Aus der Hochschule

„Fehler im Medikationsprozess kann man nur vermeiden, wenn man sie erkennt“

Erster Masterstudiengang zu AMTS gestartet

Im Wintersemester 2022/23 ist der bundesweit erste berufsbegleitende Masterstudiengang zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) gestartet. Der interprofessionell angelegte Studiengang wird von der Univer­sität Bonn in Kooperation mit den Universitäten Heidelberg und Tübingen angeboten. Am 13. Oktober 2022 fand im Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn die feierliche Eröffnung statt. 23 Studierende haben sich für den Studiengang immatrikuliert.
Foto: Universität Bonn

Die Studentinnen und Studenten des neuen Masterstudiengangs freuen sich gemeinsam mit den Dozentinnen und Dozenten aus drei Universitäten darauf, die Arzneimitteltherapiesicherheit voranzubringen.

Für die Universität Bonn begrüßten der Prorektor für Studium, Lehre und Hochschulentwicklung, Prof. Dr. Klaus Sandmann, und für die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Prodekan für Studium und Lehre, Prof. Dr. Thomas Bartolomaeus, die neuen Studierenden herzlich und unterstrichen in ihren Grußworten die zunehmende Bedeutung des lebenslangen Lernens und der Zusammen­arbeit zwischen den Fachdisziplinen.

AMTS-Kompetenz und ­inter­professionelle Teamarbeit

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Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Abteilung Klinische Pharmazie der Universität Bonn, stellte als Leiter des neuen Studiengangs die Entwicklung und Konzeption vor.

„Primäres Ziel ist die Erhöhung der AMTS-Kompetenz“, betont Prof. Dr. Ulrich Jaehde von der Abteilung Klinische Pharmazie der Universität Bonn, der den neuen Studiengang leitet. „Die Studierenden lernen, AMTS-relevante Strukturen und Prozesse zu analysieren und im interprofessionellen Team gezielt zu verbessern. So können sie die mit Fragen der Arzneimitteltherapiesicherheit verbundenen Herausforderungen bewältigen und als AMTS-Multiplikatoren andere in ihrem beruflichen Umfeld mitnehmen.“

Zulassungsvoraussetzungen sind ein absolviertes Erststudium und eine mindestens einjährige Berufserfahrung mit AMTS-Bezug. Der neue Studiengang richtet sich an Apothekerinnen und Apotheker, Ärztinnen und Ärzte, Pflege-Fachpersonen und Angehörige anderer AMTS-assoziierter Gesundheitsberufe, die hier gemeinsam lernen, sich beruflich auszutauschen und die interprofessionelle Kommunikation trainieren sollen.

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Prof. Dr. Cornelia Mahler von der Universität Tübingen betonte die Bedeutung der interprofessionellen Zusammenarbeit.

 „In den grundständigen Studiengängen wird interprofessionelles Arbeiten kaum erlernt. Diese Lücke möchten wir schließen, das ist eines der Alleinstellungsmerkmale des Studiengangs,“ führt Prof. Dr. Cornelia Mahler, Studiengangsleiterin an der Universität Tübingen, aus. Denn üblich sei bislang lediglich die multiprofessionelle Versorgung, bei der alle beteiligten Gesundheitsakteure die Patientinnen und Patienten aus der eigenen Perspektive beurteilten. Ein echter Austausch fände aber häufig nicht statt. „Unser Ziel ist es, den Studierenden das Rüstzeug an die Hand zu geben, um besser zu verstehen, wie die an der Versorgung beteiligten Professionen unter Einbeziehung der Patienten zusammenarbeiten. Dadurch können Patientenversorgung und -sicherheit optimiert und die Therapie gemeinsam begleitet werden“, erläuterte Mahler. Auf diese Weise würden Medikationsfehler und ihre Folgen wie unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Krankenhauseinweisungen verringert und gleichzeitig die vorhandenen Ressourcen effizienter eingesetzt. Daher gibt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem Framework for Action on Interprofessional Education and Collaborative Practices von 2010 Handlungsempfehlungen zur Etablierung einer interprofessionellen Ausbildung und berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit in der Versorgungspraxis.

Entwicklung und Einrichtung des Studiengangs

Mit dem Masterstudiengang AMTS wurde nun der erste interprofessionelle Studiengang zur Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland geschaffen. Die Entwicklung, Etablierung und Evaluation des Masterstudiengangs AMTS sind Maßnahmen des vierten und fünften Aktionsplans des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit. In einer interdisziplinären Gruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Klinischer Pharmazie und Pharmakologie, Hausarztmedizin, Pflegewissenschaft, Pharmakovigilanz, Pharmakoepidemiologie, interprofessioneller Kommunikation und Online-/Blended-Learning wurde 2019 zunächst der Bedarf für ein strukturiertes AMTS-Studienangebot ermittelt. „Wir haben potenzielle Studierende, Arbeitgebende, Dozierende und Vertreterinnen und Vertreter von Berufsverbänden befragt. 83,1% gaben an, dass sie mit einem steigenden Bedarf an AMTS-Experten innerhalb der nächsten fünf Jahre rechnen“, berichtete Jaehde. „Als wichtigste Lehr­inhalte eines AMTS-Studienangebots wurden der Medikationsprozess und Medikationsfehler, AMTS-fördernde Maßnahmen und die Kommunikation im interprofessionellen Team genannt. An diesen Ergebnissen haben wir uns bei der Entwicklung des Curriculums orientiert.“

Hoher Bedarf an AMTS-Experten

Foto: Universität Bonn

Festredner Prof. Dr. Walter ­Haefeli verdeutlichte den Bedarf an Expertinnen und Experten für Arzneimitteltherapiesicherheit.

Dass Expertinnen und Experten für Arzneimitteltherapiesicherheit dringend gebraucht werden, führte der Festredner Prof. Dr. Walter-Emil Haefeli vom Universitätsklinikum Heidelberg eindrucksvoll anhand von Fallbeispielen vor Augen, bei denen Medikationsfehler schwerwiegende, oft tödliche Folgen hatten. „Fehler entstehen überall im Medikationsprozess. Sie sind oft lebensbedrohlich, teuer und häufig vermeidbar! Daher müssen wir die Augen ganz besonders in Risikosituationen offenhalten“, appellierte Haefeli an die angehenden Studierenden. „Fehler im Medikationsprozess können nur vermieden werden, wenn sie erkannt werden. Dazu sind Detailwissen, Prozesskenntnisse und eine Bereitschaft zur unermüdlichen Wachsamkeit notwendig.“ Besonders vulnerable Patientengruppen seien Kinder unter fünf Jahren sowie geriatrische Patientinnen und Patienten. Insbesondere die letztgenannte Gruppe sei in hohem Maß von Polymedikation und damit von vielfältigen Arzneimittelinteraktionen betroffen. „Es ist eine zentrale Herausforderung an AMTS-Spezialisten, eine ganze Reihe funktionierender Fehlerbarrieren zu errichten, sodass die möglichst frühe Entdeckung eines Risikos eine konsequente und adäquate Handlung nach sich zieht.“ Sein Fazit: „Es ist nicht Zufall, wenn es gut läuft, sondern die Kunst, verlässlich alles Wesentliche richtig zu machen.“

Die Bedeutung der Prozesssicherheit und der berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit unterstrich auch Dr. Anne Dwenger vom Bundesministerium für Gesundheit, das die Einrichtung und Evaluation des Masterstudiengangs in den ersten drei Jahren finanziell fördert, in ihrem Grußwort: „Es werden professionell ausgebildete AMTS-Manager gebraucht, die sich in den verschiedenen Disziplinen austauschen, zusammenarbeiten und so Zunftdenken überwinden.“ Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Prof. Dr. Karl Broich, fügte hinzu: „Je erfolgreicher die Absolventen dieses Studiengangs sind, desto erfolgreicher ist auch das BfArM in seinem Bemühen, die AMTS in Deutschland auszubauen. Wir können so einen Unterschied für die Patientinnen und Patienten machen.“

Große Resonanz unter Apothekerinnen und Apothekern

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Dr. Judith Hildebrand, Studiengangskoordinatorin an der Uni Bonn, stellte die Studierenden des ersten Jahrgangs vor.

Unter den 23 Studierenden des ersten Jahrgangs stellen Apothekerinnen und Apotheker mit 20 Personen die dominierende Berufsgruppe dar. „Sie arbeiten in unterschiedlichen Bereichen, darunter öffentliche Apotheken, Krankenhausapotheken, Behörden, Krankenkassen sowie pharmazeutische ­Unternehmen“, berichtete die Studiengangskoordinatorin Dr. Judith Hildebrand. Außerdem umfasst die Pilot­kohorte eine Fachperson in der Pflege sowie Studierende aus den Bereichen Health Care Management und Gesundheitsökonomie. „Alle Studierenden bringen ihre Erfahrungen aus ihrem Berufsalltag mit ein. Die unterschiedlichen beruflichen Hintergründe beflügeln dabei den Erfahrungsaustausch“, erläuterte Prof. Dr. Hanna Seidling, Studiengangsleiterin an der Universität Heidelberg. „Den interprofessionellen Ansatz verfolgen wir auch bei der Auswahl der Lehrbeauftragten. Diese üben verschiedene AMTS-bezogene Berufe aus und decken ein breites Spektrum von Forschung bis Praxis ab.“

Modularer Aufbau und ­integrierte Zertifikatskurse

Zur Erreichung der geforderten 120 ETCS-Leistungspunkte (LP) im Masterstudiengang müssen sieben Pflicht-, vier Wahlpflichtmodule, ein Berufspraktikum und eine Masterarbeit erfolgreich abgeschlossen werden. Der Studienverlauf kann je nach persönlichen Zeitressourcen in vier oder in acht Semestern absolviert werden. Im ersten Durchgang haben sich zwölf Studierende für die kompakte und elf für die gestreckte Variante entschieden. Zudem gibt es die Möglichkeit, in den Studiengang integrierte Zerti­fikatskurse zu belegen. „Wenn man zeitlich kein komplettes Studium schafft oder bestimmte AMTS-Schwerpunkte vertiefen möchte, kann man einzelne Module in einem kleinen oder großen Zertifikatskurs absolvieren“, erläuterte Jaehde. „Auf diese Weise können wir ein möglichst flexibles Angebot schaffen, das an die Bedürfnisse der Teilnehmer angepasst werden kann.“ Aktuell haben sich sechs Zertifikatskursteilnehmende für einen kleinen Zertifikatskurs mit 15 ETCS-Leistungspunkten und vier für einen großen mit 30 ECTS-Leistungspunkten entschieden.

Berufsbegleitendes Studium durch Blended-Learning

Foto: Universität Bonn

Prof. Dr. Hanna Seidling erläuterte als Studiengangsleiterin der Universität Heidelberg, wie Blended-Learning die berufsbegleitende ­Studierbarkeit verbessert.

Eine Besonderheit des Studiengangs ist das sogenannte Blended-Learning, also die Verzahnung von Präsenzlehre, Online-Elementen und Selbststudium. „Uns ist wichtig, dass der Masterstudiengang berufsbegleitend studierbar ist. Der Blended-Learning-Ansatz erlaubt den Studierenden deutlich mehr zeitliche Flexibilität als in einem reinen Präsenz-Studiengang und passt sich so gut an ihr Leben an“, unterstrich Prof. Dr. Hanna Seidling. „Gleichzeitig ist das Format durch die Präsenzelemente und Online-Synchron-Studientage aktivierender als ein reiner Online-Studiengang.“ In der Literatur finde man im medizinischen Bereich Hinweise auf bessere Lern-Outcomes durch Blended-Learning als bei traditionellen Präsenzveranstaltungen, führte Seidling aus. Zudem umfasst der Masterstudiengang mehrere Modulpraktika in unterschiedlichen AMTS-Settings sowie ein ausführliches Berufspraktikum. Eine Hospitation im Berufsfeld eines anderen Gesundheitsberufs wird während der Praktika angestrebt, um die interprofessionelle Zusammenarbeit zu festigen. „So können unsere Studierenden die erlernten Fähigkeiten direkt in die Praxis transferieren und eine Grundlage für ihre dauerhafte Implementierung im Berufsalltag schaffen.“

Umfassende Evaluation

Im ersten Durchgang wird der neue Studiengang umfassend durch das Zentrum für Evaluation und Methoden der Universität Bonn evaluiert, wobei die Sichtweisen von Studierenden bzw. Zertifikatskursteilnehmenden, Lehrenden und Arbeitgebenden erfragt werden. Mithilfe der Evaluationsergebnisse wolle man das Studienangebot noch genauer an den tatsächlichen Bedarf anpassen. „Natürlich kann es bei der Einführung eines neuen Studiengangs auch Startschwierigkeiten geben“, sagt Jaehde, ist aber gleichzeitig optimistisch: „Gemeinsam mit Ihnen, liebe Studierende, möchten wir diesen Studiengang kennenlernen und weiterentwickeln.“ |

Dr. Judith Hildebrand, Bonn

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