Die Seite 3

Zukunft selbst gestalten

Dr. Thomas Müller-Bohn, DAZ-Redakteur

Als im Oktober 2019 Botendienste als Regelangebot und telepharmazeutische Beratungen zugelassen wurden, haben manche vorhergesagt, dies werde weit­reichende Folgen haben. Viele Apotheken nutzen diese neuen Gelegenheiten. Doch sie erreichen damit offenbar nicht alle Patienten. Manche Kunden sind durch ihre Gewohnheiten bei anderen Produkten offenbar so auf Lieferportale fixiert, dass sie das Online-Angebot der Apotheke um die Ecke nicht wahrnehmen. Daraufhin entstehen in Großstädten, in denen sich sowieso die Frage nach dem Sinn solcher Lieferungen stellt, neue Portale nach dem Konzept von Lebensmittellieferdiensten (siehe Seite 64). Neben gesellschaftlichen Problemen durch möglicherweise prekäre Arbeitsbedingungen drohen heikle Folgen für die Apotheken. Wenn Apotheken offenbar digital nicht gut genug wahrnehmbar sind, liegt es nahe sich helfen zu lassen – aber von wem? Hier die falsche Wahl zu treffen, kann sich schnell rächen. Viele Kunden sehen wahrscheinlich nur den Lieferdienst und erkennen nicht, welche Apotheke dahintersteht. Viele wird es gar nicht interessieren – und die Lieferdienste haben kein Interesse, es mehr herauszustellen, als das Gesetz es verlangt. Dies alles schwächt den Marketingauftritt der Apotheke. Die Apotheke macht mit ihrer Arbeit und ihrem Geld einen neuen Türöffner groß und wichtig, der bald Regeln und Preise diktieren kann (siehe Kommentar auf Seite 66). Dabei schließen die Lieferdienste gerade die Lücke, die andere Apothekenportale noch lassen. Wenn die User sich an den neuen Markenauftritt gewöhnt haben, kann der freundliche Helfer die Bedingungen festlegen – oder die Inhaber verkaufen den Lieferdienst an einen ausländischen Versender. Der bräuchte dann für eine Großstadt nur noch ein Lager einzurichten und schon kämen der planbare Postversand und die schnelle Vor-Ort-Versorgung unter einem Dach zusammen. Den Apotheken bliebe dann die mühsame Arbeit in der Fläche. Nur solche langfristigen Perspektiven können erklären, warum Investoren so viel Geld in Start-ups stecken, früher in Versender, jetzt in Lieferdienste. Ein anderes Schreckensszenario für die Apotheken ist das Herausbrechen weiterer Funktionen aus dem Apothekenbetrieb. Was bleibt noch in der Apotheke, wenn der Lieferdienst die Ware bringt und Apotheker im Callcenter die Betreuung übernehmen?

Auf diese Herausforderungen gibt es nur zwei sinnvolle Antworten: Die Apotheken dürfen die Konzepte für ihre Zukunft nicht von anderen gestalten lassen. Sie müssen diese Arbeit selbst machen oder sich unter einem Dach zusammenfinden, das sie selbst kontrollieren oder dem sie vertrauen können. Das gilt für alle Angebote. Bei den Lieferungen gibt es dafür wohl auch rechtliche Gründe (siehe Seite 72), aber Verbote allein können keine Antwort sein. In einigen Situationen – besonders im Notdienst – gibt es ernsthaft Bedarf für Lieferungen, und auch weitere Wünsche können gerne erfüllt werden, wenn die Kunden faire Preise zahlen. Dann können auch Apotheken vor Ort, die ihre Arbeit auf Dauer anlegen, solche Leistungen zu nachhaltigen Bedingungen anbieten. Das wäre gut für alle: Kunden, Lieferboten und Apotheken.

Thomas Müller-Bohn

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