Kongresse

Problematische Kombinationen

Ein Bericht vom Pharmacon Meran

Die 58. Fortbildungswoche der Bundesapothekerkammer fand zum ersten Mal als Hybrid­veranstaltung statt. 600 Apothekerinnen und Apotheker aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz waren live in Meran dabei, um zu den Themen „Pharmazeutische Dienstleistungen“, „Geriatrie“, „Stoffwechsel“ und „Blut“ ihr Wissen aufzufrischen. | DAZ-Redaktion

Die sechs wichtigsten Arzneimittel-Wechselwirkungen

Welche Interaktionen von Arzneimitteln besonders kritisch sind, darüber informierte Dr. Nina Griese-Mammen, Abteilungsleiterin für wissenschaftliche Evaluation im ABDA-Geschäftsbereich Arzneimittel, die aus aktuellem Anlass ihr Vortragsthema wechseln musste. Sie fasste ein Papier der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) aus dem Jahr 2021 zusammen, in dem die Fachgesellschaft anhand von sechs besonders kritischen Wechselwirkungen auf das Thema aufmerksam macht. So rät die DGIM von einer gleichzeitigen Therapie mit Citalopram oder Escitalopram und Makroliden ausdrücklich ab. „Es droht eine dosisabhängige Verlängerung der QT-Zeit“, erläutert Griese-Mammen. Daraus können lebensbedrohliche Torsade-de-Pointes-Arrhythmien folgen – auch ventrikuläre Tachykardien und plötz­licher Herztod sind möglich. Insbesondere ältere Patienten sind gefährdet, da die Toleranz gegenüber Citalopram/Escitalopram im Alter herabgesetzt ist. Die Kombination dieser Arzneistoffe mit QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln ist daher kritisch zu hinterfragen, vor allem, wenn weitere Risikofaktoren wie Elektrolytstörungen, Long-QT-Syndrom oder Bradykardie hinzukommen. Wird einem Patienten, der eines der Antidepressiva in Dauertherapie erhält, zusätzlich ein Makrolid verordnet, empfiehlt die Fachgesellschaft stattdessen ein Antibiotikum aus einer anderen Wirkstoffgruppe, z. B. Betalactame oder Tetracycline. Auch die gleichzeitige Gabe von ACE-Hemmern, Sartanen und Renin-Inhibitoren gilt als bedenklich. Einst setzte die Wissenschaft große Hoffnung in die Kombination verschiedener RAS-Hemmer – große kontrollierte Studien (ONTARGET, ALTITUDE) brachten allerdings ernüchternde Ergebnisse. Darin zeigte sich kein Vorteil bei gleichzeitigem Einsatz, allerdings stieg die Neben­wirkungsrate deutlich. Während die ONTARGET-Studie klare Nachteile bei den realen Endpunkten lieferte, musste die ALTITUDE-Studie wegen unerwünschter Effekte sogar vorzeitig abgebrochen werden (Hyperkaliämie, Hypotonie, akutes Nierenversagen).

Foto: DAZ/dm

Dr. Nina Griese-Mammen

Diuretika, RAS-Blocker und NSAR – diese Kombination ist auch als Triple Whammy bekannt und ebenfalls ein No-Go, da akutes Nierenversagen droht. Griese-Mammen weist darauf hin, dass Apotheker diese Konstellation beim Blick auf den Medikationsplan selbst erkennen müssen, denn die meisten Systeme, die beim Arzneimittelcheck eingesetzt werden, können nur jeweils zwei Arzneimittel mit­einander vergleichen. Wenn möglich, sollte ein anderes Schmerzmittel angewendet werden, etwa Metamizol, Paracetamol, Tilidin oder Tramadol. Andernfalls empfiehlt sich ein Wirkstoff mit vergleichsweise günstigem Risikoprofil – laut Griese-Mammen sind das Ibuprofen und Naproxen – in geringstmöglicher Dosierung. „Weisen Sie auch in der Selbstmedikation auf das Risiko hin und bieten Sie Alternativen an, insbesondere Paracetamol“. Eine weitere wichtige Wechselwirkung betrifft Opioide und Clarithromycin oder andere CYP3A4-Hemmer. Bestimmte Wirkstoffe wie Oxycodon, Fentanyl und Tramadol werden vor allem über das Enzym CYP3A4 verstoffwechselt. Starke Inhibitoren dieses Enzyms, etwa das Makrolid Clarithromycin und das Antimykotikum Itraconazol, können die Blutspiegel klinisch relevant erhöhen bis hin zu einer In­toxikation mit schwerer Atemdepres­sion. Enzyminduktoren wie Johanniskraut-Extrakte und Phenytoin sorgen hingegen für einen vermehrten Abbau und eine verminderte Wirksamkeit. Kritisch ist insbesondere zu werten, wenn bei Dauertherapie mit einem Opioid eine entsprechende Akutmedikation angesetzt oder ein interagierender Wirkstoff abgesetzt wird. „Solche Konstellationen sind ein No-Go im ambulanten Bereich“, betont Griese-Mammen. Sie empfiehlt, in diesem Fall ein anderes Antibiotikum zu wählen.

Zudem sollten beim pharmazeutischen Personal die Alarmglocken schrillen, wenn Rifampicin und neue orale Antikoagulanzien (NOAK) und direkte orale Koagulanzien (DOAK) gemeinsam eingenommen werden sollen. Rifampicin gilt als besonders problematischer Partner bei Arzneistoffkombinationen, da das Antibiotikum neben diversen CYP-Enzymen noch weitere Metabolisierungswege ankurbelt, z. B. UDP-Glucuronosyltransferasen sowie den Transmembrantransporter P-Glykoprotein. Bei gleichzeitigem Einsatz gerinnungshemmender Arzneimittel aus der Gruppe der NOAK und der DOAK droht eine Unterdosierung wegen des verstärkten Abbaus und der beschleunigten Eliminierung.

Während bei einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten eine laufende Anpassung der Dosierung anhand messbarer Parameter möglich ist, gilt das nicht für NOAKs und DOAKs. Daher sollte die Kombination mit Rifampicin vermieden werden. Auch beim Zusammenspiel von NSAR und systemischen Glucocorticoiden sollte man wachsam sein: Denn während das Ulcus-Risiko unter der Gabe von NSAR um den Faktor 4,3 steigt, ist bei der kombinierten Anwendung von NSAR und systemischen Glucocorticoiden sogar ein Risikoanstieg um das 13-Fache zu beobachten. Bei einer gleichzeitigen Anwendung über einen Zeitraum von etwa fünf Tagen und länger sollte daher immer auch ein Protonenpumpenhemmer eingesetzt werden. Glucocorticoide allein bedingen nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen noch keine erhöhte Ulcus-Gefahr.

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Dr. Ulrich Koczian

Kommunikation mit dem Arzt

Wird in der Apotheke eine Wechselwirkung entdeckt, die nach Einschätzung der Apotheker eine Anpassung der Therapie erfordert, sollte sie dem Arzt gemeldet werden. Doch es kommt vor, dass dieser darauf nicht reagiert. Woran das liegt, erklärte Dr. Ulrich Koczian vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesapothekerkammer (BAK). „Ärzte bewerten Wechsel­wirkungen ganz anders als wir Apotheker“, sagte Koczian. Insbesondere praktische Erfahrung spiele hier eine Rolle. Wenn Koczian sich mit einem Vorschlag einer Therapieanpassung an „seine“ Verordner vor Ort wende, reagierten die Ärzte zu 48% darauf. „Das ist schon eine vergleichsweise hohe Quote“, so Koczian. Nicht vergessen werden darf, dass es letztlich immer um den individuellen Patienten gehe. Wenn dieser einer aus Apothekersicht sinnvollen Umstellung nicht zustimme, dann „ist das eben so“. Daher sollten sämtliche Medikationsanalyse-Tools nur als wertvolle Unterstützung betrachtet werden, wichtig ist auch die persönliche Einschätzung der Heilberufler. Der „Unsicherheitsfaktor Mensch“ sei stets zu berücksichtigen, wenn es um die Einschätzung des Therapieerfolgs gehe. |

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Lesmüller-Medaille verliehen

Foto: DAZ/dm

Die Lesmüller-Medaille wurde als Zeichen besonderer Verdienste an Apothekerin Annette van Gessel und Apotheker Dr. Wolfgang Strölin von BAK-Präsident Thomas Benkert (links) verliehen.

Im Rahmen des Pharmacon Meran wurde als Zeichen besonderer Verdienste um die deutschen Apotheken die Lesmüller-Medaille an Annette van Gessel und Dr. Wolfgang Strölin verliehen.

Apothekerin Annette van Gessel hat sich um die Aus- und Fortbildung der PTA verdient gemacht. Viele Jahre lang war sie Dozentin und stellvertretende Schulleiterin an der PTA-Schule Essen. Parallel arbeitete van Gessel im Govi-Verlag und entwickelte und etablierte die Fachzeitschrift PTA Forum.

Apotheker Dr. Wolfgang Strölin leitete über 35 Jahre die Apotheke am Fischbrunnen in Esslingen. Seit 1986 arbeitete Strölin aktiv in den Gremien der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und prägte dort die Fortbildungsarbeit. Strölin initiierte maßgeblich die Kongresse in Villingen-Schwenningen und Heidelberg und die Bregenzer Grenzgespräche.

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