Die Seite 3

In Not

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Die humanitäre Situation in der Ukraine wird von Tag zu Tag dramatischer. Lebensmittel, Trinkwasser und die medizinische Versorgung stehen der Bevölkerung in vielen Landesteilen nur noch notdürftig zur Verfügung. Zugleich sind inzwischen mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht und finden in Nachbarstaaten Unterstützung.

Dies zeigt, welche Bedeutung ein solides Gesundheitssystem in allen Ländern hat. Wurden schwere Naturkatastrophen oder Militärkonflikte in den vergangenen Jahrzehnten bei Analysen hierzulande eher ausgeklammert, muss man seit einiger Zeit realisieren, dass solche Ereignisse plötzlich auch vor der eigenen Haustür stattfinden. Selbst wenn es „nur“ um die Aufnahme und Versorgung flüchtender Menschen geht, braucht das jeweilige Gesundheitssystem eine gewisse Resilienz, um für alle weiterhin gut zu funktionieren.

Im Gespräch mit Ukrainerinnen und Ukrainern erfährt man, dass es sogar in den hart umkämpften Großstädten mitunter noch immer eine organisierte Versorgung gibt – vor allem mithilfe digitaler Services. So werden den Bewohnern beispielsweise aktualisierte Informationen zu betriebsbereiten Apotheken angeboten. In der Millionenstadt Charkiw sollen es Anfang der Woche noch 25 Apotheken gewesen sein. Bereits vor Kriegsausbruch war in der Ukraine ein Online-Portal etabliert, auf dem man flächendeckend prüfen kann, ob benötigte Arzneimittel in der jeweiligen Apotheke verfügbar sind. Dieses Angebot soll den Informationen nach noch immer funktionieren.

Während sich die Menschen in den Krisen- und Kriegsregionen dieser Welt also unter größter Anstrengung um die Organisation ihres Alltags bemühen und um ihr Leben fürchten müssen, werden bei uns die immer gleichen Sorgen und Probleme einiger Standesvertretungen durchdekliniert. So fragte die Kassenärzt­liche Vereinigung Westfalen-Lippe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Rahmen eines Talk-Formats, ob er das ärztliche Dispensierrecht im Notdienst aufgreifen werde (S. 12). Lauterbach zeigte sich seinen Berufskollegen gegenüber aufgeschlossen: „Das ist auf jeden Fall etwas, das wir prüfen müssen“, versicherte er. Es wären „erhebliche Qualitätsverluste in der Versorgung der Patienten“, wenn der Arzt nicht abgeben kann. Doch mehr als dieses Zugeständnis hörte man nicht vom Minister, und auch die Ärztevertreter bleiben bei diesem Thema stets weitere Erklärungen schuldig.

Das Dispensierrecht scheint wohl mehr eine standespolitische Drohgebärde zu sein als ein durchdachtes Konzept. Geht es den Kassenärztlichen Vereinigungen tatsächlich um die Verbesserung der Patientenversorgung? Oder gleicht diese Forderung nicht eher einem hilflosen Versuch, sich um neue Geschäftsfelder zu bemühen? Fakt ist, Ärztinnen und Ärzte im Notdienst dürfen ihren Patienten schon heute im Rahmen der jeweiligen Behandlung Arzneimittel zur unmittelbar folgenden Anwendung überlassen. § 14 Absatz 7 Satz 3 Apothekengesetz geht sogar noch weiter: Bei einer Entlassung nach stationärer oder ambulanter Behandlung im Krankenhaus können die zur Überbrückung benötigten Arzneimittel abgegeben werden. Die Menge orientiert sich daran, ob im unmittelbaren Anschluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Feiertag folgt. Vielleicht wäre das eine Blaupause für eine praktikable Regelung der Notdienste außerhalb von Kliniken.

Sollte es den Kassenärztlichen Vereinigungen also tatsächlich um eine konstruktive Weiterentwicklung gehen, wären Lauterbach und dieser Paragraf die richtigen Adressaten. Ansonsten blieben die Forderungen weiterhin nur standespolitisches Geplänkel.

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