Pandemie Spezial

Wasser auf die Mühlen der Impfgegner?!

Studie zur Genomintegration von Impfstoff-mRNA lässt wichtige Fragen unbeantwortet

Schon lange geistert die Aussage durch die (sozialen) Medien, dass bei einer Impfung mit einem der neuen mRNA-Vakzine die Gefahr besteht, dass die mRNA irgendwie unser Genom verändern kann – mit ungeahnten Folgen. Und wenn der Impfstoff eventuell sogar Eizellen oder Spermien verändert, könnte das ja dramatische Folgen für unseren Nachwuchs haben! Eine kürzlich von einer Arbeitsgruppe der Lund-Universität veröffentlichte Studie scheint diese Gefahr zu bestätigen. Wie ist das einzuordnen?

Was haben Aldén M et al. untersucht? Die schwedischen Wissenschaftler hatten die Leberkrebszelllinie Huh-7 mit unterschiedlichen Mengen BNT162b2, also dem Impfstoff Comirnaty® inkubiert und anschließend verschiedene Tests mit den Zellen durchgeführt, um den Nachweis zu erbringen, dass die im Impfstoff enthaltene mRNA in das Genom der „geimpften“ Zellen integrieren kann. Ermöglicht wird das Integrationsereignis durch das sogenannte LINE-1, das in den mit BNT162b2 inkubierten Zellen verstärkt exprimiert wurde und mRNA-Moleküle in DNA umschreiben und in das Zellgenom integrieren kann.

LINE-1: Wir und unsere mobilen genetischen Elemente

Eine der großen Überraschungen aus den Ergebnissen des Humanen Genomprojekts war, dass etwa die Hälfte unseres Genoms aus kleinen mobilen DNA-Stücken besteht, die als transposable Elemente (Transposons) bezeichnet werden. Diese DNA-Stücke sind in der Lage, Kopien von sich an anderer Stelle ins Genom zu integrieren („springende Gene“). LINE-1 ist das sogenannte long interspersed nuclear element-1 und gehört zu diesen mobilen genetischen Elementen. Die Gensequenz von LINE-1 ist in ungefähr 500.000 Kopien im Genom vorhanden und macht ca. 17% der genetischen Information im Zellkern aus. LINE-1 gehört zu den Retroelementen, auch Retrotransposons genannt, das heißt, es wird für einen „Sprung“ zunächst in mRNA umgeschrieben, die dann in cDNA (komplementäre DNA) revers transkribiert und an anderer Stelle eingebaut wird. Die hierfür benötigten Proteine sind auf zwei offenen Lese­rahmen (ORF1 und 2) kodiert: Aus ORF1 entsteht ein Protein, das Nuklein­säuren bindet, ORF2 liefert ein Enzym, das neben einer Reverse-Transkriptase-Aktivität auch eine Endonuklease-Aktivität aufweist. Es sorgt dafür, dass die gesamte LINE-1-mRNA in cDNA umgeschrieben und ins Genom integriert wird. Von den 500.000 Kopien in unserem Genom sind allerdings nur ungefähr 100 ­aktiv und werden transkribiert und translatiert. Schätzungen zufolge ereignet sich eine LINE-1-Retrotrans­position bei 20 bis 200 Zellteilungen und kann durch die Integration der neuen Kopie zu relevanten, also mit Krankheiten assoziierten Mutationen führen. Etwa eine von 250 aller im Genom auftretenden pathogenen ­Mutationen, die beispielsweise zu ­Hämophilie oder Duchenne-Muskel­dystrophie führen, wird auf eine Aktivität von LINE-1 zurückgeführt. Eine Hyperaktivität von LINE-1 ist auch an der Entstehung vieler Tumoren entscheidend beteiligt. LINE-1 kann aber nicht nur sich selbst im Genom vervielfältigen, sondern auch – sehr viel seltener – andere mRNA-­Sequenzen im Zytoplasma verwenden und in die Wirtszell-DNA integrieren.

Foto: sea and sun/AdobeStock

Reverse Transkription von BNT162b2 und SARS-CoV-2

LINE-1 könnte also auch die Spike-mRNA aus dem Impfstoff verwenden, sie revers transkribieren und die cDNA anschließend in das Wirtszell-Genom integrieren. Die schwedischen Wissenschaftler zeigen, dass in den kultivierten Huh-7-Zellen sehr viel der mRNA aus dem Impfstoff vorhanden ist und dieser Level über einen Zeitraum von 48 Stunden gehalten wird. In dieser Zeit verändert sich auch die Expression von LINE-1 mit dem Resultat, dass offensichtlich die Spike-mRNA tatsächlich in DNA umgeschrieben wird. Wird die genomische DNA aus den Zellen isoliert, lässt sich bereits sechs Stunden nach Beginn der Inkubation mit dem Impfstoff die Spike-Sequenz nach­weisen.

Biologische Relevanz ungeklärt

Die Ergebnisse der Studie erscheinen durchaus plausibel, auch wenn die Abbildungen im Detail doch einige Merkwürdigkeiten aufweisen, die bei der Begutachtung der Ergebnisse durch das Journal leider nicht hinterfragt wurden. Die alles entscheidende Frage, die in der Studie aber nicht beantwortet wird, ist die nach der biologischen Relevanz der Ergebnisse in „normalen“, also gesunden Körperzellen, denn die Huh-7-Leberkrebs-Zelllinie wurde natürlich bewusst ausgewählt: Diese Zellen haben eine stark veränderte und variable Chromosomenausstattung (meist etwa 60 statt der normalen Zahl von 46) und eine sehr hohe Aktivität der LINE-1-Elemente. Dennoch gehen die Ergebnisse konform mit einer Studie der Arbeitsgruppe von Rudolf Jaenisch, die bereits im Mai 2021 veröffentlicht wurde. Darin wird beschrieben, dass nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 die virale mRNA mithilfe von LINE-1 umgeschrieben und in das Genom der Wirtszelle integriert wird. Wichtig wäre es aus unserer Sicht, all diesen Daten nachzugehen, sie in anderen Laboren zu reproduzieren und insbesondere ihre Häufigkeit sowie die biologische bzw. pathophysio­logische Relevanz nicht nur in der Zellkultur, sondern auch im Menschen im Detail zu untersuchen.

Ein Argument der Impfgegner war immer, dass die mRNA-Impfstoffe ins Genom inte­grieren und uns und unsere Nachkommen genetisch verändern. Allerdings sind diese Integrations­ereignisse im Körper sehr selten und nur in teilungsaktiven Zellen möglich. Mit der gleichen, geringen Wahrscheinlichkeit kann auch die komplette oder Teile der mRNA von SARS-CoV-2 ins Genom integrieren. Ob sich die Impfgegner darüber Gedanken gemacht haben? |

Literatur

Aldén M, Olofsson Falla F et al. Intracellular Reverse Transcription of Pfizer BioNTech COVID-19 mRNA Vaccine BNT162b2 In Vitro in Human Liver Cell Line. Curr Issues Mol Biol 2022;44:1115-1126

Kazazian Jr HH, Moran JV: Mobile DNA in Health and Disease. N Engl J Med 2017;377:361-370

Zang L, Richards A et al. Reverse-transcribed SARS-CoV-2 RNA can integrate into the genome of cultured human cells and can be expressed in patient-derived tissues. Proc Natl Acad Sci USA 2021;118:e2105968118

Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Robert Fürst, 

Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt

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