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Wirtschaft
Enttäuschte Erwartungen bei der Ärzteschaft
KBV-Umfrage: Überstürzte Einführung hat die Akzeptanz der Digitalisierung nachhaltig beschädigt / Kurswechsel beim E-Rezept gefordert
Mehr als 2800 Praxen von Ärzten und Psychotherapeuten beteiligten sich an der repräsentativen Befragung, die das Iges Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) durchführte. Ziel war, einen umfassenden Überblick darüber zu gewinnen, wie stark digitale Anwendungen in den Praxen verbreitet sind, welche Erfahrungen hiermit gemacht wurden und wie der Digitalisierungsfortschritt eingeschätzt wird.
Dabei stehen die Befragten der Digitalisierung eher positiv gegenüber: Knapp 45 Prozent halten sich für aufgeschlossen gegenüber digitalen Innovationen, insgesamt 74 Prozent sind dies zumindest „teilweise“. Dabei fällt der Anteil bei jüngeren Praxisbetreibern (unter 50 Jahre) mit 83 Prozent höher aus als bei den älteren Kollegen mit 63 Prozent. Das Gros der Praxen ist auch vorbereitet: 89 Prozent der Arztpraxen haben einen Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI), unter den psychotherapeutischen Praxen sind es knapp 77 Prozent. In Praxen mit jüngeren Ärzten liegt der Anteil mit TI-Anschluss bei knapp 94 Prozent.
Erwartungen an den Nutzen sind gesunken
Doch die Erwartungen an den Nutzen von digitalen Anwendungen sind im vergangenen Jahr gesunken. Sah im Jahr 2020 noch gut die Hälfte der Praxen in den digitalen Verordnungen und Bescheinigungen einen sehr hohen oder hohen Nutzen, so war es im Jahr 2021 nur noch ein gutes Drittel. Hier dürften vor allem die Probleme bei der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) sowie die Diskussionen um die zum Jahreswechsel geplante flächendeckende Einführung des E-Rezepts eine Rolle gespielt haben. Auch die Erwartungen an den Nutzen von Online-Fallbesprechungen sanken von 56 auf 40 Prozent. Dagegen werden digitale Pässe nun von 43 statt von 40 Prozent als nützlich eingeschätzt – vermutlich eine Folge der Verwerfungen um gefälschte Impfpässe während der Corona-Pandemie.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Bereichen, in denen von der Digitalisierung eine Verbesserung zu erwarten wäre: So rechneten im Jahr 2020 52 Prozent der Praxen dank der Digitalisierung mit einer besseren Kommunikation mit niedergelassenen Kollegen, 2021 waren es nur noch 41 Prozent. Beim Thema Praxismanagement/-prozesse erwarteten 2020 42 Prozent eine Verbesserung, 2021 waren es nur noch 26 Prozent.
Jede zweite Praxis hat jede Woche Probleme mit der TI
Doch welche Hemmnisse werden in den Praxen beim Thema Digitalisierung wahrgenommen? Für je knapp zwei Drittel der Praxen sind Umstellungsaufwand, ungünstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse und die Fehleranfälligkeit von EDV-Systemen starke Hemmnisse der weiteren Digitalisierung. Bemerkenswert ist dabei, dass sich hier ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr zeigt – bei der Fehleranfälligkeit sind es sogar 12 Prozentpunkte. Zudem sehen 55 Prozent der Praxen in der fehlenden Nutzerfreundlichkeit digitaler Anwendungen ein starkes Hemmnis – 2019 waren es noch 36 Prozent, 2020 bereits 41 Prozent. Zu dieser Entwicklung dürften vor allem die zum Teil negativen Erfahrungen geführt haben, die die Praxen zwischenzeitlich mit der Digitalisierung gemacht haben. Eine wichtige Rolle hat dabei sicher auch die Fehlerhäufigkeit im Zusammenhang mit der TI gespielt. Diese hat im Vergleich zum Vorjahr zugenommen: Der Anteil von Praxen, die von täglich auftretenden Fehlern berichten, hat sich auf 18 Prozent verdoppelt. Zudem treten bei weiteren 32 Prozent der Praxen wöchentlich Fehler auf. Dabei wurden in der Fragestellung die ersten acht Wochen nach erfolgreicher Installation und Inbetriebnahme bewusst ausgeklammert.
KBV: neue Bundesregierung muss Kurswechsel einleiten
Angesichts der Ergebnisse der Umfrage fordert die KBV, dass die Politik Konsequenzen ziehen müsse. „Die unter Zeitdruck forcierte Einführung hat zur Einhaltung der Termine billigend in Kauf genommen, dass nicht ausreichend getestete digitale Anwendungen in die Praxen kamen. Diese Ignoranz hat ihren Preis“, heißt es in der Stellungnahme. Die unreife Anwendung eAU habe die Ärzte erwartbar frustriert und die Akzeptanz der Digitalisierung gravierend beschädigt. Die KBV fordert daher: „Die neue Bundesregierung, die sich in ihrem Koalitionsvertrag auf den versorgungsrelevanten Ausbau der Digitalisierung verständigt hatte, hat jetzt die Chance, einen Kurswechsel einzuleiten – vor allem in Hinblick auf das E-Rezept.“
KBV: digitale Prozesse nicht umständlicher als analoge
Insbesondere setzt sich die KBV dafür ein, dass digitale Neuerungen vor einer flächendeckenden Einführung umfassend getestet werden müssten. In Bezug auf die Erfahrungen mit der eAU heißt es: „Digitale Prozesse dürfen nicht umständlicher sein als die analogen. Bei der eAU ist das bisher nicht der Fall.“ Grundsätzlich ist die KBV allerdings schon davon überzeugt, „dass sich praxistaugliche und sinnvolle digitale Angebote aufgrund ihres Mehrwerts in der Versorgung durchsetzen“. Hilfreich sei dabei mehr Flexibilität bei der Umsetzung von gesetzlichen, insbesondere zeitlichen Vorgaben: „Die neuen Anwendungen können im weiteren Verlauf auf ihren Erfolg überprüft und – entsprechende Praxistauglichkeit und Akzeptanz vorausgesetzt – verpflichtend gemacht werden.“ Für förderlich hält die KBV zudem „eine Incentivierung von First Movern, anstatt durch dysfunktionale Anwendungen mit begrenztem Nutzen in der Versorgung die Frustration aller Anwender hervorzurufen“.
Nutzen für die Ärzte muss Aufwände aufwiegen
Ein wesentliches Problem sieht die KBV auch darin, dass die Praxen keinen direkten Nutzen durch die Digitalisierung erkennen können. „Im Gegensatz zum Empfänger strukturierter digitaler Informationen sind die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten als Produzenten solcher Informationen keine direkten Nutznießer“, heißt es. „Sie tragen jedoch einen erheblichen Anteil am Aufwand für den digitalen Ausbau, bislang ohne adäquaten Nutzen.“ Die KBV fordert daher eine angemessene Finanzierung, zudem müssten sich mögliche Effizienzgewinne durch die Digitalisierung in mehr Zeit für die Arzt-Patienten-Beziehung niederschlagen. „Für weitere Digitalisierungsfortschritte muss deren Nutzen die Aufwände für die Ärzte aufwiegen.“ |
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