Arzneimittel und Therapie

Geriatrisches Assessment zahlt sich aus

Krebspatienten profitieren von einer verträglicheren Therapie und besserer Lebensqualität

Eine individuelle Anpassung einer Tumortherapie an den geriatrischen Zustand älterer Krebspatienten zahlt sich aus: Eine Therapieplanung auf der Basis eines geriatrischen Assessments verringert die Toxizitäten, ohne den Therapieerfolg zu schmälern. Experten raten daher, ein geriatrisches Assessment in den Praxisalltag zu integrieren.

Obwohl die Mehrzahl der Tumorpatienten im fortgeschrittenen Alter ist, sind ältere Krebspatienten in onkologischen Studien unterrepräsentiert. Dies hat zur Folge, dass altersbezogene Komorbiditäten, Gebrechlichkeit und geriatrische Symptome in Studienprotokollen nur unzureichend erfasst werden und die Betroffenen einem hohen Toxizitätsrisiko ausgesetzt sind. Zudem wird die Heterogenität dieser Kohorte nicht berücksichtigt. Ein geriatrisches Assessment vor Therapiebeginn und eine darauf ausgerichtete Behandlung könnte die Toxizitäten verringern. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wurde in der US-amerikanischen Studie GAP70+ untersucht.

An der randomisierten Studie nahmen 718 ältere Patienten (70 Jahre oder älter) aus 40 onkologischen Praxen teil, die an einem soliden Tumor oder Lymphom erkrankt waren und mindestens eine (im Median 4,5) geriatrische Einschränkung aufwiesen. Aufgrund ihrer fortgeschrittenen Erkrankung musste ein palliativer Therapieansatz gewählt werden, der allerdings mit hohen Toxizitäten verbunden ist. Die Hälfte der Patienten erhielt eine konventionelle Standardtherapie (Standard-Gruppe), die andere Hälfte eine adaptierte Therapie (Assessment-Gruppe). Diese richtete sich nach dem zuvor durchgeführten geriatrischen Assessment und berücksichtigte die körperliche, psychische und geistige Leistungsfähigkeit der Probanden, ihre Begleiterkrankungen sowie die bisherige Medikation und bot zudem eine soziale Unterstützung an. Der primäre Studienendpunkt war der Anteil der Patienten, die in den ersten drei Monaten Toxizitäten von Grad 3 bis 5 entwickelten.

Die Berücksichtigung auch von psychischen Begleiterkrankungen im Rahmen einer onkologischen Therapie sollte Standard sein.

Weniger Toxizitäten, weniger Stürze

Im Vergleich zu der Standard-Gruppe erlitt ein signifikant geringerer Teil der Patienten der Assessment-Gruppe Toxizitäten von Grad 3 bis 5, und zwar 51% vs. 71% (relatives Risiko 0,74; p = 0,0001). Insbesondere traten weniger nicht-hämatologische Toxizitäten auf. Dieser Effekt war meist auf eine anfängliche Dosisreduktion zurückzuführen. Patienten der Assessment-Gruppe stürzten auch deutlich seltener als Probanden der Standard-Gruppe (12% vs. 21%; relatives Risiko 0,58; p = 0,035). Zudem konnte bei ihnen die Zahl der einzunehmenden Dauermedikamente reduziert werden. Im Hinblick auf das Gesamtüberleben nach sechs und zwölf Monaten wurden keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen festgestellt. Daraus kann abgeleitet werden, dass die verringerte Toxizität in der Assessment-Gruppe nicht mit einer reduzierten Wirksamkeit der Therapie einherging.

In den Praxisalltag integrieren

Nach Ansicht der Studienautoren und Kommentatoren kann eine der geriatrischen Bewertung angepasste Therapie die Toxizität einer Krebstherapie lindern, ohne das Überleben zu beeinflussen. Die verringerte Toxizität sowie das reduzierte Sturzrisiko – und damit vermeidbare Frakturen, Schmerzen und Immobilität – dürften sich auch auf die Lebensqualität der Patienten auswirken. Ein geriatrisches Assessment und eine darauf fußende Therapie sollten daher als Standard-of-care in den Praxisalltag integriert werden. |

Literatur

Mohile SG et al. Evaluation of geriatric assessment and management on the toxic effects of cancer treatment (GAP70+): a cluster-randomised study. Lancet. 2021;398(10314):1894-1904. doi: 10.1016/S0140-6736(21)01789-X

Hamaker ME et al. Geriatric assessment in older patients with cancer: a new standard of care. Lancet. 2021 Nov 20;398(10314):1853-1855. doi: 10.1016/S0140-6736(21)01998-X

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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