Foto: Yurok Aleksandrovich/AdobeStock

Neuroenhancement

Rausch auf Raten

Microdosing als verbreitete Praxis zur Selbstoptimierung

In den Sechzigern ließen Stückchen buntes Löschpapier die Welt zerfließen. Die heutigen LSD-Konsumenten hingegen suchen nach Selbstoptimierung statt nach Selbsterweiterung. Microdosing, also der Konsum geringer Dosen Psychedelika, ist ein weitverbreitetes Phänomen. Es soll glücklicher, kreativer und konzentrierter machen. Parallel steigt auch das akademische Interesse an LSD und verwandten Substanzen. Ist also etwas dran an den Versprechen der Microdoser? | Von Tony Daubitz

Psychedelika wie LSD (Lysergsäurediethylamid) oder Psilocybin erlebten in den letzten Jahren ein enormes Comeback. Nicht nur als Freizeitdroge mit bewusstseinsverändernden Eigenschaften, sondern auch als potenzieller Wirkstoff. Die Substanzen sind derzeit Subjekt vieler Studien, die eine mögliche Rolle der Moleküle in der Therapie von psychiatrischen Krankheiten ergründen. Patienten mit Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Migräne oder posttraumatischer Belastungsstörung könnten von den Psychedelika profitieren.

Als „Mischwesen“ hat sich das Microdosing etabliert, das den Konsumenten nicht auf den Trip schicken will, aber mindestens optimieren, möglicherweise sogar heilen will. Wie der Name schon sagt, werden nicht volle, psychedelisch wirkende Dosen konsumiert, sondern nur kleine Mengen der Substanzen, die keine oder nur minimal wahrnehmbare akute Effekte bzw. zumindest keine halluzinogene Wirkung mehr hervorrufen. Motivation waren vor allem erste Erkenntnisse aus den Sechzigern, die darauf hindeuteten, dass die Substanzen neben ihren psychedelischen Effekten möglicherweise auch die geistigen Fähigkeiten verbesserten [1]. Später schrieb man den geringen Dosen aber noch weitere Benefits zu, z. B. eine verbesserte Laune. In Deutschland kann man seit 2014 beobachten, wie die Google-Suchanfragen zu dem Thema stetig steigen.

Lernziele

In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem:

  • was man unter Microdosing versteht
  • welche Substanzen eingesetzt werden
  • über welche Rezeptoren psychedelische Substanzen im Gehirn wirken
  • welche neurologischen Veränderungen auftreten und wie Microdosing das Gehirn beeinflussen kann
  • welche Effekte sich Anwender versprechen
  • wo die Gefahren liegen
  • was Stacking ist

Breites Spektrum an Substanzen

Microdosing wird individuell äußerst unterschiedlich verstanden und gehandhabt. LSD und Psilocybin-haltige Pilze sind zwar die Klassiker unter den verwendeten Psychedelika, die Bandbreite der Substanzen reicht gleichwohl aber weiter (s. Tab. 1). Mescalin, MDMA (Ecstasy), DMT (N,N-Dimethyltryptamin), Ayahuasca, 2-C-Substanzen und andere werden gemäß Umfragen ebenso zum Microdosing verwendet oder sind zumindest einmal ausprobiert worden [1]. Eine andere Variante ist das sogenannte Stacking, bei dem noch weitere, nicht psychedelische, dafür vermeintlich heilsame Substanzen dem Microdosing-Regime hinzugefügt werden. Schokolade oder Kakao sollen z. B. schon von den Azteken mit Psilocybin-haltigen Pilzen kombiniert worden sein [2]. Zu den weiteren gebräuchlichen Zusätzen zählen die Samen der Steppenraute (enthaltene Harman-Alkaloide sollen als MAO-Hemmer den Effekt verstärken), Igel-Stachelbart-Pilze und Niacin [2].

Tab. 1: Spektrum der zum Microdosing verwendeten Substanzen und Dosierung nach den Ergebnissen einer Online-Umfrage mit 1116 Teilnehmern [1]
Substanz
Zahl der ­Konsumenten (%)
1-LSD
Analogon von Lysergsäure­diethylamid
200 (17,9)
2C-Substanzen
Phenethylamine, mit Methoxy­gruppe an der zweiten und fünften Position der Phenethylaminstammstruktur
282 (25,2)
5-MeO-DMT
5-Methoxy-N,N-dimethyltryptamin
66 (5,9)
ALD-52/1A-LSD
1-Acetyl-N,N-diethyllysergamid
99 (8,9)
Ayahuasca
Pflanzensud aus der Liane Banisteriopsis caapi und N,N-Dimethyltryptamin-haltigen Blättern des Kaffeestrauchgewächses Psychotria viridis
113 (10,1)
DMT
Dimethyltryptamin
398 (35,7)
LSD
Lysergsäurediethylamid
910 (81,5)
MDMA
3,4-Methylendioxy-N-methyl­amphetamin
746 (66,8)
Mescalin
3,4,5-Trimethoxyphenethylamin aus dem Peyote-Kaktus
187 (16,8)
NBOMe
2-(4-Iod-2,5-dimethoxyphenyl)-N-[(2-methoxyphenyl)methyl]ethan­amin
132 (11,8)
Psilocybin
Indolalkaloid aus Pilzen
954 (85,5)
Salvinorin A
terpenoide Inhaltsstoffe des ­Aztekensalbeis
312 (28,0)
andere
350 (31,4)

Auch was die konsumierten Dosen angeht, wird individuell vorgegangen, um eine möglichst maßgeschneiderte Lösung zu erhalten. In dem wegweisenden Psychedelic Explorer’s Guide von Dr. James Fadiman wird z. B. eine LSD-Dosis von 5 bis 10 µg angegeben, und diese beträgt damit etwa ein Zehntel bis ein Zwanzigstel der für den vollen psychedelischen Effekt nötigen Dosis [3]. Das in Wirklichkeit konsumierte Spektrum reicht aber weiter und deckt Dosen von z. B. 4 bis 20 µg LSD oder 0,1 bis 0,6 g Pilze ab [4]. Vorbereitet wird eine spezifische Dosis dann entweder, indem das saugfähige Papier, auf dem die Droge aufgetragen wurde (LSD-Blotter), mit Rasierklingen exakt in kleine Teile geschnitten wird oder das enthaltene LSD mit Wasser oder Alkohol gelöst und dann über das entsprechende Volumen dosiert wird [4] (s. Abb. 1). Pilze werden entweder unverarbeitet verzehrt, geschnitten oder gemahlen, gewogen und verkapselt [4] (s. Abb. 1). Die Microdoser passen aber nicht nur die Dosis individuell an, auch der Einnahmerhythmus wird entsprechend der persönlichen Bedürfnisse unterschiedlich gestaltet. Im Schnitt werden z. B. LSD und Psilocybin ein- bis viermal die Woche konsumiert, mit substanzfreien Tagen dazwischen [2]. Häufig wird auch von einem Drei-Tages-Zyklus mit einem Ein­nahmetag und zwei Dosing-freien Tagen dazwischen berichtet, bzw. zwei Dosing-Tagen und zwei freien Tagen, oder aber die Mikrodosen werden nur an Wochentagen eingenommen [3, 4].

Fotos: Microgen/AdobeStock; Andrea/AdobeStock

Abb. 1: Die zwei beliebtesten Psychedelika zum Microdosing sind LSD und getrocknete Psilocybin-haltige Pilze der Gattung Psilocybe (magic mushrooms, Zauberpilze). Der LSD-Blotter ist die traditionelle Darreichungsform von LSD (links). Auf saugfähiges Filterpapier wird eine LSD-haltige Lösung aufgetragen und getrocknet. Zum Microdosing wird der Blotter mit Rasierklingen geschnitten oder das enthaltene LSD wieder in Lösung gebracht oder der Blotter eingenommen. Rechts: Psilocybin-haltige Pilze werden getrocknet. Zum Microdosing wird eine kleine Menge der Pilze direkt konsumiert oder zerkleinert und verkapselt.

Die Pharmazie der Mikrodosis

Die Frage, wie hoch eine Mikrodosis eigentlich ist, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Sie sollte so niedrig sein, dass sie keine akut wahrnehmbaren, psychedelischen Effekte mehr auslöst. Die EMA z. B. definiert ganz allgemein eine Mikrodosis in der Pharmazie als die Dosis, die weniger als 1% der pharmakologischen Wirkung auslöst. Übersetzt für z. B. LSD würde das eine Dosis von nur 1 µg bedeuten [3]. Die Microdoser konsumieren demnach deutlich höhere Mengen, die eher als geringe Dosen oder Minidosen statt als Mikrodosen kategorisiert werden könnten. Nichtsdestotrotz hat sich der Begriff Microdosing gesellschaftlich etabliert und wird so auch meist in der Wissenschaft verwendet. Kann man im Freizeitgebrauch die Dosis überhaupt genau bestimmen? Wohl kaum. Die im Privaten eingenommenen Präparate werden schließlich nicht wie ein Arzneimittel formuliert und kontrolliert. Dosisabweichungen und Instabilitäten sind entsprechend vorprogrammiert. Im Hinblick auf Pilze, die wegen ihres Psilocybin- oder DMT-Gehalts eingenommen werden, kommt hinzu, dass sie als Naturprodukte inhärenten Gehaltsschwankungen unterliegen (je nach Pilzspezies 0,08 bis 1,37% Psilocybin [3]) und ebenso wenig genau dosiert werden können. Lysergsäure­diethylamid (LSD) wiederum kann als Base oder als Tartrat verwendet werden [5]. Das Verhältnis zwischen LSD und Tartrat kann wiederum 1 : 1 oder 2 : 1 betragen. So entspricht z. B. 1 µg LSD-Base 1,46 µg LSD-Tartrat (1 : 1) oder 1,23 µg LSD-Hemitartrat (1 : 0,5). Enthaltenes Kristallwasser und Lösungsmittelrückstände verwässern die Dosis möglicherweise zusätzlich. Selbst wenn im Idealfall die genaue Dosis bekannt wäre, neigt LSD dazu, mit der Zeit in das inaktive iso-LSD zu isomerisieren, abhängig von z. B. Temperatur, pH-Wert, Lösungsmittel, Lichteinwirkung und Sauerstoff [5].

Abb. 2: Serotonin und Psychedelika besitzen dieselbe Tryptamin-Grundstruktur. Analog wirken die Substanzen als Agonisten an den Serotonin-Rezeptoren im Gehirn. Psilocybin selbst ist ein Prodrug und wird im Körper rasch zum psychedelisch aktiven Psilocin dephosphoryliert.

Individuelle Wirkung der Psychedelika

Da die psychedelischen Substanzen strukturell dem Neurotransmitter Serotonin ähneln, wirken sie hauptsächlich als Agonisten an den Serotonin-Rezeptoren im Gehirn, vor allem an 5-HT2A-Rezeptoren (s. Abb. 2). Die akute subjektive Wirkung von LSD und Psilocybin im Menschen wird primär über diesen 5-HT2A-Rezeptor vermittelt [6, 7]. Die Moleküle aktivieren zusätzlich noch eine ganze Reihe anderer Serotonin-Rezeptoren, z. B. 5-HT1A, 5-HT2B, 5-HT2C und greifen in andere Transmittersysteme ein, z. B. als Agonisten an Dopamin-Rezeptoren und alpha-Adrenozeptoren (s. Tab. 2) [8]. Inwieweit diese Rezeptoren überhaupt zur Wirkung beitragen, ist nicht klar. Hohe Dosen der Substanzen verändern die Wahrnehmung tiefgreifend, aber um den Trip geht es den Microdosern nicht. Sie berichten wissenschaftlichen Online-Umfragen zufolge von anderen Benefits: Die Microdoser waren voller Energie, besser gelaunt und weniger ängstlich, wenn sie die Psychedelika in kleinen Mengen einnahmen [9, 10]. Sie fühlten sich ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt tiefer verbunden und arbeiteten eigenen Angaben zufolge kreativer und effektiver [4, 10]. Nicht nur zur geistigen Optimierung soll das Microdosing beitragen, sondern auch depressive Symptome und selbst Migräneattacken und Clusterkopfschmerzen behandeln oder vorbeugen [10, 11]. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass Psychedelika, zumindest in vollen, psychoaktiven Dosen, höchst individuell wirken. Man spricht in diesem Zusammenhang vom set and setting, also dem Mindset und der sozialen Umgebung, die die Effekte von psychoaktiven Substanzen beeinflussen. Beispielsweise waren in einer gepoolten Analyse verschiedener Studien mit psychedelischen Dosen Psilocybin die Erfahrungen mit der Droge eher positiv, wenn die Probanden besonders offen für neue Erfahrungen waren, weniger psychische Probleme in der Vorgeschichte und eine lebhafte Fantasie hatten [12]. Jüngere Konsumenten hingegen zeigten ein höheres Risiko für negative Erfahrungen.

Tab. 2: Rezeptorbindungsprofile ausgewählter Psychedelika nach [8]
Rezeptor
Dissoziationskonstanten (KD) ± SD (Standardabweichung) [µM]
LSD
Lysergsäurediethylamid
Psilocin (aktiver Metabolit des Psilocybins)
DMT
Dimethyltryptamin
Mescalin
5-HT1A
0,003 ± 0,0005
0,123 ± 0,02
0,075 ± 0,02
4,6 ± 0,4
5-HT2A
0,004 ± 0,001
0,049 ± 0,01
0,237 ± 0,04
6,3 ± 1,8
5-HT2C
0,015 ± 0,003
0,094 ± 0,009
0,424 ± 0,15
17 ± 2,0
α2A
0,67 ± 0,18
6,7 ± 1,1
1,3 ± 0,2
> 15
α1A
0,012 ± 0,002
2,1 ± 0,01
2,1 ± 0,4
1,4 ± 0,2
D1
0,31 ± 0,09
> 14
6,0 ± 0,9
> 14
D2
0,025 ± 0,0004
3,7 ± 0,6
3,0 ± 0,4
> 10
D3
0,1 ± 0,01
8,9 ± 0,8
6,3 ± 2,1
> 17
H1
1,1 ± 0,2
1,6 ± 0,2
0,22 ± 0,03
> 22
Noradrenalin-Transporter
> 30
13 ± 1,7
6,5 ± 1,3
> 30
Dopamin-Transporter
> 30
> 30
22 ± 3,9
> 30
Serotonin-Transporter
> 30
6,0 ± 0,3
6,0 ± 0,6
> 30

Anekdoten vs. Evidenz

Die dokumentierten Aussagen der Microdoser fallen in die Kategorie der anekdotischen Evidenz, ableiten lässt sich aus den subjektiven Aussagen wenig. Robuste Studien sind aber noch Mangelware. Die Forschung an Psychedelika wurde in den 1970er-Jahren empfindlich eingeschränkt, als Folge einer weltweiten restriktiven Gesetzgebung, die auf den zunehmenden Konsum der Substanzen in der Hippie-Bewegung und anderen Subkulturen reagierte. In den letzten Jahren lässt sich aber beobachten, wie die Forschung, gerade auch zum Microdosing wieder Schwung aufnahm. LSD-­Mikrodosen von 5 bis 26 µg induzierten in mehreren placebokontrollierten, randomisierten Studien mit kleinen Probandenzahlen durchaus messbare Effekte. Vor allem subjektiv urteilten Probanden in Fragebögen, dass sie sich nach der LSD-Einnahme unter Einfluss einer Droge befanden, sie fühlten sich high oder beschreiben Erfahrungen der Einheit oder Glückseligkeit [13, 14, 15, 16]. Je höher die Dosis, umso ausgeprägter war oft der Effekt. Dosen um 5 µg LSD waren meist nicht aktiver als Placebo. Die Teilnehmer bewerteten diese Effekte größtenteils als angenehm, höhere Dosen (z. B. 26 µg LSD-Tartrat) wurden teilweise auch als unangenehm empfunden oder sorgten für Verwirrung und Angstgefühle oder aber psychedelische Effekte [14, 15]. Diese Dosen sind also eher hoch. Prof. Dr. Matthias Liechti und Dr. Friederike Holze vom Universitätsspital Basel urteilen basierend auf der aktuellen Literatur, dass eine Dosis von ca. 10 µg LSD-Base die Schwellendosis für subjektiv wahrnehmbare Effekte ist, während 20 µg bei den meisten Personen schon mit psychedelischen Effekten verbunden waren und besser als Minidosis beschrieben würden [5]. Strittig ist in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob eine Mikrodosis nun gar keine akuten wahrnehmbaren Effekte verursachen darf oder ob man schon etwas spüren darf, aber keine halluzinogene Wirkung erreicht werden sollte. Auch in der Szene herrscht über diese Frage Uneinigkeit. In einer Studie mit älteren Teilnehmern zwischen 55 und 75 Jahren jedoch erzielten 5 bis 20 µg LSD-Tartrat nur eine tendenzielle, aber nicht signifikante Drogenwirkung [17]. Wohl aber beeinflusste LSD-Tartrat insbesondere in der Dosis von 10 µg in dieser Studie, wie die Teilnehmer kurze Zeitintervalle im Bereich von Milli­sekunden bis Sekunden wahrnahmen und reproduzierten.

Hoffnungen, dass sich die Stimmung durch das Microdosing nachhaltig positiv verändert, konnten bis dato nicht bestätigt werden. Dies wurde jedoch auch noch nicht gut untersucht. Zwei Studien berichten aber von Teilnehmern, die mit 26 µg LSD-Tartrat eine signifikant erhöhte Tatkraft verspürten [14, 16]. Auch Anhaltspunkte, die für ein verbessertes geistiges Leistungsvermögen sprechen würden, erscheinen nicht konsistent. In einer Studie sollten Patienten auf ein optisches Zeichen hin so schnell wie möglich eine Taste drücken [15]. Dabei kommt es immer mal wieder vor, dass zu langsam oder gar nicht reagiert wird. Solche Aufmerksamkeitsdefizite traten allerdings signifikant weniger häufig in den LSD-Studienkollektiven auf. Auch die Reaktionszeit war mit LSD tendenziell kürzer. In einer komplizierteren Aufgabe, in der eine Liste an Zahlen mit entsprechenden Symbolen verknüpft werden sollte, verlangsamten 20 µg LSD wiederum die Performance der Probanden. Andere Studien, die ebenfalls verschiedene kognitive Standardtests abklopften, fanden insgesamt keine Hinweise, dass mikrodosiertes LSD die geistigen Fähigkeiten verbesserte [14, 16, 18]. Manche Microdoser erhoffen sich von dem Einnahmeregime, physiologische Beschwerden, wie z. B. Schmerzen, behandeln zu können. Mittlerweile gibt es zumindest Evidenz, die aussagt, dass Probanden Schmerzen, die unter Laborbedingungen erzeugt worden sind, z. B. durch das Halten der Hand in eiskaltem Wasser, mit 20 µg LSD besser aushielten [19]. Neurologische Veränderungen, die mit LSD in hohen, psychedelischen Dosen beobachtet wurden, registrierten Wissenschaftler auch bei Mikrodosen. So erhöhten 5 bis 10 µg LSD die Spiegel des Wachstumsfaktors BDNF (brain derived neurotrophic factor), ­einem Marker für Neuroplastizität, und 13 µg LSD veränderten die funktionelle Konnektivität des limbischen Systems [20, 21].

Eine weitere placebokontrollierte Studie untersuchte außerdem das Microdosing mit Psilocybin-haltigen Psilocybe-­gandiloi-Pilzen im Cross-over-Verfahren mit zwei dreiwöchigen Studienabschnitten [22]. Die Autoren studierten mögliche Einflüsse des Psilocybins auf die Emotionsverarbeitung und auf Symptome von Depressionen und Angst. Ihre Ergebnisse offenbarten jedoch ebenso keine klinisch relevante Wirkung der Pilze. Insgesamt wurde bisher vor allem die akute Wirkung von Mikrodosen untersucht, jedoch noch kaum, wie es weiter zu Veränderungen kommt im freien Intervall oder nach einigen Tagen oder Wochen Microdosing. Auch bei Patienten sind bisher noch keine Studien abgeschlossen worden. Aktuell läuft jedoch eine placebokontrollierte Studie zur Wirkung einer zweimal wöchentlichen Gabe von 20 µg LSD über sechs Wochen vs. Placebo bei Patienten mit Aufmerksamkeitsstörungen.

Alles nur Placebo?

Dass jeder Microdoser höchst individuell vorgeht, was die verwendete Droge, Dosis und Dosierintervall angeht, erschwert es zusätzlich, mögliche Benefits zu beweisen oder zu widerlegen. Eine vor diesem Hintergrund interessante und mit 246 Teilnehmern auch recht große Studie ließ Microdoser ihre sonst übliche Praxis selbst verblinden, indem sie das von ihnen verwendete Psychedelikum (LSD oder Pilze in den meisten Fällen) in Kapseln füllten und zusammen mit Placebos in bestimmten Mustern in codierte Briefumschläge packten, die ihnen zur Hälfte dann in einem semi-zufälligen Verfahren wieder zugelost wurden [23]. Damit wurde ein placebokontrolliertes Microdosing-Verfahren über vier Wochen mit zwei Microdosings pro Woche etabliert und die Effekte gemessen. Nach der vierwöchigen Studiendauer fühlten sich die Teilnehmer immer besser, zufriedener und achtsamer, wie von vielen Fürsprechern des Microdosing vorausgesagt – nur, dass diese Effekte auch in der Placebogruppe messbar waren. Akute und postakute Effekte direkt nach dem Einnehmen der Mikrodosis schienen geringe, signifikante Benefits des Microdosings auf Scores der Intensität der Drogenerfahrung, Stimmung, Kreativität und Gefühlslage nahezulegen. Jedoch verschwand dieser Zusammenhang, wenn berücksichtigt wurde, wenn ein Proband aufgrund des subjektiven Effekts der Droge erkannt hatte, dass tatsächlich eine Mikrodosis eingenommen wurde und kein Placebo. In 72% der Fälle schafften das die Teilnehmer, die Verblindung war somit aufgehoben. Im Umkehrschluss bedeutet das also, dass die Scores viel besser ausfielen, wenn ein Teilnehmer wusste, dass er eine Dosis konsumiert hat. Allein die Intensität der Drogenerfahrung unterschied sich dann noch robust von Placebo. Als die Placebo-Probanden nach Ende der Studie die verbliebenen Umschläge öffneten und erfuhren, dass sie gar kein Psychedelikum eingenommen hatten, waren sie verblüfft. Fußt die Erfahrung der Microdoser letztendlich also nur auf einem Placebo-Effekt?

Sicherheit ist unklar

Unabhängig von der offenen Frage der Wirksamkeit darf ein weiterer dringlicher Punkt nicht vergessen werden: die Sicherheit des Microdosings. Eine Studie befasste sich mit der Sicherheit von Mikrodosen an einem Kollektiv älterer Probanden (55 bis 75 Jahre). 5 bis 20 µg LSD-Tartrat wurden über drei Wochen alle vier Tage eingenommen und gut vertragen. Bis auf vermehrte Kopfschmerzen traten unerwünschte Wirkungen mit LSD nicht häufiger als unter Placebo auf [18]. Die Halbwertszeiten von LSD und Psilocybin sind mit vier Stunden bzw. 2,5 Stunden relativ kurz [24]. Selbst bei einem täglichen Microdosing-Regime können die Psychedelika also nicht im Organismus akkumulieren. Insgesamt ist die Evidenz aber zu gering, um belastbare Aussagen über die langfristige Sicherheit des Microdosings treffen zu können. Sicherheitsbedenken betreffen z. B. eventuelle psychiatrische Nebenwirkungen, von denen zum Teil auch in Umfragen unter Microdosern berichtet wird [1], ganz zu schweigen von möglichen Interaktionen mit bereits manifesten psychiatrischen Grunderkrankungen. Zur Debatte steht auch die Relevanz eines weiteren theoretischen Risikos der Langzeitanwendung, nämlich fibrotischen Veränderungen an den Herzklappen [3]. Agonisten an den 5-HT2B-Rezeptoren, zu denen auch die Psychedelika zählen, können Myofibroblasten im Herzen aktivieren mit mög­lichen negativen Konsequenzen für die Herzklappen.

Microdoser sind sich bewusst, dass ihre Praxis nicht ohne Risiko ist. Um mögliche negative Effekte des Microdosings zu minimieren, nehmen viele ihre Mikrodosis z. B. nicht ein, wenn sie sich nicht gut fühlen, oder schränken ihren Alkohol- und Coffein-Genuss ein [25].

Fazit

Ein Nutzen des Microdosings kann in Anbetracht der begrenzten Studienlage weder bewiesen noch widerlegt werden. Gewisse Beobachtungen, wie z. B. eine veränderte Zeit- bzw. Schmerzwahrnehmung und Veränderungen neuronaler Marker zeigen, dass Microdosing das Gehirn beeinflusst. Fest steht aber auch, dass belastbare Evidenz, die für die Benefits und Sicherheit sprechen würde, nicht existiert. Die meisten Studien untersuchten obendrein die akuten Effekte des Microdosings, mögliche langfristige Wirkungen und Adaptionseffekte bleiben damit außen vor. Weitere Untersuchungen sind vor allem auch bei Patienten nötig, da hier ein möglicher therapeutischer Nutzen bestehen könnte. |

 

Disclaimer
Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

 

Literatur

[1] Hutten NRPW et al. Motives and Side-Effects of Microdosing With Psychedelics Among Users. Int J Neuropsychopharmacol 2019;22:426-434

[2] Rootman JM et al. Adults who microdose psychedelics report health related motivations and lower levels of anxiety and depression compared to non-microdosers. Sci Rep 2021;11(1):22479

[3] Kuypers KPC et al. Microdosing psychedelics: More questions than answers? An overview and suggestions for future research. J Psychopharmacol 2019;33:1039-1057

[4] Lea T et al. Psychedelic Microdosing: A Subreddit Analysis. J Psychoactive Drugs 2020;52:101-112

[5] Liechti ME und Holze F. Dosing Psychedelics and MDMA. Curr Top Behav Neurosci 2021, doi: 10.1007/7854_2021_270, Online ahead of print

[6] Holze F et al. Acute dose-dependent effects of lysergic acid diethylamide in a double-blind placebo-controlled study in healthy subjects. Neuropsychopharmacology 2021;46:537-544

[7] Vollenweider FX et al. Psilocybin induces schizophrenia-like psychosis in humans via a serotonin-2 agonist action. Neuroreport 1998;9:3897-3902

[8] Liechti ME. Modern Clinical Research on LSD. Neuropsychopharmacology 2017;42:2114-2127

[9] Cameron LP et al. Psychedelic Microdosing: Prevalence and Subjective Effects. J Psychoactive Drugs 2020;52:113-122

[10] Fadiman J und Korb S. Might Microdosing Psychedelics Be Safe and Beneficial? An Initial Exploration. J Psychoactive Drugs 2019;5:118-122

[11] Andersson M et al. Psychoactive substances as a last resort - a qualitative study of self-treatment of migraine and cluster headaches. Harm Reduct J 2017;14:60

[12] Studerus T et al. Prediction of psilocybin response in healthy volunteers. PLoS One 2012;7:e30800

[13] Holze F et al. Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Lysergic Acid Diethylamide Microdoses in Healthy Participants. Clin Pharmacol Ther 2021;109:658-666

[14] Bershad AK et al. Acute subjective and behavioral effects of microdoses of LSD in healthy human volunteers. Biol Psychiatry 2019;86(10):792-800

[15] Hutten NRPW et al. Mood and cognition after administration of low LSD doses in healthy volunteers: A placebo controlled dose-effect finding study. Eur Neuropsychopharmacol 2020;41:81-91

[16] De Wit H et al. Repeated low doses of LSD in healthy adults: A placebo-controlled, dose-response study. Addict Biol 2022 Mar;27:e13143

[17] Yanakieva S et al. The effects of microdose LSD on time perception: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Psychopharmacology (Berl) 2019;236:1159-1170

[18] Family M et al. Safety, tolerability, pharmacokinetics, and pharmacodynamics of low dose lysergic acid diethylamide (LSD) in healthy older volunteers. Psychopharmacology 2020;237:841-853

[19] Ramaekers JG et al. A low dose of lysergic acid diethylamide decreases pain perception in healthy volunteers. J Psychopharmacol 2021;35:398-405

[20] Hutten NRPW et al. Low Doses of LSD Acutely Increase BDNF Blood Plasma Levels in Healthy Volunteers. ACS Pharmacol Transl Sci 2020;4:461-466

[21] Bershad AK et al. Preliminary Report on the Effects of a Low Dose of LSD on Resting-State Amygdala Functional Connectivity. Biol Psychiatry Cogn Neurosci Neuroimaging 2020;5:461-467

[22] Marschall J et al. Psilocybin microdosing does not affect emotion-related symptoms and processing: A preregistered field and lab-based study. J Psychopharmacol 2022;36:97-113

[23] Szigeti B et al. Self-blinding citizen science to explore psychedelic microdosing. Elife 2021;10:e62878

[24] Holze F et al. Direct comparison of the acute effects of lysergic acid diethylamide and psilocybin in a double-blind placebo-controlled study in healthy subjects. Neuropsychopharmacology 2022, doi: 10.1038/s41386-022-01297-2, Online ahead of print

[25] Lea Z et al. Microdosing psychedelics: Motivations, subjective effects and harm reduction. Int J Drug Policy 2020;75:102600

Autor

Dr. Tony Daubitz, Studium der Pharmazie an der Universität Leipzig; Diplomarbeit in Basel an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu antientzündlichen Eigenschaften von Bambus-Extrakten; Promotion am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zur Pharmakologie von Anionenkanälen

Vielversprechende Ergebnisse der Phase-II-Studien

Wir sprachen mit Prof. Dr. Matthias Liechti, stellvertretender Chefarzt am Universitäts­spital Basel, über seine Erfahrungen mit dem Microdosing.

Prof. Dr. Matthias Liechti

DAZ: Die derzeitige Datenlage lässt kaum Schlüsse über die Wirksamkeit und Sicherheit des Microdosings zu. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung?
Liechti: Es gibt noch kaum Daten zur Wirksamkeit, vor allem nicht aus kontrollierten Studien. Zurzeit läuft meines Wissens nur eine klinische Studie zur Wirksamkeit von Microdosing bei Aufmerksamkeitsstörung in Basel und Maastricht. Daten liegen dazu aber noch keine vor.

DAZ: Wie bewerten Sie die Befunde, dass Mikrodosen die Schmerzwahrnehmung und Zeitwahrnehmung verändern können?
Liechti: Das sind Resultate aus einer kleinen Studie bei Gesunden, die als ein Schmerzmodell die Hände in eiskaltes Wasser gehalten haben. Mit Patienten liege noch keine Daten vor. Es braucht einfach Studien, bevor man Aussagen treffen kann.

DAZ: Microdoser experimentieren mit verschiedenen Substanzen. Ist es denkbar, dass eventuelle Benefits ein Klasseneffekt wären oder wirken möglicherweise nur bestimmte Substanzen in den Kleinstmengen, wenn überhaupt?
Liechti: In hohen Dosen vermute ich kaum Unterschiede in der Wirkung von verschiedenen Psychedelika. Falls es eine Wirkung in niedrigen Dosierungen gibt, ist das vermutlich auch so.

DAZ: Welche Dosen der Psychedelika werden im Vergleich zum Micro­dosing im Rahmen von klinischen Studien zur Therapie von psychiatrischen Erkrankungen untersucht und welche Wirkung lässt sich erzielen?
Liechti: In Studien werden Dosen von 15 bis 25 mg Psilocybin oder 100 bis 200 µg LSD verwendet. Micro­dosing verwendet Dosen, die wesentlich geringer sind und nur eine minimale oder keine akute subjektive Wirkung zeigen, zum Beispiel 10 bis 20 µg LSD. In klinischen Studien wurde nun gezeigt, dass Psilocybin in hoher Dosis eine anhaltende Wirkung hat bei Depression, Angst und Abhängigkeitskrankheiten. Die Daten aus diesen Phase-II-Studien sind vielversprechend, müssen nun aber in größeren Phase-III-Studien bestätigt werden. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Wirkung bestätigen lässt und zwar für Psilocybin und LSD.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch.

Das könnte Sie auch interessieren

Mit LSD und Psilocybin Depressionen, Sucht und Angstzustände therapieren

Die positive Seite der Psychedelika

DAZ-Tipp Microdosing

Tropfen zum Glück?

Interview mit Prof. Dr. med. Gerhard Gründer

LSD auf Rezept?

Ängste bei Krebspatienten

Rauschdrogen als „Retter“

Wie Veränderungen im Gehirn die antidepressive Wirkung des Psychedelikums erklären können

Neue Netzwerke unter Psilocybin

Entdeckung von Lysergsäurediethylamid

75 Jahre LSD: Rausch und Horror inklusive

Halluzinogen Psilocybin überzeugt in klinischen Studien

Magisch gegen Depressionen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.