Arzneimittel und Therapie

Homöopathie und die Evidenz

Placebokontrollierte Studien unter Reporting-Bias-Verdacht

Ein Forschungsteam der Universität für Weiterbildung Krems, der Karl Landsteiner Privatuniversität und der Medizinischen Universität Wien hat die Studienlage zur Homöopathie unter die Lupe genommen [1]. Es kommt zu dem Schluss, dass von einem hohen Risiko für Verzerrungseffekte auszugehen ist. Die tatsächliche Wirkung von homöopathischen Mitteln könnte erheblich überbewertet werden. Der Grund: eine fragwürdige wissenschaftliche Praxis.

Homöopathie gilt in vielen westlichen Ländern als ganzheitliche Alternative zur modernen Medizin. Ihre Grundsätze reichen beinahe 200 Jahre zurück und stehen weitgehend im Widerspruch zu physikalischen und aktuellen medizinischen Prinzipien [2]. Die Debatte, ob homöopathische Mittel effektiver wirken als Placebo, hält seit Jahren an und wird teilweise ­heftig geführt [3 – 9]. Befürworter der Homöopathie berufen sich oft auf zwei Studien von Mathie et al. [10, 11], die statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Wirkung homöopathischer Mittel und Placebo festgestellt haben. Doch diese Unterschiede sollen nicht mehr bestehen, sobald methodisch solide Forschungsarbeiten zur Beurteilung herangezogen werden [12].

Foto: Wolfilser/AdobeStock

Die Forschung im Bereich der Homöopathie wirft Fragen auf und sollte sich dringend ethischen und wissenschaftlichen Standards verschreiben.

Was in der Diskussion rund um die Homöopathie häufig wenig Berücksichtigung findet, ist der Umstand, dass die publizierten Studien dazu möglicherweise nur einen ausgewählten Teil der Forschung widerspiegeln – und zwar jenen Teil, der vorrangig positive Effekte zeigt. Reporting Bias ist der Begriff, den die Wissenschaft hierfür verwendet. Um Verzerrungseffekten in der Studienlage entgegenzuwirken, wurden öffentlich einsehbare ­Datenbanken wie Clinical-Trials.gov (USA) und Clinicaltrialsregister.eu (EU) eingerichtet. Dort können und sollen Forschungsarbeiten vorab registriert werden. Eine Novelle der Deklaration von Helsinki von 2008 hält ­außerdem fest, dass Wissenschaftler ethisch dazu verpflichtet sind, ihre Studien im Vorfeld zu registrieren und die Ergebnisse nach dem Abschluss zu veröffentlichen [13]. Dennoch verbleibt die Zahl der Studien, die weder registriert noch publiziert werden, nach wie vor hoch. Ziel der nun vorliegenden Analyse war es, eine umfassende Beurteilung der Registrierung und Veröffentlichung von Forschungsarbeiten im Bereich der Homöopathie vorzunehmen und damit zu erheben, wie sehr der Aspekt des Reporting Bias in diesem Feld zum Tragen kommt.

Querschnittsstudie und Metaanalyse

Ein Forschungsteam vom Zentrum Cochrane Österreich an der Universität für Weiterbildung Krems, der Karl Landsteiner Privatuniversität und der Medizinischen Universität Wien untersuchte zum Zweck seiner Analyse folgende Datenbanken bis zum 19. April 2021: Clinical-Trials.gov, Clinicaltrialsregister.eu und die Plattform ICTPR (International Clinical Trials Registry Platform) der WHO. Letztere ist ein Meta-Register, das 17 nationale Datenbanken umfasst [14]. Zwei Personen aus dem Forschungsteam untersuchten unabhängig voneinander PubMed, Ovid Allied and Complementary Medicine Database, Embase.com und Google Scholar, um festzustellen, ob registrierte Studien auch veröffentlicht wurden bzw. um veröffentlichte, aber nicht registrierte Studien zu identifizieren. Das Design der Untersuchung entspricht einer Querschnittsstudie und Metaanalyse. Für die Metaanalysen der Forschungsarbeit wurden Random-Effects-Modelle herangezogen, um den Einfluss von nicht registrierten Studien festzumachen.

Mängel bei Registrierung und Veröffentlichung

Von 116 registrierten Studien zur Homöopathie konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 90 in die Erhebung einschließen. 52 der 90 registrierten Studien (57,8%) wurden im Anschluss auch veröffentlicht. Die Ergebnisse von 34 Studien (37,8%) blieben unveröffentlicht. Vier der 90 Studien (4,4%) sind der grauen Literatur zu­zurechnen. Mit 43 Studien wurde rund die Hälfte (47,8%) im Vorhinein registriert, 47 der Studien (52,2%) wurden erst im Nachhinein registriert.

Bei 14 (25%) der veröffentlichten und registrierten Studien wurde das Studienziel nachträglich abgeändert. Die Literatur­suche ergab für den Zeitraum zwischen 2002 und 2021 insgesamt 193 veröffentlichte Studien. Von diesen war mit 96 (49,7%) nur rund die Hälfte im Vorfeld registriert worden. Bei den anderen 97 Studien (50,3%) war keine Registrierung vorgenommen worden.

Um mögliche Verzerrungseffekte durch eine fehlende Registrierung von Forschungsarbeiten zu veranschaulichen, wurden als Beispiel Daten aus einer Metaanalyse von Mathie et al. [10] herangezogen. Diese hatte statistisch signifikante Wirkungseffekte von Homöopathie im Vergleich zu Placebo ergeben. Analysiert wurden 19 Studien aus der Arbeit von Mathie et al. Von diesen waren 13 nicht registriert worden. In der Metaanalyse zeigte sich schließlich, dass die nicht registrierten Studien eine statistisch signifikante Wirkung homöopathischer Mittel im Vergleich zu Placebo feststellten, während das bei den sechs registrierten Studien nicht der Fall war.

Wissenschaftliche Standards einhalten!

Die Ergebnisse dieser Analyse lassen auf einen Mangel an wissenschaftlichen und ethischen Standards im Bereich der Forschung zur Homöopathie schließen. Zahlreiche Studien werden nicht bzw. erst im Nachhinein registriert, was vermuten lässt, dass die Veröffentlichung häufig von den Ergebnissen abhängig gemacht wird. Daraus folgt, dass der Aspekt des Reporting Bias hier schwer zum Tragen kommt und die Wirkung von homöopathischen Mitteln dadurch vermutlich stark überbewertet wird. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass sich Forscherinnen und Forscher im Feld der Homöopathie zur Einhaltung wissenschaftlicher Standards verpflichten. Das ­erfordert eine Registrierung aller Untersuchungen zu homöopathischen Mitteln. Darüber hinaus sollten wissenschaftliche Journals nur die Ergebnisse von Studien zur Homöopathie veröffentlichen, die auch im Vorhinein registriert wurden.

Homöopathie wird oft als sichere Alternative zu Medikamenten betrachtet. Damit pharmazeutische Maßnahmen zugelassen werden können, müssen den Regulierungsbehörden alle Versuchsdaten übermittelt werden, unabhängig vom Status deren Veröffent­lichung. Homöopathie ist jedoch weit­gehend von diesen regulatorischen ­Anforderungen ausgenommen. Die Beurteilung der Wirkung von homöopathischen Mitteln muss daher auf einer Evidenz basieren, die sich aus veröffentlichten Studien zusammensetzt. |

Literatur

 [1] Gartlehner G, Emprechtinger R, Hackl M, et al. Assessing the magnitude of reporting bias in trials of homeopathy: a cross-sectional study and meta-analysis. BMJ Evidence-Based Medicine. doi: 10.1136/bmjebm-2021-111846 [Epub vor dem Druck: 12. April 2022]

 [2] Grams N. Homeopathy – where is the science? A current inventory on a pre-scientific artifact. EMBO Rep 2019;20

 [3] Ernst E. Homeopathy EE. Homeopathy, a „helpful placebo“ or an unethical intervention? Trends Pharmacol Sci 2010;31:1

 [4] Ernst E. Homeopathy EE. Homeopathy, non-specific effects and good medicine. Rheumatology 2011;50:1007–1008

 [5] Iacobucci G. Homeopathy should have professional accreditation revoked, NHS leaders urge. BMJ 2019;367:l6248

 [6] Jacobs J. Homeopathic prevention and management of epidemic diseases. Homeopathy 2018; 107:157–160

 [7] Matthiessen P. Homöopathie und intellektuelle Redlichkeit – Eine Stellungnahme. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2019;50:172–177

 [8] Pannek J, Pannek-Rademacher S. Time to say good-bye? Homeopathy, skeptics and thoughts on how to proceed. J Complement Integr Med 2021. doi:10.1515/jcim-2020-0491 [Epub vor dem Druck: 6. Mai 2021]

 [9] Spence D. Good medicine: homeopathy. BMJ 2012;345:e6184

[10] Mathie RT, Lloyd SM, Legg LA, et al. Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis. Syst Rev 2014;3:142

[11] Mathie RT, Ramparsad N, Legg LA, et al. Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis. Syst Rev 2017;6:63

[12] Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, et al. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet 2005;366:726–32

[13] World Medical Association IW. WMA Declaration of Helsinki – Ethical Principles for Medical Research Involving Human Subjects Le Keynes: World Medical Association, Inc. (WMA), 2018. https://www. wma.net/policies-post/wma-declaration-of-helsinki-ethical-principles-formedical-research-involving-human-subjects/

[14] WHO. Primary registries in the WHO registry network: World Health organization. https://www.who.int/clinical-trials-registryplatform/network/primary-registries [Zugriff 9. Juni 2021]

 

Mag. Edeltraud Günthör, MA, 
Universität für Weiterbildung Krems, 
Zentrum Cochrane Österreich, 
Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, A-3500 Krems

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