausreichenden Iod-Versorgung der Mutter abhängig.“

500 µg Iod pro Tag nicht überschreiten

Doch ein Zuviel an Iod gilt es zu vermeiden. Als gesundheitlich unbe­denklich gilt eine Gesamtzufuhr von 500 µg pro Tag. Das BfR weist darauf hin, dass vor allem getrocknete Algen- und Tangpräparate hohe Iod-Mengen enthalten können. Auch kann durch Einnahme mehrerer Iod-haltiger Supplemente die Gesamttageszufuhr überschritten werden. |

Literatur

Smollich M. Die wichtigsten Mikronährstoffe für Schwangerschaft und Stillzeit, www.ernaehrungsmedizin.blog/2021/06/08/die-wichtigsten-mikronaehrstoffe-fuer-schwangerschaft-und-stillzeit/, Stand: 8. Juni 2021

Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in der Schwangerschaft

Still-Studie SuSe II zeigt Informationsbedarf auf. Pressemitteilung 19/2020 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V., 22. September 2020

Jod, Folsäure und Schwangerschaft – Tipps für die Praxis. Pressemitteilung 07/2022 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), 22. Februar 2022

Jod, Folat/Folsäure und Schwangerschaft. Merkblatt des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), https://www.bfr.bund.de/cm/350/jod-folat-folsaeure-und-schwangerschaft.pdf

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