Aus den Ländern

Der etwas andere Trainingsraum

Auf dem CIRS-NRW-Gipfel wurden Medikationsfehler in der „Room of Horrors“-Apotheke erlebbar

dab | „Aus Fehlern lernt man“ – dieser Grundsatz gilt insbesondere für das Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW (Critical Incident Reporting System Nordrhein-Westfalen). Bei dessen diesjährigem Gipfel konnte im Workshop „Room of Horrors“-Apotheke ein besonderer Trainingsraum besucht werden, in dem Fehler identifiziert werden sollten, die sich auf die Patientensicherheit auswirken können.
Foto: AKNR/Schütze
Abb. 1: Der Workshop „Room of Horrors“-Apotheke von Dr. Oliver Schwalbe (an der Leinwand links) und Carina John, Pharm D, (rechts) stieß auf großes Interesse. Beide Referenten sind DAZ-Autoren und berichten regelmäßig über Fälle von CIRS-NRW.

Der diesjährige CIRS-NRW-Gipfel am 2. November in Münster stand unter dem Motto „Patientensicherheit wird im Team entschieden“. In diesem Rahmen präsentierten Apothekerin Carina John, PharmD, Apothekerkammer Nordrhein und Apotheker Dr. Oliver Schwalbe, Apothekerkammer West­falen-Lippe, in einem Workshop ihre „Room of Horrors“-Apotheke (s. Abb. 1). In diesem besonderen Trainingsraum sollte die Sensibilität der Teilnehmer für potenzielle Risiken für die Patientensicherheit gefördert werden. Das Konzept, das Medikationsfehler er­lebbar werden lässt, soll zukünftig auch dazu eingesetzt werden, um Apothekenteams oder auch Pharmazie­studierende bzw. Pharmazeuten im Praktikum zu schulen.

Auf Fehlersuche

Wie kann man sich nun diese „Apotheke des Schreckens“ vorstellen? In einem Raum hatten John und Schwalbe verschiedene Arbeitsplätze aus der Apotheke nachgestellt – einen Handverkaufstisch, ein Abholregal, ein schwarzes Brett und einen Backoffice-Arbeitsplatz (s. Abb. 2). An jedem dieser „Orte“ hatten sie Fehler eingebaut, die es in etwa 15 Minuten zu finden und zu dokumentieren galt. Die Bandbreite an Fehlern war dabei groß: Von der falschen Dosierungsangabe auf der Arzneimittelpackung, über kühl zu lagernde Medikamente auf dem Abholbrett bis hin zu einer inkorrekt hergestellten Rezeptur waren etliche denkbare Fehler versteckt. Die Teilnehmer konnten sich einzeln oder im Team auf die Suche begeben. Das Ziel dabei war es nicht zwangsläufig, alle Fehler zu finden, sondern vielmehr die eigene Beobachtungsfähigkeit zu schulen und das Bewusstsein für Risikosituationen zu schärfen. An die Fehlersuche schloss sich die Auf­lösung und Diskussion der Fehler mit allen Workshop-Teilnehmern an.

Foto: AKNR/Schütze
Abb. 2: In der „Room of Horrors“-Apotheke begaben sich die Teilnehmer auf Fehlersuche. Carina John (links) inszenierte ein Telefon­gespräch mit einer Kundin, in dem auch Fehler versteckt waren.

Besondere Aufmerksamkeit

Im theoretischen Teil des Workshops wurden die Teilnehmer daran er­innert, wie wichtig es ist, in der Apo­theke Verordnungen auf Plausibilität, insbesondere der Dosierung, zu prüfen, um eventuelle Verordnungsfehler zu finden. Im Weiteren stellt die Beratung einen wichtigen Baustein in der Arzneimitteltherapiesicherheit dar. Speziell hervorgehoben wurde der Wirkstoff Methotrexat, bei dem es aufgrund von zwei Indikationen und Dosierungen immer wieder zu Medikationsfehlern kommt, teilweise mit Todesfolge (siehe „MTX 1-0-0: (K)eine Lizenz zum Töten“ von C. John, DAZ 2022, Nr. 8, S. 60). Gerade hier ist es wichtig, den Patienten explizit auf die meist einmal wöchentliche Dosierung und auf mögliche Symptome einer Überdosierung hinzuweisen, z. B. Halsschmerzen, Fieber, Mund­geschwüre oder Durchfall.

Besonders aufmerksam sollte man auch bei Rezepten für Säuglinge und Kinder sein, da sich Medikationsfehler hier ebenfalls gravierend auswirken können (siehe „Eine gesalzene Dosierung: Medikationsfehler bei Frühgeborenen mit Schlafapnoe vermeiden“ von O. Schwalbe, DAZ 2022, Nr. 30, S. 44).

Konzept des „Room of Horrors“

In der Schweiz wurde das interaktive Trainingskonzept „Room of Horrors“ bereits in mehreren Krankenhäusern erprobt. Ein solcher Raum kann in diesem Setting beispielsweise ein Labor oder ein Patientenzimmer darstellen. Letzteres wurde ebenfalls in einem anderen Workshop beim CIRS-NRW-Gipfel vorgestellt. Die Stiftung Patientensicherheit Schweiz hat entspre­chende Manuale erstellt, die helfen, einen solchen Raumes vorzubereiten. Inzwischen gibt es Leitfäden nicht nur für Krankenhäuser, sondern auch für Alters- und Pflegeheime sowie Haus- und Kinderarztpraxen. Eine Version für die öffentliche Apotheke ist in Arbeit und wird voraussichtlich im Januar 2023 auf der Internetseite www.patientensicherheit.ch veröffentlicht.

Auch in Ihrer Apotheke?

Vielleicht haben Sie Lust bekommen und würden selbst gerne mal einen solchen „Room of Horrors“ besuchen. Carina John und Oliver Schwalbe haben Pläne, das Projekt weiterzuent­wickeln und beispielsweise solche „Apotheken des Schreckens“ auf weiteren Veranstaltungen anzubieten.

Außerdem kann jede Apotheke selbst mit dem bald zur Verfügung stehenden Manual einen interaktiven Trainingsraum aufbauen und im Team darin üben, z. B. im Rahmen eines Teamabends in der eigenen Apotheke. |

Zehn Jahre CIRS-NRW

Das Internet-gestützte Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW (Critical Incident Reporting System Nordrhein-Westfalen) dient dazu, kritische Ereignisse in der Patientenversorgung anonym melden zu können, bzw. Fallberichte zu ­lesen und daraus lernen zu können. In Nordrhein-Westfalen besteht dieses System seit bereits zehn Jahren. Im Jahr 2019 schlossen sich auch die Apothekerkammern Nordrhein (AKNR) und Westfalen-Lippe (AKWL) mit ihrem eigenen System CIRS Pharmazie der Initiative der Ärztekammern, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenhausgesellschaft NRW an. Dieses sektoren- und professionsübergreifende Berichts- und Lernsystem ist in Deutschland einzigartig. Zurzeit (Stand: November 2022) sind etwa 3300 kommentierte Fallberichte auf der Webseite des CIRS-NRW zu finden (www.cirsmedical.de/nrw/). Jährlich kommen etwa 450 neue Berichte hinzu.

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