Aus den Ländern

Das Herz in Schwung bringen

Bericht vom 50. Schwarzwälder Frühjahrskongress

ck | Aktuelle Therapieoptionen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen standen im Mittelpunkt der Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.

Unter dem Motto „Eine moderne Tradition“ skizzierte Dr. Martin Braun, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, die Entwicklung des Schwarzwälder Frühjahrskongresses. 1972 mit dem Ziel gestartet, auch außerhalb der klassischen Ballungszentren Apothekerinnen und Apothekern Fortbildungsveranstaltungen anzubieten, wählte man den Kursaal in St. Blasien als Veranstaltungsort. Die Räumlichkeiten dort wurden schnell zu eng, so dass man nach Zwischenstation im Kurhaus Menzenschwand 2007 in die große Tonhalle in Villingen-Schwenningen wechselte. Für den großen Erfolg der Veranstaltungsreihe sprechen die Zahlen: über 23.000 Kolleginnen und Kollegen haben bislang teilgenommen. Über die Jahre gleich geblieben ist der Anspruch, komplexe Zusammenhänge anschaulich so zu erklären, dass jeder auch für die tägliche Praxis in der Apotheke nützliches Wissen mitnehmen kann: in diesem Jahr fokussiert auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Foto: P. Schäfer/LAK Baden-Württemberg

Die Moderatoren der Jubiläumsveranstaltung freuten sich über die rege Beteiligung – und hoffen, auf dem nächsten Kongress die Teilnehmer wieder persönlich begrüßen zu können.

Mehr bringt mehr!

Priv.-Doz. Dr. Klaus Bonaventura, Chefarzt am Klinikum für Kardiologie am Klinikum Ernst von Bergmann, Potsdam, stellte die Physiologie, Pathophysiologie und Therapie der Herz­insuffizienz in den Mittelpunkt. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei ca. 50% – und damit ähnlich wie bei einigen der häufigsten Tumorarten. Bonaventura betonte, dass es herausragende medikamentöse Optionen und Möglichkeiten gibt, aber: sie müssen umgesetzt werden! Nur wenn die Adhärenz von Arzt und Patient gut ist, dann sei auch die Prognose der Betroffenen gut. Die Basismedikation zur Therapie der Herzinsuffizienz besteht seit 2021 aus der kombinierten Gabe von Angiotensin-Rezeptor-/Neprilysin-Inhibitoren + Betablocker + Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten + Empagliflozin/Dapagliflozin. Ziel ist dabei, in vier Wochen eine Basismedikation aus diesen vier Komponenten einzustellen. Diese klare Vorgabe der zur Therapie mit allen vier Schlüsselmedikamenten sollte so schnell wie möglich und so sicher wie möglich umsetzt werden. In der Leitlinie werden eindeutig Start- und Zieldosis genannt. Aber zu oft wird die Startdosis beibehalten, die Patienten leider nicht nach oben austitriert. Die Zieldosis muss aber erreicht werden, denn hier gilt eindeutig: Mehr bringt mehr! Bonaventura sieht darin eine Aufgabe für die Apothekerschaft: In der Apotheke könnten Patienten darauf hingewiesen werden, dass die maximal nötige Dosis angestrebt werden muss. Bedenken sollte man, dass abgestorbenes Gewebe sich nicht revitalisieren lasse, der Vorgang ist nicht reversibel. Aber: Eine Herzinsuffizienz sei auch keine Einbahnstraße, betonte Bonaventura, mit konsequenter Medikation kann sich der Zustand wieder bessern.

Foto: P. Schäfer/LAK Baden-Württemberg

Den Patienten in die Entscheidung einbeziehen

Das chronische Koronarsyndrom und Herzinfarkte sind in Deutschland die häufigsten Todesursachen. Apotheker Kai Girwert von der City Apotheke Langenhagen betonte, dass Ärzte, Patienten und Apotheker gefordert sind, um solche Ereignisse möglichst zu vermeiden. Wird ein chronisches Koronarsyndrom diagnostiziert, ist das für die Patienten oft der Wendepunkt von einem asymptomatischen Krankheits­geschehen hin zu spürbaren Einschränkungen in ihrem Alltag. Dabei gilt es, körperliche Sym­ptome zu beherrschen, Ängsten vor fortschreitendem Erkrankungsgeschehen zu begegnen, aber auch die Sinnhaftigkeit der verordneten Arzneimittel zu erklären. „Muss ich das wirklich alles nehmen?“, ist eine häufige Frage, die für die Überforderung mancher Patienten steht. Um hier den Überblick zu behalten, kann die Apotheke aktiv einen Beitrag leisten: Bieten Sie ein Dosette an, vermerken Sie auf der Schachtel die verord­nete Dosierung und auch Diagnose. Und verdeutlichen Sie dem Patienten, welchen konkreten Nutzen er von welchem Arzneimittel hat. Das könnte sein, dass er wieder Freunde treffen oder in den Urlaub fahren kann, wenn die Symptome sich bessern.

Hypertoniker in der Apotheke erkennen

Als einer der wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt die arterielle Hypertonie. Neben den makrovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall mit ihren dramatischen Folgen steigert Bluthochdruck auch das Risiko mikrovaskulärer Organschäden zum Beispiel an den Augen oder Nieren. Blutdruckwerte effektiv und leitlinien­konform einzustellen ist ein wichtiges Mittel, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken und die Prognose zu bessern. Als Behandlungsziel wird in den aktuellen Leit­linien generell eine Senkung des Blutdrucks unter 140/90 mmHg angestrebt, soweit verträglich bei der Altersgruppe unter 65 Jahren möglichst auf Werte unter 130/80 mmHg. Bei älteren Patienten (65 bis 80 Jahre) soll ein systolischer Zielwert von 130 bis 139 mmHg eingestellt werden, bei noch älteren Personen allerdings nur sofern sie dies vertragen. In der aktuellen Leit­linie wird zum ersten Mal auch eine nicht zu unterschreitende Grenze von ≥ 120/80 mmHg definiert. Trotz immer umfassender Therapiemöglichkeiten halten sich die Erfolge dennoch in Grenzen. Apotheker Dr. Eric Martin von der Hubertus Apo­theke, Marktheidenfeld, betonte, wie wichtig es ist, mehr auf die Adhärenz zu achten und auf die Therapiestrategie. Wichtig sind klar definierte Behandlungsziele. An erster Stelle steht die maximale Senkung des kardiovaskulären Risikos. Der Weg dahin geht über die Senkung des Blutdrucks. Es ist erwiesen, dass auch eine numerisch nur geringe Senkung des Blutdrucks große Konsequenzen hat. Metaanalysen zeigten, dass eine Senkung des systolischen Blutdrucks um nur 5 mmHg signifikant das relative Risiko von Schlaganfällen um 40%, Herz­versagen um 30% und die Gesamt­mortalität um bis zu 15% reduziert. Ein umfassendes Behandlungskonzept umfasst Änderungen des Lebensstils ebenso wie eine Pharmakotherapie. Deutlich wurde in den letzten Jahren, dass die bisherigen Therapiestrategien nicht greifen. Eine Monotherapie bzw. eine sequenzielle Monotherapie ist für Arzt und Patient unkomfortabel: sie erfordert wiederholte ärztliche Entscheidungen und eine notwendige Dosissteigerung geht oft mit unerwünschten Wirkungen einher. Aber auch Kombinationen mit komplexen Therapieschemata sind nicht immer erfolgreich. Martin wies darauf hin, dass das Potenzial von Lebensstiländerung oft unterschätzt wird: So kann mit einer Alkoholkarenz der Blutdruck um 2 bis 4 mmHg gesenkt werden, durch Bewegung um 4 bis 9 mmHg, eine Gewichtsreduktion schlägt mit bis zu 20 mmHg pro 10 kg verlorenem Körpergewicht zu Buche. Einzeln klingt das wenig, aber in Summe kann das gravierende positive Aus­wirkungen haben. Um effektiv zu handeln, muss aber eine Hypertonie erkannt werden. Die Apotheke sollte sich als niederschwellig erreichbare Anlaufstelle für Risikoerfassung und Screening positionieren und systematisch mit standardisierten Formularen Blutdruckwerte protokollieren, so die Anregung Martins.

Langfristig die Ernährung umstellen

Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankung sind zwar vielfältig, doch die meisten Erkrankungen sind auf unseren Lebensstil mit ungesunder Ernährung, zu wenig Bewegung, Rauchen und erhöhtem Alkoholkonsum zurückzuführen. Durch eine insgesamt gesündere Lebensweise mit verbesserter Lebensmittelauswahl lässt sich das Herzinfarktrisiko nachhaltig sowohl bei ­gesunden Verbrauchern als auch Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken. Dr. oec. troph. Silke Bauer machte in ihrem Vortrag deutlich, dass eine herzgesunde Ernährung keine kurzfristige spezielle Diät ist, sondern langfristig auf einer dem Bedarf angepassten Energiezufuhr beruht. Wie jede Ernährungsumstellung ist auch eine herzgesunde Ernährung nicht einfach in die Praxis umzusetzen. Tritt der gewünschte Erfolg nicht ein, kann versucht werden, die Essgewohnheiten anzusprechen. Bauer empfiehlt dazu, mit „W-Fragen“ das Umfeld und persönliche Stresssituation zu erfragen: wann, wie, wo, mit wem, wie oft, warum? Daneben sollten individuell gesunde Alternativen im persönlichen Gespräch vermittelt werden: Reduktion der gesättigten Fettsäuren durch geringeren Verzehr von Fleisch und Wurst, Erhöhung der einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren, insbesondere der langkettigen Omega-3-Fettsäuren, höhere Zufuhr von Ballaststoffen sowie eine reduzierte Aufnahme von Salz, Zucker und stark verarbeiteten Produkten. Auf extreme Arten zu Fasten wie Null-Diäten sollten Herzerkrankte verzichten, da die Nährstoffzufuhr stark reduziert wird, und eine zu geringe Kalium-Zufuhr könnte zu Herzrhythmusstörungen führen.

Emotion first

Prof. Dr. Matthias Volkenandt von der MedKomAkademie, München, lenkte die Aufmerksamkeit der Zuhörer weg von rein fachlichen Aspekten der Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin zur Kommunikation. Auch wenn manche die Meinung vertreten, dass man Kommunikation kann oder eben nicht, ist sich Volkenandt sicher, das man Kommunikation lernen kann. Einen Hauptfehler, den hochspezialisierte Berufe wie Ärzte und Apotheker häufig machen, ist der Gedanke, dass die Stärke der Argumente entscheidend ist für den Erfolg eines Gespräches. Dabei ist die Emotion immer entscheidend für ein erfolgreiches Gespräch. Vor einer Antwort sollte überlegt werden, ob man auf fachlicher oder auf emotionaler Ebene antwortet. Sein Tipp: nicht mit dem Fachlichen beginnen. Auf den Satz „Ich habe solche Angst vor der Chemotherapie!“ sollte nicht sachlich reagiert werden: „Das brauchen Sie doch nicht, da gibt es doch etwas gegen das Erbrechen!“ Besser sei ein „Umweg“ über eine empathische Antwort: „Wovor haben Sie denn da am meisten Angst?“ Das signalisiert: „Ich höre Dir zu, ich nehme Dich und Deine Angst wahr.“ Ein gelungenes Gespräch soll dem Gegenüber auf zwei Ebenen helfen: Auf der fach­lichen Seite erhält der Patient die Information z. B. wie viele Tabletten er wann nehmen soll. Auf der emotionalen Beziehungsebene sollten Patienten sich verstanden fühlen. Menschen vergessen, was in einem Gespräch gesagt wurde, aber niemals, was das Gesagte in ihnen ausgelöst hat. |

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